Über Anregungen und Kommentare würde ich mich freuen!
Kapitel 2:
Wie viele Sterne am Himmel ziehen, gibt es Mädchen
in Rom zu sehen:
Fundstellen & Befund
Am
nächsten Tag erwachte Naso mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen. So gut
geschlafen hatte er schon lange nicht mehr. Er öffnete die Fensterläden, die
munter in ihren Holzangeln quietschten. Die Septembersonne drang hinein,
zugleich mit einem Strom frischer Luft. Es hatte sich deutlich abgekühlt. Naso
fröstelte.
»Vielleicht
sollte ich doch zu den Thermen, ein schönes heißes Bad…? Hm, nein! Keine
Zeit...« entschied er nach kurzem Nachdenken.
Er
hatte zu tun. Das erste Gedicht stand, doch sollten noch weitere folgen.
Liebesdichtung... Nur worüber sollte er schreiben?
»Wenn
ich bedeutender Liebesdichter werden will, dann muss ich wohl zuerst ein
Mädchen finden, das es wert ist.«
Naso
zog sich die Tunika über den Kopf.
»Kann
ja nicht so schwer sein...«
Er
suchte und fand seine Tonschüssel in der Ecke. Prima, in der Amphore war auch
noch genug, er musste also nicht runter zum Wasserholen. Jedenfalls jetzt noch
nicht. Er goss sich das kalte Wasser über den Kopf und begann, sich notdürftig
zu waschen.
»Brrr!
Ist das kalt! Kalt wie das Wasser im Frigidarium. Hm… mir ein Mädchen zu
suchen, dem ich aus ganzem Herzen sagen kann ʺdu gefällst mir als einzigeʺ… So
etwas habe ich noch nie getan. Wäre das nicht schlimmer als ein Sprung ins
Becken des Frigidariums? So ein Mädchen wird kaum vom blauen Himmel
herabgeschwebt kommen... Vielleicht erst einmal Theorie, dann die Praxis - wie
in der Ausbildung zum Rechtsgelehrten?«
[…]
[Naso versucht es
gleich mit der Praxis und sammelt einen Korb nach dem anderen. Am nächsten Tag
gönnt er sich einen Theaterbesuch.]
Als
Naso die Treppe zur Zuschauertribüne emporstieg
war er überwältigt. Wie Ameisen durcheinander wimmeln, oder Bienen die Blumen
und Thymianspitzen umschwärmen, so schienen sich die Ränge unaufhörlich zu
füllen: Schwärme fein herausgeputzter Frauen aus unzähligen Aufgängen – und nur
wenige mit Begleiter. Wie viele Zuschauer das Halbrund der cavea noch fassen konnte? Zehntausend oder gar Vierzigtausend? Auf
jeden Fall ein gewaltiger Bau.
[…]
[Doch auch im Theater
erhält Naso nur vernichtende Ablehnung auf seine Anmachsprüche.]
Naso
nahm sich ein Herz und auf einer anderen Sitzbank Platz. Wäre doch gelacht,
wenn es bei einem anderen Mädchen nicht besser liefe!
Da
drüben! Der Mantel einer jungen Dame war zu Boden geglitten:
„Sieh,
deine Palla, sie liegt am Boden - darf ich?- ich hebe …“
Entrüstetes
Abrücken.
Doch
so schnell gab Naso nicht auf. Solange es noch weitere Zuschauerinnen gab, gab
es weitere Möglichkeiten:
„Sei
doch -ich bitt‘ dich- mal anders! Sag nicht wie andere ʺNeinʺ!“
Kicherndes
Kopfschütteln. Immerhin…
„Haben
wir etwas gemeinsam? Mag ich doch hübschere Frauen. Bist eine ganz hübsche Frau:
Kann das ein Zufall noch sein?“
Desinteressiertes
Lächeln.
„Würdest
du mir schnell den Weg - zu deinem Herzen aufzeigen?“
„Ach,
lass mich in Ruhe!“
„Küssen
heißt sprechen: Die Sprache der Liebe. Komm‘ her und sprich mal!“
Erste
Ohrfeige.
„Ich
hab ‘nen trockenen Mund! Kannst du mir die Zunge kurz leihen?“
Zweite
Ohrfeige
Naso
musste sich erst einmal setzen. »Warum übertragen sich eigentlich nur Schmerzen
so direkt über eine Berührung – Schmerzen und Krankheiten?«, grübelte Naso, als
er sich seine gerötete Wange hielt. »Es wäre doch viel besser, wenn auch die
Liebe sich auf diese Weise übertragen ließe. Ein Liebender berührt die
Auserwählte und schon… Dann hätte eine Ohrfeige wenigstens einen Sinn…«
„He,
sieh mal Cynthia! Es ist doch unser Freund Naso, der hier einen Korb nach dem
anderen sammelt!“
Überrascht
drehte Naso sich um.
