Kaum
jemand, der Latein studiert, kommt auch nur mit einer einzigen römischen
Autorin in Kontakt. Gibt es keine? Nein, bereits im frühen 2. Jh. v. Chr. sieht
man in den Komödien des Plautus Frauen als Autoren (Hallet 1999, Spalte 338). Auch im 1. Jh. v. Chr. werden mehrere
weibliche Autoren erwähnt, darunter Clodia,
die berüchtigte Schwester ihres noch berühmteren Bruders Clodius, und ihre Tochter Metalle
– doch ihre Werke sind nicht erhalten geblieben (vgl. ebd.). Hatte sich
das Frauenbild zum Ende der Republik noch gelockert und war sehr viel
„moderner“ geworden, unter Augustus verkehrt sich dies wieder ins Gegenteil.
Dennoch ist ausgerechnet für diese Zeit eine Autorin belegt.
Sie
schreibt in einer Zeit, in der sich die alte Republik zu einem autoritären
Regime gewandelt hat, und die staatlich gelenkten „Remoralisierung“ einsetzt: sogar
Ehe- und Sittengesetze werden erlassen. Meister der Propaganda ist der
Herrscher selbst, der nicht nur Opposition brutal bricht, sondern auch alle
Medien virtuos beherrscht und gnadenlos zensieren lässt. Am Ende erinnert sich
niemand mehr an die Affären des Kaiserhauses und das Fehlverhalten des
Augustus, sondern feiert ihn als Hüter der Moral. Für dieses Image ist er auch
bereit, seine einzige Tochter und seine Enkelin zu opfern. Überall spürt man
den steigenden Konformitätsdruck, allgemeine Gleichschaltungstendenzen und die
Durchsetzung von weitgehenden sozialen Kontrollen, wobei im Gesellschaftsleben
noch bestehende Lücken und Nischen immer mehr geschlossen werden.
Eine
Frau ist jedoch nicht bereit, sich an die spießeigen neuen bzw. uralt
hergebrachten Moralvorstellungen anzupassen. Anstatt brav daheim Wolle zu spinnen sowie Kinder, Heim und Herd zu hüten,
schreibt Sulpicia Liebeselegien: Nicht die harmlose Version zwischen Ehemann
und Ehefrau, nein, die Nachfolge der Elegiker: Gallus (von Augustus abberufen,
zum Selbstmord gezwungen, alle Schriften verboten und verbrannt), Tibull,
Properz und Ovid (ans Ende der Welt verbannt) – aus weiblicher Perspektive.
Anstelle der Verherrlichung des konservativen "Roll-back" des
Herrschers, anstelle eines Zeitgeistes von „Moral“ und „Werten“ schreibt
Sulpicia ungeniert von offenen Liebesbeziehungen und Fremdgehen – unter
Augustus gerade zur Straftat erklärt.
Als
Nichte des Marcus Valerius Messalla Corvinus, einer (wenn auch recht
opportunistischen) Stütze des Regimes, scheint sie sich dies leisten zu können.
Allerdings ist sie auch klug genug, nicht zu sehr die Nähe des Kaiserhauses zu
suchen und sich aus allen gefährlichen Intrigen, der politischen Opposition und
der Politik ganz allgemein herauszuhalten. Vermutlich half ihr Messalla, der
nach dem Tode ihres Vaters ihr Vormund wurde, bei dieser Entscheidung.
Sulpicia
beschränkt sich auf die Durchsetzung ihrer individualistischen Lebensführung,
die mit dem offiziell propagierten Frauenbild wenig gemein hat – jedoch erfolgreich:
Als einzige Frau der römischen Antike überhaupt ist ein größerer Teil ihres
Werkes bis heute erhalten geblieben. Elf (Hallet1999, Spalte 340) bzw. sechs Liebesgedichte sind zusammen mit dem Werk
ihres Freundes Tibull in dessen drittem Buch und der Appendix Tibulliana überliefert:
Ihre leidenschaftliche Liebesbeziehung zu einem Liebhaber namens Cerinthus, ein
griechisches Pseudonym das aufgrund seiner Bedeutung κέρας, auf Latein cornu,
an Cornutus, einen Freund Tibulls denken lässt – einen verheirateten Freund und
damit neuerdings strafbar. Sie spricht von sich und ihrem Liebhaber als
gleichwertigem Partner und fordert dazu auf, sich nicht um (die neue alte Moral,)
den guten Ruf und das Gerede der Leute zu kümmern, da dies alles unwichtig ist
(ebd.). Ob es sich bei Namen wie Gedichten um eine fiktive Liebe handelt oder
tatsächliche sexuelle Begegnungen – Augustus dürften die Gedichte kaum gefallen
haben: Sulpicia setzt sich damit über die neuen Verordnungen über das
Fremdgehen als strafrechtlich verfolgbaren Delikt hinweg oder macht sich zumindest
darüber lustig.
Selbst nachfolgende
Männergenerationen sehen Sulpicias Gedichte kritisch, der Humanist Giuseppe
Giusto Scaligero hält sie für unecht, eine Frau könne keine Dichtung
verbreiten. Bernardo Cillenio hält sie 1475 für eine Spielerei des Tibull,
ebenso Joseph Scaliger 1577. Ein Glück, sonst wären sie in wahrscheinlich
getilgt worden und verloren gegangen. Erst 1755 erkennt Christian Heyne Supicia
als Autorin an, auch Otto Friedrich Gruppe 1838. Dennoch sind nicht alle
überzeugt, Ludolph Dissen im 19. Jh. oder gegenwärtig Niklas Holzberg (zu
anspruchsvoll für eine antike Frau). Wissenschaftlich führte Sulpicia lange
Jahrhunderte ein Schattendasein, doch zuletzt findet sie wieder verstärktes
Interesse. Wer sich mit ihr auseinandersetzen will, liest am Besten:
- Mathilde
Skoie, Reading Sulpicia: commentaries 1478-1990, New York 2002
- Judith
P. Hallett, Sulpicia and Her Fama. An Intertextual Approach to Recovering Her
Latin Literary Image, in: Classical World, 100 1, 2006.
- Stefania
Vassura, Imago Lucis. Con sei elegie di Sulpicia, traduzione di M. Gabriele,
Rom 2010
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