Mit
leisem Quietschen öffnete sich der Blick zum Garten. Das kleine Gartentor saß demnach
in Angeln aus Metall. Länger nicht geölt… Ein Rasseln ließ Naso nach unten
sehen.
Eine
Kette.
„Du
hast ihn tatsächlich angekettet!“
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Corinna
bedachte Naso mit einem vorwurfsvollen Blick. „Es steht dir nicht zu, mich
deswegen zu tadeln. Dir nicht - du wurdest frei geboren… Es ist zu seinem
eigenen Schutz. Du weißt, was man mit flüchtigen Sklaven macht...“
Naso
erschauerte. Instinktiv suchte er nach Anzeichen der Peitsche. Doch der Sklave
wich wieder in sein überdachtes Eckchen zurück und kauerte sich fest in seinen
Mantel. Naso warf ihm einen mitfühlenden Blick zu. Immerhin hatte Corinna für
einen Dreifuß mit heißen Kohlen gesorgt. Auch trug er geschlossene Stiefel und
eine Mütze. Wahrscheinlich hatte sie sogar recht und fürchtete nicht ohne Grund
was geschehen sollte, würde man ihn da draußen erwischen…
Corinna
wechselte zu einem Lächeln und legte einen Arm um Nasos Schultern.
„Sieh
dir lieber mein Gärtchen an. Das wolltest du doch schon die ganze Zeit, oder?“
Naso
war überrascht: Im Gärtchen plätscherte ein Brunnen vor sich hin, kunstvoll
eingefasst in Gestein, über dem zwei winzige Treppchen zur Eingangstür führten.
Ringsum kleine Bäume und Sträucher, wilder Wein, Efeu und Blumen - eine Pinie,
ein Feigen- und ein Maulbeerbaum. Gerade genug Platz dazwischen, um ins Haus zu
gelangen. Hätte nicht bald der Winter begonnen und wären nicht viele Blätter
bereits herabgefallen, die Illusion wäre perfekt gewesen: Wie die heilige
Grotte einer Nymphe - mit dem Quellheiligtum in der Mitte…
[Naso bei Corinna
Entsetzt muss er
erfahren, dass Titus sie offizielle begleitet, als Begleitung desselben Abendmahls!
Doch Naso weiß sich
zu helfen:
Er gibt Corinna
Verhaltensanweisungen und eine ausgeklügelte Zeichenspreche mit auf den Weg, um
sich mitten unter den andern geheim austauschen zu können.]
Corinna
hielt Wort.
Schon
im vornehmen Atrium des Carisius gab sie ihren Mantel ab und hieß auch Titus
ablegen.
Die
Sklaven nahmen die Mäntel entgegen, begannen den Gästen die Schuhe auszuziehen,
die Füße zu waschen und zu salben und brachten Hausschuhe.
Als
die Sklaven Titus und Corinna weiche Hausmäntel anboten, lehnte sie gleich für
beide ab.
Naso
seufzte erleichtert. Die Vorstellung, was man unter einem verdeckenden Mantel
alles treiben konnte, hatte ihn besonders gequält. Zum Ablegen des Mantels
hatte er sie besonders gedrängt, kurz vor dem Aufbruch. Dieser Anlass zu
blinder Furcht war jedenfalls genommen. Corinna hatte ihm schon zu viel
gezeigt, was man unter einem Mantel alles treiben und gut verbergen konnte.
Doch wobei würde er zusehen, was alles ertragen müssen?
Corinna
schien seine Unruhe zu spüren, sagte jedoch nichts. Sie warf ihm einen
unauffälligen Blick zu und legte den Daumen auf ihre geröteten Wangen.
Es
war das Zeichen dafür, dass sie sich an ihre gemeinsamen Zärtlichkeiten
erinnerte. Schnell wandte sich Naso ab. Er bekam sein Lächeln nicht unter
Kontrolle.
