Die „Rufus“-Reihe soll jeder verstehen und genießen können, Jugendliche und Erwachsene, Studierte und Nichtstudierte. Wer sich im Roman auf fremde Welten einlässt, der wird auf unterhaltsame Weise ganz automatisch kennenlernen, was die damalige Zeit so alles zu bieten hatte - und lernt beim Lesen wie von selbst. Alles so authentisch und historisch korrekt wie möglich zu erzählen und dabei spannend zu bleiben, das ist mein Ziel.
Die „AMORES - Die Liebesleiden des jungen Ovid“ sind dagegen nicht immer ganz jugendfrei (wie auch die Originalverse Ovids und seiner Zeitgenossen). Der Laie kann sich über die „moderne“ Sprache & Handlung freuen, der Fachmann über zahlreiche Anspielungen und intertextuelle Scherze.
Auf dem Blog zeige ich einen Blick hinter die Kulissen. Dabei gebe ich auch Hintergrundinformationen über Politik und Alltagsleben der späten Republik und frühen Kaiserzeit in Rom und einiger Kelten- und Germanenstämme.
Feste Probeleser aus verschiedensten Altersgruppen haben bereits die ersten Bände gelesen. Die Rückmeldungen setze ich um. Sehr gute Feedbacks kamen dabei nicht nur von Universitätsprofessoren und anderen Fachleuten sondern gerade auch von Schülerinnen und Schülern - vielleicht demnächst auch von dir? Gerne nehme ich jede gute Anregung auf (Rufus.in.Rom@gmail.com)...

Freitag, 27. Dezember 2013

V. Kleinste Teilchen. Leseprobe aus "Geheimnisse in Rom"


Hier folgt ein Auszug aus dem fünften Kapitel (aus dem zweiten Band gibt es bisher Ausschnitte zum ersten, zweiten, dritten und vierten Kapitel). Anregungen und Kommentare sind wie immer erwünscht!
 

Kapitel V: Kleinste Teilchen

Nur ein weiterer von den vielen Möchtegernpolitikern, die sich von den Wahlkampfkosten in den Ruin treiben lassen.“ „Aber Vater, er ist doch wohl kaum irgendein gewöhnlicher Politiker!“ Quintus nahm eine gefüllte Olive aus der Schale und drehte sie zwischen Daumen und Zeigefinger. „Nur weil er ein Sergius ist? In letzter Zeit ist Rom geradezu voll davon: Ehrgeizige Burschen aus guten Familien, die ihren Ruf und ihr Vermögen verspielt haben…“ Gaius errötete leicht, während Quintus die Olive wieder in die Schale zurück warf, „... ein Sergius zwar, ein Patrizier, aber doch nur einer unter vielen, nur eine Art kleinstes Teilchen eines viel größeren Problems.
Atomismus und kleinste Teilchen in Politik und Lebenswelt
Lucius Sergius Catilina – es würde mich schon sehr wundern, wenn man von ihm noch einmal etwas hören würde.“ Quintus lehnte sich zurück und warf sich genüsslich ein Fischhäppchen in den Mund. „Außer von seinem bevorstehenden Bankrott – vielleicht auch von seinem Rauswurf aus dem Senat, wenn einer der censores sich genauer seine Schulden ansieht, natürlich. Hm!… wirklich gut, diese Häppchen. Wobei Catilinas unsittlicher Lebenslauf allein dafür schon voll und ganz ausreichen sollte… Hm! In der Tat, eine gute Idee, Medea mitzunehmen, sie bringt den Köchen hier immer neue Dinge bei: Bei diesen Pastetchen sieht man kaum noch, dass es Fisch ist - viel raffinierter als an der cratera üblich. Die Köche hier denken wohl, wo der Fisch immer frisch ist, braucht man ihn nicht zu verstecken“.
            Quintus und Gaius Fabius Sanga waren gemeinsam aus Rom eingetroffen. So wie Gaius gerade zu seinem Vater hinübersah, zweifelte Rufus aber daran, dass er sich voller Überzeugung wieder der patria potestas des Quintus unterworfen hatte. Vielleicht war der Wille der Familie, den Quintus verkörperte, für einen Römer doch Verpflichtung genug. Andererseits war die Villa der Fabier durchaus eine Versöhnung wert. Die Römer wussten schon, wie man sich das Leben angenehm machte: Hier draußen auf der Terrasse konnte man zugleich das köstliche Mahl und die herrliche Aussicht auf den Golf von Baiae genießen. Zwischen dem Kap der Minerva und der Insel Capri bis nach Puteoli wimmelte es von gleißend weißen Segeln, wie in einer verstopften Straße – nur ungemein lieblicher. Ein Sonnensegel über den Speisesofas und eine sanfte Brise ließen den Sommertag in seinem besten Licht erscheinen.
