Über Anregungen und Kommentare würde ich mich
freuen!
Kapitel 3:Recht ist‘s und billig mein Flehen: Treffen mit
Corinna
Naso
spähte zur Sonnenuhr. Die neunte Stunde des Tages hatte bereits begonnen, kein
Zweifel.
»Immer
noch nicht!«
Er
war pünktlich gewesen: Die achte Stunde. Früher Nachmittag. Siebzehnter Tag vor
den Kalenden des November.
Überpünktlich
sogar. Und es war auch der richtige Ort:
Dort wo der
Nymphenbrunnen beim Marmortempel der Venus
weit durch die Lüfte die Gischt spritzt mit des
Rohrdruckes Kraft.
Hohe
Fontänen schossen lebenslustig aus den Wasserspeiern gen Himmel, zerstoben in
unzähligen Tröpfchen, sanken in nebligen Schwaden herab und flossen schäumend
über den Abfluss. Die marmorne Figurengruppe glänzte golden in der Sonne.
Einzig Neptun spie seine Fluten ein wenig missmutig aus. Ob es ihn störte, dass
sein wallender Bart etwas Moos angesetzt hatte?
Dennoch:
Ein sehr lieblicher Ort.
Wo
blieb sie nur? Schließlich hatte sie selbst eben diese Verse aus den
Ratschlägen des Propertius stehen lassen, als sie Ort, Treffpunkt und Zeit in
Nasos Wachstäfelchen geritzt hatte.
Eine
Verabredung für den nächsten Tag. Nicht mehr und nicht weniger.
So
lehnte Naso lässig am Rande des Brunnens und hielt Ausschau.
Das
heißt er wollte lässig erscheinen, doch je länger er wartete, desto mehr verkrampfte
er sich und desto unsicherer wurde er.
»Und
wenn sie doch nicht kommt? Habe ich mir das Ganze am Ende nur eingebildet?
Nein, ich bin doch nicht verrückt! Die Frau war aus Fleisch und Blut, So etwas
Schönes kann man sich gar nicht selbst ausdenken. Aber… vielleicht war ihr
Interesse nicht echt? Ich bin einfach zu nervös…! Oh Venus, bitte steh mir
bei!«
Naso
wartete auf ein Zeichen, doch es kam keines.
Die
Torflügel des Tempels blieben so fest verschlossen, wie zuvor.
»Was
habe ich mir auch gedacht – dass sie auf einmal von selbst aufspringen, wie das
Türflügelwunder in der Aeneis des Vergilius?«
[…]
Er
schlenderte zu den Stufen des Tempels. Er hatte gehofft, dass vielleicht ein
Priester hineingehen würde und er einen Blick erhaschen könnte. Gerade mal lang
genug, um ein Gebet hinterher zu werfen. Doch es kam niemand.
Niemand,
der in den Tempel ging.
Nur
ein paar Mädchen und Frauen stellten sich zum Wasserholen an. Sie füllten ihre
Gefäße am Hahn, gleich neben den Wasserspielen. Ein eigener Wasseranschluss,
das war schon etwas, was Naso in seiner Kammer vermisste…
Allmählich
lichtete sich die Schlange wieder. Nur ein paar Kinder spielten am Überlauf des
Brunnens. Sie ließen kleine Spielzeugboote in der Wasserrinne um die Wette
schwimmen und fischten sie wieder heraus, bevor sie durch das Gitter in die
Kanalisation gespült werden konnten. Außer den Kindern und den Wasserholerinnen
war der Platz nahezu leer.
Corinna
war nirgends zu erblicken.
Naso
hätte etwas draußen am Altar opfern können, doch er hatte nichts dabei, was
sich als Opfergabe eignete.
Immer
noch den Tempel fest im Blick, schlenderte er wieder zum Brunnen zurück.