Ein
paar Bänke hinter ihm, lässig auf der Sitzbank zurückgelehnt, winkte ihm ein
Pärchen zu. Beide strahlten um die Wette.
Naso
kletterte über die Absperrung und gesellte sich zu dem fröhlichen Paar.
„Wie
lange seht ihr mir denn schon hinter meinem Rücken zu?“
„Lange
genug!“
„Stimmt,
ein schöner Rücken kann auch entzücken!“
Propertius
und Hostia sahen sich kurz an, dann kicherten sie ausgelassen.“
Naso
verzog verschämt das Gesicht. „Was macht ihr eigentlich hier hinten, mitten unter
dem einfachen Volk?“
„Ja
glaubst du denn, ich setzte mich ganz vorne zu Sulpicia und Tibullus und lasse meine
Cynthia alleine hier oben sitzen?“ Propertius lachte meckernd. „Da würde mir ja
das Beste entgehen. Du zum Beispiel und deine tapsigen Gehversuche auf dem Feld
der Liebe.“
„Wie
ein drolliger junger Hund“, ergänzte Hostia. „Ich liebe junge Hunde!“
Naso
wurde rot.
Hostia
lachte freundlich. Propertius hatte Recht, sie hatte wirklich außergewöhnlich
schöne Augen mit kleinen Lachfältchen an den Winkeln. Sie tätschelte ihm den
Kopf. „Ist doch süß, der Kleine! Nasullus - es muss nicht jeder so erfahren
sein, wie Propertius, bevor er seine wahre Liebe trifft!“
„Tibullus
und Sulpicia sind da vorne, unter den vorderen Rängen?“, stammelte Naso, um das
Thema zu wechseln. „Ist ihr Onkel auch hier?“
Propertius
zog eine Augenbraue nach oben. „Messalla Corvinus? Hier? Während Augustus auf
dem Forum feiert, den Ort der Ermordung des Adoptivvaters aufsuchen? Wo denkst
du hin! Was gäbe das für ein Bild in der Öffentlichkeit ab für unseren Vorzeigepolitiker?
Mach mal lieber mit deinen Charakterstudien weiter, für deine ersten Schritte
als Dichter. Hast du denn noch keine erweichen können? Es kann doch nicht so
schwer sein, in Rom ein Mädchen kennen zu lernen!“
„Nein,
leider…“ Naso ließ die Schultern hängen. „Wie habt ihr zwei euch denn kennen
gelernt?“
Propertius
und Hostia blickten sich kurz in die Augen, dann barsten sie vor Lachen.
Hostia
wandte sich Naso zu, sah ihm tief in die Augen und klimperte mit ihren langen,
schwarzen Wimpern. „Kennst du denn nicht den Anfang seines Werkes?“
„Cynthia prima suis, miserum me cepit ocellis“,
gab Propertius lachend zum Besten. „Eingefangen hat sie mich, meine erste große
Liebe, mit ihren schönen mandelförmigen Augen. Schon über zehn Jahre ist das
her… kaum zu glauben!“
Hostia
gab Propertius einen Kuss.
„Ja,
schön, Schatz! Reizend. Eingefangen… vielleicht. Nur leider eine Lüge. Die
erste war ich -weiß Venus- nicht! Aber eine reizende kleine Lüge, dies vor
aller Welt so darzustellen…“
„Und
wie war es wirklich?“, fragte Naso interessiert. „Wie habt ihr euch getroffen?“
„Ich
habe sie vor der Rennbahn gefunden, wie sie eine Karte studiert hat.“
Hostia
kicherte. „Stimmt. Es war wegen eines Kunden. Nur dass ich sie dann später nie
verwendet habe, um ihn zu finden. Obwohl der Spruch der schlechteste war, den
ich je gehört habe. Nur der Mann, der ihn aussprach, der gefällt mit trotzdem.
Bis heute…“
Hostia
umarmte Propertius.
[…]
„Was
für ein Spruch war das genau, mit dem ihr zueinander fandet?“, hakte Naso nach.
Hostia
lachte. „Ich hatte die Karte in der Hand, du erinnerst dich? Er sah mir frech
in die Augen und flötete: ʺHast du mir eine Landkarte mitgebracht? Ich habe
mich in deinen Augen verloren…ʺ
Naso
verzog sein Gesicht. Viel zu spontan. Und viel zu selbstbewusst. Damit konnte
er nicht viel anfangen.