„Willkommen,
willkommen!“, begrüßte sie Carisius persönlich. „Welche Freude, dass mir
Messalla ein paar seiner Freunde leiht! Kommt, legt euch zu Tisch!“
Das
Triklinium war recht geräumig und bot einen schönen Ausblick auf den Garten. Carisius
hatte zwischen den Säulengängen Öllämpchen und teure Kerzen anzünden lassen. Der
Garten schien mit viel Liebe und Sorgfalt eingerichtet. Wasserspiele und
Statuen warfen flackernde Lichtpunkte zurück. Ein verzaubernder Glanz, der
vielfältig gebrochen durch die Fenster schimmerte. Wäre da nur nicht Titus
gewesen…
„Schick,
nicht wahr?“, lächelte Carisius. „Ich habe das Winterspeisezimmer ganz nach
Vitruvius einrichten lassen: doppelt so lang wie breit und die Höhe entspricht
genau der Hälfte aus Länge und Breite. Da es nach Südwesten liegt, nimmt es
Licht und Wärme der Abendsonne auf und die Fenster halten es warm. Und
natürlich eine Fußbodenheizung – keine rußigen Kohledreifüße, die den Geschmack
der Speisen stören könnten…“
Sulpicia
verdrehte die Augen. Es schickte sich nicht, mit seinem Haus zu protzen oder
Gäste mit architektonischen Details zu langweilen.
„Typisch
neureicher Soldat“, flüsterte sie Naso ins Ohr. „Keine Manieren… Komm, legen
wir uns schnell hin, sonst preist er noch sein gesamtes Mobiliar an.“
Sie
schob Naso sanft aber sehr zielstrebig zu den drei Speiseliegen, die in
klassischer U-Form arrangiert waren.
Corinna
legte die Hand an ihr Ohrläppchen. Es passte ihr also nicht, dass Sulpicia mit
ihm flüsterte.
Naso
massierte seine Nasenwurzel, gleich nachdem er auf der rechten Liege unten Platz
genommen hatte: Ein schuldbewusstes ʺJaʺ.
Als
Corinna sich auf die mittlere Liege zu Titus gesellte, streifte sie sachte Nasos
Fuß. Wie verabredet gab sie Acht, nicht zu eng an ihm zu liegen, nicht Schenkel
an Schenkel zu lehnen. Sie rutschte noch ein wenig zu Sulpicia auf, der man den
Vorzugsplatz an der Lehne der Kopfseite zuwies.
Naso
legte seine Hand ans Kinn, den Daumen wackelnd nach unten. ʺHalte deinen zarten
Fuß ja von seinem knochigen entfernt!ʺ, wollte er sie erinnern.“
Corinna
rieb sich die Nasenwurzel und schwang ihre Füße kurz in die Höhe.
Naso
lächelte. Er drehte mit dem Finger an seinem Ring, um ihr seine Zustimmung zu
signalisieren. Das Zeichensystem funktionierte so weit. Hoffentlich hatte es
sonst niemand mitbekommen.
Doch
die anderen Gäste waren alle noch beschäftigt, es sich auf den Speiseliegen bequem
zu machen: Carisius als Gastgeber am Kopfteil der linken Liege, daneben seine
Gattin Servia, außen Tibullus. Carisius hatte Titus auf den höchsten Ehrenplatz
beordert, mittlere Liege mit dem Kopf gleich neben dem Gastgeber. Auf der
rechten Liege nahmen Hostia neben Naso und Propertius am Lehnenende außen
Platz.
Die Sklaven begannen mit den Vorspeisen gleich auch
die ersten Gänge aufzutragen.
„Greift
zu! Esst, trinkt!“, eröffnete Carisius die Cena. „Ich hoffe, ihr fühlt euch
wohl an meiner bescheidenen Tafel!“
Sulpicia
schüttelte kaum merklich den Kopf.
Auch
Naso hatte es bemerkt. Nicht nur, dass sich die Tabletts vor Speisen bogen.
Neben Eiern, Appetitanregern, Salaten,
Gemüse und Meeresfrüchten ließ Carisius gleich alle Hauptgerichte auf
einmal servieren: Fleisch-, Geflügel-
und Fischvariationen, gekocht, gebraten, gegrillt und mit unzähligen süß und
scharf gewürzten Soßen gereicht. Allein schon das Mobiliar selbst wirkte
protzig, doch ohne rechte Harmonie: Eine zu breite Tischplatte, um
geschmackvoll zu sein, viel zu mächtig. Dazu waren die Verzierungen aus
Elfenbein, einfach viel zu dominierend -fast schon plump-, das Silber zu
unübersehbar und die Skulpturen, die er hatte einarbeiten lassen, übertrieben: hoch
reckende Panther mit gewaltig aufgesperrtem Rachen.
