Es folgt ein Auszug aus
Kapitel Neun (zweiter Band - bisher gibt es hier Ausschnitte aus dem
ersten, zweiten, dritten, vierten, fünften, sechsten, siebten und achten Kapitel). Anregungen und Kommentare sind
wie immer erwünscht (Rufus.in.Rom@gmail.com)!
Kapitel IX: Crassus
[…] Wie gefährlich war Catilina wirklich?
Wie gerne hätte Rufus jetzt auf den Rat seiner großen
Schwester gehört. Er versuchte auch wieder, mit
Fabia zu sprechen,
möglicherweise konnte sie ihm helfen.
Doch Fabia ging Rufus neuerdings aus dem Weg. Im Unterricht
bei
Crispus drehte sie immer den Kopf weg, wenn er in ihre Richtung sah.
Lucius
schien ein wenig beleidigt, dass Rufus zuletzt so viel mit
Gaius unternommen
hatte, und war ganz in seine Gedichte vertieft.
Dafür war Fabiulla noch aufdringlicher als sonst – wenn das
überhaupt möglich war. Um ihr zu entgehen, versteckte er sich in den folgenden
Wochen bei Crispus in der Bibliothek, wann immer er eine freie Stunde hatte.
Zur Freude seines Lehrers las er dort die Schriften
Zenons und Epikurs.
Vielleicht kam ihm dabei die richtige Idee.
Ein Kiesel hatte ihn am Kopf getroffen, während er gerade
Epikurs Brief an dessen Schüler Menoikeus übersetzte.
Rufus kratzte sich am Kopf und sah argwöhnisch nach draußen.
Rufus hatte erwartet, dass Fabiulla wieder der Zofe Agatha
entwischt sei. Stattdessen stand dort Asia mit einem Finger am Mund und
lächelte schüchtern. Mit der anderen Hand winkte sie ihn herbei. […]
|
M. Licinius Crassus Dives (mit Toupet) |
[Rufus erhält über Cicatrix Nachrichten Nachrichten von Cicero. Da Rufus
jedoch nichts vom Verbleib seines Gastbruders weiß, versucht er, die
Spionageaufträge zu ignorieren. Inzwischen verschlechtert sich die Laune der
Allobroger zusehends,
ein gewisser Marcus Crassus blockiert
das Vorhaben der Steuererleichterungen im Senat. Gaius kehrt zurück, erklärt
aber nicht, wo er war. Dafür nimmt er Rufus zum Fest des Oktoberpferdes mit,
einem sportlichen Großereignis in den Straßen des quirligsten Viertels Roms…]
„Hoc habet!“, rief
Marcus Antonius begeistert, als ein
jugendlicher Sportler sein Gegenüber mit dem Ellenbogen zur Seite geräumt
hatte, dass der nur so gegen die Wand krachte und der Putz herunterfiel.
Seine Stimme war so laut, dass sie das ohrenbetäubende
Gebrüll der Zuschauer noch übertönte.
„Glaubst du immer noch, dass die Sacravienses gewinnen?“
Der Sportler versuchte so weit wie möglich mit dem
Pferdekopf voran zu kommen, ging aber in einem Knäul von Gegnern zu Boden.
„Abwarten!“, lächelte
Marcus Caelius, wobei seine
lebensfrohen grünen Augen blitzten, „am Ende hängt der Schädel wieder an der
Regia am Forum“.
„Unsinn! Den nageln die Suburanenses dieses Mal an die turris Mamilia!“
Ein Sportler aus der Subura versuchte den Pferdekopf einem
Mitspieler zuzuwerfen, wurde dabei jedoch von zwei Sacraviensern in die Zange
genommen.
Der Schädel flog in den Laden eines Töpfers, der sein
Geschäft unvorsichtigerweise offen gelassen hatte, um zusehen zu können. Beide
Mannschaften drängten sofort hinterher und machten den Töpferladen zur Arena.
Nur wenige Augenblicke reichten aus, um den halben Laden zu
Bruch gehen zu lassen, Amphoren brachen, Teller und Tassen flogen durch die
Luft. Manche Zuschauer johlten und klatschten noch dazu.
Als die Sportler wieder draußen waren rannte der Töpfer mit
Wachstäfelchen und Stilus hinterher und versuchte vom größten Tollpatsch der
Suburanenses eine Schuldanerkennung zu erreichen. Stattdessen ging er nach
einem rüden Tackling zu Boden und verlor das Bewusstsein.
Rufus zog Gaius am Arm und lief sofort zu dem Ohnmächtigen
Töpfer hin, Gaius folgte, als er begriff, was Rufus vorhatte.
Doch die nachfolgenden Zuschauer schoben sich dem Wettstreit
in dichtem Gedränge hinterher und achteten dabei auf niemanden. Nachdem sich
Rufus und Gaius erst einmal herunter gebeugt hatten, kamen sie nicht wieder
hoch, die ersten begannen, einfach auf sie zu treten.
Rufus bekam einen Tritt ab.
Er bekam nur noch mit Mühe Luft, sah nur noch stampfende
Füße vor sich, hörte nur noch ein dumpfes Brummen.
Plötzlich wurde er mit einem Ruck in die Höhe gerissen.
„Beim Herakles, ihr wollt euch doch nicht von der Masse
niedertrampeln lassen?“
Antonius hatte beherzt zugegriffen und zog sie alle drei aus
dem Gedränge.
Durch die dröhnende Stimme des Antonius wurde Rufus wieder
klar im Kopf.
Die Panik wich.
Nur mit dem Riechen schien es noch nicht wieder ganz zu
gehen, alles was er wahrnahm, war ein starker Brandgeruch.
»Und dazu noch diese Hitze auf einmal, mitten im Oktober…«
Noch etwas benommen drehte er sich um.
Doch, da war tatsächlich ein Feuer: Beim Kampf um den
Pferdekopf musste jemand eine Lampe umgestoßen haben oder hatte den Herd getroffen.
Der Laden des Töpfers brannte lichterloh!
„He!“, rief Rufus, „Feuer!“
»Warum nur war kaum jemand am Löschen?«
Daheim auf dem Dünsberg hätten alle Ubier gemeinsam
angepackt. War den Römern etwa ihr Wettkampf wichtiger?
Inzwischen drang das Lärmen der Bewohner der oberen
Stockwerke durch das Gejohle der Zuschauer: Schreiend machten sie auf sich
aufmerksam.
Dicke Schwaden stiegen aus der offenen Ladenzeile und
wirbelten Funken und Ruß weit in die Höhe. Um nicht am Rauch zu ersticken,
versuchten sich einige von ihnen mit einem mutigen Sprung auf das Dach des
niedrigeren Nachbarhauses zu retten oder sie sprangen aus dem Fenster.
