Die „Rufus“-Reihe soll jeder verstehen und genießen können, Jugendliche und Erwachsene, Studierte und Nichtstudierte. Wer sich im Roman auf fremde Welten einlässt, der wird auf unterhaltsame Weise ganz automatisch kennenlernen, was die damalige Zeit so alles zu bieten hatte - und lernt beim Lesen wie von selbst. Alles so authentisch und historisch korrekt wie möglich zu erzählen und dabei spannend zu bleiben, das ist mein Ziel.
Die „AMORES - Die Liebesleiden des jungen Ovid“ sind dagegen nicht immer ganz jugendfrei (wie auch die Originalverse Ovids und seiner Zeitgenossen). Der Laie kann sich über die „moderne“ Sprache & Handlung freuen, der Fachmann über zahlreiche Anspielungen und intertextuelle Scherze.
Auf dem Blog zeige ich einen Blick hinter die Kulissen. Dabei gebe ich auch Hintergrundinformationen über Politik und Alltagsleben der späten Republik und frühen Kaiserzeit in Rom und einiger Kelten- und Germanenstämme.
Feste Probeleser aus verschiedensten Altersgruppen haben bereits die ersten Bände gelesen. Die Rückmeldungen setze ich um. Sehr gute Feedbacks kamen dabei nicht nur von Universitätsprofessoren und anderen Fachleuten sondern gerade auch von Schülerinnen und Schülern - vielleicht demnächst auch von dir? Gerne nehme ich jede gute Anregung auf (Rufus.in.Rom@gmail.com)...

