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freuen!
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amores oil on canvas ©Fran Recacha 2017 für den Ovid-Verlag / bearbeiteter Ausschnitt, 65% transparent |
Kapitel 9: Krieg führt
ein jeder, der liebt: Liebe IST Kriegsdienst! Vorsicht Schlangen: Kupplerinnen wie Dipsas
[...]
[Naso sammelt Informationen über Gaius Vedius Pollio, der in Baiae mit
Corinna die Parilia feiert. Naso kämpft sich zu Fuß bis Ostia durch, wo er am
Ende eine einigermaßen bezahlbare Mitfahrgelegenheit zum Golf von Neapolis findet.
Als er nach mehreren Tagen auf rauer See endlich am Golf angelangt ist, findet
er die Villa ohne Geliebte vor. Vedius und Corinna sind zum Stammsitz der Vedii
Polliones nach Beneventum weitergereist. Naso folgt ihnen ohne Unterlass quer
über die Berge Apuliens und lässt sich weder von blutigen Blasen, noch Graupelschauer,
Hagel oder reißender Strömung aufhalten. Er späht seinen Gegner sorgfältig aus,
„belagert“ sein Haus seines Rivalen und schafft es mit einem ausgeklügelten Plan,
unbemerkt einzudringen…]
Auf
Zehenspitzen schlich er weiter.
»Hier
könnte es sein, das sieht aus wie Corinnas Mantel auf der Kiste da…«
Vorsichtig
drückte er sein Ohr an die Tür.
Sachte
zog er am Ring des Türknaufes, die Tür war nicht verschlossen. Abgesehen von
ein paar glimmenden Kohlen im Dreifuß lag der Raum komplett im Dunkeln.
„He,
wer da?“
Naso
fuhr zusammen.
Die
tiefe Stimme! Wie war denn der Türhüter so schnell wieder reingekommen?
Naso
lief der kalte Schweiß den Nacken hinab.
Wie
konnte er ihn nur überholt haben? Unmittelbar vor ihm leuchtete eine
riesenhafte Gestalt in reinem Weiß auf.
Hatte
jemand den Türhüter erschlagen und schon ging sein ruheloser Geist um?
„He,
wer da, wer da?“, krächzte es erneut.
Langsam
gewöhnten sich Nasos Augen an die Dunkelheit. Das weiße Tuch hatte doch recht
bekannte Formen. Vorsichtig hob er es ein wenig an.
„Naso,
Naso!“, erklang Corinnas Stimme.
„Loquax,
hast du mich erschreckt!“
„Mein
Schätzchen, mein Schätzchen, bis du wieder zu Hause?“
Naso
ließ das Tuch wieder fallen. Das war also eindeutig Corinnas Zimmer.
Er
suchte nach einem Öllämpchen, fand eines und zündete den Docht an den Kohlen
an.
»Kein
schlechter Geschmack, wirklich nicht…«
Anscheinend
konnte Vedius Pollio mit seinem Reichtum besser umgehen als die meisten
neureichen oder freigelassenen Römer: Elegante aber nicht aufdringliche Möbel,
dunkles poliertes Zitrusholz mit schlichten Formen. Kein protziges Silber,
einfaches geometrisches Muster auf dem Fußboden und die Wandmalerei zeigte im
Mittelteil einen Landschaftsausblick mit zwei laufenden Personen in größerer
Ferne. Erst beim näheren Hinsehen wurde Naso klar, dass der Künstler ganz
dezent Apollo und Daphne kurz vor ihrer Verwandlung zum Lorbeerbaum angedeutet
hatte.
Er
musste lächeln.
»Wenn
das kein gutes omen ist, Vedius soll
sie einfach nicht zu fassen bekommen!«
Er
ging zum kleinen Tisch, auf dem Schmuck, Schriftrollen und mehre Wachstäfelchen
lagen. Einige enthielten sogar Gedichte von ihm selbst!
Gerührt,
kullerte ihm eine Träne über das Gesicht.
»Mein
Mädchen!«
Er
nahm sich ein Täfelchen vor, radierte sein Vorgängergedicht aus und begann
sofort ein neues Gedicht voller inniger Liebesbekenntnisse.
„Ah,
du bist wieder in deinem Zimmer? Ich dachte, du wärest noch bei Gaius im…“
Wie
angewurzelt hielt Naso inne.
Ein
junger Mann stand in der Tür und musterte ihn mit wachen braunen Augen. In
seiner linke trug er einen Glaspokal mit Wein, betrunken schien er jedoch nicht
zu sein.
Einen
Augenblick lang sah es so aus, als würde er einen Sklaven um Hilfe rufen, doch
nachdem sein schneller Blick auf Nasos goldenen Ritterring, Nasos Gesicht und
auf Nasos Hände mit Stilus und Täfelchen gefallen waren, hielt er inne.
„Du
kommst mir bekannt vor…“
Er
entspannte seine Schultern.
„Du
mir nicht! Was machst du in ihrem Zimmer?“
Er
lachte leise und zog die Tür zu.
„Angriff
ist nicht immer die beste Verteidigung, weißt du?“
Er
nippte an seinem Wein, stellte ihn ab und verschränkte die Arme.
Naso
wusste nicht recht, was er von seinem Gegenüber halten sollte. Die Wachen hatte
er nicht gerufen, aber auf seinen Trick war er auch nicht hereingefallen.
[…]
[Der andere entpuppt sich schließlich als Literaturliebhaber, der Naso bereits
bei Messalla Corvinus vorgestellt wurde und ihm sehr zugetan ist: Marcus
Pomponius „Julius“ Atticus. Mit einer gefälschten Nachricht wird Vedius zurück
nach Baiae gelockt, während Atticus Naso und Corinna in seiner Reisekutsche nach
Rom geleitet. Dort wird er später ausgerechnet vom zwischenzeitlich
zurückgekehrten Titus zu dessen Freund Atticus geladen.]
„Was?