„He,
mach nicht so ein Gesicht!“ Propertius stupste Naso mit dem Zeigefinger in die
Rippen. „So schlecht war der Spruch auch nicht. Aber so wie das aussieht,
kannst du ein paar Tipps gebrauchen, hm?“
Naso
ließ wieder die Schultern hängen. „Ja, das könnte ich wohl.“
[…]
[Zahlreiche
vergebliche Versuche später bringt ein Brief des Propertius u.a. einen
wesentlichen Tipp: Die Rennbahn…]
Naso
war vorbereitet. Bereits vor dem Circus Maximus hatte er sich von jedem Verein
kleine Tüchlein besorgt. Ein Kissen hatte er auch dabei. Die Sitze waren hart,
selbst die oberen Reihen aus Holz! Propertius hatte ihm geraten, aufmerksam zu
sein und genau zu beachten, wie sich das auserwählte Mädchen benehme. Er solle sofort
darauf reagieren, wenn sie jubele oder sich ärgere. Frauen liebten anscheinend aufmerksame
und spontane Männer. So hielt Naso nun Tücher von den Blauen, den Roten, den
Weißen und den Grünen unter seiner Toga verborgen. Ja, sogar seine Toga hatte
er waschen lassen, und sich in den Senianischen Thermen gegen Aufpreis von
Sklaven hineinhelfen lassen – komplett mit akkuratem Faltenwurf. „Passend sei deine Toga, gut, sauber und ganz
ohne Flecken“, wie Sulpicia ihm geraten hatte. Bereits Propertius hatte versucht,
ihm mit Hostias Hilfe einzuschärfen, dass Frauen ganz generell einen Blick für
das Äußere hätten: Wer selbst so viel Zeit damit zubringe, sich zu schminken
und Kleidungsstücke auszuwählen, der achte daher auch beim anderen Geschlecht
auf ein gepflegtes Äußeres und passende Kleidung. Doch trotz der von Augustus erlassenen
Kleidervorschrift hatte erst Sulpicia ihn wirklich davon überzeugen können –
mit einem Regelwerk für das erste Kennenlernen in Versen:
„Binde die Zunge am Schuh, die Zähne auch
putze dir gründlich!
Leder
des Schuhs, sei nicht weit; Fuß passe, schwimme nicht rum!
Haarschnitt, entstelle
mir nicht des Nasos Haare zu Stacheln,
Bart und Haar seien kurz, Tonsor, tu deine Pflicht!
Lass‘ aus den Löchern
kein Haar der Nase herausschauen – bitte!
Nägel, stehet nicht vor, sauber -ja!- sollt ihr jetzt
sein!
Atem, sei nicht
widerlich, der Mund soll nie übel riechen…“
So
betrat nun ein bestens gepflegter Naso den Circus Maximus: frisch gewaschen,
gölt, gesalbt, mit manikürten Fingern, frisch rasiert und mit neuer Frisur.
Seine
Haarwurzeln kribbelten unter dem neuen Haarschnitt, als er die Tribüne
erreichte. Naso erschauerte regelrecht. War das Pompeiustheater groß, so war
der Circus schlichtweg gigantisch: Eine halbe Meile lang und
hundertfünfzigtausend Sitzplätze. Kaum zu glauben, dass man die Rennen zum
Oktoberpferd früher auf dem Marsfeld hatte abhalten können. Obwohl Naso extra
frühzeitig aufgebrochen war, fand er kaum noch einen freien Platz, dabei sollte
das Spektakel erst in zwei Stunden beginnen!
Die
Toga lastete schwer auf seinen Schultern. Naso schwitzte. Mühsam kämpfte sich
durch die Reihen. Immer noch nichts! Wenn er noch lange suchen musste, dann würde
das Rennen ohne ihn beginnen. Oder er musste unverrichteter Dinge umkehren und
versuchen, auf dem Südhang des Palatin einen Platz zu finden, dort konnte man
das Rennen ebenfalls verfolgen. Nein – da war doch erst recht alles voll, das
hatte er schon auf dem Weg sehen können. Ein beliebter Platz zum Picknicken. Zu
beliebt…
Schließlich
fand er eine Reihe, in der doch noch ein paar Sitze frei waren - direkt neben
einer Frau, mit langen Haaren in einer ungewöhnlichen Frisur: Durch Haarbänder
geteilt und hinten zu einem lockeren Zopf gebunden, wie früher in der Zeit der
Republik, als sich die Frauen noch überwiegend an griechischen Vorbildern
orientiert hatten.
Keine
Anbiederung an das omnipräsente Haus der Julier.
»Aufregend!«
Sie
eiferte wohl weder der strengen Livia nach, noch dem gerade so beliebten Modell
der Octavia, der Schwester des Erhabenen.
