Die „Rufus“-Reihe soll jeder verstehen und genießen können, Jugendliche und Erwachsene, Studierte und Nichtstudierte. Wer sich im Roman auf fremde Welten einlässt, der wird auf unterhaltsame Weise ganz automatisch kennenlernen, was die damalige Zeit so alles zu bieten hatte - und lernt beim Lesen wie von selbst. Alles so authentisch und historisch korrekt wie möglich zu erzählen und dabei spannend zu bleiben, das ist mein Ziel.
Die „AMORES - Die Liebesleiden des jungen Ovid“ sind dagegen nicht immer ganz jugendfrei (wie auch die Originalverse Ovids und seiner Zeitgenossen). Der Laie kann sich über die „moderne“ Sprache & Handlung freuen, der Fachmann über zahlreiche Anspielungen und intertextuelle Scherze.
Auf dem Blog zeige ich einen Blick hinter die Kulissen. Dabei gebe ich auch Hintergrundinformationen über Politik und Alltagsleben der späten Republik und frühen Kaiserzeit in Rom und einiger Kelten- und Germanenstämme.
Feste Probeleser aus verschiedensten Altersgruppen haben bereits die ersten Bände gelesen. Die Rückmeldungen setze ich um. Sehr gute Feedbacks kamen dabei nicht nur von Universitätsprofessoren und anderen Fachleuten sondern gerade auch von Schülerinnen und Schülern - vielleicht demnächst auch von dir? Gerne nehme ich jede gute Anregung auf (Rufus.in.Rom@gmail.com)...

Montag, 27. März 2017

IV. Dein Mann kommt mit? Gastmahl mit Corinna - Leseprobe aus Buch I "Einzig Corinna"

Als Textprobe hier ein Auszug aus dem vierten Kapitel des ersten Bandes „Die Liebesleiden des jungen Ovids – Einzig Corinna" (hier geht es zumersten, zweiten und dritten Kapitel)
Über Anregungen und Kommentare würde ich mich freuen!

Kapitel 4: Dein Mann kommt mit? Gastmahl mit Corinna

Mit leisem Quietschen öffnete sich der Blick zum Garten. Das kleine Gartentor saß demnach in Angeln aus Metall. Länger nicht geölt… Ein Rasseln ließ Naso nach unten sehen.
Eine Kette.
„Du hast ihn tatsächlich angekettet!“
Das Gastmahl des jungen Ovid
©:  CC-0 Public Domain (freie Verwendung)
Corinna bedachte Naso mit einem vorwurfsvollen Blick. „Es steht dir nicht zu, mich deswegen zu tadeln. Dir nicht - du wurdest frei geboren… Es ist zu seinem eigenen Schutz. Du weißt, was man mit flüchtigen Sklaven macht...“
Naso erschauerte. Instinktiv suchte er nach Anzeichen der Peitsche. Doch der Sklave wich wieder in sein überdachtes Eckchen zurück und kauerte sich fest in seinen Mantel. Naso warf ihm einen mitfühlenden Blick zu. Immerhin hatte Corinna für einen Dreifuß mit heißen Kohlen gesorgt. Auch trug er geschlossene Stiefel und eine Mütze. Wahrscheinlich hatte sie sogar recht und fürchtete nicht ohne Grund was geschehen sollte, würde man ihn da draußen erwischen…
Corinna wechselte zu einem Lächeln und legte einen Arm um Nasos Schultern.
„Sieh dir lieber mein Gärtchen an. Das wolltest du doch schon die ganze Zeit, oder?“
Naso war überrascht: Im Gärtchen plätscherte ein Brunnen vor sich hin, kunstvoll eingefasst in Gestein, über dem zwei winzige Treppchen zur Eingangstür führten. Ringsum kleine Bäume und Sträucher, wilder Wein, Efeu und Blumen - eine Pinie, ein Feigen- und ein Maulbeerbaum. Gerade genug Platz dazwischen, um ins Haus zu gelangen. Hätte nicht bald der Winter begonnen und wären nicht viele Blätter bereits herabgefallen, die Illusion wäre perfekt gewesen: Wie die heilige Grotte einer Nymphe - mit dem Quellheiligtum in der Mitte…

[Naso bei Corinna
Entsetzt muss er erfahren, dass Titus sie offizielle begleitet, als Begleitung desselben Abendmahls!
Doch Naso weiß sich zu helfen:
Er gibt Corinna Verhaltensanweisungen und eine ausgeklügelte Zeichenspreche mit auf den Weg, um sich mitten unter den andern geheim austauschen zu können.]