Ein Liebhaber soll wie ein Soldat sein? Wer hat denn DEN Blödsinn erfunden!
Schau dir doch nur unseren Titus hier an…“
Atticus
schob den Ärmel der Tunika an Titus‘ Oberarm zurück und umfasste ihn mit beiden
Händen. Ein paar Tropfen Wein fielen aus seinem Trinkglas, das er dabei immer
noch in Händen hielt.
„Hier,
das sind Muskeln! Wer keinen Kriegsdienst leistet und nur faul und träge zu
Hause herumsitzt - oder in Schlafzimmern flaniert – glaubst du denn, dass der
jemals so einen gestählten Körper bekäme?“ Lachend setzte Atticus wieder sein
Glas an den Mund. „Und schon gar nicht so eine männliche Bräune…“
Herausfordernd fixierte er Naso mit seinen lebhaften braunen Augen.
Titus
lächelte zustimmend, sagte jedoch nichts. Man konnte deutlich erkennen, dass er
sich so nahe neben Atticus jetzt doch ein wenig unwohl fühlte.
Naso
musste grinsen.
[…]
Oder
bestand zwischen Titus und Atticus nur eine dieser politischen oder ererbten
ʺFreundschaftenʺ? Naso konnte sich kaum vorstellen, dass dieser fast schon zu
kultivierte Mann mit den wachen Augen und dem scharfen Verstand sich mit Titus
viel zu sagen hatte.
»Ein
Hoch auf das kleine Symposion - und darauf, dass keine Frauen anwesend sind!
Vielleicht wird es ja doch amüsanter, als gedacht…«
[…]
„Und
erst dieser straffe Körperbau…“
Feixend
klopfte Atticus Titus auf Brust und Rücken, so dass der etwas von ihm abrückte
und verlegen in sein Glas prustete.
Schließlich
pikste er ihm noch in den Bauch, der sich merklich zu runden begonnen hatte.
»Titus
kümmert sich offensichtlich gut um den Nachschub der Truppe, zu gut«, dachte
Naso mit einem Lächeln. »Was Corinna wohl davon halten mag? Aber nein, Dipsas
schirmt sie ja von ihm ab, um sie später mit Vedius zu verkuppeln. Dass ich der
alten Vettel ausgerechnet deswegen einmal dankbar sein sollte…«
Titus
schien den Schalk in Atticus‘ Augen nicht zu bemerken. Er rutschte auf der
Liege so weit zur Seite, dass er gerade nicht herunterfiel. So hatte er sich
seine kurze Heimatmission sicher nicht vorgestellt: Erst bekam er Corinna nicht
mehr zu Gesicht, musste bei Atticus nächtigen und dann auch noch dieses
mehrdeutige Verhalten seines alten Freundes!
Atticus
gönnte Titus eine Ruhepause und klatschte in die Hände.
„Was
man als Soldat jedenfalls nicht zu trinken bekommt –nicht einmal annähernd, das
habe ich am eigenen Leib erfahren müssen- ist DAS hier…“
Die
Sklavin hinter ihnen goss aus einer neuen Kanne ein.
„Ihr
müsst wissen, dass ich mich zukünftig selbst ein wenig als Schreiberling
versuchen möchte. Nichts wirklich Literarisches, aber Interesse und Gelegenheit
bringen es mit sich, etwas über den Weinanbau zu schreiben… na, lieber Titus,
was glaubst du, hat mein Weinkeller dazu zu sagen?“
Titus
schnupperte, trank und dachte nach.
»Ein
kluges Gesicht sieht anders aus…«
„Rotwein!“,
brachte Titus schließlich mit einem dümmlichen Grinsen hervor.
„Beim
Hercules!“, entfuhr es Naso.
Atticus
lachte.
Natürlich
war es Rotwein. Ein roter Falerner, halbtrocken – beste Qualität. Weit über der
Mindestreife von fünfzehn Jahren. Besäße Titus auch nur ein Mindestmaß an
Kultiviertheit, hätte er wenigstens die Richtung erkennen müssen!
„Die
kommt aus dem Nachlass meines Vaters. Wenn das Etikett stimmt, dann stammt sie
noch aus dem Amtsjahr der Konsuln Lucius Opimius und Quintus Fabius Maximus
Allobrogicus. Angeblich hat er öfters so eine mit Cicero getrunken, so wie es
in seinen Briefen steht. Auf euer Wohl!“
„Prosit!“
„Prosit!“
Atticus
lehnte sich zurück und genoss den Wein und die Frühlingsbrise.
Titus
und Naso taten es ihm gleich.
[…]
Schön
war es, im Garten dieses Atticus. Der Frühabend des Maius zeigte sich von
seiner besten Seite. Die Vögel zwitscherten und bei jedem Windhauch wehte ein anderer
Blütenduft an sie heran. Der Garten schien wirklich äußert kunstvoll
arrangiert. Dezente Wasserspiele, Hecken, Bäume und Sträucher nur soweit
geschnitten, dass sie nicht ungepflegt wirkten, ansonsten wie ein Hain in
freier Natur – und das mitten auf dem Palatin!
Naso
blickte zu seinem Gastgeber herüber: Um dessen Lippen spielte schon wieder ein
spöttisches Lächeln. Naso rutschte auf der Liege vor, um zu sehen, was als
nächstes kam.
»Der
führt doch irgendwas im Schilde…«
Doch
Atticus seufzte nur wohlig und räkelte sich faul.
Titus
entspannte sich zusehends, gab ebenfalls einen Seufzer von sich und wandte sich
wieder dem Wein zu.
[…]
„Sag
mal Atticus“, versuchte es Naso forsch, „ist dein Weingeschmack für einen
ʺAtticusʺ nicht viel zu römisch? Wozu braucht ein ʺAtticusʺ eigentlich freie
Sicht aufs Forum und den Senat? Bist du kein Epikureer wie dein Vater, fern vom
Staat und oft in Athen und hier im Theater?“
Titus
sog hörbar die Luft ein aufgrund dieser Respektlosigkeit.
