Die „Rufus“-Reihe soll jeder verstehen und genießen können, Jugendliche und Erwachsene, Studierte und Nichtstudierte. Wer sich im Roman auf fremde Welten einlässt, der wird auf unterhaltsame Weise ganz automatisch kennenlernen, was die damalige Zeit so alles zu bieten hatte - und lernt beim Lesen wie von selbst. Alles so authentisch und historisch korrekt wie möglich zu erzählen und dabei spannend zu bleiben, das ist mein Ziel.
Die „AMORES - Die Liebesleiden des jungen Ovid“ sind dagegen nicht immer ganz jugendfrei (wie auch die Originalverse Ovids und seiner Zeitgenossen). Der Laie kann sich über die „moderne“ Sprache & Handlung freuen, der Fachmann über zahlreiche Anspielungen und intertextuelle Scherze.
Auf dem Blog zeige ich einen Blick hinter die Kulissen. Dabei gebe ich auch Hintergrundinformationen über Politik und Alltagsleben der späten Republik und frühen Kaiserzeit in Rom und einiger Kelten- und Germanenstämme.
Feste Probeleser aus verschiedensten Altersgruppen haben bereits die ersten Bände gelesen. Die Rückmeldungen setze ich um. Sehr gute Feedbacks kamen dabei nicht nur von Universitätsprofessoren und anderen Fachleuten sondern gerade auch von Schülerinnen und Schülern - vielleicht demnächst auch von dir? Gerne nehme ich jede gute Anregung auf (Rufus.in.Rom@gmail.com)...

Montag, 28. Januar 2013

3. Rat und Beratungen. Leseprobe aus "Donner im Keltenland"

Nun folgt nun ein Auszug aus dem dritten Kapitel von Rufus - Donner im Keltenland. Wer die Leseprobe aus dem ersten oder zweiten Kapitel noch nicht kennt, klickt einfach auf den Link.
Wie immer freue ich mich über jede Anregung und jeden Kommentar!
 

3. Rat und Beratungen

„Ja, die Nacht des nächsten neuen Mondes - in Ubiacum. Dein Rat wird gehört werden. Keine Sorge, die Sippe des Staveno wird dir in ihrem Haus Gastfreundschaft gewähren.“ Euamellin verabschiedete sich höflich vom Stammeshaupt einer Familie der Ubier von der unteren Loneta und stieg wieder aufs Pferd. Die angehenden jungen Krieger waren dabei, die führenden Familien zu benachrichtigen, die auf ihrem Weg nach Westen lagen. Euamellin musste die wichtigsten Gefolgsleute seiner Sippe persönlich einladen, ebenso die Gastfreunde seiner Familie.
            Währenddessen war die Reitausbildung in Formation nicht zu kurz gekommen, insbesondere die Flussübergänge. Haldavvo hatte alle nur vorstellbaren Möglichkeiten genutzt, die Loneta täglich auf neue Weise zu überqueren: mit und ohne Sandbänke, seichte und tiefe Stellen, mit oder ohne sichernde Postenketten, von flachen Uferstellen aus wie von steilen; sandig, steinig oder erdig; bei gutem wie bei schlechtem Wetter, Engpässe mit starker Strömung oder breite Stellen, wo der Fluss nur träge dahinfloss. Nachdem es den Jungen immer besser gelang, die Formation zu halten, wurde nun wenigstens häufiger auf relativ normale Weise übergesetzt: War kein Feind zu erwarten, verstaute man die Waffen einfach auf kleinen Flößen, die man mit dem Pferd schwimmend hinter sich herzog und dadurch trocken hielt. So hatte Euamellin diesmal jedenfalls nicht erklären müssen, warum er bei strahlendem Sonnenschein als tropfnasser Bote erschien. Er grüßte zum Abschied und galoppierte voller Lebensfreude zu den anderen Reitern zurück. Was für ein herrlicher Sommertag, dachte er, warm, ein leichter Wind und der süßliche Duft der Lindenblüten. Übermütig ließ er sein lautestes Kriegsgeheul ertönen, als er über die Felder dahinjagte: „Iiiii-Jajajajajajah!“ Dann reihte sich wieder in die Hauptkolonne neben seine Freunde ein. Aus den Augenwinkeln sah er jemanden auf Haldavvo zureiten. Er drehte sich um. Es war einer der erfahrenen Krieger, die sie mit einigem Abstand begleiteten, der jetzt Meldung machte.