Corinna hielt Wort.
Schon im vornehmen Atrium des Carisius gab sie ihren Mantel ab und hieß auch Titus ablegen.
Die Sklaven nahmen die Mäntel entgegen, begannen den Gästen die Schuhe auszuziehen, die Füße zu waschen und zu salben und brachten Hausschuhe.
Als die Sklaven Titus und Corinna weiche Hausmäntel anboten, lehnte sie gleich für beide ab.
Naso seufzte erleichtert. Die Vorstellung, was man unter einem verdeckenden Mantel alles treiben konnte, hatte ihn besonders gequält. Zum Ablegen des Mantels hatte er sie besonders gedrängt, kurz vor dem Aufbruch. Dieser Anlass zu blinder Furcht war jedenfalls genommen. Corinna hatte ihm schon zu viel gezeigt, was man unter einem Mantel alles treiben und gut verbergen konnte. Doch wobei würde er zusehen, was alles ertragen müssen?
Corinna schien seine Unruhe zu spüren, sagte jedoch nichts. Sie warf ihm einen unauffälligen Blick zu und legte den Daumen auf ihre geröteten Wangen.
Es war das Zeichen dafür, dass sie sich an ihre gemeinsamen Zärtlichkeiten erinnerte. Schnell wandte sich Naso ab. Er bekam sein Lächeln nicht unter Kontrolle.
„Willkommen, willkommen!“, begrüßte sie Carisius persönlich. „Welche Freude, dass mir Messalla ein paar seiner Freunde leiht! Kommt, legt euch zu Tisch!“
Das Triklinium war recht geräumig und bot einen schönen Ausblick auf den Garten. Carisius hatte zwischen den Säulengängen Öllämpchen und teure Kerzen anzünden lassen. Der Garten schien mit viel Liebe und Sorgfalt eingerichtet. Wasserspiele und Statuen warfen flackernde Lichtpunkte zurück. Ein verzaubernder Glanz, der vielfältig gebrochen durch die Fenster schimmerte. Wäre da nur nicht Titus gewesen…
„Schick, nicht wahr?“, lächelte Carisius. „Ich habe das Winterspeisezimmer ganz nach Vitruvius einrichten lassen: doppelt so lang wie breit und die Höhe entspricht genau der Hälfte aus Länge und Breite. Da es nach Südwesten liegt, nimmt es Licht und Wärme der Abendsonne auf und die Fenster halten es warm. Und natürlich eine Fußbodenheizung – keine rußigen Kohledreifüße, die den Geschmack der Speisen stören könnten…“
Sulpicia verdrehte die Augen. Es schickte sich nicht, mit seinem Haus zu protzen oder Gäste mit architektonischen Details zu langweilen.
„Typisch neureicher Soldat“, flüsterte sie Naso ins Ohr. „Keine Manieren… Komm, legen wir uns schnell hin, sonst preist er noch sein gesamtes Mobiliar an.“
Sie schob Naso sanft aber sehr zielstrebig zu den drei Speiseliegen, die in klassischer U-Form arrangiert waren.
Corinna legte die Hand an ihr Ohrläppchen. Es passte ihr also nicht, dass Sulpicia mit ihm flüsterte.
Naso massierte seine Nasenwurzel, gleich nachdem er auf der rechten Liege unten Platz genommen hatte: Ein schuldbewusstes ʺJaʺ.
Als Corinna sich auf die mittlere Liege zu Titus gesellte, streifte sie sachte Nasos Fuß. Wie verabredet gab sie Acht, nicht zu eng an ihm zu liegen, nicht Schenkel an Schenkel zu lehnen. Sie rutschte noch ein wenig zu Sulpicia auf, der man den Vorzugsplatz an der Lehne der Kopfseite zuwies.
Naso legte seine Hand ans Kinn, den Daumen wackelnd nach unten. ʺHalte deinen zarten Fuß ja von seinem knochigen entfernt!ʺ, wollte er sie erinnern.“
Corinna rieb sich die Nasenwurzel und schwang ihre Füße kurz in die Höhe.
Naso lächelte. Er drehte mit dem Finger an seinem Ring, um ihr seine Zustimmung zu signalisieren. Das Zeichensystem funktionierte so weit. Hoffentlich hatte es sonst niemand mitbekommen.
Doch die anderen Gäste waren alle noch beschäftigt, es sich auf den Speiseliegen bequem zu machen: Carisius als Gastgeber am Kopfteil der linken Liege, daneben seine Gattin Servia, außen Tibullus. Carisius hatte Titus auf den höchsten Ehrenplatz beordert, mittlere Liege mit dem Kopf gleich neben dem Gastgeber. Auf der rechten Liege nahmen Hostia neben Naso und Propertius am Lehnenende außen Platz.
Die Sklaven begannen mit den Vorspeisen gleich auch die ersten Gänge aufzutragen.
„Greift zu! Esst, trinkt!“, eröffnete Carisius die Cena. „Ich hoffe, ihr fühlt euch wohl an meiner bescheidenen Tafel!“
Sulpicia schüttelte kaum merklich den Kopf.
Auch Naso hatte es bemerkt. Nicht nur, dass sich die Tabletts vor Speisen bogen. Neben Eiern, Appetitanregern, Salaten, Gemüse und Meeresfrüchten ließ Carisius gleich alle Hauptgerichte auf einmal servieren: Fleisch-, Geflügel- und Fischvariationen, gekocht, gebraten, gegrillt und mit unzähligen süß und scharf gewürzten Soßen gereicht. Allein schon das Mobiliar selbst wirkte protzig, doch ohne rechte Harmonie: Eine zu breite Tischplatte, um geschmackvoll zu sein, viel zu mächtig. Dazu waren die Verzierungen aus Elfenbein, einfach viel zu dominierend -fast schon plump-, das Silber zu unübersehbar und die Skulpturen, die er hatte einarbeiten lassen, übertrieben: hoch reckende Panther mit gewaltig aufgesperrtem Rachen.
„Sulpicia, fehlt dir was? Lass dir noch mehr Wein einschenken, meine Liebe, nicht dass dein Onkel sich nachher bei mir beschwert!“
„Nein, alles in bester Ordnung. Ich wollte dich nur beglückwünschen, dass du einen Einrichtungsstil gefunden hast, der zu dir passt. Und erst das Essen… es könnte nicht besser für dich sprechen – ein Abbild deiner selbst. Auf Carisius!“
„Auf Carisius“
Carisius lächelte zufrieden.
Die anderen lächelten auch, allerdings aus anderem Grund – ausgenommen Servia und Titus, die auch nichts bemerkt zu haben schienen.
Propertius prustete in sein Glas.
„Ach, unser feuriger Dichter“, lächelte Carisius. „Es ist genügend da, du brauchst dich nicht beeilen.“
Propertius nickte mit gesenktem Blick. Naso sah, wie er kämpfen musste, um nicht laut los zu lachen.
Hostia schlug ihm auf den Rücken und nutzte die Gelegenheit, um kurz ihr eigenes Gesicht abzuwenden.
Naso schlang ein Häppchen nach dem anderen herunter, bis er sich wieder unter Kontrolle hatte.
„Der Jugend schmeckt es – so ist es recht mein Junge!“