            Selbst Larcia wirkte rundum zufrieden. „Dann sind die Wahlen endlich vorüber. Ich hoffe doch, dass du dich mit großem Gefolge auf dem Marsfeld gezeigt hast, so dass man sehen konnte, dass du da warst? Haben unsere Klienten alle so gestimmt, wie angewiesen?“ Quintus streckte den Arm aus und ließ sich Wein nachschenken. „Kein Sorge, meine Liebe. Wir haben unseren amici die Zuverlässigkeit der Fabii Sangae gezeigt. Eine Partnerschaft mit den Fabiern lohnt sich und das wissen auch alle. So war es schon seit Beginn der Republik und so wird es auch immer sein.“ Gaius zog eine Augenbraue nach oben. „Gut, dass unsere Vorfahren mit die Ersten waren, die ihre Hintern in die Elfenbeinstühle drückten, nachdem sie die Könige davon herunter gejagt haben…“ Nach einer kurzen Pause sah er Quintus mit gespielter Überraschung an: „Aber sage einmal, werter Vater, dein Hintern drückt bislang keinen wichtigen Stuhl. Warum strebst du nicht nach einer sella curulis eines Prätors oder gar eines Konsuls, wie Onkel Maximus?“
            Quintus zog seine Augenbrauen zusammen. „Maximus, der alte Angeber? Der ist doch bisher auch nicht viel weiter gekommen als ich… außerdem ist so eine Wahl nichts für mich, viel zu viel Trubel. Auch wenn außer ein paar kleineren Schlägereien nicht viel passiert ist, diesmal hätte es auch ein echtes Blutbad geben können!“ Larcia erbleichte. Fabiulla bekam große Augen: „War es so schlimm, Papa? Erzähl!“ Quintus richtete sich auf. „Na, dann pass mal auf:“ Offensichtlich war Quintus noch immer in besonders guter Stimmung. „Das Marsfeld starrte vor Männern, alles gedrängt voll, wie in Amphoren eingelegte Fische. Eine turbulente Wahl, gar keine Frage“, ließ Quintus den Wein in seinem Glas kreisen, „die Absperrungen halten kaum die Wogen der Menschen, die wie Wellen hin und her gedrückt werden. Jenseits des Tiber wird die rote Fahne über dem Ianiculum gehisst: Kontrolle und die Verteidigung der Stadt sind sicher, die Volksversammlung wird wählen. Liktoren schieben rüde eine Gasse durch die Menge frei, in militärischem Schritt erscheint eine regelrechte Schutztruppe aus wichtigen Senatoren und Ciceros Klienten und in ihrer Mitte… der Konsul selbst, für alle sichtbar und in gleißender Rüstung! Unruhen und ein Attentat auf seine Person stehen bevor, so der Konsul…“ Larcia fasste sich an die Brust. „Reg Mutter doch nicht so auf!“, unterbrach Gaius. „Trotz Ciceros Propaganda ist einfach gar nichts passiert. So ein Weichling, traut sich nur in Rüstung zur Wahl und dann noch umringt von hunderten Anhängern und Parteifreunden.“ „Gaius, du sprichst von einem Freund unseres Hauses!“ Gaius grunzte verächtlich, dann senkte er versöhnlich das Haupt. „Wird nicht wieder vorkommen...“

            „Aber wie ist die Wahl denn nun ausgegangen?“, rief Fabiulla ungeduldig. „Bestens: Die Altherrenriege um Catulus und Isauricus hat genügend Mittel und Allianzen der Patrizier für Silanus zusammengebracht. Die Veteranen des Lucullus haben den Anhängern Catilinas Paroli bieten können und jedermann zugleich daran erinnert, wie Murena beim Triumphzug als General in Szene gesetzt worden ist.“ Fabia, Fabiulla und Rufus hatten schon die ganze Zeit gespannt zugehört, während Lucius träumerisch in die Ferne sah. Sicher dachte er schon wieder an seine Gedichte. „Lucius! Willst du nicht auch wissen, wer die Wahl gewonnen hat?“ „Hm, wie? Doch schon Vater, erzähle!“ Verärgert nahm Quintus einen tiefen Schluck. „Auch wenn ich selbst keine große politische Karriere in Angriff nehme – jeder Römer sollte zumindest über Politik Bescheid wissen! Was ist schon ein Handelsunternehmer ohne Kontakte?“ Lucius senkte ein wenig schuldbewusst den Kopf. „Gut. Lucullus hat also seinen Schützling durchgedrückt. Die Konsuln für das nächste Jahr heißen Decimus Iunius Silanus und Lucius Licinius Murena. Ich habe unserem guten Geschäftspartner Murena natürlich sofort gratuliert, schließlich hat uns die alte Muräne voriges Jahr zu ein paar satten Gewinnen verholfen, als er noch Statthalter der Gallia Narbonensis war.
            „Du hast doch nicht vergessen, Silanus zu gratulieren und Grüße an Servilia und ihre Töchter ausrichten lassen? Du weißt doch, wie gut wir befreundet sind.“ „Aber selbstverständlich, Glückwünsche an den alten Bücherwurm selbst, an seine Frau und auch an alle drei Töchter - wo denkst du hin? An guten Verhältnisse zu Servilia und zu ihrem Halbbruder ist mir immer gelegen. Wenn sich der Sturkopf Cato nur besser waschen und kleiden würde… auf seinen Namen achten und aus ihm eine Marke machen, schön und gut, aber die Porcii Catones übertreiben…“ Dann wechselte Quintus‘ Gesichtsausdruck von gespieltem Ekel zu einem schelmisches Grinsen: „Es scheint, als ob sich zumindest seine Schwester Servilia in letzter Zeit besonders gut kleidet. Wie man sagt, war sie ohne deine Gesellschaft und während dem Wahlkampf ihres Mannes ein wenig… sagen wir… »gelangweilt«.“ Larcia errötete. „Wie meinst du das, Gatte?“ „Nun, ich hörte da so ein Gerücht. Anscheinend findet Servilia den charmanten Gaius Julius recht »interessant«.“ Fabiullas Augen begannen zu leuchten: „Den mit den Piraten? Den findet doch jeder interessant, Männer wie Frauen!“ „Nun ja, es hat ganz den Anschein.“ Gaius prustete vor Lachen in sein Weinglas. Nun wurde auch Quintus rot.
