Wie
immer freue ich mich über jede Anregung und jeden Kommentar!
7. Die Feurigen
[Euamellin
wird zufällig von Henakian, dessen Mission gescheitert ist, vor dem Ertrinken
gerettet und verkleidet. Als sie auf einen Händlerzug Suartos treffen, soll
Euamellin erst einmal mit diesem zu den Haeduern. Dort wäre er fürs erste in
Sicherheit.]
[…]
Nach
ein paar Tagen fand sich Euamellin in Bibracte bereits gut zurecht, […] doch
eingesperrt in einem fremden Haus spürte er das Heimweh nur umso stärker. […] Einen
Abend später sollte jedoch noch ein unerwarteter Trost hinzukommen.
Euamellin
stand gerade an der Tür, durch die Troc und Hagr, zwei von Suartos Kriegern,
mehrere Kisten schleppten. Vielleicht konnte er ja irgendeine interessante Ware
kennen lernen, wenn die Kisten direkt in Suartos Haus und nicht in Suartos
Lager gebracht wurden. Mit dem Anblick, der sich Euamellin nun bot hatte er
jedoch nicht im Traum gerechnet: Ein schneeweißer Arm mit gläsernen Armreifen
schob sich anmutig durch die Türöffnung, weich und gerade. Dann folgte der
schlanke Zeigefinger einer weiteren Hand mit bemaltem Nagel und winkte
einladend. Euamellin stand da wie angewurzelt. Ein nacktes Bein wand sich unter
dem Klingeln von Glöckchen ins Innere des Raumes. Sprachlos und mit offenem
Mund beobachtete Euamellin das Schauspiel. Schließlich verschwanden Arme und
Bein und es zeigte sich der lausbubenhaft lächelnde Kopf eines ungefähr
sechzehn oder siebzehn Jahre alten Mädchens mit langen hellbraunen Haaren, die
zu langen Zöpfen geflochten waren. „Nanu, wer bist du denn?“, fragte sie, während
ihre dunklen Augen voller Lebenslust aufblitzten. Euamellin stand immer noch
regungslos vor dem Kopf in der Türöffnung. „Hallo? Du kannst doch sprechen,
oder?“ „Ich äh, äh…“, stammelte Euamellin verwirrt. Das Mädchen senkte ihre
dunklen Brauen. Um ihren glänzenden Schmollmund bildeten sich zwei schelmische
Grübchen. Dann tanzte sie schlängelnd herein und ihr grünkariertes Kleid wehte
hin- und her. „Na, mein lieber »Ich-äh-äh«, kommst du vom Stamm der
»Ähm-och-ähs« oder hast du noch nie eine Frau gesehen?“ Euamellin versuchte
sich wieder zu sammeln. „Milmass“, brachte er jedoch nur heraus. Hilflos und
verlegen wurde er von der Fremden umtanzt, die lasziv mit ihrem bunten Schleier
spielte. „»Schönes wildes Tier«? Meinst du mich“, fragte sie mit einem kehligen
Lachen. Sie zeigte mit dem Zeigefinger auf seine Brust. „Oder ist das dein
richtiger Name? Kannst du zu einem richtigen Tier werden, mein Kleiner?“
Milmass setzte sich neben Euamellin auf die Hinterpfoten und bellte
anerkennend.
„Drumasua,
jetzt ist es aber genug! Schau mal wie sehr du unseren Gast in Verlegenheit
gebracht hast: Er ist so rot angelaufen wie Erz im Feuer“, dröhnte Suarto.
„Wangen, so rot wie der Fingerhut im Moor“, stammelte Euamellin nur leise.
Drumasua kicherte. „Eher so rot wie Schminke. Reicht es dir nicht, dass du im
Hause deines Vaters so vielen jungen Männern den Kopf verdreht hast, bis er
dich zu mir geschickt hat? Schminksüchtig ist sie, das ist alles. Auf Wange und
Mund klebt schlicht Ruan-Kraut-Extrakt und Beerensaft in den Brauen.