[…]

Carisius klatschte in die Hände, um seinen Arzt rufen zu lassen, doch Tibullus hob abwehrend die Hand.
„Nein, es ist nichts.“
„Na dann lass wenigstens einen Wollmantel bringen“, drängte Servia und ließ es sich nicht nehmen, ihn Tibullus selbst umzulegen. „Wenn ich schon direkt neben dir liege…“
„Selbst gesponnen?“, fragte Sulpicia spitz.
„Ach, ja… äh nein… also fast.“
Servia errötete leicht.
„Aber ich überwache meine Slavinnen persönlich und ich bin auch selbst immer dabei - zusammen mit allen meinen Töchtern. Ich finde, dass zählt doch fast genauso, oder?“
„Ganz deiner Meinung, meine Liebe! Hauptsache du hast eine sinnvolle Tätigkeit, in der man als Frau und Individuum vollständig aufgehen kann. Was gibt es schöneres als ganz Hausfrau und Mutter zu sein, so wie es der ʺErhabeneʺ für uns Frauen neuerdings wieder wünscht?“
Servia schien sich sichtlich über das ʺKomplimentʺ Sulpicias zu freuen.
Corinna drehte beständig an ihrem Ring. Anscheinend wollte sie Naso wissen lassen, dass ihr Sulpicias Haltung überaus gefiel. Dabei nutzte sie gleich die Gelegenheit, Titus unvermischten Wein nachzuschenken. Auch das hatten sie zuvor abgesprochen.
Naso lächelte zufrieden. Er ließ ebenfalls seinen Ring um den Finger kreisen.
„Nur… der Tradition entsprechend, sollten da wir Frauen nicht am freien Tischende auf Stühlen sitzen?“, legte Sulpicia nach.
„Ach…eigentlich hast du ja recht… soll ich die Korbgeflechte holen lassen?“
„Ach… aber unbedingt! Stühle aus Korbgeflecht für die Frauen und runter ans freie Tischende mit uns. Es lebe die Tradition!“
Servia klatschte in die Hände.
Carisius hielt sie ihr fest.
„Das war nur ein Scherz, Liebes…“
Tibullus räusperte sich.
„Nein wirklich… Was ich sagen wollte: Der Junge hat wirklich Talent. Aber er ist zu bescheiden. Wie war das neulich, als du dein Können in Abrede gestellt hast: ʺVergilius habe ich nur gesehen, Horatius nur vortragen gehört, doch Propertius hat mir von seinen Flammen vorgelesen und Tibullusʺ…“
Er hustete wieder und hielt sich eine Serviette vor den Mund.
„Aber sprich besser selbst für dich: Woran schreibst du gerade?“
Naso wand sich.
„Ich? ich bin noch nicht so weit. Ich will erst ein Dichter werden, ihr seid es alle bereits.“

[…]