            „Was ist? Was habt ihr denn?“, wollte Fabiulla wissen. „Nichts. Gaius, hör sofort auf zu lachen! Wenn ihr schon unbedingt etwas über Caesar hören wollt… Gaius! Jetzt reicht es aber wirklich! Also, das wahrlich Interessante über Caesar: Er ist oberster Priester geworden! Was für ein Karrieresprung für einen nahezu Unbekannten: Ein atemberaubender Wahlsieg zum Pontifex Maximus und das ausgerechnet gegen seinen Intimfeind Catulus!“ „Wie bitte?“ Larcia verengte ihre Augen zu Schlitzen. „Bei Iuno! Dieses Amt ist seit Gründung der Republik nur verdienten consulares vorbehalten, wie dem altehrwürdigen Catulus oder meinetwegen auch dem großen General Isauricus! Haben denn beide ehemaligen Konsuln ihre Kandidatur zurückgezogen?“ „Das nicht, aber der Aufwand der konservativen Patrizier war beträchtlich: Catilina zu verhindern war wichtiger. An die Wahl zum Pontifex Maximus hat kaum mehr einer gedacht, außerdem wurde die Wählerschaft aus fünfunddreißig der Wahlbezirke der tribus ausgelost. Was für ein genialer Trick: Als Gaius Julius vorschlug, das Volk entscheiden zu lassen, dachte niemand daran, dass er sich danach selbst bewerben wird! Jeder war der Meinung, er wolle nur den Streit zwischen Catulus und Isauricus um das Amt entschärfen. Immer mehr Plebejer bekundeten dann ihre Sympathien für Caesar: Catulus wollte sich auf keinen Fall von Caesar blamieren lassen – ausgerechnet von seinem jungen Rivalen von den Popularen. Er hat Caesar viel Geld geboten, wenn er zurückzieht. Caesar hat den Bestechungsversuch mitschreiben lassen und öffentlich gemacht: Von da an waren auch diejenigen für ihn, die noch nicht bestochen waren… Nun, wenigstens ist mit diesem Amt keine politische Macht verbunden.“ Larcia sprang auf. „Das oberste Priesteramt, die Aufsicht über alle Priesterkollegien und die Vestalinnen? Keine politische Macht? Denk doch nur an all den Einfluss! Für Caesar scheint dagegen irgendjemand Geld übrig gehabt zu haben!“, ereiferte sich Larcia.
            Quintus legte beruhigend den Arm um seine Frau. „Du hast natürlich vollkommen recht, Liebes. Aber ich kann dich beruhigen: Gaius Julius wird nicht viel von diesem Einfluss nutzen können. Ich habe mit mehreren Geldverleihern gesprochen, wenn er nicht bald zahlt, werden sie ihn daran hindern, nach Ablauf seiner Prätur in die Provinz zu ziehen. Vermutlich wird er Rom nie wieder verlassen können und damit auch keine Gelegenheit haben, das Geld jemals wieder reinzuholen… Die Geldverleiher haben sich zusammen getan - Catulus hat alle seine Geschäftsfreunde mobilisiert … und ein wenig nachgeholfen: Sie verlangen nun eine extrem hohe Bürgschaft. Balbus hat mir verraten, dass sie die genaue Summe noch aushandeln müssen.“ Rufus stupste Lucius in die Seite: „Balbus?“ „Balbus führt eine der reichsten Banken“, flüsterte Lucius zurück. „Beim Iupitter! Wie viel Schulden hat Caesar denn aufgehäuft?“ „Genau weiß das niemand. Nur so viel, als Kaution werden nicht einmal achthundert Talente in Gold ausreichen!“ Gaius pfiff durch die Zähne. „Beim Merkur! Über vierundzwanzig Millionen Sesterzen? Nicht schlecht!“ „In der Tat! Immerhin ein Zehntel der gesamten Einnahmen der Republik aus allen Provinzen des Reiches! Jedenfalls nach Balbus‘ Rechnung.“
            „Wie hat er es nur geschafft, dermaßen viel Geld aufzutreiben, obwohl er chronisch pleite ist?“, fragte Fabia nachdenklich. Quintus nahm sich einen Apfel. Er war inzwischen beim Nachtisch angekommen. „Wenn ich das wüsste… Lucullus hat all seine Mittel bereits für Murena eingesetzt… wer hat noch so viel Geld? Entweder Crassus oder Pompeius muss ihn unterstützt haben. Bei den exorbitanten Bestechungssummen würde ich ja sagen »beide«, wenn sie sich nicht gegenseitig so spinnefeind wären. Fortuna sei Dank, so viel Macht und Geld wären eine ziemliche Gefahr für die Republik.“ Mit einem zufriedenen Seufzer lehnte sich Larcia wieder zurück: „So ist es. Ich bin nur froh, dass Catilina jetzt endgültig erledigt ist.