Die „Rufus“-Reihe soll jeder verstehen und genießen können, Jugendliche und Erwachsene, Studierte und Nichtstudierte. Wer sich im Roman auf fremde Welten einlässt, der wird auf unterhaltsame Weise ganz automatisch kennenlernen, was die damalige Zeit so alles zu bieten hatte - und lernt beim Lesen wie von selbst. Alles so authentisch und historisch korrekt wie möglich zu erzählen und dabei spannend zu bleiben, das ist mein Ziel.
Die „AMORES - Die Liebesleiden des jungen Ovid“ sind dagegen nicht immer ganz jugendfrei (wie auch die Originalverse Ovids und seiner Zeitgenossen). Der Laie kann sich über die „moderne“ Sprache & Handlung freuen, der Fachmann über zahlreiche Anspielungen und intertextuelle Scherze.
Auf dem Blog zeige ich einen Blick hinter die Kulissen. Dabei gebe ich auch Hintergrundinformationen über Politik und Alltagsleben der späten Republik und frühen Kaiserzeit in Rom und einiger Kelten- und Germanenstämme.
Feste Probeleser aus verschiedensten Altersgruppen haben bereits die ersten Bände gelesen. Die Rückmeldungen setze ich um. Sehr gute Feedbacks kamen dabei nicht nur von Universitätsprofessoren und anderen Fachleuten sondern gerade auch von Schülerinnen und Schülern - vielleicht demnächst auch von dir? Gerne nehme ich jede gute Anregung auf (Rufus.in.Rom@gmail.com)...

Freitag, 31. Mai 2019

"Unser Kaiser, der Spast" – Woran litt Kaiser Claudius? (II)


Betrachtet man die Beschreibungen des Äußeren des Kaisers, so fällt auf, dass einerseits von einer schönen Gestalt gesprochen wird, ein ansprechender Körperbau und ein hübsches Gesicht, kurz eine ehrenhafte Erscheinung (→ Sueton, de vita Caesarum, divus Claudius 30) – solange er saß, lag oder stand.
Vor allem im Gehen und auch sonst soll ihn vieles geradezu „entehrt“ haben (→ ebd.), der unsichere Gang, vermutlich mit spastischen Lähmungen, Speichelfluss bis hin zu Schaum vor dem Mund, Triefnase, gelegentliches Anstoßen der Zunge und Kopfzittern.
Heute würde man denken „wenn es nichts Schlimmeres ist…“ Wieso wird Claudius deswegen so herabgesetzt? Nun sind Römer traditionell unsensibel, was schon ihre Namensgebung verrät (offizielle redet man Mitbürger mit Spitznamen wie Verres – Wildsau, Crassus – Fettsack, Claudius – Hinkebein an). Doch gehen die Römer noch weiter: Selbst der Philosoph Seneca d. J. lässt sich in seiner „Verkürbissung des Kaisers Claudius zu Behindertenverhöhnung unterster Schublade herab (→ Lucius Annaeus Seneca, Apocolocyntosis). Doch sich bei Nero mit dieser Attacke gegen Claudius einzuschleimen, bringt keinen langfristigen Erfolg, am Ende steht der Tod in der Badewanne, wie von Nero befohlen… Was die Mitmenschen des Kaisers Claudius nun im Wesentlichen zu stören scheint, sind die Symptome vieler Kinderlähmungen mit spastischen Lähmungen, wie sie unter „Little Krankheit“ zusammengefasst werden. Im folgenden Abschnitt wörtlich zitiert aus: Psychrembel, Klinisches Wörterbuch, Berlin 1982(254), S.689 und durch Vergleiche mit Textstellen über Claudius und Erklärungen (in der Darstellung in eckigen Klammern [      ] erweitert):