„Geh
ruhig nach oben!“, rief ihm eine alte Frau zu, die am Brunnen Wasser holte. Sie
lächelte ihn aus ihren Zahnlücken an. Ihr schütteres weißes Haar trug sie
sorgsam zu einem Knoten zusammengebunden. Sie trug die vertrauenserweckende
Stola einer ehrbaren Frau. „Decimusss hat Dienssst, er lässt die Türe den ganzzzen
Tag auf, fallsss einer ein Votivgeschenk darbringen will“, zischelte sie. „Der
nimmt auch Münzzzen, zum Wohle der Göttin.“
Naso
dankte der Matrone mit einem freundlichen Wink.
„Danke,
aber ich warte hier auf eine Freundin.“
„Sssieht
man, Junge. Blumen, wie nett! Hat mein Quintusss mir noch nie gemacht… Du kannssst
beruhigt reingehen. Wenn ich mit dem Wasssserholen fertig bin, werde ich
warten, bis du wieder draußssen bissst. Sobald eine junge Dame herkommt, werde ich
ihr ausssrichten, dassss du noch kurz bei Venusss weilssst.“ Sie lächelte über
ihr faltiges Gesicht. „Junge Liebe, sssieht man ssso ssselten! Da helfe ich
gerne…“
Naso
zögerte, dann rannte er die Stufen empor und klopfte vorsichtig mit dem Fuß an
das Tempeltor.
Knarrend
öffnete sich der Wächtereinlass des linken Torflügels.
„Ja
bitte, was wünschst du von der Herrin Cytherea?“
„Eine
Weihegabe. Ein kleines Opfer, um Venus gnädig zu stimmen.“
„Komm!“
Der
Priester führte ihn ins Tempelinnere.
Mühsam
gewöhnten sich Nasos Augen an das gemischte Dämmerlicht. Nur vereinzelte Sonnenstrahlen
bahnten sich ihren Weg von den schmalen Einlässen herunter. Es gab nur wenige
Fenster, weit oben, nahe dem Dach. Staubkörnchen tanzten in den Lichtbahnen,
wie Nachtschwärmer um eine helle Kerze.
»Warum
man wohl einen Tempel nie beleuchten darf, keine Öllampen und nicht einmal
Kerzen?«, fragte sich Naso. »Wenn ich ein Gott wäre, ich würde gerne allen zeigen,
wie schön mein Allerheiligstes aussieht…«
An
den Wänden spiegelte sich ein sonderbarer Glanz, eine Art durchbrochenes
Glimmen.
Naso
kniff die Augen zusammen.
Zahlreiche
Votivgaben hingen an den Wänden. ʺFür die Erfüllung der Liebeʺ, stand auf einem
großen silbernen Herzen. ʺNach der Nacht meiner Träumeʺ, auf einem sehr langgestreckten
Phallus. Anscheinend hatte Venus halb Rom geholfen, wenn immer jemand Venus ein
Weihegeschenk gelobt hatte, schien sie im Gegenzug alle Wünsche erfüllt zu
haben, so viele kleine Plaketten hingen an den Wänden. Im Halbdunkel des
Tempels ging ein mystischer Schimmer von ihnen aus, fast so als seien sie
lebendig.
Selbst
die Weihwasserspender schienen sich zu bewegen, wenn man an ihnen
vorbeischritt. In den kupfernen Aufsätzen reflektierten Lichtstrahlen oder
wurden von ihm und dem Priester verdeckt. Kleine Täfelchen gaben den Betrag an,
mit welchen Münzen sie gefüttert werden mussten. Geld gegen Segen, Weihegaben
gegen Wunscherfüllung. Alles genauestens geregelt. Bei Nichterfüllung - Rückerstattung
der Ausgaben.
[…]
Als
Naso wieder nach draußen trat, stand die Alte neben ihren gefüllten Amphoren.
Sie zeigte ein halb zahnloses Lächeln. Auf irgendeine Art schien sie verändert
zu sein, doch Naso konnte nicht sagen, auf welche.
»Aber
immerhin, sie lächelt. Gut, ich habe Corinna also noch nicht verpasst.«
Naso
winkte ihr der Alten einen freundlichen Dank zu, die Matrone winkte ihn jedoch
zu sich heran. Sie hielt ein Schreibtäfelchen in Händen.