“ „Ganz recht, meine Liebe. Drei gescheiterte Wahlkämpfe um das Konsulat sind mindestens zwei zu viel: Vor drei Jahren, als er wegen seines Prozesses nicht teilnehmen durfte, vor zwei Jahren – immer noch wegen des Prozesses um seine Statthalterschaft in Africa, letztes Jahr das Aus gegen Cicero und Hybrida und dieses Mal schon wieder nichts... alle Kosten für nichts und wieder nichts. Noch so jemand, der nie wieder von seinen Schulden loskommen wird.“ Gaius grinste säuerlich: „Wobei, bisher ist er noch immer irgendwie zu Geld gekommen, zumindest an Geschenke für seine Freunde…“ „Gaius, sag mir nicht, dass du dir auch von Catilina Geld geliehen hast, wie die anderen jungen Taugenichtse, die er um sich schart!“ Gaius erhob feierlich sein Glas: „Natürlich Vater, du hast vollkommen Recht – wie immer. So wenig, wie Catilina in der Politik noch einmal von sich hören lassen wird, so wenig habe ich von ihm etwas angenommen!“ Larcia atmete sichtlich auf. Die Eltern waren erleichtert. Doch Rufus schien es, als spielte ein mehr finsteres als aufrichtiges Lächeln um Gaius‘ Mundwinkel.

[…]

            Nach dem Mittagessen hatte Crispus seinen Schülern schon wieder eine ähnliche Frage mitgegeben: »Was ist es, was die Welt zusammenhält?« Und »wie weit kann man das teilen?« Komische Fragen, wie üblich, seit er sie mit der Philosophie konfrontierte. Diesmal hatte er überall auf dem gesamten Anwesen Wachstäfelchen verteilt. Nur scharfes Nachdenken führte zum Standort des nächsten. „Jetzt übertreibt er aber“, meinte Lucius, der keuchend die Treppen zum Meer hinabstieg, um mit seinen Schwestern mitzuhalten. Fabiulla kicherte. „Du solltest dich mehr bewegen! Immer nur Gedichte, kein Wunder, das dir schnell die Puste ausgeht!“ „Wie viele Sandkörner liegen am Strand…“, zitierte Rufus die Nachricht auf dem Wachstäfelchen, „wie viel Stück Wasser hat das Meer… Was will Crispus uns damit sagen?“ „Das werden wir bald sehen“, meinte Fabia. „Ich mag das Meer“, freute sich Fabia. „Los weiter! Ich möchte jetzt wirklich wissen, was das Ganze soll.“
[…]

            Crispus erwartete seine Schüler bereits in der Küche. Neben einem dampfenden Kochtopf stand die Oberköchin Medea mit verschränkten Armen und skeptischem Blick. „Wehe du machst mir etwas kaputt oder vergiftest die Kinder!“ „Keine Angst, meine Liebe… hier, noch ein As, nur für dich.“ Medeas Blick wurde weicher. Schnell steckte sie die Münze ein. „Gut, aber ausgerechnet ein Gemüse-Eintopf und das zwischen den Mahlzeiten? Als ob das hier ein billiger Imbissstand wäre“, murmelte sie. Fabiulla hüpfte mit großen Sprüngen zu ihrem Lehrer. „Da bist du! Lucius, komm schnell!“ Lucius schnaufte heftig. „Magister Crispus, bei allem Respekt, aber … hättest du uns nicht in der Bibliothek unterrichten können?“ Crispus zupfte sich mit einem Schmunzeln am Bart. „Dann wärt ihr wohl kaum in Bewegung geraten.“ „Ist das denn nötig?“ „Wie sonst kann jemals etwas werden und entstehen, ohne Bewegung der Teilchen im leeren Raum?“
            Die Schüler sahen sich verdutzt an. Teilchen, leerer Raum? War ihr Lehrer jetzt völlig übergeschnappt? Rufus schnupperte – nein, nach Wein roch Crispus nicht. „Hier der Knoblauchstrang da. Woraus besteht der?“ Lucius verschränkte die Arme. „Knoblauchknollen, was sonst?“ Crispus rupfte eine Knolle heraus. „Und die kleinsten Teilchen?“ „Knoblauchzehen.“ „Wenn ich die jetzt bewege und vermenge, was kann man damit machen?“ „Moretum –Kräuterklöße“, antwortete Rufus, der schon wieder Hunger bekam, „Schweinebraten spicken, oder Fischpasteten, oder Gemüse, und was Medea sonst noch alles zaubert. Du bist wirklich eine fantastische Köchen, Medea!“ Die Oberköchin nahm das Kompliment lächelnd zur Kenntnis. „Gut“, grinste Crispus, also kann man aus den kleinsten Teilchen des Knoblauchs ganz verschiedene Sachen machen, je nachdem, mit welchen andern Teilchen man ihn verbindet?“ „Ich denke schon.“ „Gilt das auch für die Erbsenschoten?“ „Auch damit kann man verschiedene Gerichte zubereiten“, erwiderte Fabia. „Lass mich mal“, schrie Fabiulla, ergriff eine Schote und riss sie auf: „Hier, die kleinsten Teilchen einer Erbsenschote! Hm, lecker…Huch, die bewegen sich tatsächlich von selbst“, kicherte sie, als ihr ein paar Erbsen herunterfielen und über den Tisch kullerten.
