Die „Rufus“-Reihe soll jeder verstehen und genießen können, Jugendliche und Erwachsene, Studierte und Nichtstudierte. Wer sich im Roman auf fremde Welten einlässt, der wird auf unterhaltsame Weise ganz automatisch kennenlernen, was die damalige Zeit so alles zu bieten hatte - und lernt beim Lesen wie von selbst. Alles so authentisch und historisch korrekt wie möglich zu erzählen und dabei spannend zu bleiben, das ist mein Ziel.
Die „AMORES - Die Liebesleiden des jungen Ovid“ sind dagegen nicht immer ganz jugendfrei (wie auch die Originalverse Ovids und seiner Zeitgenossen). Der Laie kann sich über die „moderne“ Sprache & Handlung freuen, der Fachmann über zahlreiche Anspielungen und intertextuelle Scherze.
Auf dem Blog zeige ich einen Blick hinter die Kulissen. Dabei gebe ich auch Hintergrundinformationen über Politik und Alltagsleben der späten Republik und frühen Kaiserzeit in Rom und einiger Kelten- und Germanenstämme.
Feste Probeleser aus verschiedensten Altersgruppen haben bereits die ersten Bände gelesen. Die Rückmeldungen setze ich um. Sehr gute Feedbacks kamen dabei nicht nur von Universitätsprofessoren und anderen Fachleuten sondern gerade auch von Schülerinnen und Schülern - vielleicht demnächst auch von dir? Gerne nehme ich jede gute Anregung auf (Rufus.in.Rom@gmail.com)...

Samstag, 30. September 2017

IX. Krieg führt ein jeder, der liebt: Liebe IST Kriegsdienst!

Als Textprobe hier ein Auszug aus dem neunten Kapitel des ersten Bandes „Die Liebesleiden des jungen Ovids – Einzig Corinna" (hier geht es  zumersten, zweitendritten, vierten, →fünften, sechsten, siebten und achten Kapitel)
Über Anregungen und Kommentare würde ich mich freuen!

Publius Ovidius Naso amores 1,9 amor cupido naso: militat omnis amans
amores oil on canvas ©Fran Recacha 2017 für den Ovid-Verlag / bearbeiteter Ausschnitt, 65% transparent
Kapitel 9: Krieg führt ein jeder, der liebt: Liebe IST Kriegsdienst! Vorsicht Schlangen: Kupplerinnen wie Dipsas

[...]
[Naso sammelt Informationen über Gaius Vedius Pollio, der in Baiae mit Corinna die Parilia feiert. Naso kämpft sich zu Fuß bis Ostia durch, wo er am Ende eine einigermaßen bezahlbare Mitfahrgelegenheit zum Golf von Neapolis findet. Als er nach mehreren Tagen auf rauer See endlich am Golf angelangt ist, findet er die Villa ohne Geliebte vor. Vedius und Corinna sind zum Stammsitz der Vedii Polliones nach Beneventum weitergereist. Naso folgt ihnen ohne Unterlass quer über die Berge Apuliens und lässt sich weder von blutigen Blasen, noch Graupelschauer, Hagel oder reißender Strömung aufhalten. Er späht seinen Gegner sorgfältig aus, „belagert“ sein Haus seines Rivalen und schafft es mit einem ausgeklügelten Plan, unbemerkt einzudringen…]
Auf Zehenspitzen schlich er weiter.
»Hier könnte es sein, das sieht aus wie Corinnas Mantel auf der Kiste da…«
Vorsichtig drückte er sein Ohr an die Tür.
Sachte zog er am Ring des Türknaufes, die Tür war nicht verschlossen. Abgesehen von ein paar glimmenden Kohlen im Dreifuß lag der Raum komplett im Dunkeln.
„He, wer da?“
Naso fuhr zusammen.
Die tiefe Stimme! Wie war denn der Türhüter so schnell wieder reingekommen?
Naso lief der kalte Schweiß den Nacken hinab.
Wie konnte er ihn nur überholt haben? Unmittelbar vor ihm leuchtete eine riesenhafte Gestalt in reinem Weiß auf.
Hatte jemand den Türhüter erschlagen und schon ging sein ruheloser Geist um?
„He, wer da, wer da?“, krächzte es erneut.
Langsam gewöhnten sich Nasos Augen an die Dunkelheit. Das weiße Tuch hatte doch recht bekannte Formen. Vorsichtig hob er es ein wenig an.
„Naso, Naso!“, erklang Corinnas Stimme.
„Loquax, hast du mich erschreckt!“
„Mein Schätzchen, mein Schätzchen, bis du wieder zu Hause?“
Naso ließ das Tuch wieder fallen. Das war also eindeutig Corinnas Zimmer.
Er suchte nach einem Öllämpchen, fand eines und zündete den Docht an den Kohlen an.
»Kein schlechter Geschmack, wirklich nicht…«
Anscheinend konnte Vedius Pollio mit seinem Reichtum besser umgehen als die meisten neureichen oder freigelassenen Römer: Elegante aber nicht aufdringliche Möbel, dunkles poliertes Zitrusholz mit schlichten Formen. Kein protziges Silber, einfaches geometrisches Muster auf dem Fußboden und die Wandmalerei zeigte im Mittelteil einen Landschaftsausblick mit zwei laufenden Personen in größerer Ferne. Erst beim näheren Hinsehen wurde Naso klar, dass der Künstler ganz dezent Apollo und Daphne kurz vor ihrer Verwandlung zum Lorbeerbaum angedeutet hatte.
Er musste lächeln.
»Wenn das kein gutes omen ist, Vedius soll sie einfach nicht zu fassen bekommen!«
Er ging zum kleinen Tisch, auf dem Schmuck, Schriftrollen und mehre Wachstäfelchen lagen. Einige enthielten sogar Gedichte von ihm selbst!
Gerührt, kullerte ihm eine Träne über das Gesicht.
»Mein Mädchen!«
Er nahm sich ein Täfelchen vor, radierte sein Vorgängergedicht aus und begann sofort ein neues Gedicht voller inniger Liebesbekenntnisse.