            Fiskja folgte Euamellins Blick. „Warum haben wir eigentlich überhaupt eine schwer bewaffnete Begleitung dabei? Wir sind doch keine kleinen Kinder mehr und außerdem selbst schwer bewaffnet.“ „Gute Frage, zudem sind wir mit den umliegenden Stämmen befreundet, ganz besonders mit den Treverern gegenüber unserem Stützpunkt mit den Werften“, stimmte ihm Euamellin zu. „Bei Vagdavercustis! Wie naiv bist du denn?“ mischte sich Sakjo ein, der sich von hinten genähert hatte. „Kaum zu glauben, dass du aus einer der bedeutendsten Familien Ubiacums stammen sollst! Ein Freund ist nur ein Feind, der einen noch nicht angegriffen hat. Darauf muss man immer achten, nur so kann man einen Stamm richtig führen. Ein echter Adliger weiß das. Deshalb sitzt meine Familie auch seit Urzeiten im Ältestenrat Ubiacums.“ und mit einem geringschätzigen Blick auf Fiskja fügte er hinzu: „Dass so etwas ein einfacher »Fiskja« nicht versteht, Sohn eines kulturlosen Sueben, der sich nicht einmal eine vernünftige Ausrüstung leisten kann, das ist natürlich mehr als verständlich.“ Fiskja lief rot an, seine Hand krallte sich um den Schwertgriff.
            „Sakjo, Sohn des Henakian! Du hast die Formation verlassen. So machst du deinem Vater keine Ehre!“, donnerte Haldavvos Stimme. Er war unbemerkt an die Jungen herangeritten. Sakjos Gesichtsausdruck zeigte deutlich, dass er sich ertappt fühlte. Dennoch zögerte er, seinen Platz sofort wieder einzunehmen. „Was ist? Was glaubst du eigentlich, warum wir das hier machen? Diese Übungen sind mehr als sinnvoll, da kannst du mir vertrauen. Also los, hinter der nächsten Biegung geht es wieder ans andere Ufer. Da habe ich noch etwas Neues für euch. Den Trick hat mir Snevemin persönlich beigebracht, der Sohn Battavos - wie auch die meisten Techniken fürs Wasser“, verkündete Haldavvo stolz. Sakjo sah ihn missmutig an: „Wieso müssen wir diese suebischen Übungen eigentlich machen?“, entgegnete er trotzig, „Woher wissen wir überhaupt, ob wir dieser ehemaligen Geisel trauen können?“ „Dass der Ältestenrat ihm voll und ganz vertraut, beeindruckt dich wohl gar nicht, wie?“ knurrte Haldavvo. „Außerdem sind diese Übungen nicht allgemein suebisch, die sind nicht einmal allen Chatten vertraut. Der Kampf im Wasser wurde von der Sippe Battavos vervollkommnet. Wenn Battavos Sohn Snevemin diese an uns weitergegeben hat, wie könnte man ihm nicht trauen?“ Als Sakjo ihn immer noch unverhohlen anstarrte, brüllte Haldavvo schließlich verärgert. „Beim Raben der Vagdavercustis! Ich vertraue ihm, das muss reichen. Und jetzt ab nach hinten, oder ich mach dir Beine!“            Nachdenklich sah Euamellin Haldavvo an. „Es erfüllt mich mit Stolz, dass mein Vater mit dir in Freundschaft verbunden ist. Aber kannst du mir erklären, wie er es geschafft, dass ihm fast alle so grenzenlos vertrauen? Das würde ich gerne erfahren.“ Haldavvo grunzte abwehrend. „Bitte Haldavvo, Sohn des Leubacio“, fiel Fiskja ein und auch Sedavo bat: „Ja, erklär uns das, ich weiß nur, dass er als Geisel kam, noch bevor die Chatten unter den Einfluss der Albis-Sueben gerieten.