Naso
blickte sich nach einer Begleitung um, doch anscheinend war die Frau allein zum
Circus gekommen. Ganz jung war sie nicht mehr, aber irgendetwas faszinierte
Naso an ihr. Irgendetwas, was ihn verunsicherte, aber gleichzeitig ein seltsam
vertrautes Gefühl der Sicherheit gab.
Er
konnte seinen Blick nicht abwenden und verlor sich in ihren Haaren: weder
schwarz noch blond und doch beides gemischt. Sie erinnerten Naso ein wenig an
frisches Zedernholz, wenn es entrindet wird und sich zum ersten Mal den Augen
offenbart. Seidig glänzten ihre Haare in der Sonne…
Mühsam
riss er sich los.
Und
jetzt? Lieber einen anderen Platz suchen, um keinen peinlichen Eindruck zu
machen?
»Nein!
Hiergeblieben, du bist doch kein Feigling!«, schalt er sich und schüttelte
energisch seinen Kopf. »Denk einfach an die Tipps des Propertius«, machte er sich
Mut, »klares und selbstbewusstes Auftreten - und Konzentration. Keine Verse!
Einfache Dinge. Uff…«
Er
strich sich noch einmal über die Haare.
In
einem Bronzespiegel kontrollieren konnte er ihren Sitz jetzt nicht mehr. »audentem Forsque Venusque iuvat… Wer
wagt, dem helfen Glück und Liebe. Also los…«
Nach
Propertius hätte er jetzt ein Gespräch beginnen sollen, ʺalltägliche Worte
zunächstʺ und sich so nahe wie möglich an sie anzuschmiegen. Schließlich waren
die Sitzplätze extrem eng und der Circus würde gleich voll sein. Niemand könnte
ihm einen Vorwurf machen, wozu die Sitzreihen einen ohnehin zwangen.
Doch
Naso tat es nicht.
Er
traute sich nicht.
Stattdessen
setzte er sich einen Platz entfernt nieder und winkte nur kurz. Lediglich aus
den Augenwinkeln beobachtete er, wie sie in einer Schriftrolle las. Sollte er
es nicht doch versuchen?
Naso
erhob sich, schüttelte dann aber nur sein Kissen zurecht und setzte sich
wieder.
»Nicht
zu aufdringlich wirken ist doch besser, oder…? Nein! Ich bin doch ein Feigling
– und was für ein elender, beim Hercules!«
Um
sich zu beruhigen, zog er ein Täfelchen hervor. Es waren die Tipps des
Propertius. Kurzerhand strich er mit der glatten Seite seines Stilus ein paar
Zeilen aus und versuchte, etwas zu dichten.
„Ist
das von dir? Liest sich ja wie Gallus, hm, nein, eher Tibullus… oder Propertius?“
Naso
war wie vom Donner gerührt.
Die
Frau war ein Stückchen aufgerutscht und beobachtete ihn aus ihren großen,
mandelförmigen Augen. Grün wie ein Waldsee im Paelignerland.
Sie
schien zu bemerken, dass Naso nichts dagegen hatte und rutschte noch näher
heran.
Eine
selbstbewusste aktive Frau – tribas!
Die Horrorvorstellung der römischen Wertewelt. Vor solch einer Frau hatte ihn
sein Vater immer gewarnt, solch eine Frau, vor allem in der Gestalt einer gut
trainierten Spartanerin, war schon immer das Schreckbild der Athener Männerkultur
gewesen - und auf literarischem Weg auch nach Rom gewandert. Naso war
allerdings weniger erschreckt - vielmehr zog ihn die Vorstellung an.
Durcheinander war er trotzdem.
„Ja,
nein…, ich meine…von einem Freund“, stammelte er. Naso versuchte schnell den
Vers zu löschen, in dem Propertius riet, immer weiter an sein Zielobjekt heranzurutschen
–solange sie nichts dagegen hatte– bis er direkt an ihr lehnte.
Sie
schien es zu bemerken und kicherte.
„Du
hast da aber einen netten Freund. Aber du kommst nicht oft zu den Rennen, nicht
wahr?“
Sie
schmiegte sich direkt an seine Seite und warf ihren Kopf in den Nacken, um ihre
langen Haare zu richten. Sie bändigte sie mit einem dreifachen Knoten.
Naso
war unfähig, etwas zu antworten. Ihre Wärme an seiner Seite zu spüren, das war
angenehm - aber zugleich machte es ihn völlig konfus. »Komplimente, mach ihr
ein Kompliment, du Idiot! Gib ihr Anerkennung!« So viele anerkennenden Gedanken
wirbelten wie ein Herbststurm durch seinen Kopf. Ihr seidig glänzendes Haar berückte
ihn, ihre glatte Haut, ihr makelloses Gesicht, das eigentlich keiner Schminke
bedurfte, die schlanken Arme und die grazilen Finger… Doch war er außerstande
auch nur einen einzigen zu formulieren. Lag es daran, dass sie so gut roch? War
das am Ende ein Zaubermittel…?