„Ah, du bist wieder in deinem Zimmer? Ich dachte, du wärest noch bei Gaius im…“
Wie angewurzelt hielt Naso inne.
Ein junger Mann stand in der Tür und musterte ihn mit wachen braunen Augen. In seiner linke trug er einen Glaspokal mit Wein, betrunken schien er jedoch nicht zu sein.
Einen Augenblick lang sah es so aus, als würde er einen Sklaven um Hilfe rufen, doch nachdem sein schneller Blick auf Nasos goldenen Ritterring, Nasos Gesicht und auf Nasos Hände mit Stilus und Täfelchen gefallen waren, hielt er inne.
„Du kommst mir bekannt vor…“
Er entspannte seine Schultern.
„Du mir nicht! Was machst du in ihrem Zimmer?“
Er lachte leise und zog die Tür zu.
„Angriff ist nicht immer die beste Verteidigung, weißt du?“
Er nippte an seinem Wein, stellte ihn ab und verschränkte die Arme.
Naso wusste nicht recht, was er von seinem Gegenüber halten sollte. Die Wachen hatte er nicht gerufen, aber auf seinen Trick war er auch nicht hereingefallen.
[…]
[Der andere entpuppt sich schließlich als Literaturliebhaber, der Naso bereits bei Messalla Corvinus vorgestellt wurde und ihm sehr zugetan ist: Marcus Pomponius „Julius“ Atticus. Mit einer gefälschten Nachricht wird Vedius zurück nach Baiae gelockt, während Atticus Naso und Corinna in seiner Reisekutsche nach Rom geleitet. Dort wird er später ausgerechnet vom zwischenzeitlich zurückgekehrten Titus zu dessen Freund Atticus geladen.]
„Was? Ein Liebhaber soll wie ein Soldat sein? Wer hat denn DEN Blödsinn erfunden! Schau dir doch nur unseren Titus hier an…“
Atticus schob den Ärmel der Tunika an Titus‘ Oberarm zurück und umfasste ihn mit beiden Händen. Ein paar Tropfen Wein fielen aus seinem Trinkglas, das er dabei immer noch in Händen hielt.
„Hier, das sind Muskeln! Wer keinen Kriegsdienst leistet und nur faul und träge zu Hause herumsitzt - oder in Schlafzimmern flaniert – glaubst du denn, dass der jemals so einen gestählten Körper bekäme?“ Lachend setzte Atticus wieder sein Glas an den Mund. „Und schon gar nicht so eine männliche Bräune…“ Herausfordernd fixierte er Naso mit seinen lebhaften braunen Augen.
Titus lächelte zustimmend, sagte jedoch nichts. Man konnte deutlich erkennen, dass er sich so nahe neben Atticus jetzt doch ein wenig unwohl fühlte.
Naso musste grinsen.
[…]
Oder bestand zwischen Titus und Atticus nur eine dieser politischen oder ererbten ʺFreundschaftenʺ? Naso konnte sich kaum vorstellen, dass dieser fast schon zu kultivierte Mann mit den wachen Augen und dem scharfen Verstand sich mit Titus viel zu sagen hatte.
»Ein Hoch auf das kleine Symposion - und darauf, dass keine Frauen anwesend sind! Vielleicht wird es ja doch amüsanter, als gedacht…«
[…]
„Und erst dieser straffe Körperbau…“
Feixend klopfte Atticus Titus auf Brust und Rücken, so dass der etwas von ihm abrückte und verlegen in sein Glas prustete.
Schließlich pikste er ihm noch in den Bauch, der sich merklich zu runden begonnen hatte.
»Titus kümmert sich offensichtlich gut um den Nachschub der Truppe, zu gut«, dachte Naso mit einem Lächeln. »Was Corinna wohl davon halten mag? Aber nein, Dipsas schirmt sie ja von ihm ab, um sie später mit Vedius zu verkuppeln. Dass ich der alten Vettel ausgerechnet deswegen einmal dankbar sein sollte…«
Titus schien den Schalk in Atticus‘ Augen nicht zu bemerken. Er rutschte auf der Liege so weit zur Seite, dass er gerade nicht herunterfiel. So hatte er sich seine kurze Heimatmission sicher nicht vorgestellt: Erst bekam er Corinna nicht mehr zu Gesicht, musste bei Atticus nächtigen und dann auch noch dieses mehrdeutige Verhalten seines alten Freundes!
Atticus gönnte Titus eine Ruhepause und klatschte in die Hände.
„Was man als Soldat jedenfalls nicht zu trinken bekommt –nicht einmal annähernd, das habe ich am eigenen Leib erfahren müssen- ist DAS hier…“
Die Sklavin hinter ihnen goss aus einer neuen Kanne ein.
„Ihr müsst wissen, dass ich mich zukünftig selbst ein wenig als Schreiberling versuchen möchte. Nichts wirklich Literarisches, aber Interesse und Gelegenheit bringen es mit sich, etwas über den Weinanbau zu schreiben… na, lieber Titus, was glaubst du, hat mein Weinkeller dazu zu sagen?“
Titus schnupperte, trank und dachte nach.
»Ein kluges Gesicht sieht anders aus…«
„Rotwein!“, brachte Titus schließlich mit einem dümmlichen Grinsen hervor.
„Beim Hercules!“, entfuhr es Naso.
Atticus lachte.
Natürlich war es Rotwein. Ein roter Falerner, halbtrocken – beste Qualität. Weit über der Mindestreife von fünfzehn Jahren. Besäße Titus auch nur ein Mindestmaß an Kultiviertheit, hätte er wenigstens die Richtung erkennen müssen!
„Die kommt aus dem Nachlass meines Vaters. Wenn das Etikett stimmt, dann stammt sie noch aus dem Amtsjahr der Konsuln Lucius Opimius und Quintus Fabius Maximus Allobrogicus. Angeblich hat er öfters so eine mit Cicero getrunken, so wie es in seinen Briefen steht. Auf euer Wohl!“
„Prosit!“
„Prosit!“
Atticus lehnte sich zurück und genoss den Wein und die Frühlingsbrise.
