Ähnlich wie schon zuvor Lucius Sulla und danach Gaius Julius Caesar entstammt auch Lucius Sergius Catilina erstklassigem altem
– aber hoffnungslos veramten Adel. Völlig pleite gestaltet sich eine politische
Karriere schwierig und so müssen viele geliebte Familienerbstücke draran glauben.
Leider sprechen die Quellen nur von seiner ausgefallenen Kleidung, Bartmode und
den Feiern sowie den Partygästen der römischen Jugend. Über seine Wohnungseinrichtung
verliert niemand ein Wort. Wie das ehemals prunkvolle Anwesen der Lucii Sergii auf
dem Palatin ausieht, habe ich mir in Rufus
– Catilina und die Jugend in Rom überlegt. Im Folgenden aus Kapitel 6:
„Curio, Antonius, Pollio! Das hätte ich
mir auch gleich denken können, das ihr das seid, die nichts ganz lassen
wollen.“ Der muskulöse Mann musterte sie mit in die Hüften gestemmten Händen
und einem freundlichen Lächeln. Seinen kräftigen Unterkiefer und seine
Oberlippen zierte der gleiche Bart, den er schon bei Marcus Caelius, Cethegus
und Curio gesehen hatte.
Rufus wollte sich erst wundern, dass ein
wachhabender Sklave so freimütig mit herrschaftlichen Gästen sprach, dann erst
bemerkte er, dass der Mann den goldenen Ring eines Patriziers trug.
„Selber schuld, Lucius“, entgegnete
Curio, du hast uns schließlich eingeladen. Aber sag, was gibt es bei dir schon
Wertvolles zu zerbrechen, was du noch nicht versetzt hast?“
"Lucius" zuckte lachend mit
den Achseln und wies auf die verräterischen Stellen an der Wand, an denen die
Farbe kräftiger war als an der Umgebung. „Da ist was dran ... Kommt…“
[…]
Auf dem Weg zum Triclinium fiel Rufus
auf, dass es noch weitere Stellen in den Haus gab, auf denen früher einmal
Möbel oder Statuen gestanden haben mussten, oder Bilder hingen. Ansonsten
verriet das Haus eine schlichte aber edle Eleganz. Die erdigen Farben der
Wandbemalungen waren perfekt aufeinander abgestimmt, die Mosaike makellos.
Türen und Türstürze waren einwandfrei geschnitzt und glänzten in dunkler
Politur.
Vor einem großen rechteckigen Bild blieb
Rufus stehen.
Es hing an einem Holzrahmen direkt an
der Wand und war so lebensecht und plastisch gearbeitet, dass es Rufus schien,
als wollten die Figuren aus der Wand klettern.
„Enkaustik“, rief Lucius. „Es zeigt
Sergestus, wie er zusammen mit seinem Freund Aenaeas aus Troja nach Italien
kam.“
„Kommt das aus dem Griechischen
ʺenkaustonʺ – eingebrannt?“
„Ja. Heißes Wachs, Spachtel und
glühendes Eisen. Es ist als ob man die eigenen Gedanken mit Feuer unvergänglich
auf die Malfläche einbrennt ... Kannst du ruhig anfassen, morgen wird es
sowieso verkauft.“
Vorsichtig fuhr Rufus mit dem
Zeigefinger über das Bild. Es fühlte sich tatsächlich ein wenig wie Bienenwachs
an.
[…]
Im Triclinium glühten sofort die Würfelbecher.
Catilina hatte auch angeboten, nach weiblicher Unterhaltung schicken zu lassen,
doch war darauf nicht nur Rufus errötet, auch Curio schien das ein wenig
peinlich zu sein.
Antonius hatte sich das Angebot mit
einem fröhlichen Grinsen durch den Kopf gehen lassen, sich mit Rücksicht auf
Curio dann aber doch für die Würfelbecher entschieden.
Um sich abzukühlen, bedienten sich die
Spieler ausgiebig am vorzüglichen Wein ihres Gastgebers, während Rufus an
seinem Honigplätzchen knabberte. Astragalknöchelchen flogen durch die Luft, und
etliche Flüche oder Jubel hin und her.