Erst
als zwei Spätankömmlinge rüde die letzten Plätze hinter und neben ihnen
eroberten, fand Naso seine Sprache wieder:
„He
du! Drück der jungen Dame doch nicht dein rohes Knie gegen den zarten Rücken!“
Der
Mann zog seine Knie zwar ein wenig zurück, würdigte ihn aber keines Blickes.
Dafür
strahlte ihn die ʺjunge Dameʺ belustigt an. Die tiefen Lachfältchen an ihren
Augenwinkeln verrieten, dass sie kein Mädchen mehr war. Doch wirkten gerade diese
Fältchen auf Naso sehr anziehend: Ein Mensch, der so gern lachte, dass man ihm
die fröhliche Vergangenheit ansehen konnte! Das musste einfach eine nette
Person sein.
„Danke!“,
gurrte sie mit tiefer, sinnlicher Stimme. „Ich mag Männer mit Manieren.“
Naso
wurde rot.
„Da
kommt schon die Prozession“, versuchte er abzulenken. „Du kommst doch öfter,
wer kommt denn da vorne?“
Sie
lachte.
„Du
kommst wirklich nicht oft zu den Rennen! Wie immer, der Prätor auf dem
Triumphwagen an der Spitze: Lucius Domitius Ahenobarbus. Denk doch nur an seine
Spiele vor drei Jahren als Ädil, da musst du dich doch daran erinnern?“ Sie sah
in sein ausdrucksloses Gesicht und runzelte die Stirn. „Sag bloß du kennst dich
in der Politik genauso wenig aus? Und so jemand trägt Toga und Ritterring…“
Naso
duckte sich und wurde nun purpurrot.
Die
Frau legte ihren Arm um seine Schulter.
„Macht
nichts. Ich finde das sogar süß! Da ist schon die römische Jugend… und da
hinten die Waffentänzer. Gleich kommen die ersten Rennwagen. Komm, sehen wir
uns an, in welcher Verfassung die Pferde sind!“
Die
ersten Abteilungen der pompa circensis
umrundeten die Wendemarken im Circus, begleitet von Musikern, die neben ihnen
mit marschierten. Der gesamte Umzug war enorm. Er zog sich vom Tempel des
Iupitter Capitolinus über das Forum bis zum Circus Maximus hin.
Naso
dachte an den Rat seines Freundes: ʺDass Du mir nur eifrig fragst, wessen
Pferde als nächstes reinkommen! Und wer auch immer es sei, klatsche wenn sie dann
laut klatscht!ʺ
„Aus
welchem Rennstall sind die da? Und wer kommt jetzt?“
„Du
stellst Fragen!“
Seine
Sitznachbarin sprang auf die Beine, pfiff durchdringend auf ihren Fingern und
jubelte.
„Porro!
Hippokles, Hippokles, porro die Blauen!“
Ähnlich
erhoben sich zahlreiche Anhänger, schrien vor Begeisterung und winkten mit
blauen Mänteln und Tüchern. Ein Großteil der Arena verwandelte sich schlagartig
in ein wogendes blaues Meer.
„Du
bist also auch ein Fan der Blauen?“, brüllte ihr Naso ins Ohr, um sich
verständlich zu machen.
„Blitzmerker,
wie? Sieh ihn dir doch nur an: Hippokles, was für eine Figur!“, kicherte sie.
„Mir wird schon ganz heiß!“
Naso
zog vorsichtig das Tuch der Blauen heraus und wickelte es geschickt um das
Wachstäfelchen und seinen Stilus. Mit dem provisorischen Fächer wedelte er ihr
sofort frischen Wind zu.
Sie
schaute ihn einen Moment lang überrascht an, dann setzte sie sich lachend.
„Du
gefällst mir“, flüsterte sie, als die letzten Rennwagen vorübergezogen waren.
Nun
führten Tänzer in Bocksfellen, als Satyrn und Silene verkleidet, zu Flöten- und
Kitharaklängen ihre ausgelassenen Tänze vor.
Naso
traf immer wieder ein Seitenblick unter ihren langen Wimpern heraus. Sie
schaute dann schnell zur Seite und lächelte.
Er
wusste, dass sie ihn absichtlich musterte und musste selbst lächeln.
»Ob
sie sich vorstellt, wie ich als Satyr aussähe? Oder noch mehr? Moment, ihre
Mantelspitzen liegen ja zu tief auf dem schmutzigen Boden…«
„Darf
ich?“
„Gerne!
