„Welcher Gott führt dich zu mir,
altes Schlitzohr?“, fragte Lellavo, noch ganz außer Atem. „Esus natürlich. Ein
Händler hofft immer auf Reichtum. Ich bin gerade mit meinem Händlerzug
eingetroffen und kam sofort zu dir.“ Lellavo schnalzte mit der Zunge. „Sicher
bringst du wieder Wein mit aus dem Süden….“ Suartos Miene hellte sich kurz auf:
„Habe ich es jemals gewagt, ohne eine gute Amphore zu dir zu kommen?“ Darauf
verfinsterte sich sein Antlitz wieder: „Leider bringe ich nicht nur Waren,
sondern wieder schlechte Nachrichten aus dem Westen. Ariovistos hat sich jetzt
endgültig bei den Sequanern am Rhenos festgesetzt.“ Erst jetzt schien er
Euamellin zu bemerken, der immer noch fest auf der Truhe saß. Euamellin erhob
sich höflich: „Ich grüße dich, Suarto, Sohn des Curmillo.“ Suarto kniff die
Augen zusammen. „Sieh einmal an, der kleine Mann spricht Haeduisch! Hristo,
hast du ihm das beigebracht?“ Lellavo nickte und zwirbelte stolz seinen Bart.
Suarto betrachtete Euamellin interessiert und kratzte sich nachdenklich an
seinem breiten Schädel. „Sag einmal, Hristo, der sieht dir aber verdammt
ähnlich! Dazu bist du wohl stolz auf ihn und bringst ihm haeduisches Keltisch
bei… Du hast doch nicht etwa…? Komm, lass dich umarmen, du bist Vater geworden!“
Und schon drückte er Lellavo wieder so fest an seinen Pelzmantel, dass dieser
vorläufig nichts mehr erwidern konnte. Euamellin glaubte, dass er helfen und
das Missverständnis aufklären müsse. Allein schon, damit Lellavo nicht
erstickte. „Ich bin Euamellin, des Snevemin Sohn. Lellavo ist mein Onkel.“
Verdutzt hielt Suarto kurz inne, dann ließ er Lellavo los und brach in ein
brüllendes Gelächter aus: „Bruhaha. Lellavo! Hahahah! Hristo, der Kleine nennt
dich Lellavo! Bruhaha. Das mir dieser Spitzname nicht eingefallen ist, alter
»Laberer«!“ Lellavo war seinem Neffen einen drohenden Blick zu, der bedeuten
sollte »warte nur, bis der wieder weg ist - das klären wir noch«. Suarto schlug
sich derweil vor Lachen auf die Schenkel, stolperte über den Löffel am Boden
und fing sich ab, indem er sich auf dem kleinen Holztischchen niederließ. Zu
klein für dessen Gewicht, denn der Tisch zerbarst krachend in seine
Einzelteile. Suarto saß zwischen den geborstenen Holzbrettern auf seinem
Hinterteil und machte ein dermaßen überraschtes Gesicht, dass auch Lellavo und
Euamellin lachen mussten. Als sie versuchten, dem Gast aufzuhelfen, spannte
Suarto jedoch kurz seine mächtigen Oberarme an, worauf alle drei lachend zu
Boden purzelten. Suarto wischte sich das Wasser aus den Augen. „Wann habe ich
zuletzt so gelacht? Bei allen Göttern, tut das gut, einmal wieder Tränen zu
lachen. Der Weg hat sich schon gelohnt...“
[…] Euamellin fand seinen Vater am
Flussufer. Er stand breitschultrig mit verschränkten Armen in Richtung Fluss
und musterte seine Schwimmer. Seine langen Haare und sein Umhang wehten in der
leichten Sommerbrise. Der Mantel zeigte die Farben der Sippe des Staveno,
blau-rot gewürfelte Wolle mit cremefarbenen Fransen. Sein Schwert hatte er
dagegen von seinem chattischen Vater Battavo. Neben ihm lehnte Haldavvo auf
seinem Schwert. Dieser war nicht ganz so muskulös und groß, dafür ungefähr
genauso alt wie Snevemin, noch nicht ganz Vierzig, und mit Snevemin sehr eng
und lange befreundet. Ein starker Unterkiefer dominierte sein kantiges Gesicht.