Ein
paar Papageien krächzten in ihren Käfigen.
Doch
Atticus lachte nur.
„Als
ob Forum und Senat heutzutage noch das Herz des Staates wäre… Da musst du eher
hinter uns schauen, den Palatin hoch!“
Titus
erstarrte. Er ließ sein Glas fallen, das langsam in das Gras sank und mit
seinem Inhalt die hellgrünen Halme netzte.
„O,
schade um den Wein… nein lieber Titus, natürlich leben wir noch in einer
Republik,“ klopfte Atticus Titus beruhigend auf den Rücken. „Selbstverständlich
schätze ich den Erhabenen und das Haus der Julier… es sitzt uns eben nur im
Rücken.“
Titus
wusste nicht, ob er sich beruhigt oder beunruhigt fühlen sollte. Unsicher sah
er zwischen Atticus und Naso hin und her, schloss sich am Ende jedoch ihrem
Lachen an.
„Die
guten Julier“, lächelte Atticus, „haben uns schließlich den Frieden gebracht.
Ist nicht mehr ganz so entbehrungsreich
bei der Armee, wie früher, oder Titus?“ Er klopfte Titus dabei so kräftig auf
den Rücken, dass dessen Bauch sichtlich zu wackeln begann.
Naso
grinste breit.
„Doch,
natürlich!“, widersprach Titus heftig. „Wie kannst du so etwas nur behaupten?
Es ist sogar so anstrengend, dass es neue Vorschriften gibt, wir sollen nur
noch junge und kräftige Soldaten rekrutieren. Die Armee ist nichts mehr für
Alte und Schwache, das weißt du doch! Und gut trainiert muss man auch sein. Wer
nur rumhängt, der taugt nichts. Du hast es ja vorhin selber gesagt: Ein
Müßiggänger von Liebhaber, der ist ganz sicher nicht wie ein Soldat. Niemand,
den wir brauchen könnten. Aber dafür gibt es ja noch Männer wie uns!“
Titus
hob seinen Arm und spannte seinen Bizeps an.
Atticus
zwinkerte Naso erwartungsfroh zu.
Naso
nahm die Aufforderung zur Kenntnis.
„Ja,
natürlich! Wobei… du hast doch eine schöne Freundin, nicht wahr?“
„Sicher,
du kennst sie doch gut! Hast du nicht an meiner Stelle für sie gesorgt?“
„Durchaus…“
Atticus
zog eine Augenbraue nach oben, doch Titus fiel der besondere Klang in Nasos
Stimme nicht auf.
„Dann
stell dir einmal vor, sie sollte einen Alten heiraten, also einen noch viel
Älteren als dich, so eine richtige Komödienfigur…“
„Niemals!
Igitt, Meine Liebste und so ein alter Vogel? Das wäre ja widerlich!“
„So
widerlich wie ein greisenhafter Soldat, wäre für dich also eine greisenhafte
Liebe?“, grinste Atticus.
„Mindestens!“
„hoc habet!“, konterte Naso in
Militärsprache, „Treffer - der Punkt geht an mich!“
Titus
verzog unwirsch das Gesicht.
„Vielleicht,“
sprang Atticus seinem Freund bei, „aber deswegen gibt es doch noch immer eine
ganze Menge an wichtigen Unterschieden, nicht wahr?“
„Aber
immer, beim Mars!“, rief Titus aus. Liebe ist faul, Mars aktiv. Ein Liebhaber
ist träge, der Soldat rastlos tätig.“
„Ja
sicher!“, ergänzte Atticus. „Liebe ist nur eine Folge von Faulheit, das ist
nicht umsonst die allgemeine Meinung. Kannst du auch nachlesen, ich erinnere
mich da an viele Plautus-Verse, im Mercator, Trinummus,
Truculentus und den Mostellaria, Catullus‘ einundfünfzigstes Carmen und Ciceros
viertes Buch der Gespräche in Tusculum… selbst Euripides bestätigt es: œroj
g¦r ¢rgÕn k¢pˆ toioÚtoij œfu.“
„Und was ist mit Platons Symposion,“
brachte Naso die Antithese in Stellung, „legt nicht schon Platon dar, dass die
gerade die Liebe den Menschen inspiriert, aktiv zu werden - und es zu bleiben?
Ebenso bei Alpheus von Mytilene. Interessanterweise
gibt auch Platon der Liebe einen militärischen Anstrich…“
Titus
schnaubte erregt.
„Militärischer
Anstrich? Was soll das denn sein? Entweder man kämpft und man ist militärisch
oder man ist kein Soldat, dann gibt’s auch nix Militärisches, auch keinen
Anstrich!“
„Beruhige
dich, mein Freund!“, lachte Atticus. „Entschuldige Naso, Titus ist ein guter
Soldat, das kann ich selbst bezeugen – aber mit der Literatur hat er’s nicht so
wirklich…. Aber um auf deinem Felde zu kämpfen, junger Liebesdichter, allzu
viel militärische Sprache und Motive gab’s vor den Elegikern recht selten in
Liebesdichtung, da hat er Recht. Und hat nicht gerade auch Tibullus das Thema
als Gegenüberstellung verdeutlicht? Den Gegensatz zwischen Soldat und
Liebhaber, die Anstrengungen des einen und die Trägheit des anderen?“
„Meinst
du in der Lebensführung oder in der Dichtung.“
„Keine
schlechte Antwort, wirklich…“, lachte Atticus und zwinkerte Naso
verschwörerisch zu. „Nein, ich dachte an das Werk, nicht das Leben. Obwohl er
vielleicht in den Dienst hätte gehen sollen als Heilmittel gegen unglückliche
Liebe...“
„Du
meinst im ersten Buch die Gegenüberstellung des faulen, liebenden Dichters im
Arm seines Mädchens gegenüber dem tatkräftig soldatischen Messalla, oder im
zweiten mit der Widmung an Macer im Feldlager?“
Atticus
zog eine Augenbraue nach oben.