“ Haldavvo ließ den Blick kurz über seine angehende Reiterformation schweifen. Im Moment schienen sie alle folgsam die Formation zu halten. „Na gut“, ließ er sich erweichen „Snevemin, des Battavo Sohn, kam als wichtigste Geisel der Chatten zu uns, zur Besiegelung des alten Freundschaftsbundes. Der Junge benahm sich immer sehr zuvorkommend und respektvoll zu allen Ubiern. Bei den Kampfesübungen der angehenden Krieger dagegen gab es niemand, der ihm gewachsen gewesen wäre. Das ist auch heute noch so. Seine Körperkraft, seine Technik und sein Mut waren ohnegleichen. Dennoch hat er sich nie hochmütig aufgeführt. Wenn er gegen mich gewinnt, sagt er heute noch, dass sein Sieg ein Zufall war. Dafür hat er mir und den anderen Jugendlichen einige Tricks und Kniffe beigebracht. Besonders gut beherrschte er das bei uns zuvor unbekannte Schwimmen mit voller Bewaffnung, mit und ohne Pferd. Als er uns das zum ersten Mal gezeigt hat, wären wir beinahe vom Pferd gekippt! Sakjos Vater Henakian fiel tatsächlich runter, als er es das erste Mal nachmachen wollte.“ Haldavvo musste lachen. „Hat sich dabei an einem Felsen ganz schön den Schädel verbeult, deshalb geht er auch nie ohne Helm aus dem Haus.“ Dann lachte er erneut. „Wobei manche sagen, dass sein Kopf vorher sogar noch hässlicher verbeult war als nachher…“
            Jetzt kam Haldavvo erst richtig Fahrt. Er fand sichtlich Vergnügen am Erzählen, wie Snevemin und er sich als angehende Krieger anstellten und Snevemin sich immer besser in Ubiacum einfügte. Euamellin freute sich, wie respektvoll Haldavvo über Snevemin sprach. „Nun ratet mal, wer damals der Einzige war, die diesen »dahergelaufenen Sueben« zunächst noch abgelehnt hat“, wandte sich Haldavvo an die Jungen. Euamellin und Sedavo zuckten mit den Achseln. „Henakian, des Friatto Sohn?“, vermutete Fiskja. „Nein, wirklich nicht, eigentlich waren sie damals sogar noch sehr gut befreundet“, wies Haldavvo zurück. „Da kommt ihr nie drauf! Es war die Frau, die ihn Ubisch und andere keltische Dialekte lehren sollte. Louba, Tochter des Staveno: Deine Mutter, Euamellin.“ Die Jungen ließen ein erstauntes Raunen hören. „Man hat die beiden doch sicher gezwungen zu heiraten, wie üblich?“, fragte Fiskja. Wieder lachte Haldavvo lauthals auf. „DIESE beiden Turteltäubchen? Ganz im Gegenteil! Zuerst haben sie sich ständig gestritten, dass die Fetzen flogen. Aber je länger Loubas »Sprachunterricht« andauerte, desto näher sind sich die beiden gekommen. Letztendlich haben sie sich verliebt und zwar bis über den Kopf! Dein Großvater Staveno hat sich gedacht, dass gute Kontakte zu den Chatten ganz nützlich sein könnten. So hat er der ungewöhnlichen Liebesheirat gerne zugestimmt. Snevemin wurde offiziell im Kreise der Ubier aufgenommen und durfte Louba zur Frau nehmen, unter dem Jubel der meisten anderen Einwohner von Ubiacum.“ „Nur der meisten, nicht aller?“, fragte Euamellin nach.