Hoffentlich hat sie darüber nicht das Waschen mit Seife vergessen, denn…“ „Aber
Onkel!“ Drumasua hatte ihre Fäuste in die Hüften gestemmt und stampfte nun
wütend mit dem Fuß auf, so dass die Glöckchen im Saum ihrer Tunika klingelten
und ihre Armreifen klapperten. Dann legte sie beide Handflächen in gespieltem
Entsetzen auf ihre Backen und neigte sich vornüber: „Wo sind denn nur deine
Manieren? Würdest du uns bitte vorstellen?“ Suarto verschränkte seine massigen
Arme. „Du kleine..… Na gut! Geheimnisvoller Gast, das ist meine Nichte, ein
unausstehlicher kleiner Quälgeist. Unausstehlicher kleiner Quälgeist, dies ist
der geheimnisvoller Gast.“ „Suarto!“ Drumasua schaute nun dermaßen verärgert
drein, dass Suarto sich vor Lachen den Bauch halten musste. Er nahm einen
Bronzespiegel und hielt ihn ihr entgegen. Schließlich stimmte auch seine Nichte
ins Lachen mit ein. „Euamellin, darf ich dir meine reizende Nichte vorstellen?
Drumasua, Tochter meines Bruders Epomaro. Drumasua, dies ist Euamellin, Sohn
des Snevemin und Neffe meines Gastfreundes Hristo, Sohn des Staveno. Dass das
»große Pferd« so etwas Hübsches hervorbringen kann, ist kaum zu glauben, nicht
wahr? Ich dachte bisher, er kann nur Met.
[…]
Am
nächsten Morgen erlaubte Suarto Euamellin wieder, ein wenig in Bibracte
herumzulaufen. Dafür musste er seine Haare erneut mit Kohlestaub färben.
Drumasua half ihm gerne dabei. Suarto gab ihm noch Troc und Hagr mit, während
er selbst »Geschäfte zu erledigen« hatte, wie er es nannte. Drumasua
verabschiedete ihn mit verschränkten Armen und einem säuerlichen
Gesichtsausdruck. „Viel Spaß! Viel zu sehen gibt es hier aber sowie so nicht.
Zumindest nicht vor Einbruch der Dämmerung…“
Als
erstes wollte Euamellin zum Quellheiligtum, da ihm Drumasua bereits darüber
erzählt hatte, wie schön es sei, sich dort zu verabreden. Das Becken stand in
der Mitte der Hauptstraße. Leise gluckernd sprudelte das Wasser hervor,
glitzerte in der Sonne, plätscherte über den Rand und floss in einen Kanal
Richtung Nordeingang.
[…]
„Uff
- könnt ihr nicht aufpassen, ihr Vogelscheuchen?“ Ein paar Umstehende begannen
zu kichern. Hübsch sahen die beiden Krieger wirklich nicht aus, der eine
äußerst muskulös und breit gebaut, mit Resten schwarzer Haarbüschel auf seinem
blankem Schädel; der andere lang, dürr und sehnig mit struppig verfilzten
strohblonden Locken. Angespornt von den Lachern, die er erhalten hatte, fuhr
der Mann fort. „Los ihr Witzfiguren, macht den Weg frei. Geht auf die Felder,
Vögel verjagen!“ Euamellin sah, wie die Wut in seinen Begleitern kochte. Die
beiden Krieger hatten sich nur noch mit Mühe unter Kontrolle. Milmass fletschte
knurrend die Zähne. „Bitte, werte Herren, lasst gut sein“, bat Euamellin, „es
tut uns leid, wir hatten nicht vor, im Wege zu stehen.“ „Und wo kommst DU her?
Mit dem Akzent bist du sicher kein Haeduer aus der Gegend! Elend und hässlich,
wie ihr ausseht, könntet ihr direkt Sequaner sein, oder gar Germanen…“ Krachend
schlug Trocs Faust im Gesicht des Mannes ein. Blutstropfen spritzten aus seinem
Nasenloch, während er nach hinten flog. „Hmpf!“ Was zu viel ist, ist einfach zu
viel, dachte Troc. Die Kameraden des Getroffenen griffen ein, im Nu war eine
wüste Schlägerei im Gange. Euamellin bekam einen Schlag ab, der Hagr gegolten
hatte und taumelte rückwärts. Milmass stürzte sich auf den Mann, der seinem
Herrchen den Schlag verpasst hatte, biss ihm in den Arm und riss ihn zu Boden.
Die ersten zogen ihre Schwerter und Dolche. Hell tönend prallte Stahl auf
Stahl. Von der Gefahr elektrisiert war Milmass plötzlich wie ausgewechselt. Mit
dunklen Gurgeln grub er seine Zähne tief in das Fleisch seiner Gegner. Noch nie
hatte Euamellin erlebt, dass sein Hund richtig zubiss. Zum ersten Mal sah er
den trainierten Kampfhund in ihm, zu dem man ihn ausgebildet hatte. Lange konnte
er jedoch nicht über die Veränderung von Milmass staunen. Irgendjemand hob
Euamellin hoch, dann landete er mit lautem Klatschen im Quellbecken.