Titus und Naso taten es ihm gleich.
[…]
Schön war es, im Garten dieses Atticus. Der Frühabend des Maius zeigte sich von seiner besten Seite. Die Vögel zwitscherten und bei jedem Windhauch wehte ein anderer Blütenduft an sie heran. Der Garten schien wirklich äußert kunstvoll arrangiert. Dezente Wasserspiele, Hecken, Bäume und Sträucher nur soweit geschnitten, dass sie nicht ungepflegt wirkten, ansonsten wie ein Hain in freier Natur – und das mitten auf dem Palatin!
Naso blickte zu seinem Gastgeber herüber: Um dessen Lippen spielte schon wieder ein spöttisches Lächeln. Naso rutschte auf der Liege vor, um zu sehen, was als nächstes kam.
»Der führt doch irgendwas im Schilde…«
Doch Atticus seufzte nur wohlig und räkelte sich faul.
Titus entspannte sich zusehends, gab ebenfalls einen Seufzer von sich und wandte sich wieder dem Wein zu.
[…]
„Sag mal Atticus“, versuchte es Naso forsch, „ist dein Weingeschmack für einen ʺAtticusʺ nicht viel zu römisch? Wozu braucht ein ʺAtticusʺ eigentlich freie Sicht aufs Forum und den Senat? Bist du kein Epikureer wie dein Vater, fern vom Staat und oft in Athen und hier im Theater?“
Titus sog hörbar die Luft ein aufgrund dieser Respektlosigkeit.
Ein paar Papageien krächzten in ihren Käfigen.
Doch Atticus lachte nur.
„Als ob Forum und Senat heutzutage noch das Herz des Staates wäre… Da musst du eher hinter uns schauen, den Palatin hoch!“
Titus erstarrte. Er ließ sein Glas fallen, das langsam in das Gras sank und mit seinem Inhalt die hellgrünen Halme netzte.
„O, schade um den Wein… nein lieber Titus, natürlich leben wir noch in einer Republik,“ klopfte Atticus Titus beruhigend auf den Rücken. „Selbstverständlich schätze ich den Erhabenen und das Haus der Julier… es sitzt uns eben nur im Rücken.“
Titus wusste nicht, ob er sich beruhigt oder beunruhigt fühlen sollte. Unsicher sah er zwischen Atticus und Naso hin und her, schloss sich am Ende jedoch ihrem Lachen an.
„Die guten Julier“, lächelte Atticus, „haben uns schließlich den Frieden gebracht. Ist nicht mehr ganz so entbehrungsreich bei der Armee, wie früher, oder Titus?“ Er klopfte Titus dabei so kräftig auf den Rücken, dass dessen Bauch sichtlich zu wackeln begann.
Naso grinste breit.
„Doch, natürlich!“, widersprach Titus heftig. „Wie kannst du so etwas nur behaupten? Es ist sogar so anstrengend, dass es neue Vorschriften gibt, wir sollen nur noch junge und kräftige Soldaten rekrutieren. Die Armee ist nichts mehr für Alte und Schwache, das weißt du doch! Und gut trainiert muss man auch sein. Wer nur rumhängt, der taugt nichts. Du hast es ja vorhin selber gesagt: Ein Müßiggänger von Liebhaber, der ist ganz sicher nicht wie ein Soldat. Niemand, den wir brauchen könnten. Aber dafür gibt es ja noch Männer wie uns!“
Titus hob seinen Arm und spannte seinen Bizeps an.
Atticus zwinkerte Naso erwartungsfroh zu.
Naso nahm die Aufforderung zur Kenntnis.
„Ja, natürlich! Wobei… du hast doch eine schöne Freundin, nicht wahr?“
„Sicher, du kennst sie doch gut! Hast du nicht an meiner Stelle für sie gesorgt?“
„Durchaus…“
Atticus zog eine Augenbraue nach oben, doch Titus fiel der besondere Klang in Nasos Stimme nicht auf.
„Dann stell dir einmal vor, sie sollte einen Alten heiraten, also einen noch viel Älteren als dich, so eine richtige Komödienfigur…“
„Niemals! Igitt, Meine Liebste und so ein alter Vogel? Das wäre ja widerlich!“
„So widerlich wie ein greisenhafter Soldat, wäre für dich also eine greisenhafte Liebe?“, grinste Atticus.
„Mindestens!“
hoc habet!“, konterte Naso in Militärsprache, „Treffer - der Punkt geht an mich!“
Titus verzog unwirsch das Gesicht.
„Vielleicht,“ sprang Atticus seinem Freund bei, „aber deswegen gibt es doch noch immer eine ganze Menge an wichtigen Unterschieden, nicht wahr?“
„Aber immer, beim Mars!“, rief Titus aus. Liebe ist faul, Mars aktiv. Ein Liebhaber ist träge, der Soldat rastlos tätig.“
„Ja sicher!“, ergänzte Atticus. „Liebe ist nur eine Folge von Faulheit, das ist nicht umsonst die allgemeine Meinung. Kannst du auch nachlesen, ich erinnere mich da an viele Plautus-Verse, im Mercator, Trinummus, Truculentus und den Mostellaria, Catullus‘ einundfünfzigstes Carmen und Ciceros viertes Buch der Gespräche in Tusculum… selbst Euripides bestätigt es: œroj g¦r ¢rgÕn k¢pˆ toioÚtoij œfu.“
„Und was ist mit Platons Symposion,“ brachte Naso die Antithese in Stellung, „legt nicht schon Platon dar, dass die gerade die Liebe den Menschen inspiriert, aktiv zu werden - und es zu bleiben? Ebenso bei Alpheus von Mytilene. Interessanterweise gibt auch Platon der Liebe einen militärischen Anstrich…“
Titus schnaubte erregt.