„Schön abgelenkt“, bemerkte Sulpicia bestimmt. Sie beugte sich über ihre Sofalehne hinaus und fixierte ihn neugierig. „Hast du Angst, dass dir einer von uns dein Thema wegschnappt? Aber gut, ein Dichter braucht nun mal Vorbilder. Aber ich scheide schon einmal aus, meine Nische kannst du kaum besetzen. Es sei denn du schreibst aus der Sicht einer Dichterin…“
Servia beugte sich abrupt vor.
„Du bist also wirklich eine Dichterin? Ach, wie einzigartig! Ich dachte nicht, dass Frauen auch dichten können.“
„Einzigartig. Ach… wirklich! Gab es noch nie. Wo doch sonst alle Frauen nur brav zu Hause sitzen, auf ihren Ehemann warten und Wolle spinnen… Wenn Sappho das bereits gewusst hätte…“
Alle anderen kicherten – bis auf Titus.
Servia machte ein verdutztes Gesicht.
„Sappho?“, fragte sie.
„Ach, nur so eine Griechen aus Lesbos. Aber wenn DU sie nicht kennst, lohnt sich natürlich die Mühe nicht, von ihr zu lesen…“
Wieder mussten alle grinsen.
„Lauter Dichter und Dichterinnen? Ach… wollt ihr nicht etwas von Vergilius vortragen? Wie man hört, ist er sehr beliebt im Kaiserhaus.“
Infandum, regina, iubes renovare dolorem!“
Wieder löste sie unter den Dichtern allgemeine Heiterkeit aus. Diesmal musste Tibullus in sein Glas prusten, was in einen Hustenanfall überging.
„Wie bitte?“ Servia war vollkommen verwirrt.
„Unnennbaren Schmerz, o Königin, befiehlst du zu erneuern! Drittes Buch der Aeneis. Vergilius…“
„Ach, Vergilius… wie schön!“
Corinna reichte Titus ein Glas, das er dankbar annahm und auf einen Zug leerte.
„Sehr schön, sehr schön“, unterbrach Carisius, „aber sieh nur, wie sich Titus langweilt! Er hat den ganzen Abend noch kein Wort gesagt, der Arme… Komm Titus, erzähle uns etwas, was uns alle angeht, was alle spannend finden! Vielleicht etwas vom Kantabrerkrieg. Immerhin warst du Legat unter niemand geringerem als Marcus Vipsanius Agrippa persönlich! Was für eine Karriere für einen einfachen Ritter: Vom Decurio einer Turma zum Anführer einer ganzen Legion!“
Titus richtete sich auf und drückte seinen Brustkorb vor.
„Wir leben in Zeiten, in denen virtus viel zählt. Mit mannhafter Energie ist es geradezu ein Leichtes, als Ritter aufzusteigen. Schließlich hat Augustus Rom wieder groß gemacht!“
„Nicht so bescheiden, mein Lieber! Nicht jeder steigt auf, der Manns genug ist, da gehört noch mehr dazu! Nehmt mich zum Beispiel, in Lusitanien! Man muss schon auch etwas von Kriegsführung verstehen. Seht her…“
Carisius begann, Teller, Schüsselchen, Kannen und Gläser wie Spielzeugsoldaten auf dem Tisch hin und her zu schieben, bis sich zwei gegnerische Armeen auf dem Esstisch formierten - eine davon campierte offenbar auf dem erhöhten Soßentablett aus getriebenem Silber.
„…so hatten sich die Asturer auf ihren schneebedeckten Bergen verschanzt und führten immer wieder Überfälle durch….“
Die Dichterfreunde machten lange Gesichter. Vermutlich hatten sie nicht allzu viel Interesse an Carisius‘ Heldentaten – oder sie kannten die Schlachtenschilderung bereits, vermutete Naso.
Corinna presste beide Ohrläppchen.
Naso lief es siedend heiß den Rücken hinunter. »Viel zu auffällig! So doch nicht!« Er schob seine Brauen herunter und klopfte vorsichtig mit dem Zeigefinger an sein Ohr.
Propertius und Hostia zogen dagegen eine Augenbraue hoch, als sie ihn betrachteten.
Naso begann zu schwitzen.
Doch Titus schien nichts zu bemerken. Gebannt lauschte er seinem Freund und Patron, der ungerührt fortfuhr:
„…hier wollten sie dann mit ihren Truppen in drei Kolonnen unsere Stützpunkte angreifen. Doch ich habe sie noch vor der geplanten Attacke erwischt…“
Schließlich war es auch bei Sulpicia mit der Höflichkeit vorbei. Sie lehnte ihre blonde Mähne in den Nacken und stöhnte laut auf.
Doch Carisius nahm sie nicht einmal wahr.
„…so stellte ich vom agmen quadratum um und dann vom linken Flügel aus…“