„Sulpicia,
fehlt dir was? Lass dir noch mehr Wein einschenken, meine Liebe, nicht dass
dein Onkel sich nachher bei mir beschwert!“
„Nein,
alles in bester Ordnung. Ich wollte dich nur beglückwünschen, dass du einen
Einrichtungsstil gefunden hast, der zu dir passt. Und erst das Essen… es könnte
nicht besser für dich sprechen – ein Abbild deiner selbst. Auf Carisius!“
„Auf
Carisius“
Carisius
lächelte zufrieden.
Die
anderen lächelten auch, allerdings aus anderem Grund – ausgenommen Servia und
Titus, die auch nichts bemerkt zu haben schienen.
Propertius
prustete in sein Glas.
„Ach,
unser feuriger Dichter“, lächelte Carisius. „Es ist genügend da, du brauchst
dich nicht beeilen.“
Propertius
nickte mit gesenktem Blick. Naso sah, wie er kämpfen musste, um nicht laut los
zu lachen.
Hostia
schlug ihm auf den Rücken und nutzte die Gelegenheit, um kurz ihr eigenes Gesicht
abzuwenden.
Naso
schlang ein Häppchen nach dem anderen herunter, bis er sich wieder unter
Kontrolle hatte.
„Der
Jugend schmeckt es – so ist es recht mein Junge!“
[…]
Carisius
klatschte in die Hände, um seinen Arzt rufen zu lassen, doch Tibullus hob abwehrend
die Hand.
„Nein,
es ist nichts.“
„Na
dann lass wenigstens einen Wollmantel bringen“, drängte Servia und ließ es sich
nicht nehmen, ihn Tibullus selbst umzulegen. „Wenn ich schon direkt neben dir
liege…“
„Selbst
gesponnen?“, fragte Sulpicia spitz.
„Ach,
ja… äh nein… also fast.“
Servia
errötete leicht.
„Aber
ich überwache meine Slavinnen persönlich und ich bin auch selbst immer dabei -
zusammen mit allen meinen Töchtern. Ich finde, dass zählt doch fast genauso,
oder?“
„Ganz
deiner Meinung, meine Liebe! Hauptsache du hast eine sinnvolle Tätigkeit, in
der man als Frau und Individuum vollständig aufgehen kann. Was gibt es
schöneres als ganz Hausfrau und Mutter zu sein, so wie es der ʺErhabeneʺ für
uns Frauen neuerdings wieder wünscht?“
Servia
schien sich sichtlich über das ʺKomplimentʺ Sulpicias zu freuen.
Corinna
drehte beständig an ihrem Ring. Anscheinend wollte sie Naso wissen lassen, dass
ihr Sulpicias Haltung überaus gefiel. Dabei nutzte sie gleich die Gelegenheit,
Titus unvermischten Wein nachzuschenken. Auch das hatten sie zuvor
abgesprochen.
Naso
lächelte zufrieden. Er ließ ebenfalls seinen Ring um den Finger kreisen.
„Nur… der Tradition entsprechend, sollten da wir
Frauen nicht am freien Tischende auf Stühlen sitzen?“, legte Sulpicia nach.
„Ach…eigentlich hast du ja recht… soll ich die
Korbgeflechte holen lassen?“
„Ach… aber unbedingt! Stühle aus Korbgeflecht für
die Frauen und runter ans freie Tischende mit uns. Es lebe die Tradition!“
Servia klatschte in die Hände.
Carisius hielt sie ihr fest.
„Das war nur ein Scherz, Liebes…“
Tibullus
räusperte sich.
„Nein
wirklich… Was ich sagen wollte: Der Junge hat wirklich Talent. Aber er ist zu
bescheiden. Wie war das neulich, als du dein Können in Abrede gestellt hast: ʺVergilius
habe ich nur gesehen, Horatius nur vortragen gehört, doch Propertius hat mir
von seinen Flammen vorgelesen und Tibullusʺ…“
Er
hustete wieder und hielt sich eine Serviette vor den Mund.
„Aber
sprich besser selbst für dich: Woran schreibst du gerade?“
Naso
wand sich.