„O
nein! Sie war doch schon da… bei Venus!“
„Nein,
nein, keine Sssorge, es war nur ein junges Sssklavenmädchen. Nape hießss sssie.
Komm, hilf mir mein Wasssser tragen und ich erzähle dir genau, wie esss war.“
Sie
wedelte kurz mit dem Schreibtäfelchen und steckte es wieder ein.
„Unsssereinsss
hat keine Sssklaven… und du bist ja noch jung – jung und verliebt. Da kann man
einer alten Witwe noch ein wenig Tragen helfen, oder?“
Sie
sah ihn herausfordernd an.
Naso
erwiderte den Blick. Ein Schauer ließ ihm über den Rücken.
»Das
gibt’s doch nicht! Täusche ich mich, oder hat sie doppelte Pupillen?! Ist das
wirklich noch dieselbe…?«
Die
Alte blinzelte. Einen Moment dachte Naso, er sähe längliche Pupillen in einem gelben
Auge. Doch ebenso schnell verschwand die Vision wieder. Zurück blieb eine freundlich
lächelnde Matrone mit leichten Triefaugen und langen dürren Fingern.
»Nein,
muss wohl doch die Einbildung sein…«
Dennoch,
irgendetwas an dieser Frau war nicht ganz geheuer. Sie schien überhaupt nicht
hierher zu passen. Nur warum…? Aber was blieb ihm schon anderes übrig!
„Gut,
ich komme mit dir… die sind aber schwer! Randvoll hm? So, jetzt erzähl mir, wie
war das genau? Ein Sklavenmädchen, Nape, hieß sie also...?“
Naso
trug der Alten die Amphoren bis ins Miethaus. Kaum hatte er ihr Stockwerk erreicht,
riss er das Schreibtäfelchen auf:
„Habe dich wirklich gern. Aber es geht nicht.
Nicht heute, leider... Vielleicht ein andermal. Wenn Venus will, werden wir uns
wieder sehen.
Leb wohl!“
Das
Wachstäfelchen fiel aus seiner Hand, schlug am Boden auf und hüpfte ein paar
Treppenstufen hinunter.
Naso
verlor jeglichen Halt.
Er
sank zu Boden und schlug die Hände vor sein Gesicht.
Die
Alte beugte sich zu ihm hinunter und kicherte.
„Junger
Mann, wer wird denn gleich weinen?“
Naso
konnte sich einfach nicht zurückhalten. Ein Strom von Tränen brach über sein
Antlitz.
„Sie….
sie war“, schluchzte er unter Tränen“, sie war vielleicht die große, die große Liebe.
Und … werde sie niemals wiedersehen in Roms großen Massen!“
Er
wischte sich mit dem Handrücken über sein durchnässtes Gesicht. Er beruhigte
sich ein wenig und sah aus nassen Augen zur Matrone empor.
„Wie
soll ich sie in einer Stadt wie Rom jemals wiederfinden?“
„Ganzzz
einfach, ich weißss, wo Nape wohnt – und ihre Herrin.“
„Was?“
„Eine
alte Ssschülerin von mir, oder bessser, meine Kleine, mein Kind… Natürlich weißss
ich, wo sssie wohnt. Beruhige dich. Aber bevor sssie sssich mit dir einlässsst,
wollte sie wisssen, wie ernssst es dir mit ihr issst…“
Naso
schoss in die Höhe.
„Raus
mit der Sprache: Wo! Wo wohnt sie, sag es mir, bitte!“
„Immer
langsssam. Ich weißss noch gar nicht, ob Du esss wert bissst…“
Sie
musterte ihn gierig von oben bis unten. „Ich sehe den goldenen Ring. Ein
Ritter. Aber sssonst nicht viel von Wert – und auch keine Muskeln. Warssst du
am Ende nie in der Armee? Kein Training, keine Beute, keine Karriere?“
Sie
zog die Augenbrauen nach oben und schob ihren Kopf so nah an Naso heran, dass er
ihren weinhaltigen Atem roch. „Bisssst du überhaupt vermögend genügend, um ihr
die nötige Aufmerksssamkeit zukommen zu lasssen – genug Geld für Gessschenke?