Naso hätte sich zusammenreißen müssen, um nicht zu kichern: Titus und Servia lauschten andächtig Carisius, der nicht einmal von den ʺSoldatenʺ auf dem Tisch aufsah, während Sulpicia, Propertius und Hostia sich unübersehbare Zeichen zuwarfen. Gähnen mit der Hand vor dem Mund und Verdrehen der Augen gehörten noch zu den zurückhaltenderen. Nur Tibullus war zu ernst, um bei derlei Spielchen mitzumachen. Corinna schien sich dagegen richtig gut zu amüsieren – über die Verzweiflung Nasos und über das unterschiedliche Benehmen zu Tisch.
Der einzige Grund, warum Naso nicht lachen musste, war der, dass es ihn geradezu rasend machte, wie eng Titus an Corinna herangerückt war. Nervös rieb er immer wieder seine Hände aneinander oder griff zu einem Glas Wein. Wenn er sich unbeobachtet von den anderen fühlte, tippte er immer wieder einmal auf seine Brust, zog die Augenbrauen zusammen und legte den Finger an die Hand: ʺLass ihn ja nicht an deine Brüste ran, Corinna!ʺ
„Und in so blutigem Kampf habe ich also die Feinde geschlagen. Im folgenden Winter blieb nichts weiter zu tun, als die alten Fünfer… also die ausgedienten Soldaten der Legio V Alaudae in Emerita Augusta anzusiedeln. Ihr wisst ja, der Erhabene selbst hat diese Veteranenkolonie extra dafür gegründet. Hier, seht!“
Carisius war den Gästen ein paar Sesterzen zu. Darauf waren die Festungswerke der neuen Kolonie zu sehen und zwei Namen: LEG V ALAUDAE und P. CARISIUS.
Naso staunte. Carisius musste gute Kontakte zu den Münzmeistern haben – und zu Augustus persönlich. Nur die Allerwenigsten konnten sich je auf Münzen verewigen, nur eine mehrfach geprüfte Aussage passierte die politische Zensur.
Carisius strahlte selbstzufrieden. Seine Glatze leuchtete mit dem Lampenlicht um die Wette.
„Meine Legion! Die Fünfte!“
„Ja Titus, deine Legion. Erzähl doch mal, wie habt ihr den Krieg schließlich zu Ende gebracht, du und Agrippa?“
Titus war sofort Feuer und Flamme. Auch er begann, kleine Geschirrarmeen auf dem Tisch aufzubauen.
Gerade wollte er eine besonders gelungene Flügelzange unter seinem Kommando verdeutlichen, als ihm Sulpicia die Reiter entwand.
„Nein, die Kavallerie brauche ICH jetzt! Prosit!“
„Und ich die Bogenschützen“. Auch Propertius riss sein Glas an sich, um zu trinken.
„Na was ist? So schlimm, wenn dich die hispanischen Reiter im Stich lassen?“, feixte Sulpicia.
Carisius klatschte in die Hände, sofort stellten seine Sklaven neue Gläser auf den Tisch.
„Die Kantabrer waren schon immer unzuverlässige Barbaren“, grinste er, „bereits im Punischen Krieg als Söldner auf Seiten Karthagos, dann für die Numantia, Sertorius und dann auch noch gegen Publius Crassus. Zum Glück haben wir ja noch gallische Verstärkung parat.“
Carisius klatschte in die Hände.
„Uva Allobrogica: Unterstützung von der guten alten Rebsorte aus dem jenseitigen Gallien. Schon so lange in römischem Dienst, die lässt einen nie im Stich. Trinkt! Ihr müsst die hier unbedingt einmal pur probieren.“ Carisius berührte zum Gebet mit einer Hand den Tisch. „Auf uns! Mögen die Götter uns und diese Runde segnen!“
„Auf uns!“
Ein goldener Pokal machte die Runde. Als Corinna ihn absetzte, beugte sich Naso schnell vor, ergriff ihn noch vor Sulpicia und trank genau an der Stelle, an der Corinna getrunken hatte.
Sulpicia musterte ihn aus großen Augen.
Carisius lachte. „Nicht so gierig! Es ist genug für alle da!“ Dann klatschte er in die Hände. Sofort reichten die Mundschenke nach.
„Oder hat dich Messalla auch gleich als Vorkoster eingestellt?“
„So ist es“, murmelte Naso lächelnd. Er hatte bekommen, was er wollte.
„Weiter, mein lieber Titus!“, forderte Carisius. „Mit den frischen Truppen nun frisch ans Werk: Ich möchte den Angriff deiner Flügelzange sehen!“
Sulpicia stöhnte auf.
Carisius zog seine Augenbrauen zusammen.
„Brennst du etwa nicht darauf, die größten Heldentaten von Agrippa und seinen Männern zu hören?“
„Doch, selbstverständlich…“