„Beim
Apollo! Zitatenfest bist du ja, das muss ich dir lassen. Wenn du deine
Vorbilder so gut kennst, warum drehst du dann ihr Weltbild wieder um? Du
pervertierst doch damit dann das fundamentale Konzept der militia amoris! Das hat doch erst den Reiz des Genres Liebeselegie
ausgemacht, dieser unangepasste Lebenswandel: Dieses metaphorische
Selbstporträt als Soldaten in der Armee des Cupido als schreiender Kontrast und
schockierende Ablehnung einer öffentlichen Karriere in der römischen Armee, was
der gesellschaftliche Druck eigentlich verlangt…“
„Unangepasster
Lebenswandel - führst du nicht auch so einen?“, wagte sich Naso aus dem
Fenster.
„hoc habet – getroffen, schon wieder ein
Punkt für dich!“, lächelte ihm Atticus zu. Nasos Offenheit schien ihm sehr zu
gefallen. „Aber wie kannst du etwas umkehren, was du fortführst? Tibullus
bezeichnet sich als faul, segnis und iners, aber dennoch auch als Feldherr
und guter Soldat Cupidos und klagt Macer der Desertion des otium des Kriegsdienstes unter dem Liebesgott an. militia amoris, ist für ihn also
Trägheit und daher…“
Ein
langgezogenes Stöhnen unterbrach ihn.
„Titus,
was gibt es denn?“
„Ihr
hört euch schon an wie ein Abend mit Sulpicia! Dabei hattest du etwas von
Symposion ohne Frauen und ohne Stress erwähnt, nur unter drei Männern…“
„Schön,
kehren wir jetzt zu Männern zurück!“
Atticus
klatschte in die Hände und ließ Titus nachschenken. Danach scheuchte er die
Sklavin davon.
„Die
habe ich doch nicht gemeint, ganz im Gegenteil, die könnte doch nachher…“
Doch
Atticus sah einfach über seine Bemerkung hinweg.
„Also
Naso, unter Männern: Wie willst du den Gegensatz zwischen Soldat und Liebhaber gleichmachen?“
Titus
verdrehte die Augen.
„Lachhaft,
einfach lachhaft… ihr tut ja direkt so, als könnte die Liebe eine Lebensaufgabe
sein! Das ist doch kein Beruf!“
„Nein,
eine Berufung“, konterte Naso.
„Unsinn!
Die einzige Berufung, die ein Römer kennen muss, ist Kriegsdienst, nicht Liebe.
Wenn ihr schon ständig irgendwelche Dichter hinzuziehen müsst, das weiß sogar
der größte. Warum sonst hätte der Erhabene uns davon zahlreiche Kopien mit ins
Heerlager geben sollen?“
„Und
wen genau meinst du damit?“, fragte Naso scheinheilig.
„Na
den Verigilidingsbums da – Herrschen und Niedermachen fremder Völker, das ist
der göttliche Auftrag an uns, die Weissagung des Anchises. Kriegen, Siegen und
Herrschen, unsere vom Schicksal vorgegebene Bestimmung:
Tu… regere imperio populos, Romane, memento.
hae tibi erunt … erunt… ar… artes – pacique imponere morem,
pa… pa… parcere subiectis et debellare superbos.“
Titus
grinste stolz, nachdem er die Verse endlich vollendet hatte. Er schnaufte vor
Anstrengung, als habe er gerade eigenhändig alle Bücher der Aeneis in einem
Aufwasch verfasst oder gar die ganze Welt erobert. Immerhin -zwar stockend,
aber doch- konnte er drei Verse auswendig skandieren.
Vermutlich
hatten die Offiziere im Grenzdienst nicht viel zu lesen und noch weniger zu
tun.
„Natürlich,
der Vergilidingsbums mit seinen Römerversen. Wer auch sonst… Du bist also der
Meinung, nichts sei unterschiedlicher als ein Liebhaber zu Hause und ein Soldat
im Feld?“, forschte Naso.
„Natürlich!“
„Und
wie war das mit dem richtigen Alter? Fordern nicht sowohl Feldherren als auch
schöne Mädchen ausschließlich starke junge Männer zum Bund?“
Titus
verschränkte die Arme.
„Abgesehen
davon, natürlich…“
„Gut,
aber was ist mit der männlichen Energie, die der Soldat ständig einsetzen
muss?“, fragte Atticus nach. „Ich weiß, warum ich das nicht mehr mache, auf dem
Erdboden schlafen, Nachtwachen, Wache schieben vor dem Zelt des
Oberkommandierenden und der ganze Mist?“
„O,
wachsam ist auch der Liebhaber, das kannst du mir glauben…“, entwich es Naso mit
einem schelen Seitenblick auf Titus.
„Du
meinst im Bett? Das zählt nicht, das ist viel bequemer und das dauert auch
wieder nicht so lange, schon gar nicht die ganze Nacht – du übertreibst!“
„Aber
erinnere dich doch nur an Beneventum…“
Einen
Augenblick lang war Naso drauf und dran, auf seiner These zu beharren, etwas
konkreter zu werden und seine Verdienste in Beneventum als Beweis zu nennen.
Doch ein wissender Blick des Atticus und dessen warnende Geste mahnten ihn
wieder zu einer unverfänglicheren Theorie.
„Nein,
vergiss es… Ich meine nicht im Bett, ich meine vor der Tür der Liebsten: Da
ruht man auch auf dem nackten Boden.“ »Oder auf dem Dach«, erinnerte er sich.
„So wie der Soldat die Tür des Feldherrn bewacht, so wacht der Liebende vor der
Tür seiner Angebeteten.“
Titus
bekam große Augen.
„Vielleicht
weißt du doch, worüber du schreibst…“, murmelte er.
