Kapitel
7: Ins Gefängnis mit den Händen: Schlag keine Frisur!
Völlig
aufgelöst saß Naso auf einem der Korbsessel in Mesallas riesiger Bibliothek.
Tränen liefen über die Wangen. Er schwitzte und sein gehetzter Blick verlieh
ihm einen tief verstörten Eindruck.
Nervös
kaute er auf seinen Fingernägeln herum.
Propertius
löste sich von Sulpicia und setzte sich zu ihm.
„Noch
einmal langsam!“, bat er und legte seinem jüngeren Freund behutsam seine Hand
auf die Schulter. „Du warst also bei Corinna?“
Naso
nickte nur stumm.
„Hör
endlich auf, an deinen Fingernägeln herum zu kauen!“, fuhr ihn Sulpicia heftig
an. „Beruhige dich…!“
Doch
Naso zuckte zusammen und blickte noch hektischer umher als zuvor.
Sulpicia
stöhnte, setzte sich auf Nasos Schoß und fuhr ihm beruhigend über das Haar.
„Na
komm schon, Nasulle… Corinna hat dir also gesagt, dass sie Titus noch einmal
empfangen hat?“
„Titus?“,
fragte Propertius erstaunt, „aber der ist doch wieder bei der Armee! Wollte er
nicht nach Ostia zu seinem Schnellsegler, um sich mit seiner Einheit
einzuschiffen?“
„Ach
Schätzchen, du bist einfach nicht mehr auf dem laufenden!“, winkte Sulpicia ab.
„Onkel Corvinus und Carisius haben ihn doch persönlich verabschiedet. Wie gut er
in seiner Rüstung aussah, das muss man schon sagen! Das ist das einzige Gewand,
das ihm passt, auch wenn er noch so muskulös ist...“
Naso
verspannte sich weiter.
„Danke!
Sehr hilfreich, als Freundin“, zischte Propertius unwirsch. Ob es ihn mehr
störte, dass sie ihn unterbrochen hatte oder dass sie Titus als gutaussehend
bezeichnete, war nicht zu erkennen. Oder störte ihn ihre Nähe zu Naso?
„Aber
in einem hat sie Recht, lieber Naso“, setzte er hinzu. „Das ist wirklich kein
Grund, so auszurasten. Ist das denn so schlimm, dass sie ihn noch ein letztes
Mal verabschiedet hat?“
„Nimm
endlich nimm die Hand vom Mund, die kann nichts dafür!“, zerrte Sulpicia an
seinem Handgelenk.
Naso
streckte sie rasch Propertius entgegen:
„Lege in Ketten die Hand -sie verdient es-,
wenn du ein Freund bist,
bis dann die Raserei in mir zur Gänze sich legt.“
„Was
er nur mit seinen Händen hat?“, rätselte Propertius und tauschte verstohlene
Blicke mit Sulpicia.
„Leichtfert‘ge Raserei hob gegen mein Mädchen
die Arme;
weint sie nun und ist verletzt -Wahnwitz-, weil ich sie
erhob!“
„Wen
hast du erhoben, Corinna oder deine Hand? Ai!“
Sulpicia
hatte Propertius unsanft in die Rippen gepufft.
[…]
[Stockend aber doch lässt sich Naso die Einzelheiten schließlich aus der
Nase ziehen - wenn auch im Distichon und unter Verwendung von unzähligen Anspielungen
auf andere Dichter, die seine Dichterfreunde erkennen und ihm (metaphorisch) um
die Ohren hauen.]
Da erst hab‘ ich begonnen,
mich richtig schuldig zu fühlen,
Die Tränen, die sie vergoss, waren mein eigenes Blut!“
„Etwas
melodramatisch, findest du nicht?“, ermahnte ihn Sulpicia. „Hast du dich denn
nicht entschuldigt?“
„Trotzdem, dreimal wollt‘ ich flehend mich
ihr zu den Füßen hinwerfen,
stieß sie mich weg dreimal, sie die gefürchtete Hand...“
Naso
fuchtelte immer noch mit seinen Händen.
Propertius
hielt Nasos Handgelenke fest.
„Das
ist also die gefürchtete Hand, die der schüchternen Corinna in die Haare fuhr
und leicht in die Wange gekratzt hat?“
Naso
verstummte. Er betrachtete seine immer noch hoch erhobenen Hände, die er gerade
noch mit großen Anklagen bedacht hatte und drehte sie hin und her, als sähe er
sie zum ersten Mal.