„Ich?
ich bin noch nicht so weit. Ich will erst ein Dichter werden, ihr seid es alle
bereits.“
[…]
„Schön
abgelenkt“, bemerkte Sulpicia bestimmt. Sie beugte sich über ihre Sofalehne
hinaus und fixierte ihn neugierig. „Hast du Angst, dass dir einer von uns dein
Thema wegschnappt? Aber gut, ein Dichter braucht nun mal Vorbilder. Aber ich
scheide schon einmal aus, meine Nische kannst du kaum besetzen. Es sei denn du
schreibst aus der Sicht einer Dichterin…“
Servia
beugte sich abrupt vor.
„Du
bist also wirklich eine Dichterin? Ach, wie einzigartig! Ich dachte nicht, dass
Frauen auch dichten können.“
„Einzigartig.
Ach… wirklich! Gab es noch nie. Wo doch sonst alle Frauen nur brav zu Hause
sitzen, auf ihren Ehemann warten und Wolle spinnen… Wenn Sappho das bereits
gewusst hätte…“
Alle
anderen kicherten – bis auf Titus.
Servia
machte ein verdutztes Gesicht.
„Sappho?“,
fragte sie.
„Ach,
nur so eine Griechen aus Lesbos. Aber wenn DU sie nicht kennst, lohnt sich natürlich
die Mühe nicht, von ihr zu lesen…“
Wieder
mussten alle grinsen.
„Lauter
Dichter und Dichterinnen? Ach… wollt ihr nicht etwas von Vergilius vortragen?
Wie man hört, ist er sehr beliebt im Kaiserhaus.“
„Infandum, regina, iubes renovare dolorem!“
Wieder
löste sie unter den Dichtern allgemeine Heiterkeit aus. Diesmal musste Tibullus
in sein Glas prusten, was in einen Hustenanfall überging.
„Wie
bitte?“ Servia war vollkommen verwirrt.
„Unnennbaren
Schmerz, o Königin, befiehlst du zu erneuern! Drittes Buch der Aeneis.
Vergilius…“
„Ach,
Vergilius… wie schön!“
Corinna
reichte Titus ein Glas, das er dankbar annahm und auf einen Zug leerte.
„Sehr
schön, sehr schön“, unterbrach Carisius, „aber sieh nur, wie sich Titus
langweilt! Er hat den ganzen Abend noch kein Wort gesagt, der Arme… Komm Titus,
erzähle uns etwas, was uns alle angeht, was alle spannend finden! Vielleicht
etwas vom Kantabrerkrieg. Immerhin warst du Legat unter niemand geringerem als
Marcus Vipsanius Agrippa persönlich! Was für eine Karriere für einen einfachen
Ritter: Vom Decurio einer Turma zum Anführer einer ganzen Legion!“
Titus
richtete sich auf und drückte seinen Brustkorb vor.
„Wir
leben in Zeiten, in denen virtus viel
zählt. Mit mannhafter Energie ist es geradezu ein Leichtes, als Ritter
aufzusteigen. Schließlich hat Augustus Rom wieder groß gemacht!“
„Nicht
so bescheiden, mein Lieber! Nicht jeder steigt auf, der Manns genug ist, da
gehört noch mehr dazu! Nehmt mich zum Beispiel, in Lusitanien! Man muss schon
auch etwas von Kriegsführung verstehen. Seht her…“
Carisius
begann, Teller, Schüsselchen, Kannen und Gläser wie Spielzeugsoldaten auf dem
Tisch hin und her zu schieben, bis sich zwei gegnerische Armeen auf dem
Esstisch formierten - eine davon campierte offenbar auf dem erhöhten
Soßentablett aus getriebenem Silber.
„…so
hatten sich die Asturer auf ihren schneebedeckten Bergen verschanzt und führten
immer wieder Überfälle durch….“
Die
Dichterfreunde machten lange Gesichter. Vermutlich hatten sie nicht allzu viel
Interesse an Carisius‘ Heldentaten – oder sie kannten die Schlachtenschilderung
bereits, vermutete Naso.
Corinna
presste beide Ohrläppchen.
Naso
lief es siedend heiß den Rücken hinunter. »Viel zu auffällig! So doch nicht!«
Er schob seine Brauen herunter und klopfte vorsichtig mit dem Zeigefinger an
sein Ohr.