            Crispus ergriff eine Erbse und eine Knoblauchzehe und hielt sie in die Höhe: „Die kleinsten Teilchen, habt ihr gesagt. Kann man die nicht weiter Teilen?“ „Nein?“ Zur Antwort nahm Crispus ein großes Messer und hieb beide entzwei. „Kann die beliebig weiter teilen? Versucht es selbst…hier, wir haben ja noch mehr Gemüse…“ Immer kleiner hackten die Kinder Knoblauch Erbsen und weiteres Gemüse, doch stets ließen sich immer noch feinere Stückchen herstellen. Medea verdrehte die Augen. „Jetzt ist es nur noch Matsch“, bemerkte Lucius schließlich.“ „Das bekomme ich noch kleiner“, rief Fabiulla und drosch mit sichtlichem Vergnügen auf die Pampe vor ihr ein, „Pitsch! Patsch! Immer kleiner, immer weiter, teilbar, schneidbar, matschbar - Hurra! He…“ Crispus nahm ihr den Gemüsebrei weg und warf ihn in den Topf. „Jetzt ist es schon fast so flüssig wie das Wasser im Kessel. Wenn die Welt aus kleinsten Teilchen besteht, lassen die sich beliebig weiter teilen?“ „Ja, haben wir doch gerade gemacht“, schrie Fabiulla.
            Crispus ließ das Messer auf den Tisch krachen: „So? Und wie erklärst du dir dann, dass Tisch und Messer nicht irgendwann genauso weich werden und zerfließen wie Suppe?“ Fabia strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Dann muss es kleinste Teilchen geben, die nicht weiter teilbar sind? Das können dann aber nicht mehr die vier Elemente sein, geschweige denn eines von ihnen!“ „Genau das hat sich auch Leukipp gedacht. Crispus ließ das Messer fallen. „Der Philosoph Leukipp meint, dass es etwas Festes, Unveränderliches, Ewiges geben muss, was nicht weiter teilbar ist - sonst würde unsere Welt irgendwann einmal genauso weich werden wie Suppe und zusammenschmelzen. Für ihn sind »Atome« die Urbausteine dieser Welt: Unsichtbar, untastbar, unfühlbar und vor allem: „nicht-schneidbar – a-tomos“, wie wir Griechen sagen.“
            „Ich habe aber noch nie ein »Atom« gesehen!“ „Hast du heute schon einmal in einen Spiegel geschaut, Fabiulla? Alles voller Atome!“ Verblüfft starrte Fabiulla ihren Lehrer an. Crispus kicherte meckernd. „Aber in einem hast du Recht: Die einzelnen Atome sind so winzig klein, dass man sie gar nicht sehen kann: Sie bewegen sich unaufhörlich durch den leeren Raum, stoßen zusammen, verbinden sich dadurch zu etwas Größerem, oder trennen sich wieder und erzeugen so alles Werden und Vergehen. Sie sind für alle Veränderung verantwortlich, die wir sehen können. Auch für dich und dein Spiegelbild.“ „Wie können sich diese Atome denn zu so etwas Großem verbinden, wenn sie aneinander stoßen? Wie bleiben sie aneinander haften? Und wieso gehen sie unterschiedliche Verbindungen ein?“, fragte Rufus. „Darüber hat sich der Philosoph Demokrit Gedanken gemacht. Er stellt sich die Oberfläche der Atome unterschiedlich vor, je nach Sorte: als glatt, rau, rund, eckig, gekrümmt oder gebogen vor. Und ein wenig so, als ob sie sie ganz bestimmte Arten von Haken und Ösen hätten. So können sich manche Atome aneinander festhaken, andere nicht. Die Form der Atome kann man nicht sehen, Demokrit kennt sich aber in der Mathematik sehr gut aus: Da man fast alle Vorgänge in der Natur und im Lauf der Gestirne als mathematische Formeln beschreiben kann, glaubt er, dass auch die kleinsten Teilchen mit der Mathematik zu erfassen sind. Demokrit stellt sich die Atome daher als regelmäßige geometrische Körper vor, wie Kugel, Zylinder, Pyramide und Würfel. Je nachdem, welche Sorten sich auf welche Weise verflechten, erscheinen die einen Verbindungen als Wasser, andere als Gemüse, als Pflanze oder als Mensch. Die Atome sind in ständiger Bewegung, stoßen zusammen, verursachen Seitenbewegungen und führen so zur Bildung des gesamten Universums.“ Fabia blieb der Mund offen stehen „Und wer leitet diese ganzen Bewegungen der Atome, dass Menschen, Pflanzen und Tiere entstehen? Die unsterblichen Götter? Iuppiter oder Vulkan in seiner göttlichen Schmiede?“ „Nein, nicht wenn du die Atomisten frägst: Alles was sich im Weltall bewegt, beruht nach ihrer Ansicht auf reinem Zufall oder schlicht auf der Notwendigkeit, auf den Gesetzen der Natur…“

[…]
[Als die Kinder am Strand über die Philosophie des Demokrit nachdenken und darüber, wie man allein durch Wissen zu innerer Gemütsruhe gelangen kann, taucht Gaius bei ihnen auf. Er versucht Rufus zum Glücksspiel um Geld zu provozieren, doch seine Geschwister greifen ein. Als neuer Wetteinsatz soll Gaius erklären, warum er nicht bei Quintus‘ Freunden sondern bei Lentulus Crus in die Lehre geht und was er mit Catilina zu schaffen hat. Doch Rufus verliert. Gaius ist überrascht über Rufus‘ Schwimmkünste, übt verbissen mit und lobt ihn aufrichtig. Sie kommen sich näher.]