Charmant... Sieh nur, die Palla ist
schon ganz staubig, sieh nur mal auf meinem Schoss…!“
Naso
bückte sich, konnte aber kein Bisschen Staub entdecken. Pflichtschuldig wedelte
er jedoch sofort den nichtvorhandenen Staub von ihrem Schoss herunter.
„Größten
Dank!“, lächelte sie schelmisch und rückte Mantel und Kleid aufreizend langsam
zurecht - so dass Naso einen längeren Moment lang ihre nackten Beine sehen
konnte.
Nasos
Herz schlug höher. Ein wenig verschämt wandte er sich den Kultbildern der
Götter zu.
Die
Götterstatuen selbst riefen weitaus weniger Aufregung hervor, obwohl sie als
Abschluss und Höhepunkt des Festumzuges gedacht und für profane Menschen nur
selten zu sehen waren. Sonst fast immer verschlossen in den Zellen ihrer
Heiligtümer wurden die Statuen nun frisch gekleidet und mit Blumenkränzen in
reich geschmückten Sänften getragen, umhüllt von duftenden Weihrauchschwaden.
Zuerst
glitt Iupitter vorbei. Ernst und erhaben thronte er mit seinem langen Bart auf
der Sänfte, in der einen Hand den Adler, in der anderen den Blitzwerfer, die
Ägis.
„Kein
Wunder dass er seine Frau so selten im Bett sieht und fremdgehen muss“,
bemerkte sie schelmisch, bedeckte ihr Kinn mit den Fransen ihres Zopfes und
rieb es an Nasos Wange. „Das kratzt sicher erbärmlich! Da tut er gut daran,
sich gelegentlich in Goldregen oder in einen zarten Schwan zu verwandeln.
Vielleicht sollte er es doch mit Rasieren versuchen?“
Naso
lachte lauthals drauf los. Eigentlich hätte er geschockt sein sollen, aufgrund
der frevlerischen Respektlosigkeit gegenüber dem obersten Staatsgott – und über
ihre Aufdringlichkeit. Sie hatte jedoch so lustig die Mimik der Statue imitiert
und sich einen zu komischen Vollbart über die hübschen Wangen gelegt. Ihr
Lachen war einfach ansteckend und Nasos Frömmigkeit war nicht so hoch wie die
ältere Generation es vielleicht gerne gesehen hätte.
Als
aber die Statue der Venus erschien, sprang er auf und klatsche hingebungsvoll
Beifall.
Sie
sah ihn schräg an, dann kicherte sie.
„Sieht
schön aus auf ihrem purpurnen pulvinar,
nicht? Was so ein Götterkissen alles ausmacht... Sogar unter ihren Füßen hat
sie eines.“
Da
hatte Naso eine Eingebung: Er nahm sein Sitzkissen und legt es vor ihr auf den
Boden. Leicht zitterte er vor Erregung, als er vorsichtig ihre Füße anhob, um
sie auf das Kissen zu stellen, ganz wie bei der elfenbeinernen Statue der
Venus.
Sie
ließ es geschehen. Nur kurz war sie überrascht, dann strahlte sie über das
ganze Gesicht.
„Wie
aufmerksam! Du scheust keine Mühe, du hast Humor und du lässt dich nicht
abschrecken von einer Frau, die weiß, was sie will.“ Sie legte anmutig ein Knie
über das andere und sah ihm direkt in die Augen. „Wie heißt du eigentlich?“
Entsetzt
fuhr Naso in die Höhe.
Instinktiv
hielt er sich die Ohren zu.
Als
wäre der gezackte Blitz des Iupitter in die Arena gefahren, donnerte das
Publikum aus hunderttausenden Kehlen los: ein gewaltiges Tier, das urplötzlich
zum Leben erwachte. Der Veranstalter musste das weiße Tuch fallen gelassen
haben. Nun stürmten die Pferde unter atemberaubendem Gebrüll der euphorisierten
Zuschauer aus ihren Boxen. Jeder der vierspännigen Wagen versuchte die kürzere
Innenbahn vor den anderen zu erwischen und preschte so nahe wie möglich an das
Podest Richtung erste Wendemarke.
„Na…,
Naso“, versuchte er gegen das immer stärker werdende Getöse anzubrüllen, „und
du?“
Sie
verneinte mit einem Finger und legte kurz die Hände auf ihre Ohren.
Naso
hob einen Finger in die Höhe. Dann nahm er sein Wachstäfelchen und schrieb in
großen Lettern:
„NASO
UND DU?“
Sie
löste sie mit schneller Handbewegung den Knoten im Zopf. Ihre langen Haare
fielen nach vorne und bedeckten große Teile ihres Gesichts.
Darunter
schielte sie neckisch hervor und pustete eine Strähne von ihrem Mund.