            „Nun ja, um Loubas Hand haben sehr viele Adligen angehalten und das nicht nur aus Ubiacum. Von den Treverern haben sich auch einige vornehme junge Männer aufgemacht, aus der Familie von deiner jetzigen Tante Masua; ebenso von den Tencterern und Usipetern. Sogar Vindeliker waren darunter, selbst ein paar Noricer und Sueben vom Albis. Die Tochter Stavenos, des einflussreichsten Mannes der Ubier, das war natürliche eine überaus gute Partie. Ihr hättet sie auch damals sehen sollen! Ihre Schönheit war gerade voll erblüht: Ihre Arme waren weiß wie der Schnee, der in der Nacht fällt, ihre hellen und freundlichen Wangen so rot wie der Fingerhut im Moor. Verließ sie abends das Haus des Staveno, so leuchtete der Schimmer des Mondes auf ihrem edlen Antlitz …“ Die Jungen sahen sich verblüfft an. War das da vor ihnen wirklich der biedere Kämpfer Haldavvo, oder trieb ein Gott der Barden und Sänger seine Späße mit ihnen und hatte sich nur als Haldavvo verkleidet? „…freudiger Stolz aus ihren glatten Brauen. Auf der Wange hatte sie ein schelmisches Grübchen… Bei Vagdavercustis! Was schaut ihr mich denn auf einmal so an?“ „Haldavvo, Sohn des, Leubacio, du bist ja ein Dichter!“ würdigte Sedavo Haldavvos Beschreibung. „Oder auch in Louba verliebt?“, murmelte Fiskja leise. Jetzt war es Haldavvo, dessen Wangen so rot wurden, wie der Fingerhut im Moor. Ein wenig verlegen zupfte er mit seiner großen schwieligen Hand den Kinnriemen seines Helmes zurecht. „Jedenfalls“, beeilte er sich, schnell wieder zum eigentlichen Thema zurückzukommen, „jedenfalls gab es eine Menge Freier. Damit es keinen Ärger gab, ließ sich Staveno wieder etwas Besonderes einfallen. Schon als Richter war er immer besonders einfallsreich gewesen. Er überließ einfach Louba die Wahl und alle mussten feierlich schwören, den Mann, der sie schließlich bekommen sollte, als Waffenbruder und Freund anzunehmen und ewiglich zu schützen. Als er sie heiratete waren nur Freunde dabei; zähneknirschend zwar, aber doch…“ Wieder wurde Haldavvo rot. „Ähm. Hm. Am meisten wird aber Henakian geknirscht haben. Er hatte sich Chancen bei Louba ausgerechnet, weil die Sippe des Friatto den zweiten Rang hinter der des Stavenos einnahm. Seitdem ist ihre zuvor recht enge Freundschaft ein wenig abgekühlt.“
            „Unverschämtheit! Mein Vater soll mit diesem Sueben befreundet gewesen sein? Niemals!“, schrie plötzlich Sakjo, der wieder nach vorne geritten war und offenbar gelauscht hatte. „Schon wieder du“, dröhnte Haldavvo, „du kennst wohl keine Grenzen. Ich werde dich wohl doch übers Knie legen müssen, bevor du zum Mann erklärt wirst!“. Sakjo stieg die Schamröte ins Gesicht. „Das würdest du nicht wagen… dem Zorn meiner Sippe kann keine Familie etwas entgegensetzen …“ Haldavvo grinste über das ganze Gesicht. „Dir hat einfach viel zu selten einer eine Ohrfeige gegeben.“ Sakjo zog ängstlich den Kopf zwischen seinen Schultern ein. „Schau einmal um dich, Zorn deiner Sippe“, fuhr Haldavvo fort. „Siehst du etwa einen deiner Knechte? Nein? Muss wohl daran liegen, dass ihr hier alleine zu Recht kommen sollt und keine hier sind.“ Die anderen Jungen fingen an zu grinsen, während Sakjo, der sich stets bemühte möglichst stolz auszusehen, immer mehr in sich zusammenfiel. „Es wird dir kein Bewaffneter zur Seite zu stehen. Wenn ich mich nicht irre, ist Euamellin zwar jünger als du, aber nicht gerade kleiner. Niemand wird dich verteidigen noch es bedauern, wenn er dich ordentlich verprügeln sollte. Na, Euamellin, hast du nicht Lust, auf die kleinen Beleidigungen eine handfeste Antwort zu erteilen?“ Euamellin baute sich drohend vor Sakjo auf. Dieser stieß seinem Pferd die Fersen in die Flanke und zog beleidigt ab, begleitet von fröhlichem Gelächter der ersten Reihen. „So, genug gescherzt“, meinte Haldavvo, „da hätte ich doch beinahe eine Gelegenheit verpasst, euch über den Fluss zu treiben. Also los jetzt, einmal rüber und zurück!“ Das ließen sich die Jungen nicht zweimal sagen. Schon jagte die Einheit gemeinsam vorwärts: „Iii-Jajajajaoooh!“
  