„Aber wen haben wir denn da?“, dröhnte Marcus Antonius, der
eine junge Springerin auffing.
Und mit einem Blick auf ihre ringlose Hand:
„Wenn dich dein Herr verkaufen will, sag ihm, Marcus
Antonius ist interessiert…“
Endlich kam Bewegung in die Menge. Viele rannten mit
allerlei Gefäßen zum nahen Brunnen.
Rufus schnappte sich eine Amphore und versuchte zu helfen.
Es gab jedoch kaum ein Durchkommen gegen die Massen an
Zuschauern.
»Beim Neptunus, wie soll man da nur vernünftig löschen?«
Gaius stieß Antonius in die Seite:
„Lass die Sklavin runter Marcus, wir müssen etwas
unternehmen!“
Rufus drängte sich verzweifelt hindurch und leerte seine
Amphore mitten ins Feuer, erzielte aber kaum eine Wirkung. Dafür ließ ihn der
dichte Qualm husten.
Antonius dachte kurz nach.
Dann senkte er seinen Kopf streckte die Arme nach vorne aus
und rannte mitten unter die Wettkämpfer.
„Platz da, beim Herakles!“
Er tauchte unter den Sportlern ab und war nicht mehr zu
sehen.
Rufus dachte schon, dass er zu Boden gegangen sei, doch dann
schob sich eine Welle von hochgerissenen Köpfen und Armen durch die Sportler,
an deren Spitze schließlich brüllend der Stiernacken des Antonius auftauchte.
Einen seiner bärigen Arme nach vorne ausgestreckt,
schleuderte er den Pferdkopf mit einem gewaltigen Wurf die Seitenstraße
hinunter, wo er aus dem Sichtfeld verschwand – hinterher alle Sportler und der
größte der Teil der Menge.
Brände gab es oft in Rom, aber den Wettkampf um den
Pferdeschädel nur einmal, an den Iden des Oktober.
Unterdessen war eine größere Sklavenmannschaft eingetroffen,
die allerlei Eimer, Decken und Äxte schleppte.
»Höchste Zeit!«, dachte Rufus.
Die Flammen schlugen immer höher.
Die wenigen freiwilligen Helfer würden sie nicht mehr lang
unter Kontrolle halten können, auch wenn inzwischen ein älterer Herr
aufgetaucht war, der sie antrieb und jeden zum Mithelfen aufforderte.
Bald wären auch die Nachbarhäuser in Gefahr.
Auf ein Kommando blieb der Sklaventrupp jedoch vor dem
brennenden Haus stehen. Angeführt wurden sie von einem gelangweilt
dreinblickenden Togaträger, gefolgt von einem Sklaven mit einem Weidentornister
voller Schriftrollen und Wachstäfelchen, wie sie die Privatsekretäre der
Anwälte auf dem Forum trugen.
„Ja warum helfen sie denn nicht?“, fragte Rufus entsetzt.
Die Hitze des Brandes hatte ihm schon die Augenbrauen
versengt, dennoch wollte er das Feuer weiter bekämpfen.
Die Mannschaft versperrte nun den Weg zum Brunnen, während
ihr Anführer mit dem Herrn verhandelte - scheinbar der Eigentümer.
„Die müssen die Rauchsäule gesehen haben - Crassus!“
Gaius spuckte wütend aus.
„Na, na“, wies ihn Marcus Caelius spaßhaft zu Recht, „fängst
du jetzt gegen alle meine Mentoren zu stänkern an? Reicht es dir nicht mehr,
Cicero zu beschimpfen?“
Gaius verzog das Gesicht und verschränkte die Arme.
„Was ist los? Ist das Crassus? Dann rede du mit deinem
Mentor, Caelius, die müssen doch helfen zu löschen, nicht zu blockieren!“
Caelius lächelte und schüttelte verneinend seine rotblonden
Locken.
„Nur die Ruhe. Nein, das ist nicht Crassus und die fangen
auch gleich an, du wirst schon sehen. Crassus hat überall in der Stadt
Klienten, die nach dickem schwarzem Rauch Ausschau halten. Wenn es brennt, kann
man sich auf einen verlassen: Marcus Licinius Crassus Dives. Seine Mannschaften
löschen jedes Feuer.“
„Aber nicht zu jedem Preis“, mischte sich Antonius ein.
Äußerlich wirkte er ein wenig mitgenommen, seine Chlamys war zerrissen, die
Tunika aufgerissen und er hatte ein paar blaue Flecken und Abschürfungen
mitbekommen. Von innen heraus aber strahlte er.
„Da wir gerade über Preise reden, den Wurf hätte nicht
einmal mein Ahnherr weiter werfen können, oder? Das war doch wohl preisverdächtig!“
Rufus blickte immer noch voll Sorge auf die Verhandlungen
direkt vor den züngelnden Flammen, die wieder an Macht gewannen.
„Was haben die denn da noch groß aufzuschreiben? Dort ist
das Feuer, gleich dahinter!“
„Na, nur keine Aufregung, kleiner Gallier!“, strich ihm
Antonius ruppig über den Kopf.
„Siehst du? Sie sind schon beim Besiegeln. Wenn er länger
warten würde, hätte der Alte auch nichts mehr übrig, zum Verkaufen…“
„Wie meinst du das?“
„Crassus‘ Löschtrupps löschen nur eigenes Hab und Gut. Wer
nicht verkauft, der muss zusehen, wie alles verbrennt und sein Besitz
schließlich gar nichts mehr wert ist.“
„Na, das geht ja noch. Dann hilft Crassus Menschen mit
brennenden Häusern?“
Gaius schnaubte ungehalten.
„Crassus und helfen? Der König der feuchten Mietskasernen?
Der selbst Einzimmerlöcher im fünften Stock zu Wucherpreisen vermietet? Wohl
kaum! Er kauft zum Spottpreis, wenn den Besitzern nichts anderes mehr
übrigbleibt. Wer gibt da schon einen harten Verhandlungspartner ab, wenn sein
Besitz dabei ist, in Flammen aufzugehen. Da gibt es nur zwei Alternativen:
Pleite gehen, oder zu einem Bruchteil des echten Wertes verkaufen. So ist
Crassus reich geworden. Und weißt du wodurch noch? Er soll unter Sulla
Unschuldige auf die Proskriptionsliste gesetzt und bei der Versteigerung alle
anderen Bieter eingeschüchtert haben. Danach ließ selbst Sulla ihn fallen und
nur deswegen bekämpft er gelegentlich die sullanische Ordnung und den
Adelsklüngel, die selbsternannten ʺOptimatenʺ. Trauen kann man ihm aber gewiss
nicht, selbst, wenn er manchmal die richtigen Leute unterstützt…“
„Ist das etwa der Grund, warum ich neuerdings nicht mehr in
eurem inneren Zirkel mit dabei sein darf? Mein Mentor Crassus? Das mit den
Proskriptionen ist nur ein nie bewiesenes Gerücht und außerdem rund zwanzig
Jahre her. Kein Grund, mich nicht mehr zu Catilina mit zu nehmen…“
Gaius presste die Lippen aufeinander und starrte zu Crassus’
Sklaventrupp hinüber.