Haldavvo beherrschte weniger das Kämpfen als vielmehr die Kunst, berittene
Krieger als gleichförmige Einheit zu lenken. „Gute Arbeit, ich glaube, sie sind
soweit…“, murmelte er anerkennend. Snevemin nickte, ohne den Blick abzuwenden.
Ein wenig abseits saß ein o-beiniger
Mann mit mürrischer Miene im Sattel und grunzte nur abfällig: Henakian, des
Friatto Sohn - er gehörte zu einer der einflussreichsten Adelsfamilie der
Oberstadt und kümmerte sich darum, den Kampf zu Pferde zu lehren. Henakian war
mindestens einen Kopf kleiner als Euamellins Vater. Der steigt wohl nur sehr
nur ungern vom Pferd, wenn große Männer dabei sind, dachte Euamellin. Dafür ist
er wieder gut herausgeputzt. Trotz der Hitze trug Henakian wie immer einen
Helm, dazu einen Kettenpanzer mit silbernen Nieten und einen makellos
gestutzten dunklen Schnurrbart. Sein Ross war reich geschmückt. Besonders
beeindruckte Euamellin das mit Bronzenieten und Anhängern dekorierte lederne
Zaumzeug: […] An der Kante zwischen Stirnriemen und Backenstück baumelte an
jeder Seite ein Triskelen-Anhänger. Die Variante dieses keltische Symbols war
ein Kennzeichen seiner Sippe: Ein symmetrisch angeordneter Dreierwirbel in
einem Kreisring, der nach unten in drei Tropfen der Gischt einer Meereswoge zu
zerfließen schien.
„Was glotzt du denn da so blöde, du
Bengel!“ herrschte Henakian Euamellin an und legte drohend seine Hand auf den
Schwertgriff. Milmass, der Euamellin inzwischen wieder eingeholt hatte,
fletschte die Zähne und knurrte. Haldavvo und Snevemin drehten sich langsam um.
„Mein Sohn wollte sicher nicht respektlos erscheinen, Henakian, Sohn des
Friatto. Fasse einfach seine Aufmerksamkeit dir gegenüber als Wertschätzung
auf.“ Euamellin grüßte mit einer besonders tiefen Verbeugung. Haldavvo musste
breit grinsen und wandte sich schnell Euamellin zu: „Man hat mir gesagt, dass
du das Schwimmtraining für heute ausfallen lassen durftest. War dir denn so
langweilig, das du trotzdem kommst, Sohn des Snevemin?“ Euamellin errötete.
Damit das nicht auffiel, beugte er sich schnell zu seinem Hund hinab und
kraulte ihm den Nacken. Er wusste, dass diese Anspielung auf Lellavo zielte,
wollte aber vor Henakian nicht schlecht über seinen Onkel reden: „Nein im
Gegenteil, es war sogar sehr aufregend. Onkel Hristo hat mich hervorragend
unterhalten. Ich habe sogar einen Auftrag von ihm.“ Haldavvo runzelte die
Stirn. „Ein Auftrag von deinem Onkel? Und du bist dir sicher, dass du nicht
einfach nur schwimmen gehen wolltest?“ „Hmpf, lass ihn ausreden“, unterbrach
ihn Henakian, „das interessiert mich. Hristo, des Staveno Sohn hat also einen
Auftrag für uns?“, fragte er höhnisch nach. „Ja – oder nenne es eher eine
Information oder eine Bitte, wenn du willst. Es gibt wichtige Neuigkeiten aus
dem Westen. Ihr müsst den Rat zusammenrufen.“ Das wollten die drei Männer dann doch
genauer wissen. Euamellin brauchte nicht lange, um das Wesentliche zu
berichten. „Solange Ariovistos dafür Zeit hat, wird er sicher versuchen, seine
fernen Verbündeten wieder stärker an sich zu binden“. kommentierte Snevemin. „Hristo
hat Recht, wir müssen uns beraten. Ist er schon in der Oberstadt unterwegs, um
den Rat zu versammeln?“ Euamellin nickte: „Du sollst die Chatten einladen,
daran teilzunehmen.“ Snevemin streckte Henakian seinen rechten Arm zur Geste
der Freundschaft entgegen „Edler Henakian, Sohn des Friatto, würdest du mich zu
den Chatten in Ubiacum begleiten, als erhabenster Vertreter des ubischen Adels?“