             „Das ist eine Arbeit für die Knechte, nicht für uns!“, murrte Sakjo. Die Gruppe hatte gerade bei einem Gehöft eines bedeutenden Schmiedes Rast gemacht. Nach einer kurzen Partie Fechtübungen bekamen die Jungen eine Einführung in die Pflege eines Kettenhemdes. Nach der Anleitung mussten sie ihre Kettenhemden selber putzen und ausbessern. Die meisten schienen es zu genießen: Immerhin konnte man endlich einigermaßen ruhig im warmen Gras vor den Hütten sitzen und sich nebenbei von der Sonne bescheinen lassen. „Wozu hat man den seine Knechte, wenn sie einem nicht die Waffen anreichen und auch in Stand halten?“ „Oh, ganz ohne Stallknechte! Armer Sohn des Henakian!“, rief ihm Harimello höhnisch zu, während er einen winzigen Drahtring zurecht bog. Der braungelockte Harimello war der größte und der älteste der Jungen. Er hatte schon auf kleineren Übungsritten Erfahrungen gesammelt und gelernt, selbst zu Recht zu kommen. Er schien auch sehr stolz darauf zu sein. „Brauchst Du auch wieder einen Knecht, um dir das Essen herrichten zu lassen, wenn Mama nicht da ist? Bekommt der arme Kleine Schwielen an den Händen, wenn er selbst Wasser und Feuerholz holen muss?“. Sakjo rutsche vor Ärger das Kettenhemd aus den Händen. „He Sakjo! Bei allen drei Matronen Gavasiae, wie schaffst du es eigentlich dir jeden Morgen die Riemen deiner Schuhe zuzubinden? So ganz alleine und ohne Hilfe?“
            Sedavo und Euamellin kicherten ohne von ihrer Arbeit aufzusehen. Fiskja stellte sich mit seinem großen Körper jedoch ziemlich ungeschickt an. „Lacht ihr nur, aber ich finde es ebenfalls sinnlos, das Kettenhemd stopfen zu lernen. Meine Familie kann sich gerade einmal ein Pferd für mich leisten. Für so einen teuren Metallschutz wird wohl nie Geld da sein. Es macht einfach keinen Sinn, mit so etwas zu üben“ und er ließ einen tiefen Seufzer ertönen“. „Bei Nehalennia, Fiskja! Jetzt warte es erst einmal mal ab“, versuchte Sedavo ihn zu trösten. „Vielleicht machst du gleich in deinem ersten Feldzug reiche Beute. Oder du tötest einen Gegner, der ein Kettenhemd trägt.“ „Ja, oder du findest einen reichen Gefolgsherrn, der dich als Gefolgsmann damit belohnt“, ergänzte Euamellin und hielt sein Kettenhemd hoch. „Kann doch sein, dass jemand nachhilft.“ Sedavo schaute verblüfft zu Euamellin herüber: „Woher hast du denn…“. Dann verfinsterte sich sein Miene urplötzlich und er flüsterte: „Euamellin, ruf uns doch kurz zu, dass wir dir helfen sollen.“ „Aber die anderen werden denken, dass ich nicht damit zu recht komme.“ “Nun mach schon, bei den drei Matronen Amfratniniae! Schluck deinen Stolz runter, es ist ernst!“ Euamellin seufzte. „Na schön“, und etwas lauter: „Ich bekommen die Ringe einfach nicht aneinander. Könnt ihr mir kurz helfen?“
