Die „Rufus“-Reihe soll jeder verstehen und genießen können, Jugendliche und Erwachsene, Studierte und Nichtstudierte. Wer sich im Roman auf fremde Welten einlässt, der wird auf unterhaltsame Weise ganz automatisch kennenlernen, was die damalige Zeit so alles zu bieten hatte - und lernt beim Lesen wie von selbst. Alles so authentisch und historisch korrekt wie möglich zu erzählen und dabei spannend zu bleiben, das ist mein Ziel.
Die „AMORES - Die Liebesleiden des jungen Ovid“ sind dagegen nicht immer ganz jugendfrei (wie auch die Originalverse Ovids und seiner Zeitgenossen). Der Laie kann sich über die „moderne“ Sprache & Handlung freuen, der Fachmann über zahlreiche Anspielungen und intertextuelle Scherze.
Auf dem Blog zeige ich einen Blick hinter die Kulissen. Dabei gebe ich auch Hintergrundinformationen über Politik und Alltagsleben der späten Republik und frühen Kaiserzeit in Rom und einiger Kelten- und Germanenstämme.
Feste Probeleser aus verschiedensten Altersgruppen haben bereits die ersten Bände gelesen. Die Rückmeldungen setze ich um. Sehr gute Feedbacks kamen dabei nicht nur von Universitätsprofessoren und anderen Fachleuten sondern gerade auch von Schülerinnen und Schülern - vielleicht demnächst auch von dir? Gerne nehme ich jede gute Anregung auf (Rufus.in.Rom@gmail.com)...

Montag, 18. Mai 2015

X. Wie lange noch? Leseprobe aus "Catilina und die Jugend Roms"

Es folgt ein Auszug aus Kapitel Zehn (zweiter Band - bisher gibt es hier Ausschnitte aus dem ersten, zweiten, dritten, vierten, fünften, sechsten, siebten, achten und neunten Kapitel). Anregungen und Kommentare sind wie immer erwünscht (Rufus.in.Rom@gmail.com)!


Kapitel X: Wie lange noch
Verärgerter Cicero bei seiner Rede "In Catilinam"
Cicero, angewidert von Catilina
[Am nächsten Morgen stehen bewaffnete Soldaten am Hauseingang. Quintus Fabius Sanga ruft seine familia zusammen. Die Briefe an Crassus und die andern Patrizier wurden im Senat vor Zeugen geöffnet und verlesen, über die Erhebung des Manlius wurde beraten. Schließlich wird der Notstand ausgerufen.]
[…]
[Rufus ist im Unterricht nicht bei der Sache, selbst bei der Sage über Romulus und Remus muss er immer nur daran denken, was sein Gastbruder Gaius gerade treibt – und wo. Rufus und Fabiulla werden mitten aus dem Unterricht herausgerufen: Larcia wurde eingeladen, unter ausdrücklichem Wunsch ihrer Gesellschaft...]

