Als
gelernter Bildhauer hätte er eigentlich keine Zeit gehabt, ziellos durch die
Stadt zu streifen und Leute in Gespräche zu verwickeln. Doch sind reiche Jugendliche
von ihm fasziniert, begleiten und finanzieren ihn. Seine Art der
Gesprächsführung nennt Sokrates als Sohn einer Hebamme schlicht Hebammenkunst (Mäeutik):
Durch einen gegliederten Dialog führen seine tiefschürfenden Fragen zu teils
überraschenden Lösungen, ethischen (moralischen) Grundsätzen und einem tieferen Verständnis der Welt. Bisweilen führt er
auch schüchterne und verunsicherte Menschen im Gespräch so geschickt zu einer Erkenntnis,
dass sie denken, sie hätten diese selbst gefunden - geistige Geburtshilfe.
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Der Philosoph Sokrates |
Wichtig
ist ihm der ergebnisoffene Gesprächsprozess, um den wesentlichen Kern herauszufinden.
Durch sein forschendes Fragen (vor allem über das Gute, Wahre und Schöne) schafft
er etwas Neues, eine philosophische Ethik. Wissen und Moral sind für ihn
untrennbar vereint: Demjenigen, der Böses tut, fehlt das bessere Wissen.
Richtiges Handeln ergibt sich automatisch aus der richtigen Einsicht. Wissen
schafft so Gerechtigkeit. Gerechtigkeit ist für ihn aber die Voraussetzung für Zufriedenheit
und Seelenheil. Deshalb ist es für einen Menschen schlimmer, ungerecht zu
handeln, als ungerecht behandelt zu werden.
Wer
Unrecht tut, dem fehlt also Wissen bzw. Einsicht. Sokrates bekennt mehrfach,
dass er selbst nichts sicher wisse. Ein Freund fragt das Orakel von Delphi, ob
es einen weiseren Menschen gäbe als Sokrates, der weiß, dass er nichts weiß. Die
Seherin antwortet, es gäbe keinen. Darauf sieht es Sokrates als seine Aufgabe an,
das Wissen seiner Mitbürger zu prüfen, was er besonders gerne bei Politikern
tut. Mit seinem ständigen Fragen und seiner unüberwindlichen Schlagfertigkeit forscht
er jedoch nicht nur, er stellt auch bloß: Jemand, der angibt, wie gut er etwas
wisse, wird von Sokrates, der es von ihm wissen will, das er es selbst nicht
wisse, demontiert. Am Ende führt das Gespräch in eine ausweglose Offenbarung seines
Nichtwissens (Aporie). Schließlich
sind viele Athener genervt: Sie werfen Sokrates vor, er verderbe die Jugend und
missachte die Götter. Ein leerer Standard-Vorwurf doch einer, der in Athen sehr
geeignet ist, um einen unbeliebten Bürger loszuwerden. Und von den Reichen und
Mächtigen hat der einfache Bürger Sokrates inzwischen eine große Menge
lächerlich gemacht – wer sich auch immer zu viel auf sich einbildete und sich
auf eine Diskussion mit ihm einließ.
Sokrates
gibt sich in seinem Prozess jedoch nicht wie allgemein erwartet reumütig und
bittet gar um Entschuldigung, nein er weist seinen Gegnern nach, dass sie im
Unrecht sind. So wird er mit 281 von 501 Stimmen verurteilt. Als danach das
Strafmaß festgesetzt wird, beantragen seine Gegner die Todesstrafe, Sokrates schlägt
vor, ihn zu verurteilen, auf Staatskosten im Prytaneion zu essen, wo die in Olympia
siegreichen Sportler ihre Ehrenmahlzeit bekommen. Nach dieser frechen Antwort stimmen
nun 361 von 501 für die Todesstrafe. Doch wird Sokrates nicht allzu streng
bewacht und man rechnet eigentlich damit, dass er aus dem Gefängnis flüchtet und
einfach die Stadt verlässt, damit man ihn los ist. Doch Sokrates bleibt seiner
Philosophie treu: Ist er im Recht, gibt er nicht nach, auch wenn es ihn sein Leben
kostet. Aus dem Gefängnis wegzugehen, zu fliehen, kommt für ihn nicht in Frage:
Es wäre ja Unrecht, gegen das Gesetz zu handeln. Und da Unrecht tun schlechter
ist, als Unrecht erleiden, trinkt er freiwillig einen Becher mit tödlichem Gift
des Schierlings aus.
Platon, der berühmteste Schüler
des Sokrates, ist geschockt. Darauf schreibt er sokratische Dialoge, in denen
er die typische Gesprächsführung zeigt. Platon bemüht sich, den Gegensatz des
Sokrates zu den Sophisten in aller Schärfe herauszuarbeiten und hinterfragt die
radikale Demokratie nun auch kritisch. Platon verschafft Sokrates, der selbst
nichts Schriftliches hinterlässt, damit einen glänzenden Ruf. Den Ruf der
Sophisten verdunkelt er für alle Zeiten.
Obwohl
schon der Sophist Protagoras meint,
der Mensch sei das Maß aller Dinge, gilt Sokrates seit Cicero nun als DER Mann,
durch den die Philosophie neue Wege geht: „Socrates autem primus philosophiam
devocavit e caelo et in urbibus conlocavit et in domos etiam introduxit et
coegit de vita et moribus rebusque bonis et malis quaerere. – Sokrates hat als
erster die Philosophie vom Himmel herab gerufen, in den Städten verankert und
sogar in die Häuser geführt und gezwungen über das Leben, über sittliche Moral,
und über Gut und Böse Untersuchungen anzustellen.“ (Cicero Tusculanae Disputationes,V,10,11). Platon widmet seinem Lehrer glänzende Bücher und wird selbst zu
einem der größten Denker. Auch heute noch beschäftigt sich jeder, der ernsthaft
an Philosophie interessiert ist mit Sokrates. Ohne ihn ist die heutige
westliche Philosophie nicht vorstellbar.
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