            Die drei Jungen beugten sich kniend über Euamellins Kettenhemd. Auf ihre fragenden Blicke legte Sedavo zuerst den Zeigefinger auf den Mund, dann begann er im Flüsterton: „Erinnert ihr euch noch an die Schwimmprüfung, als Euamellin beinahe abgesoffen wäre?“ Euamellin wurde rot und rieb sich die immer noch schmerzenden Rippen. „Das war nicht meine Schuld, mich hat ein Stück Treibholz getroffen.“ Sedavo schüttelte langsam den Kopf. „Habt ihr etwa schon einmal ein Stück Holz gesehen, dass so etwas kann?“ Sedavo zeigte auf zwei Stellen am Seitenrand von Euamellins Kettenhemd. An der ersten war ein kleines Loch zu erkennen, an der zweiten steckte halb verborgen zwischen den abgenutzten Ringen noch ein winziger Gegenstand aus Metall. „Bei allen Muttergottheiten Gavasiae, eine Eisenspitze!“, entfuhr es Euamellin. „Pst, nicht so laut!“, herrschte ihn Sedavo an. Fiskja dagegen gelang es, sich sichtlich unbeeindruckt zu geben. Sedavo schaffte es schließlich nach einigem Hin- und Herdrücken die abgebrochene Spitze herauszuziehen „Saß die vielleicht fest! Wäre das Übungshemd nicht zu groß gewesen und hättest du die Seiten nicht übereinandergelegt, dann wärst du jetzt nicht mehr unter uns, Euamellin, Sohn des Snevemin. Von wegen Treibholz.“ Dann sah er ihm tief in die Augen. „Da hat jemand nachgeholfen, und zwar mit Eisen. Wer weiß, wann er es wieder versucht. Ich rate dir, pass auf dich auf!“ Euamellin wurde bleich und ließ das Kettenhemd fallen. Suchend sah er sich nach Milmass um, in seiner Nähe fühlte er sich immer sicher. Da er jedoch alleine zu Recht kommen sollte, hatte er seinen Hund nicht mitnehmen dürfen. Ratlos und ein wenig entgeistert schaute er seine Freunde an. „Aber wer würde denn bloß…?“ Da ließ die drei ein lauter Pfiff herumfahren: „He, Euamellin“, rief Sakjo herüber und winkte, „sieht aus, als hättest du doch zwei Stallknechte dabei. Kann ich mir die auch mal ausleihen? Machen nach außen zwar nicht viel her, aber für niedere Arbeiten scheinen die gerade so gut genug…“
             Nachdem die Nacht hereingebrochen war, saßen sie zusammen mit den Gefolgsleuten um mehrere Lagerfeuer. Haldavvo hatte sorgfältig die Nachtwachen eingeteilt. Nun stellte er sich direkt vor das Feuer, warf den Kopf in den Nacken und stampfte kräftig mit dem rechten Fuß auf, wobei er mit der linken Faust ruderte. Sofort eilten ein paar Krieger davon und kehrten mit Lederbeuteln zurück, die sie sogleich auspackten. „Was ist denn nun schon wieder los?“, fragte Fiskja. „Schon wieder Kampflieder?“ „Siehst du doch!“, erwiderte Sedavo. Ein paar wilde Hornstöße durchstachen die Nacht. Die Leiern wurden angestimmt. „Nun mach schon mit, alter Griesgram. Du weißt doch, was Haldavvo immer sagt: Wer nicht als Einheit zu singen versteht, der versteht auch nicht, als Einheit zu kämpfen!“. Schon schmetterten sie aus vollem Hals den »Stolz der Ubier«, und »Bruder schließ‘ die Reihen«. Bei den rhythmischen Kampfliedern machte Haldavvo die Runde und achtete persönlich darauf, dass niemand aus dem Takt kam. Danach folgten noch einige ruhigere Lieder, die ihnen Stirros vorsang. Stirros war ein Gefolgsmann Haldavvos, der nicht nur das Kriegshandwerk erlernt hatte, sondern auch einen guten Barden abgab. Unter Harfenbegleitung sang er von Heldenmut, Kampf und Tot, aber auch von Verrat und den unheimlichen Gestalten der Anderswelt. Darunter war auch eine Sage aus Gallien, in der Menschen in allerhand Tiere verwandelt wurden. Je später der Abend, desto unheimlicher wurde die Geschichte. Eine Mutter verfluchte den eigenen Sohn, ein Mädchen wurde aus Blumen erschaffen, um den Fluch zu brechen. Doch selbst diese »Blumengeborene« beging schaurige Taten. Sie versuchte, ihren Mann grausam umzubringen, für den man sie extra erschaffen hatte. Schließlich wurde sie in eine Eule verzaubert, als Strafe für ihre Untreue. So konnte sie nur noch bei Nacht einsam umher streifen und ihr Gesicht sollte nie mehr das Tageslicht erblicken.