In Fulvias geschmackvoll eingerichtetem Triklinium fehlte es wieder an nichts; an nichts außer an der rechten Stimmung: Fulvia bemühte sich, eine gute Gastgeberin zu sein, doch kaute sie andauernd an ihren Nägeln, während Larcia Neuigkeiten berichtete, die bereits jeder wusste.
„Wie lange wir das wohl noch zu erdulden haben müssen? Staatsnotstand – wie schrecklich! Auf den Märkten ist kaum noch etwas zu haben. Ceres sei Dank, dass wir noch unsere eigenen Landgüter haben, jetzt wo man das beste Obst und Gemüse nur noch zu Wucherpreisen unter dem Ladentisch bekommt. Und von dem, was noch öffentlich angeboten wird, wollen wir gar nicht erst reden: fade im Geschmack, zähes Fleisch und vergammelter Fisch!...“
[…]
„Und wieso bitte, kann man sie nicht einfach so verurteilen?“
„ʺWo bitte sind die Beweise?ʺ, würden ihre Unterstützer sagen. Der junge Caesar hat sogar eine flammende Rede gehalten, dass er Aufruhr in keiner Form unterstütze, dass man sich aber strikt an das Gesetz zu halten habe…“
„… und hat damit verdammt recht - in dubio pro reo!“
„Sempronia!“
Fulvia fuhr mit einem Satz von der Speiseliege hoch und riss die Augen auf.
Sempronia nahm ungeniert auf dem mittleren Speisesofa direkt neben Larcia Platz, so dass ihr Platz zum neuen Ehrenplatz zwischen den Damen wurde.
Fabiulla und Rufus sogen überrascht die Luft ein. Sempronia hatte ohne auf eine Einladung der Gastgeberin zu warten einfach den locus consularis für sich in Anspruch genommen. Larcia hatte sich deshalb ursprünglich auf die mittlere Liege begeben, und Rufus neben Fabiulla auf der Randliege Platz nehmen lassen.
Larcia zog gekränkt beide Augenbrauen hoch. Sempronias Verhalten sprach jeder Etikette Hohn.
Fulvia starrte Sempronia immer noch an, als sei sie ein Gespenst.
»Wie kann man sich denn vor einer so netten Frau so fürchten?«, wunderte sich Rufus. Erneut bewunderte er ihre Erscheinung. Sempronia war vielleicht nicht mehr ganz so jung wie andere Frauen, ihre Haut nicht mehr ganz so glatt, aber die Eleganz ihrer Erscheinung suchte ihresgleichen. Allein schon ihre Bewegungen verrieten die ganz große Klasse. Die Lachfältchen um ihre Augen und das leicht spöttische Lächeln um ihre Mundwinkel fand Rufus besonders anziehend. »Sollte ich jemals eine Römerin heiraten, dann so eine!«, schwor er sich, während er den Duft ihres verführerischen Parfüms einsog.
„Na was ist?“, riss Sempronia ein Glas an sich. „Bekommt man hier etwa keinen Wein? Oh, was für leckere Häppchen…“
Larcia kämpfte darum, nicht die Beherrschung zu verlieren. Sie setzte sich stocksteif auf und gab sich demonstrativ angewidert, als Sempronia unbekümmert ein paar Pastetchen in die Luft warf und mit dem Mund wieder auffing. Sempronias Stola war dabei so weit entblößt, dass man ihre goldenen Arm- und Fußringe sehen und klappern hören konnte.
Fabiulla kicherte ausgelassen, Rufus war überwältigt von Sempronias Lebensfreude, Larcia sog scharf die Luft ein.
„Außer sich wie billige Akrobatinnen zu verhalten, scheint es manchen Frauen nicht einmal etwas auszumachen, sich vor Männern zu entblößen!“
„Warum auch nicht, wenn es der richtige ist? Und weißt du was? Es macht auch manchen Männern nichts aus – solange sich die richtige Frau entblößt!“
„Fabiulla! Warte vor der Tür! Agahtha, begleite sie! Wie kannst du nur solche Reden vor einem wohlerzogenen Kind aus dem ruhmreichen Hause der Fabii Sangae führen?“
Agatha zog Fabiulla, die ihr Lachen nicht zurückhalten konnte, hinter sich hinaus.
Sempronia kniff die Augen zusammen.
„Wie kannst du dein eigenes Kind nur zu einem Sklaven der Männer erziehen wollen? Glaubst du wirklich, dass unser Leben nur dafür da ist, überkommene Konventionen zu wahren?“
Larcia schloss ihre Augen und wandte sich entrüstet ab.
„Ja, verschließ nur deine Augen vor der Wahrheit und vor dem Leben! Aber glaube nicht, dass ein intelligentes Kind wie deine Tochter glücklich wird, wenn man sie den ganzen Tag einsperrt und Wolle spinnen lässt. Erst redet man ihr ein, dass die arrangierten Hochzeiten nur dazu dienen, den Richtigen für sie zu finden. Dann wird sie verkauft wie ein Stück Vieh, für Ansehen oder für ʺFreundschaftʺ, nur um gerade eine politische Koalition zu besiegeln oder einen Parteifreund näher an sich zu binden. Und sollte sie wirklich einmal mit einem Mann zufrieden sein oder sich gar in ihn verlieben – hopp, ihr nötigt sie zur Scheidung, weil die Politik gerade andere Bindungen verlangt. Willst du das wirklich?
Schau dich doch selbst an, du wirst von deinem Ehemann als reines Repräsentationsobjekt gehalten, wie ein Schmuckstück für Männer, das man vorzeigt, aber das weder einen eigenen Willen hat noch einen haben darf - und als Reproduktionsobjekt, für legitime Nachkommen mit dem Abbild deines gesetzlich anvertrauten Vormunds und Bestimmers. Wo bleibt da die Freude? Sind wir Tuchwalker? Sind wir Legehennen? Wenn ein Mann Spaß dabei haben will, geht er nicht zu seiner Frau sondern ins Bordell: Niemand wird deshalb schlecht über ihn reden sondern man lobt ihn noch dafür, wie es der alte Cato schon tat. So ist es bei den Römern Brauch. Aber was ist mit uns? Wo bleibt unser Vergnügen?“