„Militärischer Anstrich? Was soll das denn sein? Entweder man kämpft und man ist militärisch oder man ist kein Soldat, dann gibt’s auch nix Militärisches, auch keinen Anstrich!“
„Beruhige dich, mein Freund!“, lachte Atticus. „Entschuldige Naso, Titus ist ein guter Soldat, das kann ich selbst bezeugen – aber mit der Literatur hat er’s nicht so wirklich…. Aber um auf deinem Felde zu kämpfen, junger Liebesdichter, allzu viel militärische Sprache und Motive gab’s vor den Elegikern recht selten in Liebesdichtung, da hat er Recht. Und hat nicht gerade auch Tibullus das Thema als Gegenüberstellung verdeutlicht? Den Gegensatz zwischen Soldat und Liebhaber, die Anstrengungen des einen und die Trägheit des anderen?“
„Meinst du in der Lebensführung oder in der Dichtung.“
„Keine schlechte Antwort, wirklich…“, lachte Atticus und zwinkerte Naso verschwörerisch zu. „Nein, ich dachte an das Werk, nicht das Leben. Obwohl er vielleicht in den Dienst hätte gehen sollen als Heilmittel gegen unglückliche Liebe...“
„Du meinst im ersten Buch die Gegenüberstellung des faulen, liebenden Dichters im Arm seines Mädchens gegenüber dem tatkräftig soldatischen Messalla, oder im zweiten mit der Widmung an Macer im Feldlager?“
Atticus zog eine Augenbraue nach oben.
„Beim Apollo! Zitatenfest bist du ja, das muss ich dir lassen. Wenn du deine Vorbilder so gut kennst, warum drehst du dann ihr Weltbild wieder um? Du pervertierst doch damit dann das fundamentale Konzept der militia amoris! Das hat doch erst den Reiz des Genres Liebeselegie ausgemacht, dieser unangepasste Lebenswandel: Dieses metaphorische Selbstporträt als Soldaten in der Armee des Cupido als schreiender Kontrast und schockierende Ablehnung einer öffentlichen Karriere in der römischen Armee, was der gesellschaftliche Druck eigentlich verlangt…“
„Unangepasster Lebenswandel - führst du nicht auch so einen?“, wagte sich Naso aus dem Fenster.
hoc habet – getroffen, schon wieder ein Punkt für dich!“, lächelte ihm Atticus zu. Nasos Offenheit schien ihm sehr zu gefallen. „Aber wie kannst du etwas umkehren, was du fortführst? Tibullus bezeichnet sich als faul, segnis und iners, aber dennoch auch als Feldherr und guter Soldat Cupidos und klagt Macer der Desertion des otium des Kriegsdienstes unter dem Liebesgott an. militia amoris, ist für ihn also Trägheit und daher…“
Ein langgezogenes Stöhnen unterbrach ihn.
„Titus, was gibt es denn?“
„Ihr hört euch schon an wie ein Abend mit Sulpicia! Dabei hattest du etwas von Symposion ohne Frauen und ohne Stress erwähnt, nur unter drei Männern…“
„Schön, kehren wir jetzt zu Männern zurück!“
Atticus klatschte in die Hände und ließ Titus nachschenken. Danach scheuchte er die Sklavin davon.
„Die habe ich doch nicht gemeint, ganz im Gegenteil, die könnte doch nachher…“
Doch Atticus sah einfach über seine Bemerkung hinweg.
„Also Naso, unter Männern: Wie willst du den Gegensatz zwischen Soldat und Liebhaber gleichmachen?“
Titus verdrehte die Augen.
„Lachhaft, einfach lachhaft… ihr tut ja direkt so, als könnte die Liebe eine Lebensaufgabe sein! Das ist doch kein Beruf!“
„Nein, eine Berufung“, konterte Naso.
„Unsinn! Die einzige Berufung, die ein Römer kennen muss, ist Kriegsdienst, nicht Liebe. Wenn ihr schon ständig irgendwelche Dichter hinzuziehen müsst, das weiß sogar der größte. Warum sonst hätte der Erhabene uns davon zahlreiche Kopien mit ins Heerlager geben sollen?“
„Und wen genau meinst du damit?“, fragte Naso scheinheilig.
„Na den Verigilidingsbums da – Herrschen und Niedermachen fremder Völker, das ist der göttliche Auftrag an uns, die Weissagung des Anchises. Kriegen, Siegen und Herrschen, unsere vom Schicksal vorgegebene Bestimmung:

Tu… regere imperio populos, Romane, memento.
hae tibi erunt … erunt… ar… artes – pacique imponere morem,
pa… pa… parcere subiectis et debellare superbos.

Titus grinste stolz, nachdem er die Verse endlich vollendet hatte. Er schnaufte vor Anstrengung, als habe er gerade eigenhändig alle Bücher der Aeneis in einem Aufwasch verfasst oder gar die ganze Welt erobert. Immerhin -zwar stockend, aber doch- konnte er drei Verse auswendig skandieren.
Vermutlich hatten die Offiziere im Grenzdienst nicht viel zu lesen und noch weniger zu tun.
„Natürlich, der Vergilidingsbums mit seinen Römerversen. Wer auch sonst… Du bist also der Meinung, nichts sei unterschiedlicher als ein Liebhaber zu Hause und ein Soldat im Feld?“, forschte Naso.
„Natürlich!“
„Und wie war das mit dem richtigen Alter? Fordern nicht sowohl Feldherren als auch schöne Mädchen ausschließlich starke junge Männer zum Bund?“
Titus verschränkte die Arme.
„Abgesehen davon, natürlich…“
„Gut, aber was ist mit der männlichen Energie, die der Soldat ständig einsetzen muss?“, fragte Atticus nach. „Ich weiß, warum ich das nicht mehr mache, auf dem Erdboden schlafen, Nachtwachen, Wache schieben vor dem Zelt des Oberkommandierenden und der ganze Mist?“
„O, wachsam ist auch der Liebhaber, das kannst du mir glauben…“, entwich es Naso mit einem schelen Seitenblick auf Titus.