Henakian grunzte zunächst zögerlich, konnte dann aber nicht umhin, sich
geschmeichelt zu fühlen und nahm den Arm schließlich an, wobei sich die Hände
um die Ellenbogen legten. „Gut, reiten wir.“
[…]
Am nächsten Tag wurde Euamellin
schneller wach als gewöhnlich. Als er prustend und nach Luft japsend in die
Höhe schoss, erblickte er noch den Kessel, aus dem der kräftige Regenguss
gekommen sein musste. Gehalten wurde er von zwei dicken Oberarmen, dahinter
leuchteten ein paar flachsblonde Strähnen. Neben dem Kessel stand die drahtige
Gestalt seines Freundes Sedavo, der sich fröhlich Wasserspritzer aus seinen
hellbraunen Haaren schüttelte. „Deine Mutter hat gesagt, du hast auf ihr
Zurufen nicht reagiert und wir dürfen dich so wecken, wie wir wollen“, erklärte
Fiskja mit schelmischem Grinsen. Er stellte den Kessel ab und kam nun zur Gänze
zwischen den Oberarmen zum Vorschein. „Ja, die Hauptsache wäre, du wachst auf“,
ergänzte Sedavo. Der Schwall der mehrsprachigen Schimpfwörter, mit dem
Euamellin nun seine Freunde übergoss, hätte jedem Kenner chattischer, ubischer,
haeduischer und griechischer Sprache helles Vergnügen bereitet. Besonders die
Kreativität, mit der er anstößige Wortbestandteile aneinanderreihte, trieb
seinen Freunden Tränen der Freude in die Augen. „Schade, dass das niemand
aufgeschrieben hat“, meinte Sedavo anerkennend, als der Schwall der Flüche
abgeebbt war, „für Gespräche zwischen den Stämmen wäre das wärmstens zu
empfehlen.“ „Wärmen, das wäre eine gute Idee!“ Euamellin schüttelte sich
fröstelnd. „Warum habt ihr das Wasser nicht wenigstens vorher warm gemacht?“ „Verschwendung
guten Feuerholzes“, meinte Fiskja trocken und reichte Euamellin ein Wolltuch.
Von außerhalb des Zimmers näherten sich Schritte. „So schön habe ich ja schon
lange niemand mehr aus dem Bett steigen sehen“, begrüßte ihn seine Schwester,
die lachend um die Ecke kam. „Stimmt, das war wirklich eine gute Idee, Veleda!“,
bedankte sich Fiskja artig. Veleda schwenkte schnell abwehrend ihre Zeigefinger
übereinander und machte hastig ein paar Schritte rückwärts. „DU hast also….? Na
warte, das bekommst du zurück!“ „Wehe,
ich bin eine Seherin! An mir darf sich niemand vergreifen, weder Mann noch
Frau, weder Kind noch König…!“ Doch sie hatte die letzten Worte kaum beendet,
da hatte sich Euamellin bereits fest an seine Schwester gedrückt, um auch sie
am kalten Wasser teilhaben zu lassen. „Du kleiner Frevler!“, kicherte sie, „Na,
da werde ich mich wohl umziehen müssen“, und verschwand fröhlich im Gang,
nachdem sie Euamellin noch einmal durchs nasse Haar gestrichen hatte. „Schön“
meinte Euamellin und schüttelte sich wie ein nasser Hund, „aber warum seid ihr
überhaupt hier?“
Seine Freunde ließen sich nicht
lange bitten. Offenbar hatte man schon am frühen am Morgen die Beratungen
wieder aufgenommen und folgenden Kompromiss getroffen: Vor endgültigen
Entscheidungen sollten zuerst die Vertreter aller führenden Familien des gesamten
Ubiergebietes tagen. Für den Fall, dass dabei ein Thing aller freien Ubier und
mitsiedelnden Chatten beschlossen werden sollte, könnten die Stammeshäupter
schnell bei der großen Einberufung mithelfen. Als Termin für das Treffen hatte
man die Nacht des nächsten neuen Mondes festgesetzt. In alle Richtungen sollten
Boten ausreiten, zu den anderen befestigten Höhensitzen - den Oppida, wie auch
zu einzeln verstreut liegenden Dörfern und Höfen, wo die meisten Ubier wohnten.