            Außer Balbus waren noch weitere Gäste geladen, darunter der Architekt Sergius Orata und sogar Quintus Caecilius Metellus Creticus aus dem Hause der Metelli. Bei diesen illustren Gästen fand das Abendessen als traditionelle cena ohne Larcia und die Kinder statt. „Geschäfte und Politik - Ihr würdet euch doch nur langweilen…“, tröstete sie Quintus. „Papa, warum flucht denn Creticus dauernd über Pompeius?“, fragte Fabiulla. „Pst! Sprich bloß nicht laut darüber, er würde sich sonst gleich wieder aufregen: General im Triumphstau. Siehst du, warum ihr nicht mitdürft? So und jetzt muss ich zu unseren Gästen“. Damit verabschiedete sich Quintus und ging zusammen mit Gaius auf die Terrasse, während die Kinder das private Triclinium aufsuchten.

[Nach einer Weile stößt Gaius wütend zu den Kindern. Er kam mit Metellus Creticus in Streit und verließ die Abendgesellschaft. Erhitzt fordert er Rufus zum sportlichen Wettkampf auf und misst sich im Box- und Ringkampf, wo er sich austoben kann. Rufus kennt die Regeln nicht und setzt ein paar regelwidrige aber effiziente Tricks ein. Doch Gaius respektiert das mutige Auftreten des Jüngeren. Rufus gewinnt die Achtung des Gaius.]

            Nach einem kurzen Besuch im hauseigenen Bad liefen sie an der Medusa und den anderen Statuen vorbei zu Gaius Zimmer im Ostflügel. „Wenn du vor hast, mich dazu zu zwingen, unvermischten Wein zu trinken, mich mit den berüchtigten Damenbekanntschaften zu amüsieren oder mit dir um Geld zu würfeln - Lucius und Fabia haben mich eindringlich davor gewarnt!“ Gaius lachte herzlich. „Seit wann muss man jemanden dazu zwingen, sich zu amüsieren? Aber keine Angst, ich will nur sehen, ob du auch denken kannst wie ein Krieger. Es gibt nicht nur das Mühle-Spiel, weißt du? Hast du schon einmal vom ludus latrunculorum gehört?“ Rufus zuckte mit den Achseln. „Ich dachte, Glücksspiele gehören sich nicht und wären in Rom verboten?“ Gaius lächelte ob des Wortspiels. „Nett - aber nein, das ist ein Strategiespiel. Ganz hohe Kunst – erlaubt und angesehen obendrein. Latrunculi ist ein Denksport für Männer, es erfordert Intelligenz und Geschick. Einer der konservativsten Figuren in Rom gilt derzeit als bester Spieler überhaupt: Gaius Calpurnius Piso, ein ehemaliger Konsul und ein gefürchteter Gegner des Pompeius. Politisch kann man zu ihm stehen, wie man will, doch als Stratege im ludus latrunculorum ist er ein Genie! Die hohen Herren da drüben kann ich aber heute Abend kaum fragen, mir eine Partie zu liefern, Fabia und Fabiulla sind nur Mädchen und Lucius ist dafür völlig unbegabt.“
            Rufus überlegte. „Ein Strategiespiel? So etwas wie »Hölzerner Verstand?« Da muss man einen König und seine Getreuen gegen die Übermacht der Feinde schützen, alles Spielfiguren auf einem Brett, ohne Würfel, nur mit Nachdenken. Mir hat man leider mein Brett gestohlen, gleich als ich nach Rom kam…“ „Krieg als Brettspiel ohne Würfel? Ja, das könnte so ähnlich sein wie das Söldnerspiel – Latrunculi. Bei Mars, wirklich erstaunlich: ein intelligentes Kriegsspiel, Kampfschwimmer, speziell ausgebildete Kavallerie und ausgefuchstes Nahkampftraining - dein Stamm interessiert mich immer mehr!“
            Gaius schloss sein Zimmer auf, quietschend öffnete sich die Türe. Gaius stellte seine Öllampe auf dem Tisch ab und entzündete eine Fülle weitere Lämpchen, die von einem Statuen-Leuchter herabhingen. Tanzend ergoss sich das flackernde Licht in den Raum. Gaius musste aufgeräumt oder zumindest einen Sklaven geschickt haben. Von der Unordnung war nichts mehr zu erkennen, die Schränke waren sauber geschlossen und an den Haken hing neue Kleidung. Gaius nahm ein Brett aus poliertem Holz vom Regal. „Hier! Die tabula latruncularia: Vierundsechzig »Häuser«.“ „Du meinst die quadratischen Felder in schwarz und weiß?“ „Sage ich doch, vierundsechzig Häuser.“ Gaius nahm eine gläserne Spielfigur aus dem Regal. „Das ist der bellator, der Kommandant. Der kann in alle Richtungen ziehen. Nenn ihn meinetwegen König - aber nur deinen eigenen Spielstein! Seit der Vertreibung der Könige ist in Rom kein Wort verhasster als »rex - König«. Ein einziger Mann, der alle versklavt… Ihr habt sicher auch einen König in eurer Heimat.