Bei
Erwachsenen sollen für eine sichere Diagnose in beiden Bereichen jeweils fünf
von neun Symptomen erfüllt sein. Bei Kaiser Claudius sind es bei der Unaufmerksamkeit
mindestens sieben von neun Symptomen und bei der Hyperaktivität mindestens acht
von neun.
Dazu
scheint Claudius noch an Begleit- und oder Folgeerkrankungen von ADHS zu
leiden: Angststörungen, verzögerten Schlafphasen, Substanzmissbrauch und
Störungen des Sozialverhaltens.
In
Wikipedia heißt es über ADHS bei Erwachsenen: „Nach einer Studie in den Niederlanden von 2013 waren von 202
erwachsenen ADHS-Patienten 26 % gleichzeitig vom verzögerten Schlafphasensyndrom (Delayed sleep-phase
disorder, DSPD) betroffen. In einer Kontrollgruppe von 189 Nicht-Patienten trat
DPSD dagegen nur mit einer Häufigkeit von 2 % auf. Darüber hinaus war bei
den ADHS-Patienten insgesamt der Schlaf kürzer, die Einschlafphasen länger, und
die Mitte des gesamten Nachtschlafs später“.
Auch
dies ist bei Sueton für Claudius überliefert: Kaiser Claudius braucht länger
zum Einschlafen und schläft nicht vor Mitternacht, seine Nachtruhe ist „überaus
kurz“, am Morgen ist er dann so müde, dass er vor Gericht einschläft und ihn
die Anwälte kaum wecken können, wenn sie absichtlich laut werden (→ Suet.Claud. 33).
Im sozialen Umgang eckt Claudius durch seine Verhaltensweisen schon seit seiner Kindheit
an, was Mutter und Großmutter heftig gegen ihn einnehmen lässt (→ Suet.Claud.3,2). Seine Berichterstatter kritisieren seine „kalten“ oder weit hergeholten
Witze, die wohl nicht immer zur Belustigung beitragen (→ Suet.Claud. 21).
Substanzmissbrauch wie mit Alkohol ist bei
ADHS signifikant höher als ohne. Dies trifft auch auf Claudius zu (→ Suet.Claud.
5; → Suet.Claud.33: vini appetentissimus). Seine
Selbstbeherrschung ist eindeutig gestört, teilweise sogar wie aus dem Lehrbuch
für ADHS bei Erwachsenen: „Sie wirken auf ihre Umgebung, als würden sie
nicht nachdenken, bevor sie handeln oder sprechen“ (→ Wikipedia, s.v. ADHS bei Erwachsenen).
Ebendas schreibt auch Sueton über Claudius (→ Suet.Claud. 40): ut nec
quis nec inter quos, quove tempore ac loco verba faceret, scire aut cogitare
existimaretur.
Angststörungen sind ebenfalls zu
vermuten, nihil aeque quam timidus ac diffidens fuit, schreibt Sueton (→
Suet.Claud. 35).
Auffällig ist auch eine positive Eigenschaft, die
ADHS-Betroffenen zugeschrieben wird: der Hyperfokus, mit dem sie sich wie im Flow besonders lang ausdauernd auf einen
Gegenstand konzentrieren können, der sie fasziniert. So haut es Kaiser Augustus
vor Überraschung glatt vom Stuhl, dass sein Enkel ihn mit einer Rede
beeindruckt: Wo Claudius ständig so „unklug“ spricht, weiß er „klug“ zu
überzeugen, wenn er sich konzentriert (→ Suet.Claud. 4,6).
Ist Claudius von einer Aufgabe eingenommen, die ihm
gefällt, dann zeigt er eine im Vergleich zu sonst lang andauernde,
kontinuierliche ungewöhnliche und hervorragende Planungs- und
Organisationsfähigkeit. Beispiele hierfür sind die Planung und Umsetzung von
Bauwerken wie Wasserleitungen, der Abzugskanal des Fuciner Sees zur
Trockenlegung und die Hafenanlage von Ostia, wozu er sogar Berge durchstechen
ließ und einen Leuchtturm nach der Art des Pharos von Alexandria errichten ließ
(→ Suet.Claud.20).
An der Komplexität dieser Aufgaben waren zuvor mehrere gescheitert, selbst G.
Julius Caesar und zwar wiederholt (ebd.).
Bei der Diagnose der Hyperaktivität sollte man also
nicht nur an Negatives denken. Außer zu kreativen Leistungen sind Menschen mit
ADHS auch zu großen Taten und kontinuierlichen Planungsleistungen fähig – wenn sie
eine Aufgabe fasziniert…
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