„Schön und gut“, unterbrach Euamellin, „aber ich sehe immer noch nicht, was
ihr…“ „Die auszubildende Jungmannschaft soll als Übungsritt die Ubier am Rhenos
benachrichtigen.“ berichtete Sedavo aufgeregt. „Ja, weißt du was das bedeutet?
Wenn wir uns bewähren, können wir die Mannbarkeitsprüfung bestehen“, ergänzte
Fiskja freudig. „Du kannst die nassen Sachen übrigens ruhig anbehalten. Wir
sollen dich zur Schwimmprüfung in voller Montur abholen.“
Euamellin fröstelte ein wenig in
seinen nassen Kleidern, als sie zur Loneta hinabritten, aber das störte ihn
nicht weiter. Eben so wenig, dass ihm sein Hund diesmal nicht folgen durfte.
Dafür würde er nun zum ersten Mal wie ein Krieger gekleidet werden. Die Schwimmprüfung
entschied, wer den Übungsritt mitmachen durfte und wer nicht. Dazu musste man
in voller Rüstung und Bewaffnung den Fluss einmal mit Pferd und einmal ohne
schwimmend überqueren. Unten am Fluss war die Prüfung bereits in vollem Gange.
Haldavvo, Snevemin und Henakian hatten sich hoch zu Ross am anderen Ufer
aufgestellt. Mit Blick auf den alles überragenden Dünsberg musterten sie die
Kandidaten mit unbeweglicher Miene. Der junge Sakjo stieg gerade unter dem
Jubel der Gefolgsleute seiner Familie vom Pferd. Seine Stallknechte traten
hinzu und nahmen unterwürfig Speer, Schild und Schwert entgegen und halfen ihm,
das Kettenhemd abzulegen und die pitschnassen Kleider auszuziehen. „Na, kleiner
Suebe“, rief er Euamellin zu, „auch schon wach?“ Damit konnte er Euamellin
diesmal nicht aus der Ruhe bringen. Er sah über die Provokation kalt lächelnd
hinweg. Schließlich hatte er seinem Vater etwas versprochen. Sakjo setzte nach
und wies mit der ausgestreckten Handfläche auf die Schar der Jugendlichen, die
nass und niedergeschlagen auf dem Boden kauerte. Offensichtlich hatte man sie
bereits aus dem Wasser ziehen müssen. „Na, dann wollen wir mal sehen, ob du
dafür nicht doch noch zu klein bist.“ Er fing an, hämisch zu lachen. Seine
Gefährten machten mit und zeigten in gespielter Angst auf das Wasser.