Uh,
war das kalt! Euamellin schüttelte sich. Um herum färbte sich das Wasser
schwarz. Innerhalb weniger Augenblicke hatte sich eine große Menschenmenge um
ihn herum gebildet. Alle starrten ihn an, die Schlägerei war ebenso schnell
beendet, wie sie angefangen hatte. Selbst Milmass hatte sich wieder beruhigt
und wedelte friedlich mit dem Schwanz. Alle starrten Euamellin an. „Gütige
Ahanehiae, ein Wunder! Die Quellnymphen haben seine Haare goldrot erstrahlen
lassen!“ Verwundert blickte Euamellin an sich hoch. Tatsächlich, der Kohlestaub
war fast ganz weggespült, seine nassen Haare glitzerten rotblond in der Sonne.
„Dieser Junge muss ein Liebling der heiligen Quelle sein!“ „Sicher haben die
Nymphen ihn weise gemacht.“ „Aber wer ist das und wo kommt er her?“ „Kommt, den
fragen wir aus!“
Als
Suarto davon erfuhr, war er außer sich. „Taranis soll euch beim Scheißen
treffen, ihr Idioten“, brüllte er Troc und Hagr an. „Nennt ihr das etwa »kein
Aufsehen erregen«, wie ich es euch eingeschärft hatte?“ Hagr stand
schuldbewusst mit hängendem Kopf da. Troc starrte geistesabwesend zu Boden und
schien vor sich hin zu dösen. Keiner von beiden sagte einen Ton. „Schließlich
wisst ihr zwei doch am besten, dass man bei uns einen Fremden selbst in der
Schankstube so lange festhält, bis er jede erdenkliche Information preisgegeben
hat“, tobte Suarto wie ein wildgewordener Bär um sie herum. Selbst Drumasua
stand schüchtern in einer Ecke. So kannte sie ihren Onkel gar nicht. Nicht
einmal sie hätte es im Moment gewagt, etwas zu sagen. „Jetzt weiß auch der
Letzte über Euamellin Bescheid. Ihr solltet doch aufpassen, dass er nicht als
Fremdling auffällt, oder?“ „Hm, Schankstube“, murmelte Troc, dessen
Aufmerksamkeit kurz zurückkam - wie immer wenn sein Lieblingsort erwähnt wurde.
Suarto verpasste ihm rüde eine Kopfnuss. „Kannst du denn überhaupt nichts
anderes als Saufen und Kämpfen, du Saufnase?“ „Hmpf?“ Verblüfft glotze ihn Troc
unverständig an: Trinken und Kämpfen, gab es für einen richtigen Mann etwa noch
etwas anderes, was zählte? „Beim Taranis, was für Idioten!“ „Und wenn man ihm
einfach wieder die Haare färben würde?“, schlug Hagr vor. „Beim Esus! Du
Nachgeburt des Unverstandes! Als ob man seine Herkunft jetzt noch geheimhalten
könnte“, fluchte er. „Nirgends ist man so wild auf Neuigkeiten wie in unserem
vermaledeit neugierigen Bibracte! Ich sollte euch beide aus dem Haus jagen! Ich
habe schon zig Anfragen von anderen Ratsmitgliedern und Händlerkollegen, wen
ich da unter meinem Dach aufgenommen habe.“ Suarto holte tief Luft. „Heute
Abend bin ich zu einer wichtigen Feier eingeladen, da kann ich unmöglich
fehlen. Mehrere Gäste anderer Stämme sind anwesend.“ Er stemmt seine Fäuste in
die Hüften und musterte mit zusammengekniffenen Augen seine beiden Krieger.
„Euamellin bleibt auf jeden Fall erst einmal hier – und ihr zwei bewacht ihn!