„Little Krankheit: „(Will. John; Chirurg 1810-1894) u.a. als Sammelbegriff für viele Kinderlähmungen gebraucht. Zu der Littleschen Krankheit im eigentlichen Sinne zählen die meist angeb. doppelseitigen Formen der infantilen Cerebrallähmung (Diplegia spastica infantilis [vgl. → Sueton, de vita Caesarum, divus Claudius 30: ingredientem destituebant popliti minus firmi]) mit spastischer Paraparese der Beine oder sämtlicher Gliedmaßen [i.e.: spastische Lähmungen].
Symptome: Ganglähmung durch Adduktorenspasmus, Hypertonie der Muskulatur [= starke Muskelspannungen], Pes equinovarus [spezielle Art von Klumpfuß] [vgl. → Sueton, de vita Caesarum, divus Claudius 21, 6: foeda vacillatione; (→ Lucius Annaeus Seneca, Apocolocyntosis 5, 2-3: pedem dextrum trahere], pathol. Reflexe (Babinski usw.) [i.e.: spastische Reflexe], Reflexsteigerungen [vgl. → Sueton, de vita Caesarum, divus Claudius 30: caputque cum semper tum in quantulocumque actu vel maxime tremulum], choreatisch-athetotische Erscheinungen [i.e.: „schlänkernde“ Bewegungen, die Gegenmuskulatur ist hierbei zu schwach um auszugleichen], epileptische Anfälle. Ätiol.: Pränatale Hirnschädigungen (Encephalitis, Porencephalie [i.e.: Lückenbildung in der Hirnsustanz], Lues [i.e.: Synonym für Syphilis]), Frühgeburt [vgl. → Sueton, de vita Caesarum, divus Claudius 2,1 - 3, 2], Mehrlingsgeburt, Hirnblutung bei erschwerter od. verzögerter Geburt.“

Untersuchungsbefund & Kaiser Claudius
Auf eine mehrere Monate andauernde Phase wechselnder, lage- und reizabhängiger Tonussteigerungen (Tonus hier: Muskelspannung) folgt schließlich die eigentliche Spastizität. In manchen Fällen treten auch unwillkürliche Bewegungen auf (vgl. die Zuckungen des Claudius, über die sich gerade Seneca so lustig macht (z. B. → Seneca,Apocolocyntosis 5, 2-3).
Dazu kommen manchmal epileptische Krampfanfälle. Bei manchen führen mehr oder weniger ausgeprägte agnostische und apraktische Symptome (Auffälligkeiten im Erkenntnis- und Handlungsbereich) unter anderem schon im Kindesalter zu einer Störung der Feinmotorik (vgl. → Seneca,Apocolocyntosis 6, 2: illo gestu solutae manus, et ad hoc unum satis firmae), des Zeichnens und der räumlichen Erfassung. Diese Kinder wirken oft tollpatschig, ungeschickt aber motorisch unruhig. Oft auch choreiforme Bewegungen (i.e. Veitstanz: schnelle unwillkürliche Kontraktionen einzelner wechselnder Muskeln oder Muskelpartien; dadurch entsteht das Bild allgemeiner motorischer Unruhe und ständigen Grimassierens (vgl. → Sueton, devita Caesarum, divus Claudius 30: risus indecens)); unwillkürliche Grunzlaute (vgl. Quelle → Seneca, Apocolocyntosis, 5, 2-3: vocem nullius terrestris animalis sed qualis esse marinis beluis solet, raucam et implicatam). Letztere können aber willentlich unterdrückt werden und verschwinden bei Intentionsbewegungen (vgl. Quelle → Sueton, de vita Caesarum,divus Claudius 4, 6): Nam qui tam ἀσαφῶς loquatur, qui possit cum declamat σαφῶς dicere quae dicenda sunt, non video). Die gute Intelligenz steht meist im Gegensatz zu spärlichen Leistungen in praktisch-manuell orientierten Testen (vgl. ebd.: Tiberium nepotem tuum declamantem potuisse, peream, mea Livia, nisi admiror). Sprachliche Beeinträchtigung durch spastische Mundmotorik (vgl. → Sueton, de vita Caesarum,divus Claudius 30-31: linguae titubantia).

Kaiser Claudius litt demnach an spastischen Lähmungen. Dies erklärt viele der äußerlichen und körperlichen Auffälligkeiten, wie sie der Nachwelt überliefert sind.
Dies hat ihm bei seinen Zeitgenossen selbst im engsten Vertrautenkreis viel grausamen Spott und Hohn in einer Form eingebracht, die heute in unserem Kulturkreis eigentlich undenkbar wäre.
Doch leider ist dies noch nicht alles. Zu geistigen Beeinträchtigungen im nächsten Post…

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