Titus öffnete schon den Mund, da fuhr Sulpicia fort:
„… nur… die größten Heldentaten von Agrippa und seinen Männern, dafür hält man doch eher die Seeschlacht vor Aktion, oder? Also ich halte mehr davon, was er in Rom alles geleistet hat: Aus eigener Tasche Aquädukte wieder hergestellt, die Wasserversorgung endgültig geregelt, die Stadt mit zahlreichen Bauwerken geschmückt, das Marsfeld entwässert, Parklandschaften erstellt… Und erst seine Thermen mit ihren Sportplätzen, Parks und Bibliotheken! Was könnte heldenhafter sein für einen Mann, als Bildung mit Körperpflege zu vereinen und alle von Schweiß, Unbildung und Geruch zu befreien? Hast du dabei auch mitgemacht, Titus?“
Sie schnüffelte in seine Richtung.
„Vielleicht solltest du Agrippas Bäder auch einmal besuchen? Sie sind gerade fertig geworden. Ich kenne zwar nur den Frauentrakt, aber…“
„Ich weiß gar nicht was du hast!“, stoppte sie Carisius. „Er riecht doch sehr sauber.“
„Nein wirklich, natürlich habe ich mich gewaschen! Was für eine Idee… wer käme denn schmutzig zu einer Cena bei Carisius?“
„Doch, sieh nur!“, pflichtete Naso scheinheilig bei. „Das viele Blut hat er auch abgewaschen. Das war sicher eine recht blutige Angelegenheit, bei den Kantabrern?“
„Ich danke dir, für deinen männlichen Beitrag, Dichter!“, freute sich Titus und setzte wieder zu seiner Erzählung an.
Corinna drehte an ihrem Ring.
„Warum haben wir eigentlich überhaupt gegen die Kantabrer Krieg geführt?“, unterbrach Sulpicia abermals. „Was haben sie Rom denn getan – außer dass ihre Vorväter einst auf der falschen Seite standen? Aber das hat auch halb Italia! Nicht zuletzt Etrusker wie Maecaenas…“
„Nein, nicht nur ihre Vorväter“, schnaubte Titus. „Direkt vor unserem Einmarsch sind sie ständig in unser Gebiet eingefallen, zu den Vaccaeern, Turmogern und Autrigonen. Außerdem haben sie eine heilige Standarte erbeutet und nicht zurückerstattet – diese Barbaren!“
Sulpicia verengte ihre Augen zu Schlitzen. Sie wies mit dem Finger auf die Ringe an Carisius‘ und Titus‘ Händen und auf die Kettchen an ihren Hälsen.
„War es nicht vielmehr das Eisenerz der Kantabrer und das Gold der Asturer, mit dem ihr euch da großzügig behängt habt? Hat die Priesterschaft der Fetialen etwa eine rituelle Kriegserklärung vor den Göttern bezeugt? Von wegen gerechter Krieg…“
Titus schwieg.
„Sulpicia!“, tadelte sie Carisius. „Ich glaube kaum, dass dein Onkel dies schätzen würde, bei allem Respekt vor dir und deiner Familie…“
Sulpicia verschränkte die Arme.
„Schön!“, schmollte sie. „Keine Kritik mehr an patriotischen Heldentaten.“
Titus atmete auf.
„Dann kann ich ja endlich weitererzählen. Wo war ich?“
„Vielleicht machst du bei der Eroberung des Berges Medullius weiter“, riet Carisius.
„Eine gute Wahl! Die Bergfestung und der totale Widerstand bis in den Tod…“
Titus nahm ein Sofakissen zu Hilfe, auf das er das Tablett stellte.
„He! Geht’s noch?“, ereiferte sich Sulpicia.
Titus nahm jedoch keine Notiz mehr von ihr und fuhr unbeeindruckt mit den Schilderungen der Kämpfe fort.
Ebenso wenig von Corinna, die wieder ihre Ohrläppchen mit beiden Händen hielt.
Als Titus erst richtig zu langweilen begann, berührte Corinna mit einer Hand den Tisch und bewegte lautlos die Lippen. Ein spitzbübisches Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, als Naso sie dabei erblickte.
Er drehte sofort an seinem Ring.
»Wunderbar, wie bei einem richtigen Gebet. Ein Glück, dass alle Tische heilig sind… Hoffentlich wünscht sie ihm tatsächlich Übel auf Übel von den Göttern herab, so wie ausgemacht.«
Naso sah wieder zu Titus und beobachtete, ob er wohl schon ein wenig kränklicher aussah, grün wurde, heiser, oder wenigstens zu Husten begann.
Zu Nasos Unwillen verstärkte sich nur die gesunde Röte in Titus‘ Gesicht. Selbstgefällig schwadronierte er ohne Unterbrechung weiter.
Corinna schenkte ihm fleißig nach.