Mittwoch, 31. August 2016

Vesta & Investment I: Vestalinnen außer Dienst mit 30

Ein Dienst von 30 Jahren, keine Intimitäten mit einem Mann oder lebendig eingemauert – keine schöne Aussicht für ein junges Mädchen. Bei Dienstantritt im Alter von 6-10 Jahren kommt dies nahezu einem endgültigen Verzicht auf eigene Kinder gleich. Warum gibt es dennoch ein großes Gerangel um eine der nur sechs Stellen als Priesterin der Vesta, warum sind fast nur Namen aus den großen Familien Roms überliefert?
Vestalin in Rom: Stets mit Schleier verhüllt oder mit 6 Zöpfen?
Vestalin & Mode: Mit Schleier verhüllt / "6-Zöpfe-Frisur"
Nun, wer immer will, darf nach dem Dienst heiraten und ein „normales Leben“ führen, hinzu kommen zahllose Privilegien wie die volle Geschäftsfähigkeit, im alten Rom dem Mann vorbehalten (patria potestas des pater familiās), sonst dem Vater  (außer nach Geburt dreier Kinder - ius trium liberorum), kostenloser Bodyguard-Service durch staatliche Liktoren in der Öffentlichkeit, reservierte Sitzplätze in Circus und Theater sowie die Vollmacht, Todesurteile unterwegs aufzuheben, wenn man dem Verurteilten zufällig auf seinem letzen Weg begegnet.
Aber wenn der Dienst im Alter von 40 endet, warum haben Inschriften bis heute überdauert, die von Kindern von Vestalinnen gestiftet wurden, wie auf mehreren Inschriften zu lesen ist (z.B. CIL 6.32414, gestiftet von einer Ordensschwester mit ihrem Sohn)? Macht der Göttinnen-Dienst so fruchtbar, dass es danach noch mit mehreren Kindern als äußerst spät Gebärende mit Risikoschwangerschaften klappt?
Nein, viel wahrscheinlicher ist, dass der Dienst im ALTER von 30 Jahren beendet war, in einem Alter, in dem auch Sklaven üblicherweise freigelassen wurden, damit sie gerade noch erfolgreich ins Geschäftsleben einstiegen können und dem Freilasser Prozente einbringen, anstelle ihm alt und krank auf der Tasche zu liegen.
Der üblicherweise (auf deutsch, englisch oder italienisch) zitierte Beleg für die Dienstzeit einer Vestalin steht im 10. Kapitel der Parallelbiographien des Plutarch (1.-2. Jh. n. Chr.) über das Leben des sagenhaften römischen Königs Numa (angeblich 6.-7. Jh. v. Chr.), den er dem mythischen spartanischen Gesetzgeber Lykurg gegenüberstellt: μέχρι τῶν χρόνων τούτων τὸ πλῆθος, ὡρίσθη δὲ ταῖς ἱεραῖς παρθένοις ὑπὸ τοῦ βασιλέως ἁγνεία τριακονταέτις. Plautarch schreibt also, dass die Vestalinnen auf König Numas Geheiß dreißigjährige Reinheit bewahren sollten (ἁγνεία τριακονταέτις). τριακονταέτις bedeutet dreißigjährig, aber auch ein Alter von 30 Jahren. Trotz des Bezuges zu ἁγνεία kann dies nun als DAUER ODER als ENDPUNKT interpretiert werden. Kurz danach steht noch ein Satz, der in (fast) allen Übersetzungen mit „then, the thirty years being now passed / nach Ablauf der dreißigjährigen Dienstzeit“ wiedergegeben wird. Im griechischen Original steht jedoch nur: μετὰ τὸν χρόνον – nach d(ies)er Zeit – ohne jedweden Zusatz einer genauen Länge oder Dauer. Christlichen Kirchenvätern war eine „Keuschheit auf Zeit“ schon immer ein Dorn im Auge, vielleicht hat diese Übersetzungstradition recht alte Wurzeln. Zumindest wurde die Sichtweise auf den Vestalinnendienst bisher durch solche Interpretationen und sich vom Text leicht entfernenden Übersetzungen stark eingeengt.
So ist m.E. davon auszugehen, dass diejenigen Vestalinnen, denen das ewige Feuer hüten zu langweilig wurde, bereits im ALTER von 30 und nicht nach Ende von 30 Jahren Dienst an der Flamme ihren Schleier nehmen und gehen dürfen. Dies würde erklären, wie Vestalinnen zu mehreren Kindern kommen können.
Selbst wenn ursprünglich in mythischer Zeit ein dreißigjähriger Dienst festgelegt worden sein sollte, so klingt ein starres Festhalten daran zumindest für die späte Republik und die Kaiserzeit unwahrscheinlich. Schließlich kann nur ein hübsches junges Mädchen aus einer prominenten Familie Vestalin werden. Schwer vorstellbar, dass gerade die mächtigsten patrizischen Familien ihre Angehörigen reproduktionstechnisch und politisch aufs Abstellgleis schieben, wo sie doch eigentlich alle einen Dispens bekommen können: Ablehnen kann man die Ehre, auf die Kandidatenliste zu kommen, fast immer, z.B. bereits wenn der Vater irgendeine der zahlriechen Priesterfunktion ausübt (hat praktisch jeder, der etwas auf sich hält, quasi jeder Politiker) oder drei Kinder hat - und gänzlich verboten ist die Kandidatur, wenn die Familie im Zwischenhandel und Handwerk aktiv ist oder ein Elternteil verstorben ist. Immerhin werden selbst kurzfristige politische Allianzen und Koalitionen üblicherweise mit einer Verheiratung besiegelt…
Wenn im Mittelalter Adlige ihre Angehörige ins Kloster schicken, wird dieses zuallermeist als Versorgungsstätte ausgenutzt. Das Klosterleben ist für prominente Bewohner weitaus weniger „spirituell“ und oft nicht wirklich keusch – vom Lebensstil von (Erz-)Bischöfen ganz zu schweigen – oder Borgia-Päpsten, Vater & Sohn nacheinander auf dem heiligen Stuhl… Vermutlich wird in der ausgehenden Republik auch des Öfteren ein Auge zugedrückt. Bei einem Prozess, bei dem Catilina eine intime Beziehung mit Fabia vorgeworfen wird, einer Halbschwester Ciceros, kommt es zu keiner Verurteilung. Auch Crassus, der einer Vestalin (angeblich wegen eines Immobilien-Deals) nachstellt, wird freigesprochen. Ob wirklich alle Vestalinnen gegenüber solch durchsetzungsstarken charismatischen Politikern immer keusch geblieben sind...?
Wenn man die Dienstzeit durchsteht, so ist dies für selbstbewusste Frauen sicher eine gelungene Investition. Nun kann man sich auch ohne männlichen Beistand (vermutlich mit 30) voll in die Geschäftswelt stürzen und ein vollkommen unabhängiges Leben führen.

Weiter geht’s hier mit Flavia Publicia, einer sehr geschäftstüchtigen Vestalin und Virgo Maxima, deren Steuerbefreiung inklusive „Reisepass mit Lichtbild“ und Fahrzeugpapiere 2007 ausgegraben wurde (heute zu bewundern im Museum von Sassari / Sardinien).

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