Euamellin ballte die Fäuste. Man
konnte deutlich spüren, wie er zunehmend ärgerlich wurde. „Nur die Ruhe!“,
mahnte Sedavo. „Spar dir deine Kräfte für die Prüfung.“ „Wenn der meint, dass
ich mich so leicht verunsichern lasse, dann ist er noch dümmer als ich dachte!“
Doch als sie versuchten die Kettenhemden anzulegen, wurde Euamellin schon ein
wenig mulmig. Bereits ein Schwert war sehr teuer, ein Kettenhemd jedoch selbst
für manchen Adligen unerschwinglich. Nur wenige Jungen kannten sich folglich
mit diesem Panzer aus Eisen- und Bronzeringen aus. Darüber hinaus hatte
Snevemin die Order ausgegeben, dass ihnen weder Stallknechte noch Gefolgsleute
beim Anlegen helfen dürften. Es war gar nicht so einfach, alleine zu Recht zu
kommen. Da sie bisher noch kein Anrecht auf eigene Waffen hatten, lagen keine
auf ihre Größe angepassten, fertig vernieteten Panzer bereit. Stattdessen hatte
man schadhafte und rostig gewordene Rüstungen vorbereitet, die nicht ringsum
geschlossen, sondern an der Seite offen waren. Die Jungen halfen sich
gegenseitig, die provisorischen Kettenhemden an den Seiten und der Schulter
festzustellen. „Schade“, murmelte Sedavo. „ich hätte lieber auch so ein schönes
neues getragen, wie Henakian. Die rostigen Ringe kratzen. Man spürt sie selbst
durch den Kittel hindurch!“ „Sei lieber froh, dass du nicht den Panzer von
Henakian tragen musst“, winkte Euamellin ab, als er Sedavos Kettenhemd zu
schließen versuchte. „Die fertigen Dinger wären selbst für mich viel zu groß
gewesen. Schau mal, bei dir muss man ja gleich mehrere Schichten übereinander
wickeln, bevor man die Lederriemen festzurren kann!“ Als Euamellin und Fiskja
los ließen und Sedavo das ganze Gewicht allein zu spüren bekam, fiel er
unversehens auf seinen Hintern. „Bei allen drei gavasinischen Muttergottheiten!“,
stöhnte er, „Ist das Ding vielleicht schwer!“
Schließlich hatten sie alle die
Rüstungen angelegt. Dermaßen verpackt boten die Jungen zunächst einen etwas
seltsamen Anblick. „Euamellin, du siehst ja aus wie eine Presswurst in der
Pelle!“, spottete Fiskja. „Lach nur, du siehst auch nicht viel besser aus“,
konterte Euamellin. Sedavo hielt den Blick verschämt zu Boden geheftet, als
würde ihn das Gewicht immer weiter nach unten ziehen. „Schwerter, Lanzen und
Schilde sind auch viel leichter zu handhaben.“ „Kein Wunder, wozu hätten wir
uns denn sonst lange zuvor im Kampftraining beweisen sollen.“ „Oh, schaut, was
da bereit liegt!“ Mit glänzenden Augen hängte sich Fiskja ein richtiges Schwert
um. Ehrfürchtig taten es die anderen ihm gleich. Der blanke Stahl fühlte sich
kühl an. Ein erhebendes Gefühl! Niemand sagte mehr ein Wort. Keiner wagte es,
die Erhabenheit des Augenblicks zu entweihen. Überaus stolz und mit erhobenem
Haupt schritten sie zu ihren Pferden. So sahen zukünftige Krieger Ubiacums aus.
„Euamellin, Sohn des Snevemin!“,
donnerte die Stimme Haldavvos über das Ufer. „Tritt vor und beweise dich. Wähle
nun.“ Sicher hinüberzuschwimmen hielt Euamellin für eine Kleinigkeit. Lieber
zuerst den komplizierteren Teil hinter sich bringen. Also zuerst zu Pferde.
Als er die Uferböschung hinabritt, betrachtete er überrascht die Fluten vor
sich. Die bräunliche Farbe des Flusses und der gestiegene Pegel waren ihm
vorhin noch gar nicht aufgefallen. Die Gewitter der vergangenen Tage mit ihren
kräftigen Regengüssen hatte die Loneta unmittelbar danach nicht viel verändert.
Nun aber schoss der Fluss gefährlich schnell dahin, angeschwollen von den
Zuflüssen der Bäche aus den Mittelgebirgen. „Mögen dir alle drei amfratninischen
Muttergottheiten gewogen sein!“, wünschte ihm Sedavo Glück. „Na los, zeig es
ihnen!“, feuerte ihn Fiskja an. Euamellin lenkte seinen Hengst kurzentschlossen
in die Fluten und ließ seinen Kriegsschrei ertönen: Iiiii-Jajajah! Das Tier
scheute zunächst ein wenig, gab dann dem sanften Druck von Euamellins Fersen
nach. Vorsichtig trieb er sein Pferd an. Er durfte nicht zu langsam sein, um
die Schwimmprüfung zu bestehen. Ein leises Wiehern zeigte ihm an, dass der
Hengst keinen Grund mehr unter den Hufen hatte. Euamellin ließ sich mit einer
Linksdrehung ins Wasser gleiten, wobei er mit seiner Rechten krampfhaft Speer
und Schild festhielt. Die Strömung trieb ihn ein wenig ab, aber alles ging gut.