            Als der letzte Ton der Leider verklungen war, mussten sich die Jungen zum Schlafen bereit machen. Sakjo war für die erste Nachtwache eingeteilt und stolzierte hochnäsig mit der Lanze im Anschlag zu den wachhabenden Gefolgsleuten hinüber. „Der hat ja auch noch Spaß daran!“, brummte Sedavo. „Soll er nur“, gähnte Fiskja zurück, „dafür können wir uns in Ruhe hinlegen, ohne dass er uns stört. Kommt, legen wir uns hin, ich bin hundemüde“. Damit ließ er sich auf der Erde nieder und begann auch gleich zu Schnarchen. Euamellin legte sich zwischen Sedavo und Fiskja. „Einmal so schnell einschlafen können wie Fiskja!“, murmelte er eifersüchtig, während er seine Waffen ablegte. Er fror ein wenig. Für eine Sommernacht war es ungewöhnlich frisch geworden. Er versuchte, eine geeignete Schlaf-position im Gras zu finden. Ruhelos rutschte er hin und her und stieß so immer wieder an sein Kettenhemd, Helm und Schwert. Der Boden war hart, kalt und feucht. Fröstelnd versuchte er, sich in seine Decke zu kuscheln. Aber auch die kam ihm klamm vor. Er musste wohl vergessen haben, den mit Bienenwachs überzogenen Ledersack fest genug zu verschnüren. Oder hatte die Decke seit gestern nicht genügend Zeit gehabt, richtig zu trocknen? Es wollte ihm einfach nicht gelingen, einzuschlafen. Wer ihm wohl nach dem Leben trachtete? Oder war die Eisenspitze nur ein Zufall gewesen, vielleicht auch nur ein Unfall? Über ihm leuchteten die Sterne. Nur ein paar vereinzelte Wolken zeichneten sich am blauschwarzen Nachthimmel ab. Er versuchte ein Sternbild zu erkennen. Das machte sicher schläfrig, zumindest brachte es auf andere Gedanken. Doch jedes Mal, wenn er sich einbildete, eine Figur zu sehen, schien diese einen Dolch oder eine Eisenspitze zu zücken und nach ihm zu werfen und er wurde wieder hellwach. „Kannst du auch nicht schlafen?“ Sedavo schlief also ebenfalls noch nicht. „Ich kann mich nicht an die Sternbilder erinnern. Wenn Veleda hier wäre oder Onkel Hristo, die könnten uns mehr über die Sterne erzählen.“ „Stimmt, wenn Hristo zu erzählen anfängt, fallen jedem sofort die Augen zu.“ Alle drei mussten kichern. „Fiskja, du bist ja auch noch wach?“. „Ja, jetzt wieder - aber nicht mehr lange. Gebt endlich Ruhe, ich bin wirklich hundemüde!“
            Zuletzt wickelte sich selbst Haldavvo in seine Felldecke. Ein röhrender Schnarchton zeigte an, dass er sofort in den Schlaf gefunden hatte. Euamellin merkte, dass ihm jetzt sogar das Geschrei seiner Zwillingsgeschwister recht gewesen wäre, die mit einem Wiegenlied Loubas wieder zum Einschlafen gebracht wurden. Das entfernte Schnarchen von Haldavvo und den Gefolgsleuten war nur ein schwacher Ersatz, fand Euamellin. Er versuchte sich von den Gedanken an einen Attentäter und die Eisenspitze abzulenken, indem er noch eine Weile über die letzte Sage nachdachte. Aber der Gedanke an Mord und Totschlag, Verfluchungen, Verwandlungen und die Anderswelt war auch kaum besser. Vielleicht lieber die Natur um sie herum betrachten? Die unheimlichen schwarzen Gestalten der nahen Bäume konnten ihn auch nicht gerade beruhigen. Das Leuchten der Sterne tauchte sie in ein geisterhaftes Licht. Sahen sie nicht aus wie Trolle, die ihre laubbewachsenen langen Krallen nach ihm ausstreckten? Kamen sie langsam näher? Nein, das bildete er sich sicher nur ein. Ein düsteres Stöhnen ließ ihn herumfahren. Ach so, es war nur einer der Gefolgsleute, den Haldavvos Geschnarche störte. Mit einem Ruck zog sich Euamellin die Decke über den Kopf. Schon besser…