„Kann
durchaus sein“, gab Atticus zu, „aber der Militärdienst scheint mir dennoch
härter. Die ganzen Märsche durch unwegsames Gebiet, das härtet doch etwas
anders ab, als das Liebesleben. Welcher Liebhaber muss denn schon marschieren?“
„Dann
ordne doch einmal so ein Mädchen ab!“ Naso massierte seine zu Schwielen
verhärteten Blasen. „Unablässig und ohne Ende wird ihr der Liebende folgen! Da
hindern weder Berg noch Gebirge, weder über die Ufer getretenen Flüsse noch
reißende Wildbäche. Schneemassen wird er mit seinen Füßen niedertrampeln und
auch keine Ostwinde vorschützen oder auf bessere Sternbilder warten, wenn er
raus aufs Meer muss.“
Titus
zog eine Augenbraue hoch.
»O,
war das zu viel? Hat er die Anspielung bemerkt?«
„Ein
Liebhaber geht also bei jedem Wetter raus?“, erkundigte sich Atticus lächelnd.
„Kann ich mir nicht vorstellen…“
„Hast
du eine Ahnung!“, rief Naso aus. „Er muss! Wer, wenn nicht der Soldat oder der
Liebhaber erträgt die Kälte der Nacht, Graupelschauer, Schneeflocken, die sich
mit kaltem Regensturm mischen?“
Titus
zog skeptisch seine Brauen hinunter.
„Sag
bloß noch, auch der Liebhaber muss raus zur Gelände- und Feinderkundung…“
„Warum
nicht? Der eine wird als Kundschafter unter die Feinde geschickt, um sie
auszuspionieren, der andere unter die Rivalen, um die Feinde im Auge zu
behalten.“
Er
hielt den Kopf schräg und schielte zu Titus hinüber.
Atticus
lachte.
„Beim
Hercules! Mir scheint, du siehst das als deklamatorische Übung! Oder einen Test
der Auffassungsgabe… Nette comparatio,
wirklich. Aber hast du tatsächlich für alles einen passenden Vergleich auf
Lager? Was ist mit Belagerungen von schwer zu nehmenden Städten, dem Aufbrechen
von Stadttoren, nächtlichen Überfällen, wenn sich die Soldaten den Schlaf der
Feinde zu Nutze machen, dem Elend des armen Soldaten, der Wächter und Scharen
von Wachen umgehen muss?“
Naso
lächelte zufrieden, genau die richtige Herausforderung für jemand wie ihn:
„Belagerung
der Türschwelle der Geliebten, vor der man sitzt, schwer zu nehmendes Mädchen,
Aufbrechen von Türen, nächtliche Überfälle, wenn sich die Liebhaber den Schlaf
der Ehemänner zu Nutze machen, das nicht mindere Elend des Liebenden, der
Türhüter und Scharen von Aufpassern umgehen muss“, zählte er mühelos herunter.
Seine Augen blitzten vor Vergnügen. Er dachte an den armen Titus, der nicht
einmal die Hälfte mitbekam und in diesem Vergleich gleich doppelt auftauchen
musste.
»Beinahe
tut er mir schon leid…«
Atticus
dagegen schien die Situation zu verstehen und amüsierte sich offenbar prächtig.
Bestimmt hatte er ihm bewusst diese Vorlage gegeben, da war Naso sich jetzt
sicher.
Atticus
schnippte mit den Fingern, zwei Sklavinnen stellten Kohleroste um die Liege, um
die einsetzende Abendkühle zu mildern.
Nur
Titus wurde zunehmend unwirscher, seines zügigen Weinkonsums zum Trotz.
„Ihr
und euer Gelehrtengerede… als ob die Liebe so gefährlich und unsicher wäre wie
ein Krieg! Nur Mars ist wirklich unsicher, Liebe ist doch ein recht sicherer
Bereich.“
Atticus
gluckste vor Vergnügen.
„So,
meinst du, mein Freund?“
„Und
ob – zumindest…“ Titus schmunzelte, „für jemand wie mich: Liebst du eine, schon
die deine! Man muss eben Schönheit UND Kraft haben…“
„Du
meinst, du bist viel kräftiger als wir?“
„Beim
Hercules, natürlich, als ihr beide zusammen! Wozu bin ich in der Armee…“
„Einverstanden,
lass uns sehen!“
Naso
nahm die Herausforderung dankend an. Titus war nicht mehr ganz so nüchtern, wie
er erschienen war. Auch hatte sein Bizeps schon einmal beeindruckender
ausgesehen, im letzten Winter.
„Im
Ernst, du wagst eine Runde Armdrücken mit mir, kleiner Dichter?“, freute sich
Titus.
„Wunderbar“,
freute sich Atticus, „Soldat gegen Liebhaber – dann sehen wir ja, wie weit sie
sich gleichen…“
Atticus
erhob sich von der Liege, Titus und Naso knieten sich davor ins Gras und gaben
sich die Hände.
„Eins,
zwei, drei … los!“
Titus
drückte mit aller Kraft.
»Gleich
hat er mich«, dachte Naso.
Doch
der gefürchtete Ansturm blieb aus. Zu seiner Verwunderung stellte Naso fest,
dass sein tägliches Training, seine kräftezehrenden Märsche und seine Mühen um
Corinna ihn so stark gemacht hatte, dass er Titus aufhalten konnte – zumindest
einen angetrunkenen Titus, der lange nicht mehr in Form war.
»Das
Lagerleben an der Grenze muss todlangweilig sein, ohne jede Herausforderung
oder Anstrengung für einen hohen Offizier…«
Es
gelang Naso sogar, Titus Hand ein wenig zurückzudrücken.
Titus
war zuerst mindestens ebenso überrascht. Dann stemmte er sich mit aller Kraft
dagegen. Sein Gesicht wurde tiefrot, blaue Adern traten hervor, Schweiß entrann
den Poren, floss in Strömen die Stirn hinunter und tropfte auf die Liege.
Naso
hielt immer noch dagegen.