Sie waren gut ausgebildet worden, echte Profis: Jeder
übernahm andere Aufgaben: Am Rande rückten einige dem Feuer mit Decken zu
Leibe, im Zentrum mit Wasser. Was den Flammen neue Nahrung zu geben versprach,
wurde mit Äxten und Beilen entzwei gehauen, rausgerissen und separat gelöscht,
anderes mit nicht brennbarem Material wie Schutt, Sand und Steinen bedeckt.
»Deswegen haben sie also die Sandsäcke herbei geschleppt…«
Wieder andere leerten Wasser auf die Sklaven, die dem Feuer
am Nächsten waren.
„Warum so still, Gaius? Komm, sag schon! Bis du etwa
eifersüchtig, dass ich bei Cicero und Crassus in die Lehre gehe?“
Gaius verschränkte nur die Arme, sagte aber immer noch
keinen Ton.
Caelius versuchte es mit seinem gewinnbringendsten Lächeln:
„Als ob man mir nicht trauen könnte! Sag mir
nur eine Gelegenheit, wo ich jemals untreu war…“
Antonius musste lachen.
„Eine? Das ist in der Tat schwierig, sich nur eine
rauszusuchen…“
Caelius war ihm einen bösen Blick zu.
„Sag schon Gaius, ich bin doch die Treue in Person!“
„Und Fulvia?“
Caelius begann über das ganze Gesicht zu strahlen.
„Fulvia? Ach ja, Danke für die Erinnerung! Ich muss los,
sonst komme ich doch glatt zu spät… Hier Rufus, nimm Du das Wachstäfelchen. Wo
ich jetzt hingehe, brauche ich zwei freie Hände.“
Dabei gestikulierte er wild und nahm seine Zunge zu Hilfe.
Jetzt musste neben Antonius auch Gaius lachen, selbst wenn
er dagegen ankämpfte und bei zusammengepressten Lippen losprustete.
Caelius konnte man einfach nicht böse sein. Er hob schon die
Hand zum Abschied, da drehte er sich noch einmal um:
„Aber Rufus, wie siehst du denn aus? Alles voller Ruß! An
deiner Stelle würde ich direkt zu den Thermen und danach zu einer Wäscherei
gehen. Ich kann dir da eine gute empfehlen, ganz in der Nähe von euch – sie
gehört einem guten Freund: Publius Sestius.“
Caelius zwinkerte Rufus zu, dann hastete er lachend davon.
Caelius hatte es doch tatsächlich geschafft, seine Kleidung und Frisur makellos
aus allem herauszuhalten. Nicht einmal ein wenig Ruß hatte er abbekommen.
Rufus steckte mechanisch das Schreibtäfelchen ein und
schaute ihm verunsichert hinterher.
„Wer ist denn diese Fulvia – und warum ist er untreu? Ich
dachte, Caelius ist noch unverheiratet!“
„Na, Fulvia ist schon verheiratet - aber weder mit Caelius
noch mit ihrem geliebten Quintus Curius…“
„Sei doch still, du Idiot!“, zischte Gaius Antonius zu.
„Du weißt genau, wie heikel diese Geschichte ist!“
Dann packte er Rufus beim Unterarm:
„Zu niemandem ein Wort darüber, verstanden? Oh Marcus
Caelius Rufus! Ich verstehe nicht, was die Frauen an diesem landstädtischen
Tunichtgut finden...“
[Auf dem Nachhauseweg öffnet Rufus die Nachricht des Caelius:]
ʺRufus dem Rufus einen Gruß.
Versuche, dich mehr an deinen Gastbruder zu hängen. Unser
Freund ist wie immer über das Ganze sehr neugierig. Und wie immer – wische das
hier aus, sobald du es gelesen hast!
Leb wohl!ʺ
[…]
[Zu allem Übel erkrankt auch noch Crispus schwer und bricht in der
Bibliothek zusammen. Rufus und Lucius tragen ihn zusammen mit den Sklaven zum
Arzt Asklepiades und warten auf Besserung. Fabiulla, die Rufus aufheitern will,
verschafft ihm Gelegenheit, Larcia und Fabiulla zu einer vornehmen Dame zu begleiten,
deren Verhalten nicht mit Larcias Moralvorstellungen übereinstimmt.]
Wenig später wurden sie schon ins Triklinium eines vornehmen
Hauses vorgelassen. Es war sehr schick eingerichtet, das Mosaik, die getäfelte
Decke, das Wandgemälde und der edle Couchtisch ergaben ein harmonisches Ganzes,
das in allen Details mit berühmten Liebespaaren des Mythos zu tun hatte. Selbst
der Peristylgarten, auf den die Fenster ausgerichtet waren, war mit
entsprechenden Statuen geschmückt.
Die Herrin hielt offensichtlich mehr von stilvoller
Einrichtung als vom Wollespinnen: Ihre Fingernägel waren viel zu lang für jede
körperliche Arbeit im Haushalt. Dafür waren ihre Hände makellos, die Frisur mit
Locken hochgesteckt, die zu groß und zu gleichmäßig waren, um echt zu sein. Das
Gesicht war geschminkt, Tunika und Stola elegant.
Larcia war in tadelloser aber vergleichsweise einfacher
Aufmachung erschienen. Sie bedachte ihre Gastgeberin mit dem zur Maske
gefrorenen Lächeln einer Frau, die nur zu höflich ist, um ihre Abneigung offiziell
zu zeigen.
Fabiulla dagegen war hervorragender Laune. Sie lächelte
Fulvia verschwörerisch zu.
Rufus hatte schon den Verdacht, dass Fabiulla und Fulvia ihr
Treffen einzig mit dem Ziel arrangiert hätten, Larcia zu ärgern.
Doch Fulvia gab Fabiullas auffordernde Blicke nicht zurück.
Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum und schaute verstört von einer Ecke des
Zimmers zur nächsten.
Larcia zog eine Augenbraue nach oben und runzelte die Stirn.
„Herrin… Larcia von den Fabii Sangae“, wiederholte der
Sklave, der sie hereingeführt hatte.
„Oh, entschuldigt. Willkommen! Legt euch zu Tisch!“
Fulvia klatschte in die Hände. Eine Sklavin mit geflochtenem
Zopf, die neben Fulvia gesessen hatte, erhob sich und verließ den Raum.