„Du meinst im Bett? Das zählt nicht, das ist viel bequemer und das dauert auch wieder nicht so lange, schon gar nicht die ganze Nacht – du übertreibst!“
„Aber erinnere dich doch nur an Beneventum…“
Einen Augenblick lang war Naso drauf und dran, auf seiner These zu beharren, etwas konkreter zu werden und seine Verdienste in Beneventum als Beweis zu nennen. Doch ein wissender Blick des Atticus und dessen warnende Geste mahnten ihn wieder zu einer unverfänglicheren Theorie.
„Nein, vergiss es… Ich meine nicht im Bett, ich meine vor der Tür der Liebsten: Da ruht man auch auf dem nackten Boden.“ »Oder auf dem Dach«, erinnerte er sich. „So wie der Soldat die Tür des Feldherrn bewacht, so wacht der Liebende vor der Tür seiner Angebeteten.“
Titus bekam große Augen.
„Vielleicht weißt du doch, worüber du schreibst…“, murmelte er.
„Kann durchaus sein“, gab Atticus zu, „aber der Militärdienst scheint mir dennoch härter. Die ganzen Märsche durch unwegsames Gebiet, das härtet doch etwas anders ab, als das Liebesleben. Welcher Liebhaber muss denn schon marschieren?“
„Dann ordne doch einmal so ein Mädchen ab!“ Naso massierte seine zu Schwielen verhärteten Blasen. „Unablässig und ohne Ende wird ihr der Liebende folgen! Da hindern weder Berg noch Gebirge, weder über die Ufer getretenen Flüsse noch reißende Wildbäche. Schneemassen wird er mit seinen Füßen niedertrampeln und auch keine Ostwinde vorschützen oder auf bessere Sternbilder warten, wenn er raus aufs Meer muss.“
Titus zog eine Augenbraue hoch.
»O, war das zu viel? Hat er die Anspielung bemerkt?«
„Ein Liebhaber geht also bei jedem Wetter raus?“, erkundigte sich Atticus lächelnd. „Kann ich mir nicht vorstellen…“
„Hast du eine Ahnung!“, rief Naso aus. „Er muss! Wer, wenn nicht der Soldat oder der Liebhaber erträgt die Kälte der Nacht, Graupelschauer, Schneeflocken, die sich mit kaltem Regensturm mischen?“
Titus zog skeptisch seine Brauen hinunter.
„Sag bloß noch, auch der Liebhaber muss raus zur Gelände- und Feinderkundung…“
„Warum nicht? Der eine wird als Kundschafter unter die Feinde geschickt, um sie auszuspionieren, der andere unter die Rivalen, um die Feinde im Auge zu behalten.“
Er hielt den Kopf schräg und schielte zu Titus hinüber.
Atticus lachte.
„Beim Hercules! Mir scheint, du siehst das als deklamatorische Übung! Oder einen Test der Auffassungsgabe… Nette comparatio, wirklich. Aber hast du tatsächlich für alles einen passenden Vergleich auf Lager? Was ist mit Belagerungen von schwer zu nehmenden Städten, dem Aufbrechen von Stadttoren, nächtlichen Überfällen, wenn sich die Soldaten den Schlaf der Feinde zu Nutze machen, dem Elend des armen Soldaten, der Wächter und Scharen von Wachen umgehen muss?“
Naso lächelte zufrieden, genau die richtige Herausforderung für jemand wie ihn:
„Belagerung der Türschwelle der Geliebten, vor der man sitzt, schwer zu nehmendes Mädchen, Aufbrechen von Türen, nächtliche Überfälle, wenn sich die Liebhaber den Schlaf der Ehemänner zu Nutze machen, das nicht mindere Elend des Liebenden, der Türhüter und Scharen von Aufpassern umgehen muss“, zählte er mühelos herunter. Seine Augen blitzten vor Vergnügen. Er dachte an den armen Titus, der nicht einmal die Hälfte mitbekam und in diesem Vergleich gleich doppelt auftauchen musste.
»Beinahe tut er mir schon leid…«
Atticus dagegen schien die Situation zu verstehen und amüsierte sich offenbar prächtig. Bestimmt hatte er ihm bewusst diese Vorlage gegeben, da war Naso sich jetzt sicher.
Atticus schnippte mit den Fingern, zwei Sklavinnen stellten Kohleroste um die Liege, um die einsetzende Abendkühle zu mildern.
Nur Titus wurde zunehmend unwirscher, seines zügigen Weinkonsums zum Trotz.
„Ihr und euer Gelehrtengerede… als ob die Liebe so gefährlich und unsicher wäre wie ein Krieg! Nur Mars ist wirklich unsicher, Liebe ist doch ein recht sicherer Bereich.“
Atticus gluckste vor Vergnügen.
„So, meinst du, mein Freund?“
„Und ob – zumindest…“ Titus schmunzelte, „für jemand wie mich: Liebst du eine, schon die deine! Man muss eben Schönheit UND Kraft haben…“
„Du meinst, du bist viel kräftiger als wir?“
„Beim Hercules, natürlich, als ihr beide zusammen! Wozu bin ich in der Armee…“
„Einverstanden, lass uns sehen!“
Naso nahm die Herausforderung dankend an. Titus war nicht mehr ganz so nüchtern, wie er erschienen war. Auch hatte sein Bizeps schon einmal beeindruckender ausgesehen, im letzten Winter.
„Im Ernst, du wagst eine Runde Armdrücken mit mir, kleiner Dichter?“, freute sich Titus.
„Wunderbar“, freute sich Atticus, „Soldat gegen Liebhaber – dann sehen wir ja, wie weit sie sich gleichen…“
Atticus erhob sich von der Liege, Titus und Naso knieten sich davor ins Gras und gaben sich die Hände.
„Eins, zwei, drei … los!“
Titus drückte mit aller Kraft.
»Gleich hat er mich«, dachte Naso.
