Die „Rufus“-Reihe soll jeder verstehen und genießen können, Jugendliche und Erwachsene, Studierte und Nichtstudierte. Wer sich im Roman auf fremde Welten einlässt, der wird auf unterhaltsame Weise ganz automatisch kennenlernen, was die damalige Zeit so alles zu bieten hatte - und lernt beim Lesen wie von selbst. Alles so authentisch und historisch korrekt wie möglich zu erzählen und dabei spannend zu bleiben, das ist mein Ziel.
Die „AMORES - Die Liebesleiden des jungen Ovid“ sind dagegen nicht immer ganz jugendfrei (wie auch die Originalverse Ovids und seiner Zeitgenossen). Der Laie kann sich über die „moderne“ Sprache & Handlung freuen, der Fachmann über zahlreiche Anspielungen und intertextuelle Scherze.
Auf dem Blog zeige ich einen Blick hinter die Kulissen. Dabei gebe ich auch Hintergrundinformationen über Politik und Alltagsleben der späten Republik und frühen Kaiserzeit in Rom und einiger Kelten- und Germanenstämme.
Feste Probeleser aus verschiedensten Altersgruppen haben bereits die ersten Bände gelesen. Die Rückmeldungen setze ich um. Sehr gute Feedbacks kamen dabei nicht nur von Universitätsprofessoren und anderen Fachleuten sondern gerade auch von Schülerinnen und Schülern - vielleicht demnächst auch von dir? Gerne nehme ich jede gute Anregung auf (Rufus.in.Rom@gmail.com)...

Sonntag, 19. Juni 2016

Elegisches Distichon – von Helden- zur Liebesdichtung in einem (Vers-)fuß (Antike Dichtung einfach gesprochen V)