Larcia verzog den Mund und setzte sich demonstrativ auf die
Liege, anstatt sich zu legen. Mit einem energischen Augenaufschlag verwies sie
Thrax und Aulus vor die Tür.
„Du kannst deine Leibwächter gerne in die Küche schicken“,
riet Fulvia.
„Nein Danke. Es gehört sich nicht, dass unsere Sklaven fremde
Küchen in Unordnung bringen.“
Agatha stellte sich mit gesenktem Haupt hinter ihre Herrin
in den Hintergrund. Fabiulla legte sich neben Fulvia nieder und wurde von
Larcia mit einem so strengen Blick bedacht, dass sie sich wieder aufsetzte.
Fulvias Gesichtszüge entspannten sich. Ein Lächeln spielte
um ihre Lippen. Eine weitere Sklavin reichte verdünnten Wein, ein dreifüßiger
Kohlegrill spendete zugleich Licht als auch wohliger Wärme.
„Und wer ist dieser junge Mann da, der noch auf eine
Aufforderung wartet, um sich zu setzen? Da du ihn nicht rausgeschickt hast,
kein Leibwächter…“
Larcia zog ihre Augenbrauen zusammen.
„Fabiulla! Du hast gesagt, dass Fulvia auf deine und Rufus‘
Anwesenheit ausdrücklich bestanden habe!“
Fulvia legte gewandt ihre Hand auf ihr Knie und lachte.
„Natürlich bestehe ich auf ihre Anwesenheit. Setz dich zu
uns, Junge! Du bist also »Rufus«…“
Mit einem Mal sprang sie auf.
„DER Rufus? Der kleine aus dem Norden?“
Larcia zog ihre Braue hoch: „continentia, liebe Fulvia, continentia!
Wie kannst du nur derart die Beherrschung verlieren?“
Fulvia setzte sich wieder.
„Wenn du willst, ich kann dir gerne alles über ihn
erzählen!“, bot sich Fabiulla an.
„Fabiulla! Du weißt genau, dass es sich nicht schickt, wenn
ein Mädchen die Unterhaltung von Damen stört.“
Fabiulla sah erwartungsfroh zu Fulvia, doch anstatt zu
widersprechen schaute Fulvia stumm auf ihren Schoß und zupfte an ihren Fingern.
Die Sklavin mit dem Zopf kehrte mit Häppchen zurück und
reichte Erfrischungen. Fabiulla verschränkte die Arme und setzte ihren
Schmollmund auf.
Larcia war sichtlich erfreut und begann, die Unterhaltung an
sich zu reißen:
„Nun, Rufus ist ein Häuptlingssohn, der unserer Erziehung
anvertraut wurde. Ein Gastfreund und Geschäftspartner schickte ein
Empfehlungsschreiben: Diviciacus, von den Haeduern, dem größten Stamm in
Gallien…“
Larcia kam ins Erzählen: Von Rufus über die Politik zu den
Zuständen in den Basiliken und den Geschäften der Via Sacra. Sie sprach viel
und trank reichlich - nur um ihre Kehle zu befeuchten. Larcia fand, dass der
Dreifuß zu heiß sei und eine trockene Kehle verursache – wollte aber auch
nicht, dass man ein wenig Kohle herausnähme. Fulvia schien zerstreut und
beteiligte sich kaum am Gespräch. Immer wieder sah sie gehetzt in die Ecken und
kaute auf ihrer Unterlippe herum. Ab und zu warf sie Rufus einen fragenden
Blick zu. Schließlich stellte Larcia ihr leeres Glas ab, anstatt es nachfüllen
zu lassen.
„Ich fürchte, wir müssen uns ein wenig frisch machen…
Fulvia?“
„Entschuldige, was hast du gesagt?“
Larcia verdrehte die Augen. Wollte Fulvia etwa, dass Larcia
mit einer unfeinen Bemerkung direkt nach dem Klo fragte?
„Ich möchte mich frisch machen, wenn du nichts dagegen
hast.“
„Aber nein, sehr gerne.“ Larcia erhob sich, Agatha folgte
auf dem Fuß.
„Ich schicke dir Helena mit.“
„Nein, meine eigene Sklavin wird vollauf genügen. Ich kenne
den Weg.“
„Wie du willst, Larcia.“
Larcia erhob sich, wartete, dann zog sie eine Augenbraue
nach oben. „Fabiulla?“
„Was? Ich kann doch hier blieben, während du dich ʺfrisch
machstʺ, oder?“
Larcias sonst so blasse Gesichtshaut bekam augenblicklich
Farbe:
„Fabiulla! Weder deine Sprache noch dein Verhalten ist für
ein Mitglied der Fabii Sangae akzeptabel! Nicht einmal für ein ordinäres
Mädchen aus dem Volk! Als ob es sich für ein Kind schickt, alleine bei der
Gastgeberin zu verweilen.“
Fabiulla verschränkte die Arme.
„Und Rufus? Der müsste dann ja wohl auch mit aufs Klo!“
Larcia verschlug es vor Ärger die Sprache. Doch bevor sie
explodieren konnte, griff Fulvia ein:
„Komm schon Fabiulla, tu, was deine Mutter sagt!“
Fabiulla blickte ein wenig überrascht zu Fulvia hinüber.
Vermutlich hatte sie gehofft, dass Fulvia sie unterstützen würde.
„Wie die Herrin wünscht“, murmelte sie schließlich und ging
hinter Larcia schmollend zur Türe hinaus.
Auf einen Wink Fulvias hin kam ihnen auch Helena nach, die
Sklavin mit dem Zopf. Sie hakte sich bei Thrax ein, schloss die Tür und folgte
Larcia in respektvollem Abstand.
Sobald nur noch die Schritte zu hören waren, sprang Fulvia
von der Liege auf und setzte sich auf die frei gewordenen Plätze neben Rufus.
„Versteht der andere Leibwächter Griechisch?“, fragte sie in
leisem Flüstern.
Rufus zog unwillkürlich eine Augenbraue hoch. Das musste er
sich bei den Fabiern abgeschaut haben.
„Aulus? Ich glaube nicht. Warum?“, antwortete er, ebenfalls
in der Sprache der Hellenen.
„Gut. Dann kann niemand mithören?“
„Nicht dass ich wüsste, Herrin.“
Fulvia kaute noch ein wenig nervös auf ihrer Unterlippe herum.
dann nahm sie ihren Mut zusammen:
„Also höre. Es geht um Mord. Offenen Mord. Nicht an
irgendwem, an den edelsten Familien, Senatoren, ihren Kindern und vielleicht
auch an ihren Frauen. Höchstwahrscheinlich sogar ihre Frauen. Feuer macht
keinen Unterschied und der blutrünstige Mob auch nicht. Mord und Brandstiftung.