Als er spürte wie das Tier auf Grund trat, zog er sich über die Mähne mühsam
wieder in den Sattel. Triumphierend trabte er ans andere Ufer und grüßte
ehrerbietig seinen Vater, Haldavvo und Henakian. Dann wendete er sein Pferd und
stieg erneut in den Fluss.
Geht ja besser als ich dachte,
freute sich Euamellin auf dem Rückweg. Er suchte mit den Augen seine Freunde
und versuchte, ihnen zuzuwinken, als er plötzlich so hart in die Rippen
getroffen wurde, dass ihm die Luft wegblieb. Nur einen winzigen Moment lang war
er unaufmerksam gewesen, doch das hatte gereicht, dass er die Mähne losließ und
unter Wasser geriet. Jetzt keine Panik, war wohl nur ein Stück Treibholz. Zum
Glück wurde er gegen die flussaufwärts gerichtete Flanke des Pferdes gedrückt
und da er die Lanze senkrecht nach oben hielt, konnte er sich zunächst noch
halten. Doch das Kettenhemd war zu schwer. Beim verzweifelten Versuch, wieder
an die Oberfläche zu kommen, rutschte er dann doch unter seinem Pferd durch,
stieß sich aber mit der Lanze auf dem Grund ab. Im letzten Moment bekam er
seinen langen Sattelgurtbeschlag zu fassen, der auf der anderen Seite auf der
Strömung tanzte. Irgendwie gelang es ihm mit allerletzten Kräften, sich gegen
den Strom wieder direkt ans Pferd zu ziehen und die Mähne zu fassen. Euamellin
prustete und spuckte. Er warf einen Blick auf seine gefühllos gewordene linke
Hand: Schild und Speer waren noch immer vorhanden. Er hatte nicht losgelassen.
Mit übermenschlicher Gewalt hievte er sich wieder in den Sattel. Am anderen
Ufer stand Sedavo mit offenem Mund. Zuerst erschrocken und jetzt jubelnd, als
es Euamellin wieder zurück geschafft hatte. Mit weichen Knien und zitterten
Armen ließ sich Euamellin auf die Wiese gleiten.
Doch noch war es nicht vorbei. Es
fehlte noch die Schwimmprüfung ohne Pferd. Euamellin atmete tief durch und
versuchte, wieder zu Kräften zu kommen. Sedavo beugte sich besorgt über ihn. „Euamellin,
du bist ja völlig erschöpft! Das ist es nicht wert! Niemand wird schlecht über
dich denken, wenn du jetzt aufgibst. Jeder hat gesehen, wie tapfer du gekämpft
hast. Dein Ehre ist intakt, gib lieber auf und versuche es nächstes Jahr noch
einmal!“ Da stieß ihn Euamellin wortlos zur Seite, packte die Waffen und
stürmte mit einem letzten kehligen Schrei in den Fluss: Jaaa-ah! Das Gewicht
des Kettenhemdes drohte mehrfach, ihn nach unten zu ziehen, aber er schaffte
den Hinweg gerade noch so. Jetzt war er fast am Ende mit seinen Kräften, vor
allem in den Armen. Was nun? Aufgeben kam für ihn nicht in Frage. Dann kam ihm
eine Idee: Er legte sich vorsichtig selbst auf den Schild, so dass er ihm
Auftrieb gab, setzte den Speer längs dazu und paddelte mit den Beinen wie
hinter einem kleinen Kahn. Es gelang! Keuchend stieg er mit allerletzer Kraft
und kreidebleichen Lippen aus dem Wasser. Völlig erschöpft, vollkommen
durchnässt, aber überglücklich fiel er rücklings ins Gras.