Bissst du esss wirklich wert?“
Naso,
zuckte zusammen, als sie so mit ihrer langen Zunge durch ihre nicht mehr
vorhandenen Schneidezähne fuhr. Er spürte, wie ihm alle Nackenhaare einzeln zu
Berge standen. Vorne an der Zungenspitze fehlte ein Stück – fast so, als wäre
sie gespalten. Naso schauderte. Er glaubte fast, keinen Menschen mehr vor sich zu
haben, sondern eine Schlange, ganz als sei den alten Mythen entsprungen.
»Das
ist keine Matrone«, schoss es Naso durch den Kopf. »Das muss eine Hetärenmutter
sein, eine verarmte Zuhälterin am Ende – oder… eine Hexe?«
„Doch,
ich besitze viel Geld, ein Vermögen, das kann ich dir zeigen“, log er und
schüttelte den Lederbeutel, den ihm sein Vater dagelassen hatte. Vor dem
Treffen mit Corinna hatte er ihn vorsichtshalber mit all seinen verbliebenen
Münzen aufgefüllt.
„Nun,
wenn dasss ssso ist…“
Sie
krümmte ihre langen dünnen Finger zu einer hohlen Hand. Sie war von
merkwürdigen Schuppen überseht.
Naso
ließ ein paar Sesterzen hineinfallen.
Die
Frau grunzte kehlig.
„Bitte,
wo wohnt sie? Nun sag, die Adresse, wo wohnt nun Corinna?“, flehte er.
Die
Alte öffnete ihren Haarknoten und fuhr sich mit ihrer Zunge über die Lippen.
„Nicht
ssso eilig! Heute hat sssie wirklich keine Zzzeit mehr. Aber wenn du hereinkommen
willssst, ich kann mich gerne um dich kümmern. Dann kann ich gleich sssehen, ob
du esss auch in anderer Hinsssicht wert bissst…“
Mit
Grausen wich Naso zurück.
„Ssselbst
Sssschuld, mein Kleiner. Aber du verpassst etwassss, dasss issst sssicher…“
Sie
ließ ihre Zunge über ihre restlichen Zähne tänzeln, dann zog sie ein weiteres
Täfelchen hervor.
„Hier,
die Wegbessschreibung. Aber lasss ihr zuerst eine Nachricht zukommen, bevor du
ssselbst hingessst oder sssie vor die Wahl ssstellssst. Ssschreib ihr etwas
über dein Vermögen! Vielleicht erhört sssie dann dein Flehen…“
Naso
riss ihr das Wachstäfelchen aus der Hand und rannte die Treppe hinunter, so
schnell ihn seine Beine trugen. Er sah sich nicht einmal mehr um.
„Einen
schönen Grußss von ihrem Ziehmütterchen Dipsssasss!“, zischte sie ihm hinterher
und brach in ein schreckliches Gelächter aus.
Erst
auf dem Esquilin kam Naso zitternd zum Stehen.
»Dipsas
– in der Tat! Einen treffenderen Namen könnte man auf dem Erdkreis nicht finden:
diy£j, die Griechennatter… unglaublicher
Durst, wird man gebissen. Daher wohl der Name… Und durstig, das ist sie auch, das
riecht man noch auf eine Meile Entfernung! Nur nicht nach Wasser… Eine Hexe,
ganz sicher… beim Hades und was für eine!«
Er
wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»So
eine habe ich noch nie gesehen… sicher kennt sie die Zaubersprüche der Medea
aus Kolchis – allerschwärzeste Magie! Die kann gewiss mit fremden Federn durch
die Nacht fliegen und den Mond an den Hörnern herabziehen, wenn nichts
Schlimmeres... außer - sie ist zu betrunken dafür… Bacchus sei Dank!«
Er
atmete tief durch.
Es
wurde spät. In der Ferne stachen die Mietshäuser der Subura durch den nebligen
Dunst. Von den schimmernden Tempeln mit ihren bunt bemalten Säulen und Giebelfresken
auf den Hügeln war kaum noch etwas zu sehen, auch keine funkelnden Statuen
mehr.