Der
Gedanke, Titus zu besiegen, war einfach zu verlockend. Er mobilisierte alle
Kräfte, doch kam er kein Stück weiter.
Titus
umklammerte jetzt mit der freien Hand die Liege, bis seine Fingerknöchel weiß
hervortraten.
Nasos
Handgelenk wich einen Fingerbreit zurück, dann noch einen Finger. Unaufhaltsam
schob Titus seine Faust vor.
Auch
Naso war längst schweißgebadet.
In
der Mitte kamen beide Fäuste zitternd zum Gleichgewicht.
Lang
würde Naso das Patt nicht mehr halten können. Unaufhaltsam schob Titus ihn
einen Fingerbreit weiter.
Titus
stöhnte vor Anstrengung, spannte alle Muskeln an und bereitete den finalen
Ansturm vor.
„Gleich
hat er dich Titus!“, brüllte Atticus auf einmal ohrenbetäubend, „Der Soldat
verliert ja!“
Titus
zuckte zusammen, seine Konzentration war unter dem Aufschrei zusammengebrochen.
Naso
nutzte die kurze Pause und stemmte sich genau in diesem Augenblick mit seinem
gesamten Körpergewicht und der schieren Kraft seines Willens gegen seinen
Kontrahenten.
Ein
unbändiger Wille.
„Aaahhrg!“,
schrie Titus kehlig und schüttelte ungläubig seine Hand.
Naso
hatte ihn losgelassen.
Er
hatte tatsächlich gewonnen.
Entsetzt
und ein wenig dümmlich stierte Titus erst auf seine Hand, dann auf Naso.
Schließlich schob er Nasos Oberarm hoch und musterte ihn überrascht.
„Du
hast ja trainiert! Das ist gar nicht mehr das schlaffe Ärmchen des Dichteres,
den ich Anfang des Winters kennen gelernt habe…!“
„Da
kannst du mal sehen, was die Liebe aus einem Mann alles macht!“, rief Naso
triumphierend. „Venus vermag mehr als Mars.“
Atticus
lachte verschmitzt über Titus‘ Entsetzen.
„Na,
warst du doch als miles tiro bei den
Soldaten? Titus hat dich unterschätzt. Er hat wohl geglaubt, du wärest nur für
den Müßiggang geschaffen.“
„Das
war ich auch“, lächelte Naso „faul und geradezu geboren für ungegürtetes
Nichtstun. Mein Bett und das Schreiben im Schatten, so als richtiger
Stubenhocker, das hatte mich tatsächlich ganz schön verweichlicht…. Aber dann
hat mich in meiner Faulheit die Leidenschaft zu einem schönen Mädchen
angetrieben und mir befohlen, in ihrem Lager meinen Sold zu verdienen.“
„Mgrmpf“,
grummelte Titus verärgert, „vor allem ungegürtet!“
Atticus
grinste amüsiert.
„Sieh
einer an, selbst Titus erkennt das ʺlässigeʺ Wortspiel! Sag mal, hat man dich
auch schon mit dem Entzug des Gürtels diszipliniert?“
Titus
grunzte ungehalten.
„Aha,
sieht also ganz danach aus... Gute alte Soldatenstrafe. Aber sag mal, Naso, was
vermag Leidenschaft schon mit Kraft und Muskeln anzustellen?“
„Alles!
Jetzt bin ich eifrig, fechte sogar des Nachts Kämpfe aus. Amor hat meinen
Körper dafür passend gemacht, nicht nur kräftig, auch beweglich: Er zeigt am
besten, wie man sich leicht an wachhaltenden Wächtern vorbeischleicht und die
Füße so aufsetzt, dass sie keinen Lärm machen. Wer stark sein will, beweglich
und agil anstatt dem Müßiggang zu verfallen, der soll lieben!“
Titus
richtete sich mit einem Ruck auf.
„WEN
liebst du…?“
„Im
Moment keine – sieh mich nicht so an, ich bin nicht der Grund, warum dein
Schätzchen gerade keine Zeit für dich hat.“
„Bei
deiner Ehre?“
Titus
musterte ihn skeptisch.
Naso
wurde heiß. Seine Wangen begannen zu glühen, doch er hielt Titus‘ Blick stand.
„Ich
hatte schon gedacht, dass… also nur so ein komisches Gefühl, jetzt nachdem du
im Armdrücken gewonnen hast… also, dass du nicht nur auf sie aufgepasst, um sie
vor meinem Rivalen zu schützen… also sie mit dir…“
„Mit
miiiiiir?“antwortete Naso gedehnt, „wie kommst du nur darauf?“
„Sie
war zwar nicht zu sprechen, ich bin mir aber sicher, dass da noch jemand im
Hause war.“
„Also
ich war‘s jedenfalls nicht, ich bin ja hier, wie du siehst und noch vor dir bei
Atticus angekommen. Wenn du zuvor noch bei ihr vorbeigesehen hast…“
Das
war nur die halbe Wahrheit. Natürlich hatte Naso versucht, noch bei Corinna
vorbeizuschauen, vielleicht hätte er sogar Atticus‘ Einladung ausgelassen -
wenn sie ihn eingelassen hätte. Dafür hätte Titus ihn beinahe tags zuvor
erwischt. Naso dankte Mercurius, dass Nape ihm und Corinna gerade noch
rechtzeitig ein unverfängliches Zeichen hatte geben können, so dass er sich
durchs Fenster davongemacht hatte, bevor Titus zur Tür herein kam. Naso
schauderte immer noch in Gedanken an seine Flucht. Eigentlich hätte es ja schon
Gewohnheit sein sollen, aber bei Titus hatte es immer noch einen besonderen
Charakter. Schließlich wusste man ja nie, ob einen bereits ein paar von Titus‘
Schlägern erwarteten, allen voran dieser Brutus…
„Na,
schon aber… na gut, wird schon stimmen. Oder, Atticus, war er lange vor mir
da?“
„Lange
vor dir!“, lächelte Atticus zweideutig.