Propertius
und Hostia zogen dagegen eine Augenbraue hoch, als sie ihn betrachteten.
Naso
begann zu schwitzen.
Doch
Titus schien nichts zu bemerken. Gebannt lauschte er seinem Freund und Patron,
der ungerührt fortfuhr:
„…hier
wollten sie dann mit ihren Truppen in drei Kolonnen unsere Stützpunkte angreifen.
Doch ich habe sie noch vor der geplanten Attacke erwischt…“
Schließlich
war es auch bei Sulpicia mit der Höflichkeit vorbei. Sie lehnte ihre blonde
Mähne in den Nacken und stöhnte laut auf.
Doch
Carisius nahm sie nicht einmal wahr.
„…so
stellte ich vom agmen quadratum um
und dann vom linken Flügel aus…“
Naso
hätte sich zusammenreißen müssen, um nicht zu kichern: Titus und Servia
lauschten andächtig Carisius, der nicht einmal von den ʺSoldatenʺ auf dem Tisch
aufsah, während Sulpicia, Propertius und Hostia sich unübersehbare Zeichen
zuwarfen. Gähnen mit der Hand vor dem Mund und Verdrehen der Augen gehörten
noch zu den zurückhaltenderen. Nur Tibullus war zu ernst, um bei derlei
Spielchen mitzumachen. Corinna schien sich dagegen richtig gut zu amüsieren –
über die Verzweiflung Nasos und über das unterschiedliche Benehmen zu Tisch.
Der
einzige Grund, warum Naso nicht lachen musste, war der, dass es ihn geradezu
rasend machte, wie eng Titus an Corinna herangerückt war. Nervös rieb er immer
wieder seine Hände aneinander oder griff zu einem Glas Wein. Wenn er sich
unbeobachtet von den anderen fühlte, tippte er immer wieder einmal auf seine
Brust, zog die Augenbrauen zusammen und legte den Finger an die Hand: ʺLass ihn
ja nicht an deine Brüste ran, Corinna!ʺ
„Und
in so blutigem Kampf habe ich also die Feinde geschlagen. Im folgenden Winter
blieb nichts weiter zu tun, als die alten Fünfer… also die ausgedienten Soldaten
der Legio V Alaudae in Emerita Augusta anzusiedeln. Ihr wisst ja, der Erhabene
selbst hat diese Veteranenkolonie extra dafür gegründet. Hier, seht!“
Carisius
war den Gästen ein paar Sesterzen zu. Darauf waren die Festungswerke der neuen
Kolonie zu sehen und zwei Namen: LEG V ALAUDAE und P. CARISIUS.
Naso
staunte. Carisius musste gute Kontakte zu den Münzmeistern haben – und zu
Augustus persönlich. Nur die Allerwenigsten konnten sich je auf Münzen
verewigen, nur eine mehrfach geprüfte Aussage passierte die politische Zensur.
Carisius
strahlte selbstzufrieden. Seine Glatze leuchtete mit dem Lampenlicht um die
Wette.
„Meine
Legion! Die Fünfte!“
„Ja
Titus, deine Legion. Erzähl doch mal, wie habt ihr den Krieg schließlich zu
Ende gebracht, du und Agrippa?“
Titus
war sofort Feuer und Flamme. Auch er begann, kleine Geschirrarmeen auf dem
Tisch aufzubauen.
Gerade
wollte er eine besonders gelungene Flügelzange unter seinem Kommando
verdeutlichen, als ihm Sulpicia die Reiter entwand.
„Nein,
die Kavallerie brauche ICH jetzt! Prosit!“
„Und
ich die Bogenschützen“. Auch Propertius riss sein Glas an sich, um zu trinken.
„Na
was ist? So schlimm, wenn dich die hispanischen Reiter im Stich lassen?“,
feixte Sulpicia.
Carisius
klatschte in die Hände, sofort stellten seine Sklaven neue Gläser auf den
Tisch.
„Die
Kantabrer waren schon immer unzuverlässige Barbaren“, grinste er, „bereits im
Punischen Krieg als Söldner auf Seiten Karthagos, dann für die Numantia, Sertorius
und dann auch noch gegen Publius Crassus. Zum Glück haben wir ja noch gallische
Verstärkung parat.“
Carisius
klatschte in die Hände.