Dafür
war hier der richtige Ort.
Vorausgesetzt
die Wegbeschreibung war korrekt.
Naso
betrachtete das Eckgrundstück vor ihm. So ein kleines Häuschen hatte er nicht erwartet.
Äußerst selten in Rom: kein Peristyl, es reichte noch nicht einmal zu einem
kleinen Atriumhaus. Oder war es eine gepflegte Ruine, der Rest eines alten
Atriumhäuschens, lediglich eine stehengebliebene Seite von ursprünglich vieren?
Könnte sein, nur die Rückseite lehnte sich an das Nachbarhaus.
Naso
suchte es mit den Augen nach einem Eingang ab. Zur Seitengasse hin wiesen die anschließende
Mauer und die Schmalseite des Häuschens keine Tür auf. Viel zu eng auch… Zur
Straße und zum Nachbargrundstück rechter Hand war es von einer mannshohen Mauer
umgeben, über den sich die Zweige eines Feigenbaumes und einer Pinie emporschwangen.
Groß konnte der Garten unmöglich sein, aber Bäume, bis über die Mauer
wucherndes Efeu und wilder Wein ließen einen idyllischen Eindruck vermuten.
Versteckt
hinter einem Bogen Rosenzweige fand Naso schließlich ein kleines Tor.
Er
pochte höflich mit seinem Fuß dagegen.
„Seid
gegrüßt! Ist das hier das Haus der Corinna?“
Eine
Kette rasselte leise.
„Wer
will das wissen?“, grunzte eine tiefe Stimme. „Verschwinde!“ Die Stimme wies
einen starken Akzent auf.
»Ein
Syrer? Dann eben mit universaler Sprache…«
Naso
nahm zwei Kupfermünzen aus seiner Börse. Klimpernd rollten sie unter dem Tor
hindurch
Ein
tiefes Grunzen ließ ihn erneut in seinen Lederbeutel greifen.
Diesmal
kamen zwei Asse gerollt.
„Nun…
Ja, kann schon sein. Trotzdem, keine Besuche heute!“
Klirrend
wechselte eine Sesterze nach drinnen.
„Hör
zu, ich darf gerade wirklich niemanden hereinlassen. Aber wenn ich etwas
ausrichten soll… später, sobald sie allein ist, meine ich…“
„Kannst
du ihr auch etwas geben?“
„Kommt
darauf an.“
„Bloß
ein Schreibtäfelchen.“
Noch
eine Sesterze kam gerollt.
„Gut.
Schieb es unten durch oder wirf es über die Mauer. Ganz wie du willst, aber
vorsichtig – und leise!“
„Es
ist noch nicht fertig, den Inhalt meine ich. Warte bitte kurz…“
Auf
der anderen Seite klirrte es metallisch.
„Keine
Angst, ich laufe nicht weg. Jetzt nicht mehr…“
Es
seufzte traurig.
Naso
lehnte sich an das Tor und begann zu schreiben. »Besser nicht mit einer Lüge
anfangen – nichts über mein ʺVermögenʺ also, oder wenigstens keine Übertreibung.
Aber wie kann ich mich positiv darstellen? Vielleicht als ein typischer
Ehrenmann aus den Landstädten, munizipaler Adel, so wie es Cicero an Quinctius
und Naevius lobte? Die gute alte Sparsamkeit, Genügsamkeit und unverdorbenen
Sitten vom Lande? Hm… zu tröge… Aber wenn ich es dann noch ein wenig mit
Propertius mische… drittes Buch, zweite Elegie? Sie scheint recht belesen,
kennt die Elegiker. Vielleicht sogar ein paar Griechen? Also noch ein Hauch von
hellenistischem Flair dazu. Ein paar Anspielungen mehr sind sicher nicht
verkehrt… Hmja, das wäre einen Versuch wert…«
„Nimm mich nur auf, denn ich will über lange
Jahre Dir dienen,
Nimm mich, der ich nur treu lieben gelernt, bei Dir auf.