Ihr wisst doch noch, wie das geht – oder?“
Ein
Bote trat ein und überreichte Suarto ein Wachstäfelchen. Suarto las es durch
und schleuderte es wütend zu Boden, wo es in mehrere Stücke zersprang. „Beim
Teutates, auch das noch! Ich soll unbedingt den »weise gewordenen
Germanenjungen« mitbringen. Du bist nun eine Attraktion für
Abendveranstaltungen, Neffe des Hristo.“ Erschöpft sank Suarto auf eine große
Truhe und brütete dumpf vor sich hin. „Wäre so ein Fest nicht die ideale
Gelegenheit, Drumasua mitzunehmen“, versuchte es Euamellin. „Neben ihr würde
ich bestimmt niemandem auffallen!“ „Nicht auffallen? In Begleitung einer jungen
Frau wie Drumasua bei einem Treffen von Männern - und nicht auffallen? Ich
falle gleich über dich her, Du…“ Suarto war so wütend, dass er schon drauf und
dran war, Euamellin eine Ohrfeige zu versetzen. Schnell sprang Drumasua
dazwischen und baute sich drohend vor ihrem Onkel auf. „Wage es ja nicht, mich
anzurühren!“ Spöttisch verschränkte Suarto seine mächtigen Arme. „Dich
anzurühren? Aber woher denn. Muss ich auch gar nicht. Wozu habe ich denn meine
Männer? Troc, Hagr - schafft sie mir aus dem Weg!“ Drumasua machte ein
entschlossenes Gesicht, schüttelte ihre Fäuste und tänzelte hin und her, wie
ein Faustkämpfer. Troc und Hagr an blieben stehen und sahen sich unschlüssig
an: Durfte man denn gegen eine Frau kämpfen? „Na macht schon! Packt sie einfach
und hebt sie hoch!“ „Au!“, meckerte Hagr und hielt sich die Wange. Drumasua
hatte ihn schmerzhaft an der Wange gekratzt. Als sich Troc etwas zu umständlich
näherte, fegte sie ihm mit einem gekonnten Tritt das Standbein weg. Ungläubig
staunend fiel er um wie ein gefällter Baum. „Und die wollen meine besten zwei
Krieger sein“, grinste Suarto sichtlich entspannt. Als Troc noch immer mit
derselben Haltung am Boden lag, mussten alle schallend lachen. „Na schön“,
meinte Suarto und wischte sich eine Träne aus seinem Auge. „Dann wollen wir mal
sehen, wie wir das einigermaßen unauffällig überstehen können. Aber Drumasua
bleibt hier! Du kannst ja Milmass etwas auf der Leier vorspielen, wenn du
Gesellschaft willst.“ „Bäh!“ Drumasua streckte ihre schlanken Arme nach hinten
und ihrem Onkel die Zunge heraus. „Ihr werdet schon sehen! Mit mir wäre
Euamellin sicher viel weniger in Gefahr!“
Es
roch nach dem berühmten gepökeltem Schweinefleisch nach sequanischer Art,
eingelegten Rinderhälften, Hirschragout und mit Kreuzkümmel gebackenem Lachs.
Gebratene Hähnchen machten die Runde. Wein, Met und Bier wurden
verschwenderisch gereicht. Leuchter mit leicht rußenden Öllampen hingen an
Ketten von der Decke herunter. Im überdachten Säulengang des zentralen
Innenhofes spielte Sugiamolon auf einer großen Leier. Euamellin war angenehm
überrascht: Sugiamolon war ein wahrer Meister seiner Kunst, einer der Barden,
bei dem Lellavo seinerzeit in die Lehre gegangen war. Er sang von tragischer
Liebe und Helden, die im Kampf gefallen waren. Dabei untermalte er seine
Geschichten mit zarten Klängen seines Zupfinstrumentes.
[…]
Suarto
war von Beginn an nicht von Euamellins Seite gewichen und hatte ihn nahezu
perfekt abschirmen können. Auf Fragen an ihn, antwortete immer Suarto. Suarto
konnte meisterhaft ausweichen und wusste genau, wie man andere die Lust
verlieren lassen konnte, sich weiter zu unterhalten. Suarto gestaltete die
Geschichte um Euamellin gekonnt langweilig. Viel zu langweilig für die
heißblütigen Haeduer. War die erste Neugier gestillt, verloren die Gäste
schnell das Interesse an dem kleinen Germanenjungen, der weit weniger
barbarisch und aufregend schien als erwartet, dafür aber viel schüchterner.