Über Metrik, Skandieren und Dichtung wurde hier bereits in mehreren Vorgängerposts und Videos gesprochen. Welche Art Literatur war noch einmal die erste Literatur im europäischen Kulturraum? Natürlich die Heldendichtung Homers: Ilias und Odyssee (ca. 800 v. Chr.). Schon das älteste Heldenlied der Menschheit, das Gilgamesch-Epos, erzählt in wuchtig rhythmischen Takt über seinen Helden und auch bei Homer geht es wuchtig weiter:
Das Versmaß seiner Dichtungen ist der Hexameter, seit Homer ist Heldendichtung hexametrische Dichtung. Dieser Hexameter gilt als gravis als ernst, wichtig und schwerwiegend. Also eigentlich nichts für die Liebe?
Daneben gibt es noch ein weiteres Versmaß, das ursprünglich mit Helden und Kampf zu tun hat: Das Elegische Distichon, ein regelmäßiger Wechsel von Hexameter und Pentameter, der aus den Genres Liebeslyrik, Klagegedicht und Lehrgedicht stammt.
Di-stichon bedeutet also schlicht „Zweiversler“ (di = zwei, στίχος = Vers) oder übertragen „Flöten-Zweireiher. Elegisch hat seinen Namen vom Thema, der Literaturgattung Elegie. Dessen Herkunft ist umstritten: In der Antike denkt man an Trauergedichte, œ œ lšgein (e-e legein = aua aua sagen / ein Ausruf des Schmerzes oder Mitleids) und die römische Elegie beginnt tatsächlich mit einer Totenklage (der Dichter Calvus nennt seine Klage um Quintilia 3,9 traditionsbewusst flebilis). Wahrscheinlicher ist jedoch das alt-armenische elegn für Rohr, bzw. Flöte.
Kallinos aus Ephesos, der „Vater der Elegie“ ruft im 7 Jh. v. seine Mitbürger jedenfalls mit der Sprache Homers und unter Flötenbegleitung, aber in etwas weicherem Takt, im elegischen Distichon, zum heroischen Kampf gegen den Feind auf. Gleichzeitig will der Spartaner Tyrtaios sein Heer in diesem Versmaß zu Höchstleistungen coachen und zur Tapferkeit ermuntern (eine sogenannte Kampf- bzw. Tapferkeitsparenese). Die Elegie im Doppelvers bekommt schon zu Beginn etwas Aufforderndes, etwas Pädagogisches mit. Solon nutzt sie im 7-6 Jh. v. zu politischer Zweckpublizistik, die Dichter aus der Welt-Bildungsstadt Alexandria, Philetas und Kallimachos geben ihr im 3 Jh. ihre klassische Form:
In der Elegie spricht nun ein poeta doctus in Ich-Form. Ein gebildeter Dichter, der gerne zeigt, was er alles gelesen hat, treibt in kleinen anspruchsvollen Gedichten sein Spiel mit dem Leser: Er bezieht in Ausschnitten und Anspielungen die ganze Literaturgeschichte, die hellenistische Tradition mit ins eigene Werk ein (ähnlich wie die ständigen intermediellen Zitate und Andeutungen in der modernen Serie die Simpsons). Manchmal muss man bei so vielen Zitaten schwer überlegen, wie der Autor eigentlich selbst zum Thema steht (Polyphonie der Textaussage, der Leser wird zum Detektiv). Dafür sind die kurzen Büchlein aber höchst unterhaltsam und bis ins letzte Detail ausgefeilt.
Sie handeln von Ursprungssagen (Aitia), aber vor allem auch von Liebe. In der Elegie wird nun zum ersten Mal überhaupt subjektive Erotik niedergeschrieben. Traurige, klagende Themen sind jedoch auch mit dabei.
Auf jeden Fall verfassen Elegiker kein riesiges Epos, v.a. Kallimachos, der eher auf kurze Geschichten steht: „Großes Buch, großer Mist!“ – so seine abfällige Äußerung über Vieleschrieber.
Doch zurück zum Versmaß, dem regelmäßigen Wechsel von Hexameter und Pentameter:
Warum der Pentameter so heißt, ist klar, wenn man die griechischen Zahlen kann: Dem Penta-meter (5er-Maß) fehlen schlicht 2 halbe Metren zum Hexa-meter (6er-Maß). Nur wer es ganz hundertprozentig haben will: Es wurde bei der Benennung nicht ganz sauber gezählt, über die Pause hinweg; eigentlich zwei Tripodien, deren Füße jedes Mal unvollständig (katalektisch) sind). So ein Distichon kann man nun systematisch analysieren wie einen Hexameter, es geht aber auch anders, indem man sich einen Rhythmus setzt. Hier ein deutsches Textbeispiel:

Aber wie kommt man überhaupt vom Hexameter der Heldendichtung zu einem Wechsel mit dem Pentameter und Liebesdichtung? Ovid erklärt das auf seine eigen Art in seinem ersten Gedicht seines Erstlingswerkes Amores (Ov.am.1,1) – natürlich in elegischem Distichon: Der junge Dichter sitzt gerade an einem Heldengedicht im Hexameter, da kommt der Liebesgott und stiehlt ihm einen Versfuß, worauf ein Distichon entsteht. Natürlich beschwert sich der Dichter, er habe doch kein Liebes-Thema parat und noch nie einen Partner gehabt! Cupido schießt jedoch einen Liebespfeil: Schon singt er von Liebe statt Krieg im Liebesversmaß des elegischen Distichons.
Noch eine andere Methode bietet sich an: Wenn man weiß, dass die antike Dichtung auch Gesänge genannt wurde, weil fahrende Sänger, Rhapsoden, durch die antike Welt zogen, denkt folgerichtig an … Sprechgesang!
Hexameter und Pentameter wirken wie eine Base-Drumm im Hintergrund: Auf einen Schlag kommen schlicht entweder 1 Länge, 2 Kürzen oder 1 Pause. Eine Schritt für Schritt-Anleitung zum Skandieren eines Hexameter folgt unterhalb als Video:
Ein schönes Beispiel für das Ergebnis musikalischen Skandierens zeigt dieses Video:


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