„Uva
Allobrogica: Unterstützung von der guten alten Rebsorte aus dem jenseitigen Gallien.
Schon so lange in römischem Dienst, die lässt einen nie im Stich. Trinkt! Ihr
müsst die hier unbedingt einmal pur probieren.“ Carisius berührte zum Gebet mit
einer Hand den Tisch. „Auf uns! Mögen die Götter uns und diese Runde segnen!“
„Auf
uns!“
Ein
goldener Pokal machte die Runde. Als Corinna ihn absetzte, beugte sich Naso
schnell vor, ergriff ihn noch vor Sulpicia und trank genau an der Stelle, an
der Corinna getrunken hatte.
Sulpicia
musterte ihn aus großen Augen.
Carisius
lachte. „Nicht so gierig! Es ist genug für alle da!“ Dann klatschte er in die
Hände. Sofort reichten die Mundschenke nach.
„Oder
hat dich Messalla auch gleich als Vorkoster eingestellt?“
„So
ist es“, murmelte Naso lächelnd. Er hatte bekommen, was er wollte.
„Weiter,
mein lieber Titus!“, forderte Carisius. „Mit den frischen Truppen nun frisch
ans Werk: Ich möchte den Angriff deiner Flügelzange sehen!“
Sulpicia
stöhnte auf.
Carisius
zog seine Augenbrauen zusammen.
„Brennst
du etwa nicht darauf, die größten Heldentaten von Agrippa und seinen Männern zu
hören?“
„Doch,
selbstverständlich…“
Titus
öffnete schon den Mund, da fuhr Sulpicia fort:
„…
nur… die größten Heldentaten von Agrippa und seinen Männern, dafür hält man
doch eher die Seeschlacht vor Aktion, oder? Also ich halte mehr davon, was er
in Rom alles geleistet hat: Aus eigener Tasche Aquädukte wieder hergestellt, die
Wasserversorgung endgültig geregelt, die Stadt mit zahlreichen Bauwerken
geschmückt, das Marsfeld entwässert, Parklandschaften erstellt… Und erst seine
Thermen mit ihren Sportplätzen, Parks und Bibliotheken! Was könnte heldenhafter
sein für einen Mann, als Bildung mit Körperpflege zu vereinen und alle von
Schweiß, Unbildung und Geruch zu befreien? Hast du dabei auch mitgemacht,
Titus?“
Sie
schnüffelte in seine Richtung.
„Vielleicht
solltest du Agrippas Bäder auch einmal besuchen? Sie sind gerade fertig
geworden. Ich kenne zwar nur den Frauentrakt, aber…“
„Ich
weiß gar nicht was du hast!“, stoppte sie Carisius. „Er riecht doch sehr
sauber.“
„Nein
wirklich, natürlich habe ich mich gewaschen! Was für eine Idee… wer käme denn
schmutzig zu einer Cena bei Carisius?“
„Doch,
sieh nur!“, pflichtete Naso scheinheilig bei. „Das viele Blut hat er auch
abgewaschen. Das war sicher eine recht blutige Angelegenheit, bei den
Kantabrern?“
„Ich
danke dir, für deinen männlichen Beitrag, Dichter!“, freute sich Titus und
setzte wieder zu seiner Erzählung an.
Corinna
drehte an ihrem Ring.
„Warum
haben wir eigentlich überhaupt gegen die Kantabrer Krieg geführt?“, unterbrach
Sulpicia abermals. „Was haben sie Rom denn getan – außer dass ihre Vorväter
einst auf der falschen Seite standen? Aber das hat auch halb Italia! Nicht
zuletzt Etrusker wie Maecaenas…“
„Nein,
nicht nur ihre Vorväter“, schnaubte Titus. „Direkt vor unserem Einmarsch sind
sie ständig in unser Gebiet eingefallen, zu den Vaccaeern, Turmogern und
Autrigonen. Außerdem haben sie eine heilige Standarte erbeutet und nicht
zurückerstattet – diese Barbaren!“
Sulpicia
verengte ihre Augen zu Schlitzen. Sie wies mit dem Finger auf die Ringe an
Carisius‘ und Titus‘ Händen und auf die Kettchen an ihren Hälsen.