Sie
waren relativ frisch manikürt, weich und zeigten nicht das geringste Anzeichen
von Härte, Grausamkeit oder auch nur Ansätze körperlicher Arbeit.
Sulpicia
und Propertius brachen vollends in Gelächter aus.
Naso
nahm seine Hände wieder runter.
Seine
Gesichtszüge entspannten sich.
Dennoch
errötete er ein wenig.
„Vermutlich
habt ihr ja recht“, murmelte er verlegen.
„Sicher!“,
lachte Propertius. „Lass es dir von deinen Freunden sagen!“
„Aber
was soll ich denn nun machen?“, flüsterte er leise.
„Wenn
du das nicht weißt… Bist du nie auf den Gedanken gekommen, dass eine Frau auch
absichtlich übertrieben reagieren könnte, um weiblicher zu wirken?“
Sulpicia
schlug ein Bein über das andere und klimperte mit ihren Wimpern, wie sie es bei
Corinna auf dem Gastmahl beobachtet hatte.
Naso
zog eine Augenbraue nach oben. Er zweifelte, ob Corinna wirklich alles nur
gespielt hatte. Verwirrt kratzte er sich am Kopf.
„Und
das heißt…?“
„Schmeichel
dich ein, entschuldige dich, versöhne dich mit ihr, Dummkopf!“
„Ja
... nur wie?“
„Kauf
ihr ein Geschenk!“
[…]
[Auf der Suche nach einem Geschenk hat Naso auf der Via Sacra, der besten
Shopping-Meile Roms kein Glück.]
Naso
seufzte und setzte sich auf den Rand eines Brunnensteines.
Er
hatte kaum mit dem Einkaufsbummel begonnen und schon taten ihm die Füße weh. Er
zog seine Sandalen aus und kühlte seine Zehen im kühlen Nass des Ablaufs.
Das
Wasser plätscherte den Rinnstein hinab und glitzerte anmutig in der
Mittagssonne.
»Lieber
Quellgeist, willst Du mir mit deinen Gaben ein Zeichen senden? Vielleicht
willst du mir noch mehr schenken, als kühles Nass? Glitzerndes Silber
vielleicht, wenn du gerade so gütig am Geben bist?«
Doch
der Wasserspeier entließ ungerührt weiter seinen kühlen Strom aus weit
geöffnetem Mund. Anklagend starrte er Naso an. Seine wirren und leicht
bemoosten Harren erinnerten Naso an Corinnas zerzauste Frisur.
Wie
war es überhaupt dazu gekommen, dass er Corinna dermaßen in die Haare gefahren
war?
»Titus!
Immer dieser verdammte Titus. Im Martius hätte er doch schon lange beim Heer
sein sollen, wie jeder anständige Soldat.«
Wozu
trug der Monat denn sonst den Namen des Kriegsgottes? Jetzt war bereits
Aprilis, der Monat der Venus! Was trieb sich Titus da noch in Rom herum?
»Wenn
ich nur nicht gesehen hätte, wie er aus Corinnas Häuschen trat, beim Hades! Und
dann hat sie noch versucht, es abzuleugnen, da bin ich einfach so wütend
geworden, dass ich…«
Impulsiv
riss er beide Hände nach oben.
„Ich
Verbrecher! Wie konnte ich nur…!“
Plötzlich
packten schwielige Hände zu und drehten Nasos Handgelenke schmerzhaft hinter
seinen Rücken. Blitzschnell war er gefesselt.
„Dachte
ich mir! Wir sind nicht umsonst hinter ihm her…“, rief eine kehlige Stimme.
Weitere
raue Stimmen lachten.
Noch
bevor Naso bewusstwurde, was mit ihm geschah, stülpte ihm jemand einen Sack
über den Kopf und riss ihn in die Höhe. Ein Riese warf ihn sich über die
Schulter und hastete mit ihm nur wenige Schritte davon.
Naso
hörte, wie ein Schlüssel in ein Schloss geschoben wurde und der Riegel zur
Seite glitt. Knarrend öffnete sich eine schwere Türe und schloss sich
geräuschvoll wieder.
Es
ging tief hinab, die Luft wurde kühl. Ein immer stärkerer Geruch drang durch
den kratzigen Jute-Sack.
Naso
sog scharf die Luft ein, es stank beinahe unerträglich.
Mehrere
Männer mussten den Riesen begleiten: Das Echo vieler Schritte drang an Nasos
Ohr.