Wenn mich auch nicht
alte Namen an Ahnen mit Wert mich empfehlen
können (ich bin nur ein Sohn einfachen Rittergeschlechts)
und nicht von zahllosen
Pflügen mein Feld ständig umgepflügt wird, so
führen die Eltern doch sparsam, sorgfältig immer das
Haus.
Aber Apoll und neun
Musen und Bacchus, die sprechen für mich,
Amor nicht minder (der Gott machte mich Dir zum Geschenk)
und meine Treue -von
niemand besiegt- und mein Leben,
Schamgefühl, Einfachheit, Scheu, werben ganz offen für
mich!
[…]
[Naso
wird am Ende doch noch von Corina kontaktiert. Es kommt ersten Treffen…]
„Lass
es uns langsam angehen. Ich glaube, wir könnten da etwas Besonderes haben. Mach
es nicht kaputt, indem du es übereilst...“
Sie
nahm seinen Kopf in ihre Hände und gab ihm einen zärtlichen Kuss.
Naso
hielt die Augen geschlossen. Ihr zarter Atem… ihre Lippen schmeckten nach
Rosenöl… wie konnte sie nur so gut riechen – und erst ihre Berührung…! Wohlige
Schauer liefen über seinen ganzen Körper. Er war unfähig, sich wieder zu
bewegen. Wie angewurzelt blieb er in derselben Pose stehen.
„Na
komm weiter“, schob sie ihn lächelnd an. „Oder hat dir noch nie eine
Inspiration einen Kuss gegeben?“
Die
folgenden Wochen vergingen für Naso wie im Fluge. Als ob ihn eine rosarote
Wolke eingehüllt hatte, dachte er nur noch an Corinna, lebte nur noch in diesem
Gefühl und nahm nichts anderes mehr von der Außenwelt wahr. Ihre Treffen waren
das Einzige, was in sein Bewusstsein drang. Nur ihr Zusammensein und seine
Liebesdichtung über sie, wenn sie nicht bei ihm war: für, mit und über Corinna.
Sie
besuchten zusammen Theatervorstellungen, schlenderten Arm in Arm über das
Marsfeld, am Tiber entlang oder machten einen Einkaufsbummel durch die Via Sacra,
die Foren und die Basiliken. Und sie besichtigten gemeinsam die großartigen
Kunstwerke, mit denen Augustus die Stadt ausschmückte. Rom war wahrhaftig dabei,
von einer Stadt aus Ziegeln, zu einer goldenen zu werden. Nur Corinnas Häuschen
bekam Naso immer noch nicht zu Gesicht.
Erst
als seine Geldbörse spürbar leichter wurde und Corinna Andeutungen auf
Geschenke machte, begann ein leiser Zweifel an ihm zu nagen. Schlimmer quälte
ihn jedoch eine andere Sorge: Warum durfte er sie nicht in ihrem Häuschen besuchen?
Warum mussten sie sich immer erst verabreden? Gab es da etwa noch einen Anderen?
Doch
schnell verscheuchte Naso diese Gedanken wieder. Nein, das konnte nicht sein – longe hoc omen abesto! Schließlich war
sie doch SEINE Corinna, seine Muse, seine Inspiration, sein Leben. Nein er
wollte sein Leben jetzt genießen, nicht zweifeln. Die erste große Liebe, der
Gegenstand seiner Dichtung und seines Lebens, das durfte er sich doch nicht
durch unnötig düstere Grübeleien selbst kaputt machen…
[Sulpicia
lädt Naso zu sich ein und eröffnet ihm, dass er zu einem gemeinsamen Abend mit
Carisius eingeladen ist. Dabei scheint sie sehr an Naso interessiert…]
Sulpicia
lachte.
„Spürst
du denn kein Begehren in dir?“
Naso
schüttelte den Kopf.
„Mach
dich nicht lächerlich! Jeder hat eines.“
„Was
wäre denn deines?“
Sulpicia
hielt den Kopf schief und machte für eine kurze Zeit ein ernstes Gesicht.