“ „Nein, wir haben einen Ältestenrat, so etwas wie euren Senat. Wenn ich dem Stein einen andern Namen geben soll, dann nenne ich ihn »Staveno« nach meinem Großvater: Der war einst ein großer Kommandant und führender Mann im Senat.“ „Einen Senat? Wirklich interessant… Das ist mein bellator. Dann nenne ich den heute »Catilina« –nach einem großen Visionär. Sag mal, ich würde dir gerne noch ein paar Fragen stellen, über deinen Stamm, eure Verbündeten, über eure Kampfstärke und wie viel Tagesreisen ihr von Rom entfernt wohnt…“ „Gerne! Mein Stamm nennt sich »Ubier«, wir wohnen vom Rhenos bis…“ „Rhenus, Ubier? Nie gehört. Moment, warte… Ich glaube ich muss vorher erst noch eine Weile über ein paar Karten von Gallien brüten! Aber heute Abend ist mir das zu viel. Erzähl mir später von euch… So, jetzt sind die acht ordinarii komplett. Die können vor oder zurück aber nie zur Seite oder schräg. Dafür sind die vagi da, die sieben länglicheren hier, die kannst du auch diagonal ziehen. Schräg, gerade oder über Eck, Immer wenn eine Spielfigur direkt zwischen zwei gegnerische gerät, wird er blockiert – incitus. Inciti dürfen nicht mehr weiter bewegt werden. Noch Fragen? Nein? Dann zeig einmal, was du kannst…“
            Mit Feuereifer lauerten sich die beiden Spieler auf und versuchten, die gegnerischen Steine in einen Hinterhalt zu locken. Rufus schlug sich nicht schlecht für einen Anfänger, solche Denkspiele hatte ihm sein Großvater beigebracht. Doch schon kurze Zeit später hatte Gaius mehrere seiner Steine matt gelegt. Gaius war jedoch so von seinem Sieg überzeugt, dass er leichtsinnig wurde und manche Steine wieder frei gab, die Rufus sofort wieder gekonnt ins Spiel zurück brachte. „Beim Herkules, lernst du schnell! Mein Catilina. Wage es ja nicht!“, rief Gaius aus und schob seinen Kommandanten gerade noch rechtzeitig zurück in Sicherheit. „Wenn ich dir auch eine Frage stellen dürfte… was hast du genau mit diesem Catilina zu schaffen? Lucius macht sich Sorgen um dich.“
            Gaius verengte unwillkürlich die Augen zu Schlitzen und duckte sich wie eine Katze. Dann lachte er plötzlich. „Mein kleiner Bruder, der Poet sorgt sich um mich? Rührend, aber völlig unnötig. Außerdem sind solche Fragen viel zu gefährlich für einen kleinen Gast. Obwohl ich zugeben muss“, bemerkte Gaius mit einem Seitenblick auf Rufus, „dass es kaum ein Römer mit dir an Körpergröße aufnehmen kann. Werden bei euch im Norden alle so groß? Muss wohl an der Kälte liegen und an der Ödnis im Barbarenland. Elefanten leben auch im in endlosen Weiten. Würden sie in Städten leben, würden sie überall anstoßen und allerlei Dinge in Bewegung setzen.“ Gaius schmunzelte. „Ihr habt doch über die kleinsten Teilchen des Demokrit nachgedacht: Das gäbe jedenfalls noch viel mehr Veränderung, als wenn nur einzelne Atome zusammenprallen, ein Elefant aus dem Norden in Rom… Aber Atome sind überhaupt die falsche Art, über kleinste Teilchen nachzudenken... Gleich habe ich übrigens deinen bellator!“
            Rufus konterte mit einem vagus, den er quer über das gesamte Spielfeld schob. „So schnell nicht. Was meinst du mit der falschen Art? Wie soll man denn richtig darüber nachdenken?“ „Na vom Menschen her natürlich! Wie bei Protagoras: Alles muss immer auf die Bedürfnisse des Menschen bezogen werden, Recht und Unrecht, Gut und Böse sind keine absoluten Normen, das ist nie für alle gleichzeitig gültig, was man als böse und was man als gut ansieht. Man muss diese Normen immer auf die Bedürfnisse des Volkes beziehen. Und das einzige, was zählt, ist überhaupt nur Geld und Macht. Alles was existiert, ist nur Geld, Macht und deren Verteilung. Am Ende bleibt nur eine einzige Sache übrig. Siehe es als die Energie, das Feuer bei Heraklit. Und ich wüsste den Richtigen, der die Verteilung unter dem Volk besser regeln, gerechter regeln, und damit das Feuer besser nutzen könnte.“