Sie
nahm Naso das Schreibtäfelchen aus der Hand, strich den Inhalt glatt und begann
zu schreiben. Darauf schob sie ihm das Täfelchen unter die Toga und lehnte sich
mit einem Lächeln zurück. Sie hauchte etwas, was Naso ihr nicht von den Lippen
ablesen konnte.
Sie
lächelte über Nasos hilflosen Gesichtsausdruck, nahm ihren Zeigefinger und fuhr
ihm damit zärtlich über den Rücken.
Buchstaben!
„C – O – R – I – N – N – A“
Die
Holzläden waren geschlossen.
Eigentlich
war alles so, wie er es brauchte.
Eigentlich
hätte alles passen müssen, doch zu passen schien rein gar nichts.
Diese
Nacht lag Naso lange in seinem Bett.
Allein.
Er
drehte sich vom Rücken auf den Bauch, vom Bauch auf die Seite und wieder zurück
auf den Rücken.
Vergebens.
Er
konnte einfach nicht einschlafen.
Naso
drückte sich ein Kissen um die Ohren.
Es
half nicht.
Es
war diesmal aber kein vorbeiratterndes Gefährt mit quietschenden Metallreifen,
das ihn störte. Auch nicht das Gezänk der Nachbarn, das Geschrei eines
Säuglings oder das Bellen eines Hundes.
Irgendetwas
anderes hielt ihn wach und ließ ihn nicht zu Ruhe kommen.
»Hat
das etwas zu bedeuten? Das Bett kommt mir heute so hart vor… Und dieses
verdammte Laken will einfach nicht bleiben, wo es hingehört! Immer rutscht es
auf der Matratze umher.«
Missmutig
trat er seine Decke aus dem Bett.
»Wenn
du auch nie dahin willst, wo du hinsollst… Hast dich wohl mit dem Laken
abgesprochen, hm?«
Er
ging zum Wasserkrug und setzte ihn direkt an.
»Was
für eine lange Nacht!«
Naso
spürte jeden Knochen im Leib.
Er
schüttelte sich und blickte aus dem Fenster.
Der
Himmel war nicht zu erkennen Über ihm verschluckte die Dunstglocke jeden
einzelnen Stern. Der Dunst hunderttausender Feuerstellen, von Menschen, die
heizten, kochten und atmeten. Eine davon war Corinna.
»Hat
mich etwa die Liebe angefallen? Nein, das kann es nicht sein. Das müsste ich
doch merken!«
Schließlich
war er bei jedem anderen Mädchen so nervös geworden, dass er nur noch in Versen
sprechen konnte. Aber bei Corinna? Nicht die Spur! Da konnte es doch nicht
sein, dass bei der einzigen, bei der er… Aber beeindruckt hatte sie ihn
trotzdem. Mächtig sogar. Oder war ein anderes Mädchen schuld? Aber welches? Er
war in seinem ganzen Leben noch nie richtig verliebt gewesen.
Stöhnend
rieb Naso seine schmerzenden Glieder.
»Kann
es sein dass… oder hat mich die Liebe heimlich befallen, wie eine Krankheit und
wirkt listig versteckt im Inneren meines Körpers?«
Mühsam
fuhr er sich über die Brust.
»Das
wird es sein! Da hängen schon die Pfeile Amors in meinem Herzen. Der Eiserne
dreht sie wohl auch noch in der Wunde!«
Naso
stöhnte.
»Was
soll ich tun? Nachgeben oder dagegen ankämpfen?«
Naso
dachte an Fackeln, die durch wildes Schwenken noch mehr entfacht wurden.
Dagegen hatte er viele Feuer verlöschen gesehen, wenn niemand die Glut schürte.
»Nachgeben
wird besser sein! Das Zugtier, das willig das Joch trägt, bekommt weniger
Schläge zu spüren, als ein junges, störrisches. Ein wundes Maul bekommt das
Pferd von der Trense, wenn es sich sperrt. Wenn es dem leisesten Zug folgt,
spürt es die Zügel kaum. Vermutlich bedrängt der Liebesgott auch diejenigen
grimmiger, die sich sträuben und packt sie roher an, als diejenigen, die ihm
den Sklavendienst bekennen…«
Naso
massierte sich mit beiden Händen den Nacken. Er griff nach seinem Trinkbecher,
in dem sich immer noch ein Rest Wein befand. Aufmerksam fuhr er über das Relief
am Rand. Es zeigte eine Schaar Amoretten, wie es bei vielen Töpferwaren aus terra sigillata gerade Mode war, dem
besonders glasierten, glatten und glänzendem Ton. Die kleinen geflügelten
Jungen trugen Efeukränze und Thyrsosstäbe, Kennzeichen des Gottes Bacchus und
fuhren Wagen, die von wilden Tieren gezogen wurden. Ganz so wie bei der triumphalen
Heimkehr des Gottes Dionysos selbst, nach seinem Sieg über Indien.