Schließlich
wurde er wieder runtergelassen.
Seine
Füße setzten auf glitschigem Untergrund auf.
Langsam
glitt der Sack in die Höhe.
Naso
schreckte derart zurück, dass er beinahe gestolpert wäre.
Grölendes
Lachen und beißender Gestank umfingen hin.
Er
blickte direkt in die gewaltige Fratze eines Mannes, der einmal schwere
Verletzungen davongetragen hatte. Eine große Narbe lief quer über sein Gesicht,
Teile von Nase und Wange fehlten, die linke Augenhöhle schien völlig verschwunden
und war mit wucherndem Narbengewebe überdeckt.
Um
ihn herum nur Geruch von Verwesung, Dunkelheit und die infernalische Fratze,
die seltsam rötlich in der Finsternis flackerte.
»Ist
das die Unterwelt…? Bin ich etwa gestorben…?«
Der
Mann hielt den Kopf schräg wie ein riesiger, bösartiger Papagei und musterte
Naso aus seinem gesunden Auge
„Mpf!“,
schnaubte er schließlich.
„So
sieht also unser Auftrag aus!“, hörte Naso hinter sich wieder die kehlige
Stimme. „Nur ein Jüngelchen… So einer verschwindet schnell da unten. Nicht wahr
Brutus?“
„Mpf,
verschwindet schnell!“, wiederholte der Riesenpapagei mit der Narbe.
»Brutus
heißt also der Papagei. Passt…«
„Kleinacken,
damit er unten durchs Gitter passt, blubb und weg“, vernahm er eine weitere
Stimme. Naso fand sie nicht sympathisch.
„Mpf,
blubb und weg!“, wiederholte der Riese. Er deutete mit einem Nicken neben sich,
wo sich schlagartig eine dunkle Flüssigkeit erhellte. Blutroter Widerschein und
grässlicher Gestank.
Naso
sah rote Geistergesichter in der Dunkelheit aufleuchten. Schaurig hallte ihr
Gelächter im Gewölbe wieder.
Als
sich Nasos Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, sah er, dass es nur fünf
grobschlächtige Gestalten mit Fackeln waren.
»Keine
Geister zumindest. Aber was wollen die von mir?«
„Wo
bin ich?“, brachte er mühsam hervor.
„Wo
dich niemand schreien hört“, kicherte ein anderer.
„Mpf,
wo dich niemand hört!“ grinste Narbengesicht Brutus böse. „Hier unten habe ich
schon manchen Spezialauftrag zu Ende gebracht. Es hat doch sein gutes, immer
einen Naschschlüssel von Agrippa bei sich zu tragen…«
Naso
schauderte.
Er
hatte bereits die Gerüchte gehört. Gerüchte von alten Republikanern, Gerüchte
von Gegner des Augustus. Wann immer einer von ihnen sang und klanglos
verschwunden war, raunte man auf dem Forum hinter vorgehaltener Hand, er sei
beseitigt worden. Inzwischen war ihm auch klar, wo er war. Die Kanalisation.
Das Narbengesicht oder sein Auftraggeber musste unter Agrippa gedient haben,
bei der Wiederherstellung des unterirdischen Kanalsystems.
»Während
der Bürgerkriege soll hier unten so Mancher verschwunden sein – und nun als
nächster… ich?«
[…]
[Am Ende stellt sich Titus als Auftraggeber de Truppe heraus.]
„So
fand ich es stimmungsvoller… außerdem hatte ich sowieso hier unten zu tun. Sag
einmal, ich habe gehört, wie du bei meinem Mädchen warst, nachdem ich da war…
und ihr wurdet laut und sie hat geweint…?“
Titus‘
Schläger zogen den Ring um ihn enger.
„Mpf“,
grunzte Brutus.
Naso
schluckte.
„Du
findest doch nichts an meiner Corinna, oder?“. Titus zog einen geschwungenen
Dolch und begann, sich die Fingernägel zu säubern. „Warum hat sie geweint?“
Naso
schluckte.
Im
Licht der Fackel spiegelte sich ein unheimliches Leuchten in der Schneide des
Dolches.
»Das
ist kein Utensil, um sich die Fingernägel zu putzen! Sieht eher aus wie eine
kleine sica… ist Titus etwa unter die
Meuchelmörder gegangen…?«
Drohend
kam Titus näher, den Dolch noch immer in der Rechten.
„Weil
Du abfährst, natürlich,“ log Naso. „Weil Du sie alleine zurücklässt.“
„So?