Das ist wirklich ein beeindruckender Blog mit viel Hintergrund- und Detailwissen der damaligen Zeit, wunderbar in einen packenden Abenteuer Roman verpackt.
AntwortenLöschenIch hatte bisher gedacht, dass die Germanen nackt gekämpft haben, um ihre Verachtung für den Gegner zu demonstrieren. Die Prüfung der Jungs findet allerdings in voller Rüstung mit Kettenhemd, Panzer und so weiter statt. Ich wusste nicht, dass die Germanen solche Rüstungen hatten beziehungsweise verwendeten.
Aber ich kenne mich mit der Kultur der Germanen nicht so aus. Gab es das überhaupt? Oder waren das vielleicht eher ritualisierte Kämpfe zum Beispiel aus kulturellen / religiösen Gründen, bei denen sie nackt waren?
LG
Roy
Mit der Todesverachtung nackiger Nordbarbaren sind Sie sich mit der älteren Forschung durchaus einig. Für die Plänkel-Einheiten der Berserker ist dies auch nicht von der Hand zu weisen, da ging es auch um religiösen Trance-Zustand und psychologische Kriegsführung (den Gegner schon zu Beginn oder noch davor mächtig zu beeindrucken, indem man völlig nackte und muskulöse Einzelkämpfer vor die vorderste Schlachtreihe treten lässt und prahlerisch zum Zweikampf herausfordert).
LöschenDie meisten Germanen kämpften jedoch nicht nackt, auch wenn Eisen in Germanien seltener und teurer war. Bei Tacitus kann man lesen, dass der Verlust des Schildes so gravierend war, dass man aus dem Stamm verstoßen wurde, sollte man diese (obwohl billige) der Schutzwaffe der einfachen Krieger auf dem Schlachtfeld weggeworfen haben. Adlige oder reichere Germanen kennen durchaus Helme (z.B. Typ Vendel), Panzerhemden und Schwerter.
Die Prüfungen, die hier beschrieben werden, beziehen sich auf die Crème de la Crème der angehenden Reiterkrieger der keltisierten Ubier (die Kelten gelten als "Erfinder" des Kettenhemdes). Wer hier dazugehören wollte, musste sich zuallererst einmal ein teures Pferd leisten können und die Waffen obendrein… Wer den finanziellen Spielrahmen hatte und die Ausbildung schaffte, der gehörte dann zur Elite antiker Reitereinheiten: Die Ubier waren berüchtigt für ihre Fähigkeit, kampfbereit und in voller Montur und Rüstung Flussüberquerungen durchführen zu können - sie und v.a. der Stamm der Bataver tauchen dazu noch immer wieder bei Kommando-Unternehmungen und als Kampfschwimmer in den antiken Quellen auf.
Für die große Masse der Truppen folge ich einer neueren Theorie. Zwischen Kampf- und Alltagskleidung gab es bei den Kelten und Germanen offenbar gar keinen Unterschied, das Gros des Fußvolks hatte tatsächlich außer Schilden keine großartige Rüstung oder Wechselklamotten (weder mit dabei, noch zu Hause). Eine interessante Deutung aus der keltischen Archäologie vermutet nun, dass sich mancher Kelte die Kleidung auszog, um die kostbare Tracht nicht beschmutzen zu lassen – weder aus wilder Trance, noch aus Todesverachtung. Dennoch war Krieg und Kampf stark ritualisiert, mit vielen symbolischen Gesten und Handlungen aufgeladen.
Interessanterweise investieren die Söldner der frühen Neuzeit (v.a. der Religionskriege) den größten Teil ihres Gehalts in die allerneuste und teuerste Kleidung, die sie finden können, um damit zu protzen, wie Jugendliche beim Posen vor der Disco oder beim Cruisen. Die tragen sie dann auch in der Schlacht (und nziehen sie nicht aus). Im Christentum kommt man wohl weniger auf die Idee, aus religiösen Gründen nackend zu kämpfen…