            „Was meinst du damit genau? Die Macht, die vom Geld kommt oder das Geld, das einem von der Macht aus zuströmt…?“ Rufus überlegte weiter, während Gaius nach seinem Zug die Arme hinter dem Kopf verschränkte und ihm auffordernd zulächelte. Feuer, das Volk und eine gerechte Verteilung - das klang doch nach einer guten Idee, aber wenn man das wirklich durchführen wollte… Mit einem Mal ließ Rufus seinen Spielstein auf das Brett zurückfallen. „Aber, Moment einmal! Wie willst du denn die Verteilung ändern? Wer jetzt Macht und Geld hat, der wird doch sicher nichts davon freiwillig abgeben! Wie kann das denn überhaupt ohne Gewalt, Mord oder gar einem Umsturz oder Krieg funktionieren? Und mit dem Richtigen, damit meinst du doch Catilina, oder?“
            Gaius beugte sich vor und sah Rufus tief in die Augen. „Du stellst zu viele Fragen. Fragen sind eine gefährliche Waffe und häufig richten sie sich gegen den Fragenden selbst: Denk nur an den Philosophen Sokrates: Der hat ständig Fragen gestellt, immer zum Besten seiner Gemeinschaft – und doch haben seine Mitbürger ihn dazu verurteilt, sich umzubringen.“ Rufus hielt still und überlegte. Gab es wirklich Grenzen des Fragens? Sollte er lieber vorsichtiger sein? Sollte er sich höflich verabschieden, ins Bett gehen und versuchen, sich von Gaius fernzuhalten? Schließlich hatte er genug eigene Probleme als Schützling in der Fremde, weitab von seinen Freunden und von seiner Familie. Dumnorix und Ariovistos genügten als Feinde vollauf… Schweigend schob er einen Spielstein vor. Doch seine Neugier war größer.
            „Wer war denn dieser Sokrates? Crispus hat bisher noch nichts von ihm erzählt, zuletzt waren wir bei den kleinsten Teilchen…“ „…des Demokrit, ich weiß. Sokrates hat die Frage nach den kleinsten Teilchen mehr oder weniger beendet. Seitdem schaut man in der Philosophie wieder auf den Menschen. Sokrates beherrschte die Kunst des Fragens und ging dabei vor allem den Reichen und Mächtigen gehörig auf die Nerven: Er zeigte allen Angebern im Gespräch, dass ihr vorgegebenes Wissen nur ein Scheinwissen war und stellte sie öffentlich bloß. Damit versuchte er alle zur Tugend anzuhalten, zum Wahren, Guten und Schönen. Niemand tut wissentlich Böses, so dachte er. Deshalb hat er versucht, die Wahrheit durch Fragen herauszufinden. Alle sollten versuchen, zu wahrer Erkenntnis zu gelangen. Selbst hat er immer alle Gesetze seiner Heimatstadt befolgt, war tapfer und standhaft, bis in den Tod: Obwohl man ihm die Gelegenheit dazu bot, ist er nicht geflohen, sondern trank den Giftbecher in einem Zug… Aber ich hab dir noch gar nichts zu trinken angeboten - hier nimm einen Schluck!“ „Danke – aber da ist ja unverdünnter Wein in deinem Mischkrug?!“
            Gaius nahm genüsslich einen tiefen Zug und lachte. „Ich weiß! Siehst du? Nicht jeder, der Wissen hat, tut automatisch Gutes! Manchmal muss man handeln, nicht fragen. Du bist dran!“ Rufus schob einen ordinarius vor. Gaius zog eine Augenbraue nach oben. „Wirklich? Ich fürchte, du hast deine Spielsteine so ungleich aufgestellt, wie die Macht in Rom! Geld und Macht sind grundfalsch verteilt…“ Gaius hob einen Spielstein auf und hielt ihn vor die Flamme eines Öllämpchens am Leuchter. Ein Windstoß drang durchs Fenster, die Lampe loderte auf. Als das Licht durch das Glas der Spielfigur drang, tauchte es das gesamte Spielbrett in ein düsteres Flammenmeer. Das Gesicht des Gaius flackerte unheimlich unter dem Spielstein. Seine Miene verhärtete sich. „Feuer… Feuer kann antreiben und Feuer kann zerstören...“ Rufus lief unwillkürlich ein Schauer über den Rücken, während Gaius‘ Blick ganz und gar in der Flamme aufging. Er schien innerlich zu brennen - seine Augen glühende Kohle. „Catilina wäre der richtige Ofen, dieses Feuer in nützliche Bahnen zu lenken. Solange der Ofen nicht zu heiß wird…“ Gaius setzte den Spielstein zurück auf das Brett. Die unheimliche Stimmung verschwand. „Vater liegt übrigens völlig falsch: Catilina ist nicht nur eines der kleinsten Teilchen, Catilina ist nicht ein Teil des Problems, Catilina ist die Lösung!“ Er zog den Stein zur Seite und schloss damit triumphierend die Zange um Rufus‘ Kommandanten. Dabei sprang er auf und riss beide Arme in die Höhe: „Hoc habet – Treffer! Eheu triumphe - Sieg! CATILINA! Libertas et tabulae novae - Lucius Sergius CATILINA!“
   [Weiter gehts mit Kapitel 6]

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