„War
es nicht vielmehr das Eisenerz der Kantabrer und das Gold der Asturer, mit dem
ihr euch da großzügig behängt habt? Hat die Priesterschaft der Fetialen etwa
eine rituelle Kriegserklärung vor den Göttern bezeugt? Von wegen gerechter
Krieg…“
Titus
schwieg.
„Sulpicia!“,
tadelte sie Carisius. „Ich glaube kaum, dass dein Onkel dies schätzen würde,
bei allem Respekt vor dir und deiner Familie…“
Sulpicia
verschränkte die Arme.
„Schön!“,
schmollte sie. „Keine Kritik mehr an patriotischen Heldentaten.“
Titus
atmete auf.
„Dann
kann ich ja endlich weitererzählen. Wo war ich?“
„Vielleicht
machst du bei der Eroberung des Berges Medullius weiter“, riet Carisius.
„Eine
gute Wahl! Die Bergfestung und der totale Widerstand bis in den Tod…“
Titus
nahm ein Sofakissen zu Hilfe, auf das er das Tablett stellte.
„He!
Geht’s noch?“, ereiferte sich Sulpicia.
Titus
nahm jedoch keine Notiz mehr von ihr und fuhr unbeeindruckt mit den
Schilderungen der Kämpfe fort.
Ebenso
wenig von Corinna, die wieder ihre Ohrläppchen mit beiden Händen hielt.
Als
Titus erst richtig zu langweilen begann, berührte Corinna mit einer Hand den
Tisch und bewegte lautlos die Lippen. Ein spitzbübisches Lächeln erschien auf ihrem
Gesicht, als Naso sie dabei erblickte.
Er
drehte sofort an seinem Ring.
»Wunderbar,
wie bei einem richtigen Gebet. Ein Glück, dass alle Tische heilig sind… Hoffentlich
wünscht sie ihm tatsächlich Übel auf Übel von den Göttern herab, so wie ausgemacht.«
Naso
sah wieder zu Titus und beobachtete, ob er wohl schon ein wenig kränklicher
aussah, grün wurde, heiser, oder wenigstens zu Husten begann.
Zu
Nasos Unwillen verstärkte sich nur die gesunde Röte in Titus‘ Gesicht.
Selbstgefällig schwadronierte er ohne Unterbrechung weiter.
Corinna
schenkte ihm fleißig nach.
[…]
Titus‘
Ausführungen wurden langsamer. Am Ende kamen sie ganz zum Erliegen und er
schlief ein. Als Gastgeber und Gäste sich erhoben, um vor den secundae
mensae ein Trankopfer an die
Hausgötter darzubringen, blieb Titus allein zurück. Ein leises Schnarchen war
das einzige Anzeichen von Leben. Ansonsten lag er erledigt wie im Grabe
da. Nasos Plan schien endlich aufzugehen.
Carisius stolzierte mit wichtigtuerischer Miene
durch das Atrium. Er besprenkelte den Hausaltar mit unvermischtem Wein und ließ
sich eine dicke Schriftrolle reichen.
„Das kann ja heiter werden“, flüsterte Sulpicia.
Carisius begann, ein Gebet in recht gestelzten
Worten zu verlesen.
Sulpicia verdrehte die Augen und ließ sich auf einer
der Bänke um das Impluvium nieder.
„Keine einzige Wachsmaske im Atrium aber ein Gebet,
das für tausend illustre Vorfahren reichen würde!“
Die anderen taten es ihr gleich und betrachteten
lieber den Widerschein der Kerzen im Compluvium als den opfernden Carisius.
Nur Servia starrte ehrfürchtig und verzückt auf
ihren Hausvorstand bei der libatio an die Laren. Sie schien die Menge der
Worte mit ihrer Qualität zu verwechseln.
Titus lag noch immer im Triklinium und rührte sich
nicht. Alle waren mit Carisius‘ ausufernder Rede beschäftigt, jeder auf seine
Weise.
„Los komm“, flüsterte Naso Corinna zu. „Ort und Zeit
geben uns einen Rat…“. Er drängte sie
ins still daliegende Arbeitszimmer des Carisius.
Keiner
schien Notiz von ihnen zu nehmen.