Titus
bedachte noch immer Naso mit zweifelnden Blicken.
„Und
überhaupt“, schob Naso nach, „meine Flamme hieß Corinna. So hast du doch noch
keine Liebste genannt oder?“
Naso
war heilfroh, dass Corinna ihm bei der ersten Begegnung nicht ihren wahren
Namen genannt hatte und sie es dabei belassen hatten. Und, das sie sich von
Titus nicht mit ihrem Pseudonym nennen ließ. Musst wohl an Titus‘ Freund, ihrem
Patron Carisius liegen…
Titus
beruhigte sich wieder und setzte sich. Dann schreckte er aber plötzlich wieder
hoch.
„Aber
irgendetwas ist da im Busch, das fühle ich genau! Wenn du es nicht bist, was
ist es dann – oder wer? Ich sollte wirklich Carisius aufsuchen, der soll ihr
als Patron ins Gewissen reden und…“
„Das
würde ich lieber sein lassen,“ riet ihm Naso, „was glaubst du wohl, wie deine
Liebste erst reagiert, wenn du sie zwingst? Du willst doch, dass sie dich
freiwillig und voll Leidenschaft liebt - und nicht gezwungen und voll
Verachtung, oder?“
Titus
nickte stumm und ließ die Schultern hängen.
„Ich
wollte nur ich wüsste, was los ist. Wenn man den Gegner nicht kennt, kann man
auch nicht gegen ihn kämpfen… ich bin so durcheinander, ich verliere sogar
schon gegen einen Liebesdichter…“
Naso
legte mitfühlend einen Arm um Titus Schulter.
„Das
war nur Glück! Atticus hat dich abgelenkt, das wissen wir doch alle. Aber was
ich dir schon sagen wollte – aber ich will mich natürlich nicht einmischen und
mich zwischen euch drängen…“
„Nein,
keine Sorge – rede!“
„Ich
habe da zufällig etwas mitgehört, als ich in der Via Sacra war – Tinte und
Papyrus kaufen… nicht, dass ich vorgehabt hätte, deine Liebste zu belauschen…
reiner Zufall! Außerdem sollte ich ja auf sie aufpassen…“
Titus
sprang von der Liege hoch und schüttelte Naso an den Schultern.
„Na
los, sag schon, beim Hercules!“
„Na
gut, um unserer Freundschaft willen: Es ist kein Zufall, dass du gerade nicht
zu Corinna durchdringst. Ich bin mir sicher, die alte Hexe Dipsas blockiert dich!“
„Wie
das? Mit Zaubersprüchen?“
„Kann
sein, aber zumindest effektiver mit ihrer Lästerzunge. Also, ich war gerade
unten in der Via Sacra, da höre vor dem Laden, wie dein Herzblatt mit so einer
alten Kupplerin spricht - Arm in Arm! Dipsas, heißt die Alte: Weißsst du, mein Goldkind, dasss du gestern
Eindruck auf einen reichen jungen Mann gemacht hassst? Du musst wissen, sie
hat ein paar Zahnlücken. Du hassst ihm
sssehr gefallen!“
„Was?
Ein reicher junger Mann? Vielleicht hat sie mich gemeint…“
„Nein,
da warst du ja schon nicht mehr in Rom. Jedenfalls hat diese Dipsas alles
versucht, mit all‘ ihrer Rhetorik, um dich und deine Liebste auseinander zu
bringen und sie mit so einem reichen Burschen zu verkuppeln.“
„Beim
Herkules! Na warte, der kann etwas erleben! Ich gehe gleich zu Carisius und…“
„Langsam,
mein Freund!“
Atticus
drückte ihn sanft auf die Liege zurück.
„Auch
das würde ich lieber sein lassen. Dein Gegner ist ein Gastfreund von mir, Gaius
Vedius Pollio, und hat beste Beziehungen zum Kaiserhaus!“
„Aber
gegen die alte Vettel kannst du getrost vorgehen“, riet Naso. Kein Julier würde
für sie eintreten. Außerdem ist ja die Alte an allem Schuld und nicht der arme
Vedius Pollio“
Erneut
sprang Titus in die Höhe und ballte die Fäuste.
„Die
kann was erleben! Wenn ich das Carisius erzähle… nein besser: Wenn ich die
persönlich in die Finger bekomme, ich werde ihr ihre Lästerzunge schon
ausreißen, ich werde…“
Zufrieden
lehnte sich Naso zurück und ließ Titus alles aufzählen, was ihm an
Gegenmaßnahmen, Drohungen, Verwünschungen und Bestrafungen alles einfiel. So
richtig eifersüchtig war er vor allem auf Titus - aber der war bald wieder
fern, fern und aus dem Weg. Wenn Titus über Carisius einen Weg finden würde, um
Vedius als Rivale aus dem Weg zu räumen, dann hatte er in Rom freie Bahn.
zumindest solange Titus bei der Armee weilte…
Doch
Atticus schien seinen Spaß noch ein wenig weiter treiben zu wollen. Es gelang
ihm, Titus wieder zu beruhigen.
„Langsam,
mein Freund! Du weißt ja noch gar nicht, ob deine Liebste auf ihr Ex-Mütterchen
eingeht. Und überhaupt, wenn sie dich wirklich liebt - was fürchtest du dich
denn vor einem Möchtegern Liebhaber, der nicht einmal Soldat ist? Jemand ohne
Erfahrung ist doch in Liebesdingen sicher keine ernsthafte Bedrohung für dich,
alter Haudegen!“
„Du
hast Recht“, entspannte sich Titus schließlich mit einem breiten Grinsen. „Was
mache ich mir Sorgen? Auf kurz oder lang weiß sie sicher, was sie an mir hat.