Sie bauen regelrechte Armeen auf! Manlius schart die Unzufriedenen auf dem Land
um seinen Adler und in der Stadt stehen schon Waffen und Brandpfeile bereit.
Das ist kein hohles Geschwätz mehr, keine hohle Drohung, jetzt wollen sie
wirklich losschlagen. Damit will ich nichts zu tun haben!“
Mit ihrer rechten Hand hielt sie ihr zittriges Handgelenk
und kaute dann ihre Nägel der linken Hand.
Rufus spürte, wie die Übelkeit in ihm aufstieg. Er räusperte
sich.
„Wer will das schon“, brachte er schließlich hervor. „Aber
was hat das mit mir zu tun?“
„Spiel nicht den Unwissenden. Caelius hat mir von dir
erzählt. Mein Kontakt zu Cicero. Aber jetzt nicht mehr. Zu gefährlich. Caelius
wird überwacht. Sie trauen ihm nicht mehr. Außerdem ist Curius eifersüchtig
geworden und mein Mann wird ebenfalls misstrauisch. Caelius ist einfach zu
bekannt. Aber dich kennt niemand. Wenn du durch Rom läufst, halten dich alle
für einen Sklaven aus dem Norden, irgend so ein Gallier. Sieh nur deine Haare
an!“
Dabei rutschte sie näher und fuhr ihm durch die Haare.
Rufus rutschte unruhig ein Stück von Fulvia ab.
„Aber was kann ich schon tun?“
„Was du tun kannst? Du musst Cicero unterrichten! Er braucht
genaue Informationen. Er muss es erfahren, es wissen, es verhindern!“
Die letzten Worte hatte sie Rufus direkt ins Gesicht
geschrien, dann barg sie ihr Gesicht in ihren Händen und schluchzte.
Rufus legte vorsichtig eine Hand auf ihre Schulter.
Fulvia wischte sich die Tränen aus den Augen.
„Weißt du, er war am Anfang so nett. Nicht wie die übrigen
Männer. Entweder man bekommt einen unsensiblen Haudrauf und Soldaten oder ein
Weichei - ich hasse viri molles. Oder
man bekommt jemand, der sich gar nicht für Frauen interessiert… Aber er, er war
so anders: einfühlsam und zärtlich, doch dabei immer ein ganzer Kerl,
selbstbewusst, muskulös und voller Leidenschaft - nicht so wie mein Mann...“
Sie schluchzte erneut.
„Wer war so anders – Caelius?“
„Aber nein, Curius natürlich!“
Sie seufzte tief.
„Er war so verliebt in mich, so euphorisch und so
offenherzig: Er hat mir immer alles erzählt, einfach alles, nichts hat er
geheim gehalten, selbst was gegen das Gesetz war. Er hat sich immer unsere
gemeinsame Zukunft immer in den schönsten Farben ausgemalt. Und die Geschenke
die er mir immer gemacht hat: Für meine Königin… das Beste war ihm gerade gut
genug.“
„Für meine ʺKöniginʺ? Ist das nicht ein Schimpfwort in Rom?“
Fulvia sah ihn erstaunt an.
„Ein Schimpfwort? Für eine Frau, die wie eine Königin
behandelt wird sicher nicht! Helena war auch eine Königin – und Semiramis erst…
das war eine Königin! Und ich habe mich daran gewöhnt, dass ich es verdient
habe, so beschenkt zu werden. Doch dann wurde Curius von den Censoren aus dem
Senat geworfen. Da wurde er etwas unleidlich…“
„Und da hast du dich von ihm getrennt?“
Fulvia seufzte.
„Ach, ich hatte es vor. Aber dann ging er zu Catilina, fand
sein Selbstvertrauen wieder – und seine Leidenschaft, sein Feuer. So sehr, dass
er mir schon mit dem blanken Schwert gedroht hat. Nun ja, dass ich die
Beziehung beenden wollte hat ihn eben wild gemacht, noch mehr als sonst…. Aber
seitdem versprach er plötzlich Meere und Berge….“
»Aha«, dachte Rufus, »ʺmaria
montesque polliceriʺ - bei uns wäre das wohl ʺdas Blaue vom Himmelʺ. Bei
uns ist der Himmel eben seltener blau, Berge gibt es schon genug und das Meer
ist weit weg…«
„…Curius wollte aufsteigen, ich sollte mich scheiden lassen,
dann wollte er nur noch für mich da sein. Für uns. Zusammen wollten wir nur
noch in Luxus und Leidenschaft schwelgen. Ein Haus am Golf, eine romantische
und abenteuerliche Reise zu den sieben Weltwundern, ganz so wie in den
griechischen Romanen, nur ohne Piraten…“
Plötzlich waren Schritte zu hören.
„Was, so schnell? Ich muss dir doch noch sagen, dass…“
Im Gang waren schon Schritte zu hören, das Nörgeln Larcias
und die beleidigte Stimme Fabiullas, die anscheinend immer noch Widerworte gab.
Rufus zog seine Hand wieder von Fulvias Schulter zurück.
Fulvia erhob sich schnell und wechselte den Sitzplatz,
gerade als Fabiulla ins Zimmer stürmte.
Fulvia versuchte ein unschuldiges Lächeln.
Fabiulla hielt den Kopf schräg und musterte beide
argwöhnisch. Helena nahm hinter ihrer Herrin Platz, die sie herbeiwinkte und
ihr etwas ins Ohr flüsterte.
„Stört es dich, wenn ich meiner Sklavin während unserer
Unterhaltung ein paar Aufgaben notiere?“
Larcia zog eine Augenbraue nach oben.
„Aber nein, meine Teuerste, tu, was auch immer du nicht
lassen kannst.“
Offenbar war es nicht nur ungewöhnlich, sondern es schickte
sich auch nicht. Fast alle Römer, die Rufus kannte, lasen beim Schreiben den
Text laut mit. Fulvia schrieb jedoch leise und schaffte es sogar, sich dabei
mit Larcia zu unterhalten, sowohl mit einem Ohr zuzuhören, als auch zu sprechen
und dabei zu schreiben.
Zugegeben, das meist, was sie sprach war der übliche Klatsch
und Tratsch – und den hatte sogar Rufus bereits gehört.
Fabiulla saß mit verschränkten Armen da und nahm Fulvia und
Rufus wortlos unter scharfe Beobachtung.
Doch Fulvia wechselte kein Wort mehr mit ihm, sie wagte
nicht einmal mehr Blickkontakt. Als Larcia geendet hatte, verabschiedeten sie
sich höflich und ließen sich von Helena zur Tür geleiten. Thrax und Aulus
gingen voraus, dahinter Larcia und Fabiulla, zuletzt Rufus.