[…]

Titus‘ Ausführungen wurden langsamer. Am Ende kamen sie ganz zum Erliegen und er schlief ein. Als Gastgeber und Gäste sich erhoben, um vor den secundae mensae ein Trankopfer an die Hausgötter darzubringen, blieb Titus allein zurück. Ein leises Schnarchen war das einzige Anzeichen von Leben. Ansonsten lag er erledigt wie im Grabe da. Nasos Plan schien endlich aufzugehen.
Carisius stolzierte mit wichtigtuerischer Miene durch das Atrium. Er besprenkelte den Hausaltar mit unvermischtem Wein und ließ sich eine dicke Schriftrolle reichen.
„Das kann ja heiter werden“, flüsterte Sulpicia.
Carisius begann, ein Gebet in recht gestelzten Worten zu verlesen.
Sulpicia verdrehte die Augen und ließ sich auf einer der Bänke um das Impluvium nieder.
„Keine einzige Wachsmaske im Atrium aber ein Gebet, das für tausend illustre Vorfahren reichen würde!“
Die anderen taten es ihr gleich und betrachteten lieber den Widerschein der Kerzen im Compluvium als den opfernden Carisius.
Nur Servia starrte ehrfürchtig und verzückt auf ihren Hausvorstand bei der libatio an die Laren. Sie schien die Menge der Worte mit ihrer Qualität zu verwechseln.
Titus lag noch immer im Triklinium und rührte sich nicht. Alle waren mit Carisius‘ ausufernder Rede beschäftigt, jeder auf seine Weise.
„Los komm“, flüsterte Naso Corinna zu. „Ort und Zeit geben uns einen Rat…“. Er drängte sie ins still daliegende Arbeitszimmer des Carisius.
Keiner schien Notiz von ihnen zu nehmen.
Corinna umarmte ihn zärtlich, berührte ihre Wangen sanft mit dem Daumen, lächelte schelmisch und gab ihm einen Kuss. Sie drückte aufreizend ihren Schenkel an seinen.
Doch sie kamen nicht weit.
Titus hatte sich schließlich doch noch erhoben. Gestützt auf zwei Sklaven kam er ihnen taumelnd entgegen.
„Sch-sch-schätzchen, woooo bist … du denn? Ach da seid ihr…“
Naso sah ihn von der Seite an wie ein böswilliges Tier. »Kann der nicht einmal in Ruhe liegen bleiben und seinen Rausch ausschlafen?, wie andere Leute auch?«
Doch es half nichts.
Zu den folgenden Gängen waren sie wieder alle um den Tisch versammelt, auch wenn Titus selbst im Liegen noch schwankte und Hilfe brauchte, um Obst, Süßspeisen und Kuchen zu sich nehmen zu können. Sie bei sich zu behalten, schaffte er jedoch nicht. Als auch die anderen zu verschärftem Trinken übergingen, erbrach Titus Nüsse und würzige Häppchen in hohem Bogen.
Zwar versuchten die Sklaven sofort alle Spuren zu beseitigen und brachten frische Kleidung, die gute Stimmung war dennoch nicht mehr zu retten.
„Ich denke, wir müssen, nicht war, Schätzchen?“ flötete Corinna, um Titus zum Gehen zu bewegen.
„Wir auch!“
Als Corinna sich erhob, um zu gehen, erhoben sich alle.
„Nicht doch, nicht doch! Ihr könnt gerne noch bleiben, der Abend ist noch jung! So streng wir früher haben wir’s doch wirklich nicht mehr. Nicht einmal der Erhabene schert sich um Dunkelheit und Nacht bei seinen Banketten…“
Doch Carisius‘ halbherziger Versuch war nicht von Erfolg gekrönt. Die Feiergesellschaft machte sich auf den Heimweg. Der eine mehr, der andere weniger schwankend.