Bei den hohen Einsätzen wurde Rufus
schwindlig. Wenn er auch nur ein Spielchen mitmachte, konnte er in einem
Wimpernschlag alles verlieren, was er besaß.
[…]
„Aber hier ist doch gar kein Bild!“
Überrascht starrte Rufus im Halbdunkel
auf die Umrisse von deutlich leuchtenderen Farben an der zentralen Wand. Davor
stand ein schwerer Schreibtisch. Es roch nach Pergament, Papyrus, Leder, und
altem Holz. Aber nicht nach Wachs.
„So, wirklich?“, antwortete Catilina
gedehnt.
Rufus sah sich ein wenig um. An den
restlichen Wänden standen größtenteils Regale aus dunklem Holz, in dessen
Politur sich der Schein der Flamme widerspiegelte. In kunstvoll geschnitzten
Aushöhlungen lagen Papyrusrollen, gestapelt wie in einem Taubenschlag.
Catilinas Bibliothek schien jedoch weniger ordentlich, als diejenige der
Fabier. Nicht alle Papyri steckten in Lederzylinder, teils lagen sie ganz
offen, teils in Weidenkörben und immer wieder gab es große Lücken oder auch
ganz leere Fächer.
Eine seltsame Stimmung hing über dem
Raum.
Den Umrissen nach waren die Wände zuvor
bis fast an die Decke zugestellt gewesen. »Vielleicht standen dort ein paar
große Holzschränke?« Einer war noch zu sehen. Im unruhigen Flackern des
Lämpchens sah er fast so aus, als ob er sich davonmachen wollte.
Rufus spürte einen Lufthauch in seinem
Nacken.
Gespenstisch.
Als ob die restlichen Möbel, Schrank,
Regale, Tisch und Truhen alle vorhätten, sich jeden Augenblick aus dem Staube
zu machen. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Reflexartig drehte er sich um,
doch da stand nur Catilina.
Hinter dem erhobenen Licht konnte Rufus
seinen Gesichtsausdruck nicht recht deuten. Seltsamerweise hatte Catilina
keinen Sklaven zur Bibliothek geschickt und trug das Öllämpchen selbst.
Man konnte zwar auch so die rechteckigen
Flecken erkennen, wo einmal Bilder gehangen haben mussten. »Aber warum macht
Catilina nicht mehr Licht?«
„Ah, du hast recht. Verzeih mir junger
Gallier, ich hatte ganz vergessen, dass ich die Bilder verkauft habe.“
Rufus kniff die Augenbrauen zusammen und
verschränkte die Arme.
Catilina schmunzelte. „Ich bitte dich
abermals um Verzeihung - keiner von denen, vor dem die Gänse warnen müssten. Du
hast mir ja gerade im Gang erzählt, dass du gar kein Gallier bist, obwohl du
aus dem fernen Norden kommst… Ts ts ts, kein weiteres Bild und dann auch noch
ein unaufmerksamer Gastgeber. Wie wäre es, wenn ich dich für meine
Unaufmerksamkeit entschädige? Aber mit einer Buchrolle doch wohl kaum ... oder?“
„Doch, ich würde gerne selbst eine
besitzen!“
Catilina lachte.
„Dann suche dir eine aus! Vielleicht
nach der Farbe?“ Er stemmte eine seiner kräftigen Hände in die Hüfte und
musterte Rufus genau.
Rufus sah ihn ein wenig unsicher an,
sagte aber nichts.
Catilina schien ihn noch immer zu
beobachten. „Ein Stamm weit im Norden… Vermutlich lebt ihr dort unter freiem
Himmel, in Zelten oder in Wagen, wie die Skythen?“
„Nein! Auch bei uns Ubiern gibt es
Städte…“
Catilina kratzte sich mit der freien
Hand hinter seinem Ohr.
„Interessant. Städte im fernen Norden.