„Das
Begehren an sich vielleicht […]“
[…]
Leise
tapste der in den fünften Stock und zu seiner Kammer. So wenig achtete er auf
seine Umgebung, dass er beinahe in einen grobschlächtigen Mann geschlurft wäre,
der offenbar vor der Tür gewartet hatte. Nur der intensive Knoblauchgeruch, den
der Muskelmann ausströmte, hatte ihn vor dem direkten Zusammenstoß bewahrt.
Naso
sah kurz nach oben in ein halb zahnloses Lächeln unter einer platten,
vermutlich schon mehrfach gebrochenen Nase, die gerade noch unter der tief ins
Gesicht gezogenen Kapuze heraussah. Unter einem tiefen Ausschnitt mit reichlich
Brusthaar hielt der Riese die mächtigen Pranken verschränkt, die er jeweils in
den anderen Ärmel seines dicken Mantels gesteckt hatte. Weiter unten zeichnete
sich dennoch die gebogene Klinge einer sicca
durch den Stoff ab, ein Dolch, der vorwiegend dazu benutzt wurde, um unglücklichen
Opfern die Kehle aufzuschlitzen.
„Oh
entschuldige, habe mich wohl in der Tür geirrt“, murmelte er unterwürfig und
wollte schnell vorbeihuschen.
Doch
der Riese verstellte ihm breitbeinig den Weg.
„Hmpfhumpumpfeh!“
Das
kehlige Geräusch sollte wohl so etwas wie ein Lachen darstellen.
Naso
machte auf der Stelle kehrt, doch noch bevor er auch nur einen Fuß weit kam,
hatte der andere ihn bereits am Kragen gepackt, die Türe geöffnet und ihn
hinein geschleudert.
Stöhnend
rappelte er sich auf, während sich seine Augen mühsam an die Helligkeit
gewöhnten.
[…]
[Nasos
Vater sucht ihn auf. Erfolglos hat er versucht, Messalla von seiner Unterstützung
abzubringen, doch auch bei seinem Sohn selbst kommt er nicht weiter. Er macht
er sich bereits um die geistige Gesundheit seines Sohnes erste Sorgen…]
„Babae!
Wie kann man sich denn mit einer literarischen Frau treffen?“
Ovidius
erhob sich. Er wirkte etwas verstört.
„Ich
weiß nicht, ob du dabei bist, völlig den Verstand zu verlieren, oder ob du nur
wieder bockig bist… Ich muss jetzt leider wieder los.“
Er
ließ sich vom Muskelprotz seinen Mantel reichen.
„Komm
uns doch bitte demnächst in Sulmo besuchen, Sohn. Wir hätten noch eine Menge zu
bereden. Hätte nicht gedacht, dass du solange brauchst… Aber eines nimm dir
unbedingt zu Herzen, Sohn: Pass auf, dass du dich nicht in deinem ʺWerkʺ
verlierst. Bei allem Hang zur Authentizität und schriftstellerischer Recherche
– werde nur nicht dein eigenes lyrisches ich, dein eigener poeta–amator! Wenn ich eines nicht will, dann ist es, dass du dich
in der Halbwelt herumtreibst, bis du eine gefunden hast, die deiner Corinna
ähnlich sieht… Schlimm genug, dass du in solch einem Viertel wohnst…“
Der
Leibwächter öffnete ihm die Tür, während Ovidius die Kapuze ins Gesicht zog.
Dann drehte er sich noch ein letztes Mal um.
Er
zog ein Wachstäfelchen hervor. Er musste es mechanisch eingesteckt haben. Achtlos
warf er es auf Nasos Bettliege.
„Du
kennst sie doch noch hoffentlich, die Grenzen zwischen dem was man tun könnte
und dem was man tun darf? Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion?“
Damit
verschwand er durch die Tür und in die Nacht.
Mit
einem schiefen Grinsen betrachtete Naso das aufgeklappte Täfelchen.
Zärtlich
streichelte über die das blutrote Wachs.
Es
streckte ihm den Anfang eines Verses entgegen:
ʺEcce
Corinna.ʺ
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.