[…]


»Ich Elender, ich habe geraten, was nur für wenige Stunden nützt. Gebieterisch trennt die Nacht mich jetzt von meiner Geliebten. In der Nacht wird sie „ihr Mann“ einschließen. Aus. Und dann? O Cupido! Nein, ich will mir das lieber gar nicht erst vorstellen… Warum nur habe ich darauf bestanden, sie zu begleiten?«
Bald, viel zu bald tauchte der Esquilin aus dem nächtlichen Dunst.
Naso geleitete sie soweit es ging: bis an das grausame Eisentor, das sie voneinander trennen würde.
Weiter konnte er nicht.
Titus verabschiedete sich mit einem militärisch kurzem „Vale!“, dann schob er Corinna hinein.
Corinna konnte ihm nur noch kurz winken.
Hinter ihnen fiel das Gartentor wieder ins Schloss.
Nur ein kurzes metallisches Krächzen, dann herrschte Stille.
Naso blieb nicht einmal Zeit für eine Antwort. Eine Träne lief über seine Wange.
Dann ballte er seine Faust.

[…]

Schließlich erhob er sich doch und ging zur anderen Straßenseite, um einen Blick auf Corinnas Schlafgemach zu erhaschen.
Es war ihm, als dränge ein Lichtschein durch Vorhänge und das Holz der Fensterläden, als schiene die Silhouette Corinnas hindurch, der Titus einen Kuss aufdrängte.
Naso war tief getroffen. Leise flüsternd begann er vor Aufregung zu dichten:

Küsse nimmt er sich von dir, ja schon wird es mehr sein als Küssen,
            was du nur heimlich mir gibst, holt er sich rechtens mit Zwang!
Gib’s ihm nur ungern -du kannst das- und ganz wie gezwungen,
            lass keine Zärtlichkeit zu, Venus soll böswillig sein!
Wenn mein Gebet etwas nützt, dann wünsch‘ ich, dass er sich nicht freue!
            Nützt der Wunsch wenig, dann hab‘ du keine Freude daran!
Doch wie auch immer die Nacht sich zwischen euch beiden gestaltet,
            morgen versicher‘ mir fest, dass heute Abend nichts lief.

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