Doch der gefürchtete Ansturm blieb aus. Zu seiner Verwunderung stellte Naso fest, dass sein tägliches Training, seine kräftezehrenden Märsche und seine Mühen um Corinna ihn so stark gemacht hatte, dass er Titus aufhalten konnte – zumindest einen angetrunkenen Titus, der lange nicht mehr in Form war.
»Das Lagerleben an der Grenze muss todlangweilig sein, ohne jede Herausforderung oder Anstrengung für einen hohen Offizier…«
Es gelang Naso sogar, Titus Hand ein wenig zurückzudrücken.
Titus war zuerst mindestens ebenso überrascht. Dann stemmte er sich mit aller Kraft dagegen. Sein Gesicht wurde tiefrot, blaue Adern traten hervor, Schweiß entrann den Poren, floss in Strömen die Stirn hinunter und tropfte auf die Liege.
Naso hielt immer noch dagegen.
Der Gedanke, Titus zu besiegen, war einfach zu verlockend. Er mobilisierte alle Kräfte, doch kam er kein Stück weiter.
Titus umklammerte jetzt mit der freien Hand die Liege, bis seine Fingerknöchel weiß hervortraten.
Nasos Handgelenk wich einen Fingerbreit zurück, dann noch einen Finger. Unaufhaltsam schob Titus seine Faust vor.
Auch Naso war längst schweißgebadet.
In der Mitte kamen beide Fäuste zitternd zum Gleichgewicht.
Lang würde Naso das Patt nicht mehr halten können. Unaufhaltsam schob Titus ihn einen Fingerbreit weiter.
Titus stöhnte vor Anstrengung, spannte alle Muskeln an und bereitete den finalen Ansturm vor.
„Gleich hat er dich Titus!“, brüllte Atticus auf einmal ohrenbetäubend, „Der Soldat verliert ja!“
Titus zuckte zusammen, seine Konzentration war unter dem Aufschrei zusammengebrochen.
Naso nutzte die kurze Pause und stemmte sich genau in diesem Augenblick mit seinem gesamten Körpergewicht und der schieren Kraft seines Willens gegen seinen Kontrahenten.
Ein unbändiger Wille.
„Aaahhrg!“, schrie Titus kehlig und schüttelte ungläubig seine Hand.
Naso hatte ihn losgelassen.
Er hatte tatsächlich gewonnen.
Entsetzt und ein wenig dümmlich stierte Titus erst auf seine Hand, dann auf Naso. Schließlich schob er Nasos Oberarm hoch und musterte ihn überrascht.
„Du hast ja trainiert! Das ist gar nicht mehr das schlaffe Ärmchen des Dichteres, den ich Anfang des Winters kennen gelernt habe…!“
„Da kannst du mal sehen, was die Liebe aus einem Mann alles macht!“, rief Naso triumphierend. „Venus vermag mehr als Mars.“
Atticus lachte verschmitzt über Titus‘ Entsetzen.
„Na, warst du doch als miles tiro bei den Soldaten? Titus hat dich unterschätzt. Er hat wohl geglaubt, du wärest nur für den Müßiggang geschaffen.“
„Das war ich auch“, lächelte Naso „faul und geradezu geboren für ungegürtetes Nichtstun. Mein Bett und das Schreiben im Schatten, so als richtiger Stubenhocker, das hatte mich tatsächlich ganz schön verweichlicht…. Aber dann hat mich in meiner Faulheit die Leidenschaft zu einem schönen Mädchen angetrieben und mir befohlen, in ihrem Lager meinen Sold zu verdienen.“
„Mgrmpf“, grummelte Titus verärgert, „vor allem ungegürtet!“
Atticus grinste amüsiert.
„Sieh einer an, selbst Titus erkennt das ʺlässigeʺ Wortspiel! Sag mal, hat man dich auch schon mit dem Entzug des Gürtels diszipliniert?“
Titus grunzte ungehalten.
„Aha, sieht also ganz danach aus... Gute alte Soldatenstrafe. Aber sag mal, Naso, was vermag Leidenschaft schon mit Kraft und Muskeln anzustellen?“
„Alles! Jetzt bin ich eifrig, fechte sogar des Nachts Kämpfe aus. Amor hat meinen Körper dafür passend gemacht, nicht nur kräftig, auch beweglich: Er zeigt am besten, wie man sich leicht an wachhaltenden Wächtern vorbeischleicht und die Füße so aufsetzt, dass sie keinen Lärm machen. Wer stark sein will, beweglich und agil anstatt dem Müßiggang zu verfallen, der soll lieben!“
Titus richtete sich mit einem Ruck auf.
„WEN liebst du…?“
„Im Moment keine – sieh mich nicht so an, ich bin nicht der Grund, warum dein Schätzchen gerade keine Zeit für dich hat.“
„Bei deiner Ehre?“
Titus musterte ihn skeptisch.
Naso wurde heiß. Seine Wangen begannen zu glühen, doch er hielt Titus‘ Blick stand.
„Ich hatte schon gedacht, dass… also nur so ein komisches Gefühl, jetzt nachdem du im Armdrücken gewonnen hast… also, dass du nicht nur auf sie aufgepasst, um sie vor meinem Rivalen zu schützen… also sie mit dir…“
„Mit miiiiiir?“antwortete Naso gedehnt, „wie kommst du nur darauf?“
„Sie war zwar nicht zu sprechen, ich bin mir aber sicher, dass da noch jemand im Hause war.“
„Also ich war‘s jedenfalls nicht, ich bin ja hier, wie du siehst und noch vor dir bei Atticus angekommen. Wenn du zuvor noch bei ihr vorbeigesehen hast…“
Das war nur die halbe Wahrheit. Natürlich hatte Naso versucht, noch bei Corinna vorbeizuschauen, vielleicht hätte er sogar Atticus‘ Einladung ausgelassen - wenn sie ihn eingelassen hätte. Dafür hätte Titus ihn beinahe tags zuvor erwischt. Naso dankte Mercurius, dass Nape ihm und Corinna gerade noch rechtzeitig ein unverfängliches Zeichen hatte geben können, so dass er sich durchs Fenster davongemacht hatte, bevor Titus zur Tür herein kam. Naso schauderte immer noch in Gedanken an seine Flucht. Eigentlich hätte es ja schon Gewohnheit sein sollen, aber bei Titus hatte es immer noch einen besonderen Charakter. Schließlich wusste man ja nie, ob einen bereits ein paar von Titus‘ Schlägern erwarteten, allen voran dieser Brutus…
„Na, schon aber… na gut, wird schon stimmen. Oder, Atticus, war er lange vor mir da?“
„Lange vor dir!“, lächelte Atticus zweideutig.