Notfalls kann es ihr Carisius sagen. Sicher nur so ein weiterer träger
Liebhaber und Stubenhocker…“
„Nein,
glaube das nicht!“, versetzte Naso ihn wieder gezielt in Beunruhigung. „Dein
Gegner ist jung und schön. Du musst ihn als ernsthaften Konkurrenten
betrachten, wenn du ihn besiegen willst. Sonst wirst du in der Liebe genauso
verlieren, wie gerade noch gegen mich im Spiel. Mars ist unsicher, gewiss… Aber
ebenso die Liebe: Sei dir nur niemals zu sicher zu siegen. Also hört auf, die
Liebe faul zu nennen! Nur mit strategischer Begabung darf man sich auf sie
einlassen.“
Atticus
zog eine Augenbraue nach oben.
„So
taktisch anspruchsvoll ist die Liebe neuerdings, so wechselhaft und
unbeständig?“
Atticus
warf Naso einen auffordernden Blick zu. Vermutlich wollte er seine Spielchen
weiter treiben.
»Schön«,
dachte Naso, »immerhin schulde ich ihm etwas. Soll er seine Unterhaltung
bekommen, biete ich ihm weiter als Dichter Paroli…«
„Nein!,“
rief Naso überzeugt. „Nicht neuerdings, schon immer! Venus bleibt sich treu. Du
bist doch belesen, …“
Atticus
prustete in sein Weinglas und wendete sich schnell ab, um nicht laut zu lachen.
Naso fuhr ungerührt fort während Titus ihn treuherzig anstarrte.
„…sieh
dir nur die allerersten mythische Beispiele an: Brannte der feurige Achilleus
nicht in Leidenschaft zur beschlagnahmten Briseïs? Sein Eingreifen und
Fernbleiben sah man als kriegsentscheidend an, der Ansporn war Liebe. Hektor
schritt aus Andromaches Armen zu den Waffen, seine Frau gab ihm den Helm,
obwohl er ihren kleinen Astyanax erschreckte. Agamemmnon verstummte, als er
Kassandra sah…“
„Ach
was, Mars ist stärker!“, beharrte Titus. „Alle drei kämpften schließlich,
Geliebte oder Frau hin oder her – sie haben sich alle nicht abhalten lassen, zu
kämpfen, gesiegt hat immer Mars!“
„Selbst
Mars wurde geschlagen, oder wie war die Geschichte mit Diomedes, der ihn in
seiner Männlichkeit traf und vom Schlachtfeld jagte?“
„Wer
kennt denn schon diese alte Geschichte! Das grenzt an Gotteslästerung, sie zu
erzählen!“
„Nun
gut, Ilias beiseite, dann eben eine bekanntere Erzählung: Selbst Mars musste
die feinen Fesseln des Schmiedegottes spüren, als er in Flagranti mit Venus
erwischt wurde. Keine Erzählung im Himmel ist bekannter, der Ursprung des
homerischen Gelächters…“
Atticus
schielte mit einem Auge auf Titus und lachte besonders laut auf.
Titus
grunzte nur unwirsch.
„Ich
glaube, ich bin müde. Es ist schon spät…“
„Komisch,
ich fühle mich dagegen recht munter“, bemerkte Naso mit einem Lächeln.
Auf
Atticus’ Gesicht erschien ein spöttisches Grinsen „Mars ist also unsicher und
Venus nicht sicher?“, rekapitulierte er.
»Ah,
was führt er jetzt wieder im Schilde?«, fragte sich Naso mit Blick auf den
Schalk in Atticus‘ Augen.
„Und
deshalb nutzen Soldaten und Liebhaber gerne den Schlaf der Kontrahenten?
Fertiggemachte erheben sich wieder und… wo man sagen würde, dass sie niemals
niederfallen können, die erschlaffen?“, schlussfolgerte Atticus.
Naso
lachte.
„Meinen
Respekt! Genau so war es gemeint! Aber vielleicht sollten wir unsere
Unterhaltung ein andermal fortsetzen, ich will nicht unhöflich sein und zwei
Freunden die kostbare Zeit des Wiedersehens stehlen.“
„Du
bist dir sicher, dass dir nicht nur die Argumente ausgegangen sind – oder sind
sie dir zu heiß geworden? Ich habe jedenfalls noch immer meine Zweifel... Da
bist du mir nächstes Mal eine richtige Antwort schuldig, wie es einem gelehrten
Dichter wie dir geziemt! Und außerdem…“ Atticus zwinkerte verschwörerisch, „ich
könnte ein paar Tipps gebrauchen für stärkere Muskeln: so wie du vom
Stubenhocker zum Soldatenbezwinger...“
„Aber
bis ich wieder mit Titus zusammentreffe, das könnte dauern…“
„Nein,
so lange kann ich nicht warten!“, lachte Atticus. „Schick es mir als Gedicht!
Ich habe schon bei Propertius ein paar Gedichte mit Anmerkungen versehen
zurückgesandt. Freundschaftlich und gerade deswegen sehr sorgfältig kritisiert…
Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört. Ich hoffe, bei dir wäre das
anders?“
„Keine
Sorge, ich habe nichts gegen konstruktive Kritik!“
Wieder
zu Hause dankte Naso allen Göttern für die Gelegenheit in Beneventum jemanden
wie Atticus kennengelernt zu haben. Er verdankte ihm nicht nur eine wundervolle
Nacht mit Corinna und darüber hinaus vielleicht sogar sein Leben, sondern auch
den Beginn einer wunderbaren Freundschaft und regen geistigen Austausch.
Allein
am heutigen Abend verdankte er ihm -und unfreiwilliger weise auch Titus- eine
Menge Anregungen und Inspirationen.
Sogleich
machte er sich ans Werk:
„Jeder, der liebt, der führt Krieg und es
führt auch Cupido ein Lager,
Atticus,
komm, glaube mir: jeder der liebt, führt auch Krieg!
[…]
Daher siehst du mich flink
und beweglich des Nachts in Gefechten.
Wer also weichlich nicht sein will, ja der liebe drauf
los!“
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