Und was hatte das mit dir zu tun?“
„Sie
wollte…, dass ich dich aufhalte. Aber ich kann doch einen ruhmreichen Soldaten
des Erhabenen nicht bedrängen, wie ein Feigling zu Hause zu bleiben und eine
Krankheit vorzutäuschen, oder?“
„Da
ist was dran…“ Titus rieb sich das Kinn.
„…oder
ungünstige Winde…,“ rutschte es Naso zwischen zusammengebissenen Lippen
heraus.
„Was?
Wie war das?“
„Nun
ja, hört man doch so oft oder? Hat nicht auch Odysseus so einiges vorgetäuscht,
damit er nicht in den Krieg muss? Dennoch ist und bleibt er einer der größten
Helden des trojanischen Krieges.“
Titus
kratzte sich am Kopf.
„Und
ich dachte, er hatte sein Feld mit Salz bestellt… aber du bist hier der
Dichter, du musst es ja wissen.“
Titus
war mit seinen Nägeln fertig uns steckte den Dolch wieder ein.
„Nun,
wie dem auch sei… ich fahre.“
Naso
atmete durch.
„Aber
eines versprich mir, Dichter!“
Titus
beugte sich ganz nahe heran, bis er Naso beinahe berührte. Seine Augen
funkelten böse.
Naso
hielt den Atem an.
„Ich
hörte Gerüchte, dass jemand Corinna einen Rivalen vermitteln will… Versprich
mir, dass du gut auf meine Corinna aufpasst!“
Erleichtert
atmete Naso aus.
„Gut,
verspreche ich. Mit Vergnügen.“
„Nicht
nur mit Vergnügen! Mit Einsatz deines Lebens, mit ganzem Herzen, mit ganzer
Seele und mit ganzem Körper!“
Naso
zog eine Augenbraue nach oben.
„Mit
ganzem Körper?“
Titus
machte ein säuerliches Gesicht.
„Beim
Mars! Ja, ganzem Körpereinsatz! Ist doch logisch oder nicht? Wenn ich meinen
Soldaten befehle, mit ganzem Körper, dann fragt keiner nach! Das heißt so im
Militär, wenn man eine Zielperson mit vollem Einsatz beschützt…“
»Corinna
als Zielperson…«
Naso
stellte sich vor, wie man sich mit ganzem Körper um Corinna als Zielperson
kümmern sollte und konnte nur mühsam ein Grinsen unterdrücken.
Titus
legte seine Pranken auf Nasos Schultern und schüttelte ihn.
„Bis
in den Tod, meine ich! Das ist Treue, Kameradschaft, du verstehst?
„Ja,
Kameradschaft, mit ganzem Körpereinsatz, ich verstehe!“
[…]
[Naso findet in der Subura am Ende doch noch ein passendes Geschenk]
Naso
ließ die Schultern hängen. Er wagte es nicht noch einmal nach niedriger
Qualität zu fragen. Am Ende entschied er sich für einen besonders schönen
Papyrus, höchster Qualität, hieratica,
im Verso mit Bimsstein geglättet und an den Seiten sorgfältig und kerzengerade
beschnitten. Ein Stück war von einer Rolle abgerissen und deshalb günstig zu
haben.
»Was
soll’s, solange es nur ein Blatt und keine ganze Rolle ist, komme ich noch
glimpflich davon…«, dachte er sich.
Er
setze sich probeweise an einen Tisch aus poliertem Zitrusholz.
„Darf
ich gleich hier etwas schreiben?“
Der
Händler rieb sich die Hände.
„Gerne!
Alles steht zu deiner Verwendung, wenn du dich verschreiben solltest…“
Aber
Naso verschrieb sich nicht.
Ein
kurzer Blick genügte ihm, um den verfügbaren Raum abzuschätzen, der sich bei
respektvollem Rand bot, und ihn mit der richtigen Anzahl an Versen zu füllen.
Zielsicher kratzte er mit dem geborgten calamus
seine Botschaft an Corinna über den Papyrus:
„Du aber zögere nicht -die Rache lindert die
Schmerzen-,
mir ins Gesicht zu fahr’n, nutze die Nägel sogleich!
Schone die Augen nicht,
meine Haare nicht weniger! Denn der
Zorn wird dir helfen, er gibt schwächlichsten Händen
selbst Kraft.
Und dass nicht an meine
Tat so traurige Denkmäler blieben,
ordne die Haarpracht erneut, gib ihr die richtige Form!“
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