Gerade als Rufus an Helena und dem Türhüter vorbei ins freie
laufen wollte, spürte er ein hartes Piksen in der Seite.
Überrascht drehte er sich um und sah im Halbdunkel des
Ganges direkt vor sich das Gesicht Helenas, die ihren Finger auf den Mund
gelegt hatte. Mit der anderen Hand schob sie Rufus etwas zwischen Mantel und
Tunika und verschwand wieder im Gang.
Rufus schaute ihr etwas perplex hinterher, doch sie drehte
sich weder um, noch gab sie eine Erklärung für ihr Tun.
„Rufus, was machst du denn noch da drin?“, rief Fabiulla
ungeduldig. „Du müsstest doch langsam wissen, dass sich Sklavinnen nicht
verabschieden. Sie dürfen gar nicht das Wort an dich richten. Es schickt sich
nicht.“
»Und das ausgerechnet von Fabiulla…«
[besucht crispus am Krankenlager, erhält aber keine Gelegenheit für ein
längeres Gespräch unter vier Augen. Auch die Allobroger sind nicht da,
stattdessen trifft er Gaius vor dem Schwert des Luernios. Asia bringt Rufus aus
der Wäscherei ein Schreibtäfelchen mit. Mit einem Code wird er zu Cicero
beordert.]
Cicero schloss persönlich die Oberlichter und die schweren
Eichentüren.
„Immer noch von den großen Philosophen begeistert, junger
…Ubier?“
„Konsul, ich will deine Zeit nicht verschwenden. Ich weiß
nicht mehr als das Täfelchen, das ich bei Sestius eingeworfen habe.
Genaugenommen weiß ich eigentlich so gut wie gar nichts.“
„Ein Glas verdünnten Wein, vielleicht?“
Cicero ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er lächelte wie
immer.
Rufus winkte höflich ab. Warum waren nicht einmal Sklaven
zum Einschenken im Raum? Ihm wurde unbehaglich zumute Was wollte Cicero von
ihm?
„Warum bin ich hier?“
„Um zu helfen. Um deine Pflicht zu tun. Um uns alle zu
retten.“
„Aber ich weiß doch nichts! Was kann ich denn schon tun?“
„Etwas. Viel. Alles. Denke an Zenon. Du strebst doch nach
Weisheit? Der Weise erkennt die Tugend, lebt sie und ist glücklich. Ich brauche
kein Wissen von dir. Über die Umtriebe wusste ich schon Bescheid, Fulvia ist
nicht meine einzige Quelle.“
„Wozu brauchst du dann ausgerechnet mich? Bring es vor den
Senat und lasse die Verschwörer festnehmen!“
Cicero zog eine Augenbraue nach oben.
„Vor den Senat? Und mit welchen Beweisen bitteschön?“
Er seufzte.
„Bringe es vor den Senat… Was glaubst du, was ich getan
habe? Beim Hercules! Vor den Senat – als ob da nicht die ganzen Verschwörer
säßen und mit abstimmen… Ich habe die Sache bereits vor den Senat gebracht,
eine ganze Senatssitzung lang habe ich mir den Mund fusselig geredet. Schon am
22. September. Nichts ist passiert. Ich hatte keine Beweise. Meine Gegner haben
mir nur vorgeworfen, ich würde meinen alten Konkurrenten Catilina aus
politischer Geltungssucht heraus verunglimpfen.“
Cicero massierte sich die Schläfen.
„Nein, ich brauche etwas anderes. Und dazu brauche ich dich,
kleiner tapferer Ubier. Bisher hat sich Quintus Fabius Sanga noch nicht bei mir
sehen lassen und nachgefragt, was ich da mit seinem Schutzbefohlenen vorhabe.
Gut. Von Catilina scheint auch bisher niemand etwas von dir mitbekommen zu
haben. Das bedeutet, du kannst ein Geheimnis bewahren. Ich bin zufällig in den
Besitz von etwas gelangt. Das muss aber an den ursprünglichen Adressaten, sonst
nützt es nichts. Hier, die Wegbeschreibungen.“
Cicero ließ ein Täfelchen über den Tisch gleiten.
Es enthielt keine Namen von Personen oder Familien - nur die
genaue Anleitung, wie man zu mehreren Häusern hinfinden konnte; Jedes nur mit
einer Ziffer bezeichnet.
„Wer wohnt denn da? Und was soll ich abliefern?“
„Je weniger du weißt, desto besser.“
Scheinbar ziellos schlenderte Rufus durch die Subura. Mit
Milmass an seiner Seite hätte er sich bedeutend sicherer gefühlt. Aber es ging
nicht. Das wäre zu auffällig gewesen. Außerdem erwartete man den Hund bereits
zurück. Er sollte ja nur ein wenig Gassi gehen. Rufus zog sich die Kapuze
tiefer ins Gesicht, obwohl durch den Dampf der Subura wesentlich wärmer war als
oben auf dem Esquilin.
Am Ende hatte alles Bitten und Betteln nichts genützt, den
Auftrag los zu werden. „Meine Leute sind zu bekannt“, hatte Cicero befürchtet.
„Von ihnen kann man den Weg sofort zu mir zurückverfolgen. Bei dir jedoch… Und
überlege doch nur, wenn Quintus feststellen sollte, dass du ihm ein Geheimnis
vorenthalten hast – oder Gaius?“ Verfluchter Cicero. Langsam lernte Rufus,
Gaius‘ Abneigung zu verstehen.
Immer wieder schlug Rufus neue Richtungen ein: die Straße
der Sichelmacher, der Kesselflicker, der Tuchmacher. Immer wieder machte er
halt und sah sich die Auslage an, konnte aber niemanden entdecken, der ihm
gefolgt wäre. Als schon auf Via Sacra das Forum zu sehen war, bog er links
hinter den Vesta Tempel ab, ging am Haus der Vestalinnen und dem Amtssitz
Caesars vorbei und dann den Clivus Victoriae empor.
Schließlich stand er vor einem recht unscheinbaren Haus auf
dem Palatin. Von außen deutete nichts darauf hin, ob hier ein armer oder
reicher Mann wohnte. Nur die lange Front deutete darauf hin, dass es wohl doch
kein ganz armer Römer sein konnte.
Rufus kramte in seinem Sack und kramte das erste Wachstäfelchen
hervor. Es war in Papyrus eingeschlagen und mit einer ʺIʺ beschriftet.
Er bückte sich, um es vor die Türe zu legen, als er
plötzlich mit voller Wucht aufs Pflaster aufschlug und ihm die Luft aus den
Lungen heraus gedrückt wurde.