Freitag, 1. Mai 2015

„Lass ihn doch zur Ader!“ - Medizin im alten Rom

Als ich die erste Vorlesung über Medizingeschichte an der Universität Heidelberg hörte, wurde den künftigen Ärzten gelehrt, dass die Erkenntnisse der heutigen Medizin einem Zwerg gleichen, der auf den Schultern von Riesen sitzt (Prof. W. U. Eckart, V: Geschichte und Ethik der Medizin, WS 99/00).
Ärztebesteck antiker Medizin (Skalpell, Knochenzange, Schröpfkopf...) Viele Skalpelle und andere Instrumente unterscheiden sich in ihrer Form wenig von heutigem chirurgischen Besteck, viele Erkenntnisse von Hippokrates (um 450 v. Chr.), Cornelius Celsus (ca. 25 v. – 50 n. Chr.) und Galenus (ca. 129–216 n. Chr.) gelten auch heute noch;  Rezepte und, Kräuterbücher der antiken Herbarien sorgen nach ihrer Wiederentdeckung immer noch für „neue“ Wirkstoffe und Präparate der an diesen „rechtefreien Generika“ recht interessierten Pharmaindustrie.
Bekannt sind
  • verschiedene Fachrichtungen und Fachärzte (Ophthalmologie, Zahnheilkunde, Gynäkologie [allerdings als „fehlerhafte“ Physiologie eines Mannes], Neurophysiologie, Chirurgie, kosmetische Chirurgie, Pharmakologie, Diätetik, Psychotherapie, Molekularmedizin, Physiotherapie, Allopathie, Pathologie, Anatomie, Balneotherapie…),
  • hunderte von medizinischen Instrumenten (Skalpelle, Lanzetten, Pinzetten, Sonden, Zahn- und Knochenzangen, Knochenheber, Haken, Sägen, Feilen, Wundnadeln, Hohlnadeln [v.a. für grauen Star], Starnadeln, Specula [anale & gynäkologische], Brenneisen, Trepanationssägen / Trepane, Katheter, Salbenreibeplatten, Arzneikästchen [eine Art mobiler Medizinschrank], Phiolen, Schröpfköpfe…),
  • Arzneimittel (Heilkräuter, Verbandsmaterial, Heiltränke, Pasten, Pillen, Dragees…)
  • Wissenschaftliche Diagnostik und Prognostik, Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten, medizinische Ethik (z.B. „der“ Hippokratische Eid), Schwangerschaftsabbruch, sowie zielgerichtete Werbung.
Doch dieses riesenhafte Wissen der Antike, bei Griechen und Römern erstmals wissenschaftlich erworben, kommt nicht allen zu Gute: Es gibt weder eine geregelte Ausbildung noch eine Qualitätskontrolle wie bei uns durch ein Staatsexamen, Prüfungskommissionen werden erst in den Digesten erwähnt (→ Dig. 27,1,6,2; 50, 9,1 gegen Ende 533 n. Chr.). Zuvor kann sich jeder Arzt nennen, vor allem die preisgünstigen müssen sich gegen die harte Konkurrenz der Magier, Exorzisten, Hebammen und einfachen Wundärzte behaupten. Ihre Methoden sind entsprechend einseitig und fehlerhaft. Nur reiche Römer oder glückliche Klienten eines sehr fürsorglichen Patrons können sich überhaupt die besten Ärzte leisten.
Obwohl die (meist griechischen) richtigen Ärzte gut ausgebildet sind, kommt es auch unter ihnen bisweilen zu abstrusen Vorstellungen, die nach heutiger Kenntnis wenig hilfreich sind, beispielsweise wenn die bei Galen überarbeitete Lehre von der Harmonie der vier Säfte (schwarze und gelbe Galle, Schleim, Blut) einseitig interpretiert oder das zur Ader lassen übertrieben und falsch angewendet wird. Dazu ist die Mehrheit der Medikamente mehr oder weniger von Laien gemischt wohl nur in 10% der Fälle wirklich effektiv (vgl. Nutton 1999, Spalte 1115). Während rationale Ärzte lieber erst einmal sorgfältig nach den Ursachen forschen und z.B. bei Infektionen kleinste unsichtbare Tierchen verantwortlich machen, die über die Atemwege, den Magen-Darm-Trakt oder offene Wunden aufgenommen werden und mit Feuer und Alkohol desinfizieren, rät die große Menge der Quacksalber dagegen schnell zu Blutegeln Aderlass und Schröpfköpfen – eine Methode die den Patienten schnell Kraft verlieren lässt und ihn für Infektionen erst recht anfällig macht, wenn sie unsauber ausgeführt wird.. Ohne Antibiotika verlaufen Infektionen oft tödlich (lange bevor Bartolomeo Gosio 1893 Penicillium isoliert oder erst 1942 der erste Patient mit Penicillin behandelt wird, werden schon antibiotische Wirkungen von Naturstoffen benutzt, wie z.B. der beim „Ötzi“ gefundene Birkenporling zeigt. Doch in der warmen Mittelmeerwelt wächst er nicht und taucht so in den überlieferten medizinhistorischen Texten auch nicht auf).
Am besten sind die Ärzte, die in Alexandria studiert haben – weiterhin das leuchtende Zentrum der Gelehrsamkeit für Philosophie, Technik und alle Naturwissenschaften. Um die klügsten Köpfe nach Rom zu locken, gibt es seit Caesar außer hohen Gehältern auch weitergehende Werbemaßnahmen für den Standort Rom (z.B. werden Ärzte mit römischem Bürgerrecht beschenkt → Suet.Iul.42).
Hier geht es zur