Nachdem
Suarto erfolgreich die ruhigste und langweiligste Ecke gebildet hatte, wurde er
zunehmend selbst unruhig. „Ich muss mich jetzt auch ein wenig unter die Leute
mischen, das wird von mir erwartet. Ein paar Gäste muss ich jetzt wieder mit
ein paar spannenden Geschichten auf mich aufmerksam machen, bevor niemand mehr
mit mir etwas zu tun haben will; günstige Gelegenheiten wahrnehmen, Geschäfte
abschließen und so weiter, du verstehst? Versuche auf jeden Fall, so wenig wie
möglich aufzufallen! Geh am Besten in die dunkle Ecke da hinten und warte da
auf mich. Und halte dich unbedingt von Dumnorix fern, beim Esus! Versprich mir
das!“ Damit verschwand Suarto in der Menge. So herausgeputzt erkennt man ihn
fasst nicht wieder, dachte Euamellin, in so feinen, farbenfrohen Karokleidern,
gut rasiert bis auf einen sorgfältig gestutzten Schnurrbart… Folgsam ging in
die unbeleuchtete Ecke. Er fühlte sich erneut sehr einsam. »Immer das Beste
daraus machen«, fiel ihm ein Spruch Suartos ein. So machte Euamellin es sich
auf dem Boden so gemütlich, wie er nur konnte und sah sich ein wenig um.
Gegenüber unter einem Bronzeleuchter mit kleinen Öllämpchen wurde Fladenbrot
und Lachs gereicht. Davor stand ein ziemlich großer Mann in sehr teurer und
zugleich akkurat gepflegter Kleidung und schien auf jemanden zu warten. Der
Mann mit den regelmäßig geflochtenen blonden Zöpfe und dem Oberlippenbart fiel
ihm sofort auf - vor allem, wenn er mit anderen vorübergehenden Gästen das eine
oder andere Wort sprach. Zuerst dachte er, der müsse sich am Fladenbrot
verschluckt haben und ein wenig davon würde ihm immer noch in der Kehle hängen.
Oder sprach er überhaupt gar kein Keltisch? Das musste doch irgendwie
rauszukriegen sein, was der da sprach! Aber bei all dem Lärm konnte Euamellin
ihn nicht richtig hören. Möglichst unauffällig kam er näher heran, wie wenn er
ziellos durch den Raum schlendern würde. Jetzt konnte er ihn besser verstehen.
Eigenartig - da, wo Euamellin ein »a« erwartete, klang es bei dem Mann eher wie
eine Art »o«. Dazu eine sehr gedehnt langsame Aussprache, die Eigenheit, die
Wörter immer auf der ersten Silbe oder, wenn das überhaupt möglich war, sogar
noch davor zu betonen… Ach so! Das musste wohl einer der Helvetier sein!
„Du
schaust mich doch schon länger an, oder?“ Euamellin biss sich auf die Lippen.
Er hatte doch nicht auffallen sollen. „Verzeih, ich wollte dich nicht
beleidigen.“ „Du musst der kleine Gérmonenjunge sein, nícht wohr?“ Euamellin
zog die Augenbrauen herunter. „Germanenjunge? Ich bin vom Stamm der Ubier!“
Sein Gegenüber ließ ein kehliges Lachen erklingen. Ob er vielleicht einfach nur
erkältet war? Ein paar weitere Männer gesellten sich interessiert zu ihnen.
„Ouch guat, junger Ubier. Dein Volk hotte einmol einen gonz guaten Ruf unter
den Stämmen der Gérmonen, oder? Doch jetzt mochen euch die Sueben schwer zu
schaffen, nícht wohr?“ Euamellin sah zu Boden und nickte stumm. „Koin Grund,
sich zu schämen! Uns ouch. Immerhin woren unsere Stämme stork génug, dass mon
sie nicht vértreiben konnte, Junge. Ous
dem Norden kommen jetzt immer mehr Flüchtlinge: Nicht nur Hélvetier, ouch
Víndeliker und ondere suchen Schutz im helvetischen Kernlond. Es wird longsom
eng. Zuletzt hoben wir sogor noch die Boier oufnehmen müssen…“ Gedankenverloren
starrte der Mann in die Ferne. „Ubier…“, murmelte er. Mit einem Ruck wandte er
sich wieder Euamellin zu: „Ubier! Ihr seid doch ols groaße Händler békannt,
oder? Sog einmol, ihr seid doch immer noch so guate Fernhändler - nícht wohr?“
Euamellin nickte. „Und du host doch sicher noch Kóntokt zu deinem Stomm, oder?
Ihr müsst doch sicher eine Menge Wogen und Zugtiere zu verkaufen hoben – nícht
wohr?“
Da
packte jemand den Mann schnell am Arm und zog ihn zur Seite. „Entschuldigt,
Orgetorix, der Sohn des Epocaturix hat ein paar wichtige Geschäfte zu besprechen.