„Den haben wir!“
Jemand Schweres hatte ihn von hinten angesprungen und ihn
mit seinem ganzen Gewicht auf die Pflastersteine gepresst.
Sein Kopf dröhnte.
Andere Männer knieten links und rechts auf seinen Armen und
hielten ihn fest. Ein andere fand den Dolch und riss ihn an sich.
Rufus bekam kaum Luft. Der Unbekannte kniete noch immer auf
seinem Rücken. Kleine Sterne begannen vor seinen Augen zu tanzen.
»Ist das mein Ende?«
Dann wurde es dunkel.
Rufus lief über die grünen Wiesen von Ubiacum auf dem
Dünsberg. Es roch nach Gräsern, Blumen und Wald.
Seine Mutter stand da, mit offenen Armen. Daneben sein
Vater, seine Schwester, die Zwillinge und seine Freunde: Fiskja und Sedavo.
Er freute sich, öffnete die Arme und rannte auf sie zu. Er
rannte schnell wie der Wind, ja sogar schneller als der Wind, doch er kam kein
Stück näher heran.
Ja, er schien sich stattdessen immer weiter von seinen
Liebsten zu entfernen.
„Vater, Mutter!“
Dann wurde er auf einmal nass. So nass, dass er das Wasser
ausspucken und prusten musste.
„Er kommt zu sich.“
Rufus blinzelte.
Er wischte sich das Wasser aus dem Gesicht.
In dem kleinen Raum war es bis auf ein kleines Öllämpchen
auf dem Tisch dunkel. Vor ihm standen zwei Männer mit verschränkten Armen,
links und rechts zwei weitere mit Dolchen. Sein eigener Dolch und der Sack
lagen auf dem Tisch.
„Was machst du mit einem Sack geheimnisvoller Briefe vor
meinem Haus?“
Rufus dankte im Stillen den Göttern. Es waren also nicht die
Verschwörer, die ihn abgefangen hatten. Aber wer dann?
Rufus sah verschämt zu Boden. Er nahm die Rolle des
unwissenden Sklavenjungen ein, wie er es mit Cicero besprochen hatte.
„Dein Haus, Herr?“
„Spar dir dein Getue. Sieh mich an, wenn ich mit dir rede!“
Rufus hob schüchtern den Kopf. Der Mann schien der Hausherr
zu sein: Er war tadellos gekleidet – ein feiner Mantelstoff jedoch nicht
protzig. Kräftige Kiefermuskeln, große Ohren und eine kräftige Nase, die sich
unten ganz leicht nach links bog. Der Mann machte einen sehr selbstbewussten
Eindruck, obwohl er nur noch wenige Haare auf dem Kopf, dafür einen rundlichen
Bauch besaß. Eigentlich war da nur noch ein kleines Haarbüschel, das aus der
Mitte Richtung Stirn gekämmt lag. Seine Arme dagegen schienen muskulös. Er
trieb sicher irgendeine Art Sport…
„Also, was soll das?“
Er schwenkte in einer Hand des abgerissenen Papyrus mit der
ʺIʺ, in der andern Hand ein Täfelchen. M. Licinius Crassus Dives war als
Adressat zu lesen. Das Siegel war erbrochen.
„Ich sollte das nur ausliefern. Mehr weiß ich nicht.“
Crassus lächelte schmallippig.
Der andere Mann beugte sich vor, um Rufus besser betrachten
zu können, bis seine spitze Nase ihn beinahe stach. Sein Mantel war mit
Goldfäden durchwoben, allerdings zu protzig, um noch geschmackvoll zu sein. Er
schien es nötig zu haben, zu zeigen, dass er nun Geld hatte.
„Tu solltest tas nur hausliefern? Tu weißt nicht mehr? Tas
willst tu huns Klaupen machen?“
Rufus musste ein Grinsen unterdrücken.
ʺSpitznaseʺ gab sich seltsam Mühe beim Reden und machte vor
jedem Wort eine kleine Pause. Fabiulla hatte Rufus immer aufgezogen, wenn sein
ʺhʺ oder seine Konsonanten zu stark waren, aber das war einfach lächerlich. In
der Subura war das ʺhʺ schon so schwach, dass sie es meist gar nicht mehr
aussprachen. ʺSpitznaseʺ war wohl so sehr versessen darauf, vornehm zu klingen,
dass er alle Buchstaben übertrieb…
„Lass gut sein Arrius.“
Crassus lächelte amüsiert.
„Soso, unbekannte Briefe von Catilina… Seit wann gibt es
eigentlich Gallier unter Catilinas Männern?“
„Weiß ich nicht. Ich bin nur ein Bote.“
Crassus Gesichtszüge spannten sich an. Rufus konnte nun den
Blick des harten Geschäftsmanns erahnen.
„Soso, ein Bote. Ein Bote von wem?“
„Weiß ich nicht.“
„Du bekommst öfters Aufträge, von denen du nichts weißt,
nicht mal den Auftraggeber? Und von Catilina hast du auch noch nie etwas
gehört?“
„Nein. Ich bin nur ein Bote, unten von der Subura. Das ist
das Geschäft. Man gibt meinem Herrn Geld und der sagt mir wohin. Mehr weiß ich
nicht.“
„Soso, da geht er im Hause Catilinas ein und aus und kennt
nicht einmal seinen Auftraggeber oder gemeinsame Bekannte. Sagt dir der Name
Marcus Caelius auch nichts – Marcus Caelius RUFUS?“
Rufus schultern verspannten sich.
Crassus trug ein süffisantes Lächeln zu Schau.
„Oder vielleicht liegt es daran, dass du gar nicht von
Catilinas Leuten kommst, sondern von Cicero?“
Rufus zog unwillkürlich den Kopf ein.
Crassus verstärkte sein schmallippiges Lächeln.
„Natürlich! Mein guter alter Freund Cicero. Wie du weißt,
sucht er ja nach Beweisen. Nun, ich schätze, jetzt hat er welche gefunden. Oder
hat er sie am Ende selbst geschrieben?“
Crassus schlug das Wachstäfelchen auf.
ʺDie Zeit des Handelns ist gekommen.
Die Planungen sind abgeschlossen. Catilina will dich warnen:
Blut wird fließen. Verlasse heimlich die Stadt! Du wirst Nachricht erhalten,
wenn es sicher ist, zurückzukehren.ʺ
Ungläubig starrte Rufus auf den Brief. Das hatte ihm Cicero
mitgegeben? Wie war er an diese kompromittierende Briefe gelangt? Hatte er sie
von seinen Spionen abfangen lassen? Oder sollte Cicero sie tatsächlich selbst
geschrieben haben? Wenn das der Fall war, dann könnte auch alles andere gelogen
sein, was Cicero ihm erzählt hatte…
„Darf ich mal sehen?“
Crassus legte das Täfelchen zur Seite.