Titus bedachte noch immer Naso mit zweifelnden Blicken.
„Und überhaupt“, schob Naso nach, „meine Flamme hieß Corinna. So hast du doch noch keine Liebste genannt oder?“
Naso war heilfroh, dass Corinna ihm bei der ersten Begegnung nicht ihren wahren Namen genannt hatte und sie es dabei belassen hatten. Und, das sie sich von Titus nicht mit ihrem Pseudonym nennen ließ. Musst wohl an Titus‘ Freund, ihrem Patron Carisius liegen…
Titus beruhigte sich wieder und setzte sich. Dann schreckte er aber plötzlich wieder hoch.
„Aber irgendetwas ist da im Busch, das fühle ich genau! Wenn du es nicht bist, was ist es dann – oder wer? Ich sollte wirklich Carisius aufsuchen, der soll ihr als Patron ins Gewissen reden und…“
„Das würde ich lieber sein lassen,“ riet ihm Naso, „was glaubst du wohl, wie deine Liebste erst reagiert, wenn du sie zwingst? Du willst doch, dass sie dich freiwillig und voll Leidenschaft liebt - und nicht gezwungen und voll Verachtung, oder?“
Titus nickte stumm und ließ die Schultern hängen.
„Ich wollte nur ich wüsste, was los ist. Wenn man den Gegner nicht kennt, kann man auch nicht gegen ihn kämpfen… ich bin so durcheinander, ich verliere sogar schon gegen einen Liebesdichter…“
Naso legte mitfühlend einen Arm um Titus Schulter.
„Das war nur Glück! Atticus hat dich abgelenkt, das wissen wir doch alle. Aber was ich dir schon sagen wollte – aber ich will mich natürlich nicht einmischen und mich zwischen euch drängen…“
„Nein, keine Sorge – rede!“
„Ich habe da zufällig etwas mitgehört, als ich in der Via Sacra war – Tinte und Papyrus kaufen… nicht, dass ich vorgehabt hätte, deine Liebste zu belauschen… reiner Zufall! Außerdem sollte ich ja auf sie aufpassen…“
Titus sprang von der Liege hoch und schüttelte Naso an den Schultern.
„Na los, sag schon, beim Hercules!“
„Na gut, um unserer Freundschaft willen: Es ist kein Zufall, dass du gerade nicht zu Corinna durchdringst. Ich bin mir sicher, die alte Hexe Dipsas blockiert dich!“
„Wie das? Mit Zaubersprüchen?“
„Kann sein, aber zumindest effektiver mit ihrer Lästerzunge. Also, ich war gerade unten in der Via Sacra, da höre vor dem Laden, wie dein Herzblatt mit so einer alten Kupplerin spricht - Arm in Arm! Dipsas, heißt die Alte: Weißsst du, mein Goldkind, dasss du gestern Eindruck auf einen reichen jungen Mann gemacht hassst? Du musst wissen, sie hat ein paar Zahnlücken. Du hassst ihm sssehr gefallen!
„Was? Ein reicher junger Mann? Vielleicht hat sie mich gemeint…“
„Nein, da warst du ja schon nicht mehr in Rom. Jedenfalls hat diese Dipsas alles versucht, mit all‘ ihrer Rhetorik, um dich und deine Liebste auseinander zu bringen und sie mit so einem reichen Burschen zu verkuppeln.“
„Beim Herkules! Na warte, der kann etwas erleben! Ich gehe gleich zu Carisius und…“
„Langsam, mein Freund!“
Atticus drückte ihn sanft auf die Liege zurück.
„Auch das würde ich lieber sein lassen. Dein Gegner ist ein Gastfreund von mir, Gaius Vedius Pollio, und hat beste Beziehungen zum Kaiserhaus!“
„Aber gegen die alte Vettel kannst du getrost vorgehen“, riet Naso. Kein Julier würde für sie eintreten. Außerdem ist ja die Alte an allem Schuld und nicht der arme Vedius Pollio“
Erneut sprang Titus in die Höhe und ballte die Fäuste.
„Die kann was erleben! Wenn ich das Carisius erzähle… nein besser: Wenn ich die persönlich in die Finger bekomme, ich werde ihr ihre Lästerzunge schon ausreißen, ich werde…“
Zufrieden lehnte sich Naso zurück und ließ Titus alles aufzählen, was ihm an Gegenmaßnahmen, Drohungen, Verwünschungen und Bestrafungen alles einfiel. So richtig eifersüchtig war er vor allem auf Titus - aber der war bald wieder fern, fern und aus dem Weg. Wenn Titus über Carisius einen Weg finden würde, um Vedius als Rivale aus dem Weg zu räumen, dann hatte er in Rom freie Bahn. zumindest solange Titus bei der Armee weilte…
Doch Atticus schien seinen Spaß noch ein wenig weiter treiben zu wollen. Es gelang ihm, Titus wieder zu beruhigen.