Casticos, Sohn des Catamantaloedes, kommst Du mal eben mit?“ „Wórum diese
Hektik, Dumnorix? Nun jo, ihr heißt wohl zu Recht »Hoedui«, die Feurigen.“ Da
trat Diviciacos aus der Menge und stellte sich ihnen mit verschränkten Armen in
den Weg. „Du und Orgetorix, der »König der Totschläger«. Bruder, das scheint
mir keine gute Gesellschaft zu sein!“ „Kümmere du dich doch um deine religiösen
Bedenken, Druide!“ Damit schob Dumnorix seinen älteren Bruder aus dem Weg und
bahnte sich zusammen mit dem Helvetier Orgetorix und dem Sequaner Casticos
einen Weg nach draußen. Diviciacos schaute ihnen noch eine Weile nach, dann
wandte er sich Euamellin zu. „Entschuldige den kleinen Familienzwist,
Euamellin, Neffe unseres Gastfreundes Hristo.“ Ängstlich starrte Euamellin ihn
an. Er weiß, wer ich bin! Wahrscheinlich erinnert er sich an mich. „Es freut
mich, dich gesund wiederzusehen. In Vesontio glaubten alle, die ubische Geisel
des Ariovistos wäre im Dubis verendet, wie das Pferd, das man mit
aufgeschlitztem Bauch am Flussufer gefunden hat.“ Besorgt blickte Euamellin um
sich. Ob seine unbezwingbare Neugier ihn nun zum Verhängnis werden sollte? Er
hatte doch versprochen, sich von den übrigen Gästen fernzuhalten, ganz besonders
von den Söhnen des Deccomarus! Ob Dumnorix und sein Bruder ihn nun beseitigen
lassen würden? Doch Diviciacos streckte ihm nur freundlich lächelnd die Rechte
entgegen: „Willkommen in Bibracte, mein Junge. Keine Angst, von mir hast du
nichts zu befürchten.“
[…]
Euamellin
drückte sich wieder in die dunkle Ecke und wartete. Wo Diviciacos nur blieb?
War es so schwer, Suarto wieder zu finden? Mit seiner bärenhaften Statur war er
doch nur schwer zu übersehen! Nanu? Was war das? Auf einmal waren die Öllämpchen
am Bronzeleuchter gegenüber ausgegangen, an dem sich ein paar breitschultrige
Männer vorbeigedrückt hatten. Die sind wohl schon so betrunken, dass sie am
Leuchter hängenbleiben, dachte Euamellin. Wenigstens hat sich keiner verbrannt.
Na endlich, da kommen sie ja. Komisch, der ist ja viel zu klein für Suarto…
Moment, das sind doch Dumnorix und … Orgetorix, der Helvetier. Dahinter kommen
noch zwei. Casticos, der Sequaner. Und der andere? Die vier Männer flüsterten
noch etwas im Dunkeln, darauf winkte Dumnorix knapp in den Raum hinein. Es sah
aus, wie eine Art Zeichen. Dann gingen sie hinaus. Euamellin wollte unbedingt
wissen, warum sie so geheimnisvoll taten. Ob er wohl einen Blick auf den
vierten Mann erhaschen könnte? Nur einen ganz kurzen. Oder ob er doch lieber
auf Diviciacos und Suarto warten sollte? Seine Neugier gewann schließlich die
Oberhand. Nur ein ganz kurzer Blick, was kann da schon passieren, dachte
Euamellin. Behutsam folgte er den vier Männern. Vorsichtig drehte er sich noch
einmal um. Gut, es war ihm niemand gefolgt. Als er aus dem Türrahmen
geschlichen war, konnte er zwei der Männer deutlich erkennen. Aha der vierte
Mann und noch ein fünfter. War das nicht einer von den beiden, die ich gerade
zusammen mit Diviciacos beobachtet habe? Wie hieß er noch gleich, Litaviccos…?
Da wurde er plötzlich von der Seite von zwei Männern gepackt. In Windeseile
fand er sich gefesselt und geknebelt auf dem Boden wieder. „Jetzt haben ihn,
Sohn des Deccomarus! Wie befohlen, ohne Lärm und ohne Aufsehen.“ Irgendjemand
stülpte ihm einen groben Sack über den Kopf und trug ihn mit großen Schritten
weg. Dann wurde es vollkommen finster.
[Weiterlesen in der Leeprobe zu Kapitel 8]
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