„Nein, er kennt den Inhalt tatsächlich nicht“, beschied er
Arrius.
Crassus setzte sich und massierte sein Kinn mit der rechten
Hand.
„Du hast für mich die Lage in Etrurien sondiert… heute erst
bist du zurückgekommen. Das kann kein Zufall sein. Vielleicht will er mich
loswerden, bevor sein Plan in die entscheidende Phase tritt. Vielleicht sind
die Briefe ja doch echt.“
„Klaupst tu? Aper dann müsste her doch schön plöd sein, so
etwas haus der Hant zu kepen!“
Crassus grunzte.
„In letzter Zeit hat er viel Blödsinn gemacht. Zu viel. Du
weißt ja, ich habe früher gedacht, er könnte meinen Plänen nützlich sein. Sehr
nützlich. Eine gute Investition, eine die sich langfristig auszahlen wird. Aber
jetzt habe ich eher den Verdacht, dass er endgültig verrückt geworden ist.
Anders sind seine unbedachten Aussprüche nicht mehr zu erklären – und das schon
seit einer ganzen Weile:
Am Wahltag offen im Senat zu verkünden, er sehe zwei Körper,
einen mit großem Kopf und winzigem Rumpf und einen großen mächtigen Rumpf ganz
ohne Kopf. Und dann noch der Zusatz, er werde sich als Kopf anbieten! Welcher
Verschwörer will schon auf Teufel komm raus auf sich aufmerksam machen?“
Crassus ließ sich auf einen Stuhl fallen.
„Arrius, was könnte das Ganze mit den Vorgängen in Etrurien
zu tun haben?“
„Nun, nachtem tu hihm das Füllhorn teines Geldes
verschlossen hast, hat Catilina nicht klein beigekepen oder will zukünftig
vorsichtiger vorgehen. Wie tu hes vorauskesehen hast, Marcus. Er hat anderswo
Kläupiger gefunden und das Keld nach Faesulae zu Manlius geschafft. Die andern
Informationen scheinen zu stimmen. Es ist jedenfalls alles bereit, um am
fünften Tag vor den Kalenden des November loszuschlagen, in Rom für den
sechsten.“
„Ein paar Tage nur. Wie viel Mann hat Manlius inzwischen
zusammen?“
„Schwer zu sagen. Sie sind natürlich nicht für mich stramm
kestanden. Vielleicht Siebentausend, vielleicht weniger, vielleicht mehr. Kenau
kann man das nicht sehen. Aper her plant für mehr: Er hat schon Offiziere für
zehn Kohorten bestimmt. Die Feldzeichen sind komplett. Darunter den ʺechtenʺ
Adler des Marius, wie sie sagen. Und die Soldaten glauben daran.“
Crassus schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn.
„Er stellt zwei Legionen auf? Als sei er der rechtmäßige
Konsul! Ihm steigt das Ganze zu Kopf. Allein schon Anführer zu sein, ist wohl
schon zu viel für ihn. Es ist doch ein Glück, dass er nicht Konsul wurde. Nun,
was kümmert es uns. Vermutlich schlägt das Ganze fehl. Nur das Geld kann ich
wohl abschrieben... Wir distanzieren uns öffentlich von ihm und fertig.“
„Aper wenn nicht? Wenn sie hes tatsächlich schaffen,
Praeneste im Handstreich zu nehmen? Gut gesichert würde sie zu heiner fast
uneinnehmparen Festung, hein Truppenstützpunkt nicht keinen Tagesmarsch von Rom
hentfernt…“
„Hm, du meinst, sie sind so gut organisiert? Was würde
passieren, wenn sie Praeneste einnehmen und auf Rom vorrücken… Wenn Catilina
mit marschiert und seinen Charme spielen lässt, könnten sie aus all den kleinen
Städtchen weitere Mitstreiter sammeln. Alle verfügbaren Männer rücken aus Rom
aus und entblößen die Stadt. Dann schlagen gleichzeitig die Brandstifter und
Mörder an den strategisch verteilten Punkten zu. Großbrände… schlecht fürs Geschäft…
Panik bricht aus und die Stadt ist ohne Führung… ein Gemetzel…“
Crassus hieb mit der Faust auf den Tisch.
„Magnus - wenn du nicht auch noch deine Finger im Spiel
hast, alter Kumpel? Woher könnte sonst so viel Geld nach Faesulae fließen? Von
den Caecilii Metelli? Sicher nicht, wenn die genügend Geld hätten, würde sich
niemand von ihnen als Legat im Stabe des Pompeius im Osten erniedrigen.
Metellus Nepos – keinerlei Rückgrat. Seine Vorfahren würden im Grabe rotieren!
Und die Clodii? Chronisch klamm. Die Julii pleite – wenn ich Caesars Wechsel
zurückfordere ist es aus mit ihnen. Von meinen Liciniern hätten sonst noch die
Licinii Luculli genügend Kleingeld, aber was hätten sie davon? Nichts! Ganz im
Gegenteil unser ʺGroßerʺ, der könnte es nicht besser treffen, selbst wenn er
nicht seine Finger im Spiel hat:
Der Senat -oder was noch von ihm übrig ist und sich nicht
irgendwohin verkrochen hat- hat keine andere Wahl mehr, als ihn zu Hilfe zu
rufen. Einmal mit über vierzigtausend Mann in Rom - ihm alle blind ergebene
Veteranen und unter offiziellem Auftrag des Senats… Catilina auszuschalten wäre
ein Kinderspiel für ihn, selbst als nicht mehr ganz so ʺjunger Schlächterʺ -
wer sollte ihn dann noch daran hindern, der Alleinherrscher der ganzen Welt zu
werden? Wer?“
Arrius zuckte mit den Achseln.
„Zumindest wäre es recht schwer, noch hirgend hetwas gegen
seine Machtstellung auszurichten. Gegen seinen Willen ginge noch weniger als
bisher...“
„Ich habe keine Wahl. Die Briefe müssen zu Cicero. Alle.
Kein weiterer darf zugestellt werden. Schnell. Schnell und ganz offiziell. Ich
kann es mir nicht leisten, dass man glaubt, ich würde Briefe eines Verschwörers
für mich behalten oder begünstigen.“
Crassus erhob sich mit einem Ruck.
„Und schmeißt den Kleinen raus. Für ʺahnungslose
Botenjungenʺ, die nichts wissen, habe ich keine Verwendung. Jedenfalls unter
der Bedingung dass sie bis Morgen Abend still halten können – wir verstehen
uns, nicht wahr?“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.