Naso
stellte den Becher ab und warf die Arme gen Himmel.
„pacem, veniamque rogo“, rief er die
traditionelle Gebetsformel. „Gut, ich gebe es zu. Ich bin deine neue Beute,
Cupido! Sieh, ich strecke dir meine besiegten Hände entgegen. Krieg ist nicht
nötig, ich kapituliere, Waffengewalt gegenüber Wehrlosen brächte dir keinen
Ruhm. Flechte dir ruhig einen Myrtenkranz und schirre den Taubenwagen deiner
Mutter als Triumphwagen an!“
Ein
Lächeln erschien auf seinen Lippen.
»Ein
Triumphzug des Amor, gar keine schlechte Idee... Hat sich das schon einmal jemand
konkret ausgemalt? Sonst schreiben alle nur über tatsächliche Triumphe. Propertius
vielleicht…? Nein, ich glaube, da gibt es nur kurz die Idee als solche in
seinem zweiten Band und er selbst auf einem Amorettenwagen im dritten, aber nirgends
eine Beschreibung eines Triumphzuges der Liebe...«
Er
setzte sich auf seinen Schemel und kramte ein Wachstäfelchen hervor.
»Wenn
ich sowieso wach bin, kann ich auch schreiben: Wieso nicht eine kleine Parodie
auf die Triumphalliteratur? Mögen andere den Erhabenen preisen und echte
Triumphe abbilden, ich mache mich lieber ein wenig über die römischen
Triumphzüge lustig, das kommt sicher an beim jüngeren Publikum! Nur nichts Offensichtliches
über das Herrscherhaus. Vater hat sicher Recht – besser nicht darauf anlegen…«
Flugs
machte er sich an seine zweite Liebeselegie und beschrieb, wie sein nicht mehr
ganz so fiktiver Dichter sich die ganze Nacht schlaflos umher wälzte und als
Ursache schließlich eine frische Liebe erkannte – als Spiel mit den Erwartungen
der Leser. Auch der lyrische Dichter versuchte, sich nicht zu wehren, um nicht
stärker zu leiden. Am Ende ließ er sich im Triumphzug des Liebesgottes
mitführen, den er aus reinem Spieltrieb in lustigen Farben als Gegenstück zu
den römischen Triumphen ausmalte:
Cupido
mit Gold und Edelsteinen in Haar und Flügeln, fuhr in einem prächtigen
Miniaturwagen, den er von seinem Stiefvater, dem Schmiedegott Vulcanus bekam, gezogen
von den Tauben seiner Mutter Venus. Die Zuschauermasse, die ringsum ʺEr lebe hoch!ʺ
und ʺTriumph!ʺ jubelte, obwohl der Knabe im Vorüberziehen nicht wenige Pfeile
verschoss und nicht wenige Herzen traf. Der endlose Zug der gefangenen jungen
Männer und Frauen, darunter auch der Dichter selbst.
»Ein
Bisschen Vergilius muss heutzutage einfach sein, oder?«, dachte er sich und
nahm eine prophetische Szene aus der Aeneis aufs Korn: Dort versöhnten sich
Romulus und Remus, die Raserei war in gleicher Weise gefesselt dargestellt wie
auf dem Bildnis des Apelles, das Augustus schon länger zur Schau stellen ließ.
In
Nasos Gedicht war jedoch nichts von der Größe Roms unter dem Haus der Julii zu
lesen, hier musste die Vernunft als Gefangene in Cupidos Triumph mitmarschieren,
mit auf dem Rücken gefesselten Händen, ebenso das Schamgefühl, der Anstand und
was sonst noch alles gewöhnlich gegen den Liebesgott ankämpft. Dahinter kamen als
komplette Verdrehung des berühmten Gemäldes Furor - die Raserei, die
Schmeichelei, die Verblendung und der Fehltritt als siegreiche Soldaten über
Menschen und Götter. Mutter Venus klatschte vom Olymp aus dem Triumphzug
Beifall und streute Rosenblätter.
Eine
kleine zweideutige Anspielung auf Augustus selbst konnte sich Naso trotz aller
guten Vorsätze nicht völlig verkneifen, dafür hatte ihn der Spieltrieb zu sehr
gepackt:
„Also, da ich ein Teil sein kann, des
heil’gen Triumphzugs,
schone mich, Sieger, an mir verschwende nicht nutzlos die
Macht!
Schau auf die glücklichen
Waffen des Caesar, deines Verwandten,
wie seine siegende Hand auch die Besiegten beschützt.“
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