Das erinnert mich an eine Stelle bei Herodotus, dem großen Vater der
Geschichtsschreibung. Herodotus hat sich über die Quelle dieses Istros, des
Danuvius, Gedanken gemacht … im zweiten oder dritten Band, glaube ich. Wenn
mich nicht alles täuscht, erwähnte er dabei sogar eine barbarische
ʺStadtanlageʺ. Bei den ʺKeltenʺ und bei ʺPyreneʺ soll der große Strom des
Danuvius entspringen. Demnach wären Danuvius und Ister derselbe Fluss…“
Rufus war beeindruckt.
Catilina dachte offensichtlich immer mit
und konnte sich einfach an alles erinnern.
„Ein Buch über die Kelten im Norden,
jenseits der Gallier? Das würde ich sehr gerne sehen!“
„Gerne, nimm es nur heraus! Die
Bibliothek ist alphabetisch geordnet, das heißt, das was von ihr übrig ist.
Warte, ich mache dir ein wenig mehr Licht...“
Catilina zündete mehrere Öllampen an
einem Reifen an, der an einer schlichten Kette von der Decke hing und stellte
das Lämpchen auf den Tisch.
„Früher stand hier einmal die Bronzestatue
einer tanzenden Frau ... als Leuchter. Die war so hübsch bemalt, man dachte
jedes Mal, sie würde sich gleich bewegen. Jetzt gehört sie Crassus…“.
Rufus suchte bereits die kleinen
Index-Kärtchen ab, die an jeder Schriftrolle mit einer Schnur befestigt waren,
und den Autor wie auch Titel angaben. »Mal sehen, steht das Buch bei ʺH / hʺ oder bei ʺE / eʺ, da es bei den
Griechen nur einen Akzent für das schwach behauchte ʺHʺ gibt?« Rufus hoffte
inständig, dass es noch nicht verkauft war, bei ʺEʺ klafften nur noch
große Lücken.
„¹! Heureka - Ich hab’s gefunden!“, rief
er auf Griechisch und dreht sich triumphierend zu Catilina um.
„Ich danke dir! Und da gibt es doch glatt Leute, die vor Dir
Angst haben, ha!" Rufus lachte vor Freude.
„Das ist auch besser so, glaube mir!“
Sogleich zuckte Rufus zusammen.
War das noch die gleiche Person, die
sich jetzt drohend vor ihm aufgebaut hatte? Catilinas blaue Augen leuchteten
nicht mehr gütig, sondern hatten auf einmal ein gehetztes, ja irres Funkeln
angenommen.
„Glaubst Du etwa, dass es keinen Grund
dafür geben könnte? Habe ich mir doch gedacht, dass du lesen kannst!“
Catilina verschränkte die Arme vor
seiner breiten Brust wobei er seine Oberarmmuskeln hin und her drückte. Vom
freundlichen und charmanten Gastgeber war nichts mehr zu erkennen.
„Was weißt du über Suras Nachricht? Wie
viel hast du gelesen?
An welche Namen kannst du dich
erinnern?“ Seine Stimme klang eiskalt und gefährlich.
Rufus glitten die Schriftrollen aus der
Hand.
Langsam wich er zurück.
Catilina rückte mit gesenktem Kopf näher
an ihn heran, die Arme wie bei einem lauernden Ringer weit geöffnet.
Rufus spürte, wie ihn Schriftrollen in
den Rücken piksten. Catilina hatte ihn in die Ecke gedrängt.
„Was soll ich denn gelesen haben? Dass
dich Sura treffen will? Das ist doch kein Geheimnis, wieso sollte er dir sonst
über Gaius mich und Antonius Täfelchen schicken…?“
Catilina presste seinen Schädel gegen
Rufus‘ Kopf. Er konnte eine Schlagader pulsieren sehen.
„Stimmt", brummte er schließlich.
„Hatte ich gar nicht bedacht ...
immerhin ist Gaius dein Gastbruder… So, was mache ich nun mit dir? Ich fürchte,
ich muss dich beseitigen, du weißt schon zu viel...“ damit ließ er sich
rücklings auf eine Truhe fallen und lachte schallend, bis ihm die Tränen kamen.
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