Kapitel III: Tirocinium
[…] Das kalte Wasser im Waschraum half zum Wachwerden -
nur komisch, dass die Römer offenbar keine Seife kannten. Rasch ging es hinüber
zur Bibliothek, denn ab jetzt stand für Rufus Unterricht bis zum Nachmittag auf
dem Tagesprogramm, zusammen mit den anderen Kindern des Hauses. Die lateinische
Schrift gelang ihm immer besser, doch Crispus war nicht leicht zufrieden zu
stellen. Als Rufus nur kurz eindöste, brüllte ihn Crispus gleich an. „Du
bringst mich noch so weit, dass ich Aristoteles Meinung über die Barbaren
teile! Hoch mit dir und lerne, bei Minerva!“ Was hatte Aristoteles denn über
die Barbaren geschrieben? Nichts Gutes, vermutlich. Rufus versuchte besser
aufzupassen, doch er war immer noch so müde. Wann hatte er zuletzt auch richtig
ausschlafen können? Und diese Korbsessel waren so gemütlich. Man konnte bequem
seinen Kopf anlehnen…
Plötzlich schoss er in die Höhe. „Ja Rufus, du möchtest
etwas beitragen, zu Polybios Sicht auf die römische Verfassung oder dazu, wie
auf dem Forum Romanum Politik gemacht wird?“ Fabiulla kicherte. Dieses kleine
Biest! Sie hatte Rufus mit ihren Zehen am Bein gekitzelt. „Politik?“ „Ja Politik.
Bei Minerva, sag mir nicht, dass du nicht weißt, was Politik ist! Worüber reden
wir eigentlich schon den ganzen Morgen auf ausdrücklichen Wunsch von Quintus?
Politik! Werden in eurem Stamm etwa keine Debatten über das Staatswohl geführt,
keine wichtigen Entscheidungen getroffen, keine Gesetze erlassen?“ „Nun ja, bei
uns zu Hause gibt es die Thingstätte für allgemeine Beratungen - und den
Ältestenrat.“ Crispus fuhr sich durch seine blonden Locken und seufzte.
„Immerhin etwas. […]
[…]
Zur großen Freude von Fabia und Fabiulla führte sie ihr
Weg […] die Via Sacra entlang. […] Dazwischen wetteiferten elegante Läden dicht
gedrängt um eine exklusive Kundschaft. Fabia und Fabiulla konnten sich gar
nicht sattsehen. Immer wieder schlugen die Mädchen den Vorhang der Sänfte
zurück, um besser zwischen den Köpfen der Klienten und ehemaligen Gladiatoren
des Quintus, die sie umringten, hindurch sehen zu können. Angespannt und
allzeit bereit bildeten diese einen sicheren Schutzwall im unübersichtlichen
Gedränge. Fabiulla streckte sogar öfters ihren Kopf heraus, was sich
anscheinend nicht ziemte. „Fabiulla nicht! Disziplin und Anstand. Denk an den
mos maiorum!“ Doch mit dem ständigen Hinweis auf die Vorvätersitte konnte
Agatha Fabiulla nicht überzeugen. Die Sklavin saß ebenfalls in der Sänfte und
versuchte vergeblich, Fabiulla zu korrektem Verhalten zu überreden. Vor Larcia
hätte sich Fabiulla das wahrscheinlich nicht getraut, vermutete Rufus, der mit
Lucius und Quintus neben der Sänfte einher ging. Quintus jedoch grinste nur und
lächelte seinen Töchtern zu, wenn er nicht gerade andere Togaträger auf dem Weg
grüßte. Notfalls flüsterte ihm sein Sekretär Apollonius den Namen des Passanten
rechtzeitig ins Ohr.
Was an diesen Läden nur so spannend sein sollte?
Wahrscheinlich waren sie teuer, denn die Fenstergitter waren mit zahlreichen
Zacken und Spitzen versehen. Manche hatten sogar eine Vorrichtung, um den Arm
eines unvorsichtigen Diebes einzuklemmen. Rufus interessierte die feine Ware
der Geschäfte jedoch weniger: Schmuck, Kleider, feingewebte Tücher, Gold- und
Silbergeschirr, Frauenkram… nicht eine einzige Waffenschmiede war dabei.
„Weshalb heißt das eigentlich »die heilige Straße«?“, fragte er Lucius. Dieser
sah ihn schräg an „Komisch, das habe ich mich auch gerade gefragt. Auf der Via
Sacra wird so manches begangen, Taten und Untaten. Auch Straftaten und sogar
Freveltaten.“ Lucius stieß an eine Gehwegkante und musste stolpern.
„Verfluchter…! - Eigentlich passt der Name ganz gut“, kicherte er schließlich.
„»Sacer« bedeutet ja beides, »heilig« und verflucht.“ Rufus schaute sich
angestrengt um, konnte jedoch nichts Übernatürliches entdecken. Stattdessen
wurde eifrig getratscht und Geschäfte gemacht, manch edle Dame ließ gleich
mehrere Sklaven ihre Einkäufe in Taschen und Körben herumschleppen. „Bei
Minerva, bist du blöd!“, rief Fabiulla ihrem Bruder zu. „Jeder weiß doch, dass
alle Prozessionen der heiligen Feste in der Via Sacra gefeiert werden. Und zu
den Tempeln muss man auch hier lang. Und die gewaltigen Triumphzüge der
siegreichen Feldherren gehen auch alle hier durch, bis hinauf aufs Kapitol…“
„Woher willst du kleine Maus denn das wissen?“ antwortete Lucius. „Ein
Triumphzug ist nichts für Frauen – außerdem bist du sowieso noch zu klein!“
„Gar nicht, Bäh!“
Inzwischen bogen sie auf einen größeren Platz ein, von
dem aus man schräg links wieder die blitzenden Tempel und Statuen des Kapitols
erkennen konnte, auf den die Via Sacra schnurgerade zulief. Ein langgestrecktes
hohes Gebäude verwehrte jedoch den direkten Blick. Plötzlich hörten sie lautes
Geschrei direkt nebenan: „Catilina – Catilina – Catilina“, johlte die Menge.
Rufus konnte gerade noch sehen, wie eine ganz in weiß gekleidete Frau hinter
den hohen Eichentüren eines zweigeschossigen Anwesens verschwand. Ein Mann, der
sie begleitet hatte, schwang drohend ein Rutenbündel vor der Menge und
schimpfte. Ein schlecht unterdrücktes Lächeln zeigte jedoch, dass die Frau den
frenetischen Jubel genossen hatte. Dann war auch schon wieder Ruhe. Nur ein
paar Menschen betraten und verließen mit winzigen Kohlebecken den kleinen
Rundtempel, der vor dem prunkvollen Anwesen lag, in dem sie verschwunden war.
Quintus verzog angewidert das Gesicht. „Zum Glück wird sie bald dreißig“,
grummelte er. „Was war das denn?“, wunderte sich Rufus. Lucius stöhnte. „Tante
Fabia – eine Vestalin. Sie soll mal etwas mit Catilina gehabt haben. Ein
schwerer Vorwurf, zum Glück wurden beide frei gesprochen, sonst hätte der
Prozess für beide den Tod bedeuten können - wegen Religionsfrevel. Aber die
Anhänger Catilinas grüßen sie seitdem auf ihre Weise.“