            Plötzlich schreckte ihn ein schauerlicher Schrei von den Bäumen auf. Da rief doch einer nach ihm! Sofort sprang er auf und wollte sein Schwert ziehen, doch stolperte er über seine Lanze, deren Ende Fiskja ins Gesicht schlug. „Bei Wodan! Spinnst du oder was?“ „Da, dort in den Bäumen! Vielleicht ist es der Attentäter!“ „Was für ein Attentäter denn? Da sitzt doch nur ein Vogel.“ Euamellin ließ sich nicht so schnell beruhigen. „Ein Vogel? Das ist doch sicher ein Bote aus der Anderswelt, der mich vor meinem Tod warnen will!“ „Anderswelt?“, gähnte Fiskja gedehnt und rieb sich seine schmerzende Wange. „Blödsinn! Du hast zu viele Sagen im Kopf! Oder glaubst du etwa tatsächlich, dass manche Vögel in der Anderswelt bei den Toten sind, wenn sie nach dem Sommer wegziehen, ja?“ Fiskja lachte kurz auf. „Hör mal“, versuchte Sedavo Euamellin zu beruhigen, „das ist auch gar kein Zugvogel. Du brauchst kein böses Omen befürchten, das ist eine Eule, ein Gefährte der gütigen Muttergottheit Gabia.“ „Und wenn es die verzauberte »Blumengeborene« ist?“ „Die was?“, fragte Fiskja nach. „Wie du wieder aufgepasst hast, Fiskja! Trotzdem: Das war nur eine Sage“, versuchte ihn Sedavo zu beruhigen. „Du glaubst doch nicht wirklich, dass die »Blumengeborene« irgendwo da draußen ist, und einsam bei Nacht hier umherstreift?“ „Huhu!“ rief es wie zur Bestätigung aus dem Baum. „Hört ihr? Es ist die Verfluchte, die »Blumengeborene«, sie will mich holen, sie… AU!“ „Die kleine Ohrfeige müsste ihn wieder beruhigen“, grinste Fiskja. „Danke.“ „Bitte, gern geschehen. Weshalb eigentlich »Blumengeborene?«“ „Warum hast du denn vorhin nicht zugehört, wenn es dich interessiert?“ „Du spinnst wohl, das war auf Keltisch! Abends will ich schlafen, nicht lernen! Außerdem waren das einfach zu viel Namen und Verse. Also sagst du es jetzt oder nicht?“ „Na schön, die Mutter ihres Mannes hatte im Zorn den Fluch über ihren Sohn verhängt, dass dieser keine menschliche Frau heiraten durfte.“ „Das ist mal ein komischer Fluch. Vielleicht wollte sie ihn einfach nur schützen?“ Sedavo rollte mit den Augen. „Sehr witzig! In der Sage war es jedenfalls ein schwerer Fluch, so gar keine Frau haben zu dürfen. Und so nahmen sie die Blüten der Eiche, die Blüten des Ginsters und die Blüten des Mädesüß. Daraus erschufen sie das schönste und anmutigste Mädchen, das jemals ein Mensch erblickte. Also ich erzähle es am besten von vorn…“ Ein tiefes Knurren ließ sie herumfahren. „Ah, Haldavvo, Sohn des Leubacio. Kannst du etwa auch nicht schlafen?“ „Beim schwarzen Raben der Vagdavercustis! Gleich setzt es was! Hinlegen und Schlafen habe ich gesagt!“
[…]
[Haldavvo verlangt einen Erkundungsritt in schwierigstem Gelände. Euamellin muss eine tief eingeschnittene Schlucht empor reiten. Doch nicht nur die Hrodmelloklamm erweist sich als gefährlich. Wieder hilft jemand der Natur nach. Sedavo kann Euamellin gerade noch vor einem Sturz in den Abgrund retten. Am Rhenos begegnet er seinem Onkel Auvaljahn bei dessen Flotten- und Zollstützpunkt.
In der Nacht des neuen Mondes treffen sich die die führenden Familien der Ubier in Ubiacum und beratschlagen, was wegen der Suebengefahr zu tun sei. In der Hitze der Diskussion stößt jemand Euamellin beim Bedienen, so dass er einen zornigen Gast bekleckert. Dieser zieht blank, doch gelingt es Euamellin mit Hilfe von dessen Sitznachbar, den Krieger zu beruhigen. Aber auch Sakjo wird geschuppst, kann der Provokation jedoch nicht entgehen. Euamellin zögert nur kurz und kommt seinem Intimfeind zu Hilfe. Knapp kann er einen Totschlag und eine blutige Fehde verhindern, doch wird er am Kopf getroffen und sackt bewusstlos zusammen.]
 
[Weiterlesen bei Kapitel 4]

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.