Corinna
umarmte ihn zärtlich, berührte ihre Wangen sanft mit dem Daumen, lächelte
schelmisch und gab ihm einen Kuss. Sie drückte aufreizend ihren Schenkel an
seinen.
Doch
sie kamen nicht weit.
Titus
hatte sich schließlich doch noch erhoben. Gestützt auf zwei Sklaven kam er
ihnen taumelnd entgegen.
„Sch-sch-schätzchen,
woooo bist … du denn? Ach da seid ihr…“
Naso
sah ihn von der Seite an wie ein böswilliges Tier. »Kann der nicht einmal in
Ruhe liegen bleiben und seinen Rausch ausschlafen?, wie andere Leute auch?«
Doch
es half nichts.
Zu
den folgenden Gängen waren sie wieder alle um den Tisch versammelt, auch wenn
Titus selbst im Liegen noch schwankte und Hilfe brauchte, um Obst, Süßspeisen und Kuchen zu sich nehmen zu
können. Sie bei sich zu behalten, schaffte er jedoch nicht. Als auch die anderen
zu verschärftem Trinken übergingen, erbrach Titus Nüsse und würzige Häppchen in
hohem Bogen.
Zwar versuchten die Sklaven sofort alle Spuren zu
beseitigen und brachten frische Kleidung, die gute Stimmung war dennoch nicht
mehr zu retten.
„Ich denke, wir müssen, nicht war, Schätzchen?“
flötete Corinna, um Titus zum Gehen zu bewegen.
„Wir auch!“
Als
Corinna sich erhob, um zu gehen, erhoben sich alle.
„Nicht doch, nicht doch! Ihr könnt gerne noch
bleiben, der Abend ist noch jung! So streng wir früher haben wir’s doch
wirklich nicht mehr. Nicht einmal der Erhabene schert sich um Dunkelheit und
Nacht bei seinen Banketten…“
Doch Carisius‘ halbherziger Versuch war nicht von
Erfolg gekrönt. Die Feiergesellschaft machte sich auf den Heimweg. Der eine
mehr, der andere weniger schwankend.
[…]
»Ich
Elender, ich habe geraten, was nur für wenige Stunden nützt. Gebieterisch
trennt die Nacht mich jetzt von meiner Geliebten. In der Nacht wird sie „ihr Mann“
einschließen. Aus. Und dann? O Cupido! Nein, ich will mir das lieber gar nicht
erst vorstellen… Warum nur habe ich darauf bestanden, sie zu begleiten?«
Bald,
viel zu bald tauchte der Esquilin aus dem nächtlichen Dunst.
Naso
geleitete sie soweit es ging: bis an das grausame Eisentor, das sie voneinander
trennen würde.
Weiter
konnte er nicht.
Titus
verabschiedete sich mit einem militärisch kurzem „Vale!“, dann schob er Corinna
hinein.
Corinna
konnte ihm nur noch kurz winken.
Hinter
ihnen fiel das Gartentor wieder ins Schloss.
Nur
ein kurzes metallisches Krächzen, dann herrschte Stille.
Naso
blieb nicht einmal Zeit für eine Antwort. Eine Träne lief über seine Wange.
Dann
ballte er seine Faust.
[…]
Schließlich
erhob er sich doch und ging zur anderen Straßenseite, um einen Blick auf
Corinnas Schlafgemach zu erhaschen.
Es
war ihm, als dränge ein Lichtschein durch Vorhänge und das Holz der Fensterläden,
als schiene die Silhouette Corinnas hindurch, der Titus einen Kuss aufdrängte.
Naso
war tief getroffen. Leise flüsternd begann er vor Aufregung zu dichten:
„Küsse nimmt er sich von dir, ja schon wird
es mehr sein als Küssen,
was du nur heimlich mir gibst, holt er sich rechtens mit
Zwang!
Gib’s ihm nur ungern -du
kannst das- und ganz wie gezwungen,
lass keine Zärtlichkeit zu, Venus soll böswillig sein!
Wenn mein Gebet etwas
nützt, dann wünsch‘ ich, dass er sich nicht freue!
Nützt der Wunsch wenig, dann hab‘ du keine Freude daran!
Doch wie auch immer die
Nacht sich zwischen euch beiden gestaltet,
morgen versicher‘ mir fest, dass heute Abend nichts lief.“
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