„Langsam, mein Freund! Du weißt ja noch gar nicht, ob deine Liebste auf ihr Ex-Mütterchen eingeht. Und überhaupt, wenn sie dich wirklich liebt - was fürchtest du dich denn vor einem Möchtegern Liebhaber, der nicht einmal Soldat ist? Jemand ohne Erfahrung ist doch in Liebesdingen sicher keine ernsthafte Bedrohung für dich, alter Haudegen!“
„Du hast Recht“, entspannte sich Titus schließlich mit einem breiten Grinsen. „Was mache ich mir Sorgen? Auf kurz oder lang weiß sie sicher, was sie an mir hat. Notfalls kann es ihr Carisius sagen. Sicher nur so ein weiterer träger Liebhaber und Stubenhocker…“
„Nein, glaube das nicht!“, versetzte Naso ihn wieder gezielt in Beunruhigung. „Dein Gegner ist jung und schön. Du musst ihn als ernsthaften Konkurrenten betrachten, wenn du ihn besiegen willst. Sonst wirst du in der Liebe genauso verlieren, wie gerade noch gegen mich im Spiel. Mars ist unsicher, gewiss… Aber ebenso die Liebe: Sei dir nur niemals zu sicher zu siegen. Also hört auf, die Liebe faul zu nennen! Nur mit strategischer Begabung darf man sich auf sie einlassen.“
Atticus zog eine Augenbraue nach oben.
„So taktisch anspruchsvoll ist die Liebe neuerdings, so wechselhaft und unbeständig?“
Atticus warf Naso einen auffordernden Blick zu. Vermutlich wollte er seine Spielchen weiter treiben.
»Schön«, dachte Naso, »immerhin schulde ich ihm etwas. Soll er seine Unterhaltung bekommen, biete ich ihm weiter als Dichter Paroli…«
„Nein!,“ rief Naso überzeugt. „Nicht neuerdings, schon immer! Venus bleibt sich treu. Du bist doch belesen, …“
Atticus prustete in sein Weinglas und wendete sich schnell ab, um nicht laut zu lachen. Naso fuhr ungerührt fort während Titus ihn treuherzig anstarrte.
„…sieh dir nur die allerersten mythische Beispiele an: Brannte der feurige Achilleus nicht in Leidenschaft zur beschlagnahmten Briseïs? Sein Eingreifen und Fernbleiben sah man als kriegsentscheidend an, der Ansporn war Liebe. Hektor schritt aus Andromaches Armen zu den Waffen, seine Frau gab ihm den Helm, obwohl er ihren kleinen Astyanax erschreckte. Agamemmnon verstummte, als er Kassandra sah…“
„Ach was, Mars ist stärker!“, beharrte Titus. „Alle drei kämpften schließlich, Geliebte oder Frau hin oder her – sie haben sich alle nicht abhalten lassen, zu kämpfen, gesiegt hat immer Mars!“
„Selbst Mars wurde geschlagen, oder wie war die Geschichte mit Diomedes, der ihn in seiner Männlichkeit traf und vom Schlachtfeld jagte?“
„Wer kennt denn schon diese alte Geschichte! Das grenzt an Gotteslästerung, sie zu erzählen!“
„Nun gut, Ilias beiseite, dann eben eine bekanntere Erzählung: Selbst Mars musste die feinen Fesseln des Schmiedegottes spüren, als er in Flagranti mit Venus erwischt wurde. Keine Erzählung im Himmel ist bekannter, der Ursprung des homerischen Gelächters…“
Atticus schielte mit einem Auge auf Titus und lachte besonders laut auf.
Titus grunzte nur unwirsch.
„Ich glaube, ich bin müde. Es ist schon spät…“
„Komisch, ich fühle mich dagegen recht munter“, bemerkte Naso mit einem Lächeln.
Auf Atticus’ Gesicht erschien ein spöttisches Grinsen „Mars ist also unsicher und Venus nicht sicher?“, rekapitulierte er.
»Ah, was führt er jetzt wieder im Schilde?«, fragte sich Naso mit Blick auf den Schalk in Atticus‘ Augen.
„Und deshalb nutzen Soldaten und Liebhaber gerne den Schlaf der Kontrahenten? Fertiggemachte erheben sich wieder und… wo man sagen würde, dass sie niemals niederfallen können, die erschlaffen?“, schlussfolgerte Atticus.
Naso lachte.
„Meinen Respekt! Genau so war es gemeint! Aber vielleicht sollten wir unsere Unterhaltung ein andermal fortsetzen, ich will nicht unhöflich sein und zwei Freunden die kostbare Zeit des Wiedersehens stehlen.“
„Du bist dir sicher, dass dir nicht nur die Argumente ausgegangen sind – oder sind sie dir zu heiß geworden? Ich habe jedenfalls noch immer meine Zweifel... Da bist du mir nächstes Mal eine richtige Antwort schuldig, wie es einem gelehrten Dichter wie dir geziemt! Und außerdem…“ Atticus zwinkerte verschwörerisch, „ich könnte ein paar Tipps gebrauchen für stärkere Muskeln: so wie du vom Stubenhocker zum Soldatenbezwinger...“
„Aber bis ich wieder mit Titus zusammentreffe, das könnte dauern…“
„Nein, so lange kann ich nicht warten!“, lachte Atticus. „Schick es mir als Gedicht! Ich habe schon bei Propertius ein paar Gedichte mit Anmerkungen versehen zurückgesandt. Freundschaftlich und gerade deswegen sehr sorgfältig kritisiert… Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört. Ich hoffe, bei dir wäre das anders?“
„Keine Sorge, ich habe nichts gegen konstruktive Kritik!“



Wieder zu Hause dankte Naso allen Göttern für die Gelegenheit in Beneventum jemanden wie Atticus kennengelernt zu haben. Er verdankte ihm nicht nur eine wundervolle Nacht mit Corinna und darüber hinaus vielleicht sogar sein Leben, sondern auch den Beginn einer wunderbaren Freundschaft und regen geistigen Austausch.
Allein am heutigen Abend verdankte er ihm -und unfreiwilliger weise auch Titus- eine Menge Anregungen und Inspirationen.
Sogleich machte er sich ans Werk:

Jeder, der liebt, der führt Krieg und es führt auch Cupido ein Lager,
            Atticus, komm, glaube mir: jeder der liebt, führt auch Krieg!
[…]
Daher siehst du mich flink und beweglich des Nachts in Gefechten.
            Wer also weichlich nicht sein will, ja der liebe drauf los!

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