Bis
zum Ende der Republik geht vor allem bei jungen Frauen einiges an althergebrachtem Rollenverständnis
verloren. Aber auch für viele Männern, besonders junge Adlige, kann das
traditionelle Lebensbild nicht mehr so recht locken. Gegen diese schleichende Veränderung
in der Gesellschaft gibt es in der frühen Kaiserzeit plötzlich harte
Gegenmaßnahmen: In dem Jahr, indem Ovid den Zeitgeist aufnimmt (zum Gutteil
jedoch auch parodiert) und beginnt, seine witzig-provokanten amores zu
schreiben (Sternchenthema des Abiturs in Baden-Württemberg 2016 und 2017), versucht der Machthaber Augustus einerseits
die hohen Verluste der Bürgerkriege, besonderes unter den alten Adels- und Senatorenfamilien,
wieder auszugleichen: Kinder müssen her und dafür auch treue Ehefrauen.
Andererseits ist der Zeitpunkt gut gewählt, um die Ausschweifungen und Affären des
Kaiserhaus mit einem offiziellen, nie dagewesenen und ultrakonservativen
„Rollback" zu vertuschen. Dabei verlangt Augustus nicht nur von allen
seinen weiblich Familienmitgliedern (und sich selbst) einen untadeligen,
sittsam-keuschen (und höchst langweiligen) Lebenswandel, sondern lässt auch
eine äußerst rigide Sitten- und Ehegesetzgebung
einbringen, die Heirat verlangt und Fremdgehen als Straftat kriminalisiert.
Eine vorbildliche Ehefrau sitzt den ganzen Tag brav zu Hause und spinnt Wolle
(wenn sie nicht gerade mit Kindern und Haushalt beschäftigt ist), so die
veraltete Moralvorstellung - jedenfalls
wie man sich damals die sittsamen Frauen aus Roms (mythischer) Frühzeit
vorstellt.
Bei
den wichtigsten Gesetzespaketen handelt es sich um:
- Die
lex
Iulia de adulteriis coercendis aus dem Jahr 18 v. Chr. Sie macht das
Fremdgehen erstmals zu einem straf-rechtlich verfolgbaren Delikt und verfolgt
den Ehebruch der verheirateten Frau (adulterium) und den Sexualverkehr eines
Mannes mit einer unverheirateten Frau (stuprum
– Schandtat) sowie der außereheliche
Verkehr gleichen oder unterschiedlichen Geschlechts (ebenfalls stuprum). Wenn sich verheiratete Männer
an der Frau eines anderen Mannes vergreifen, so fällt auch dies unter adulterium. Wer Damen und Herren
vermittelt, fällt unter den Tatbestand des lenocinium
(Zuhälterei / Kupplerei), aiuch dies ein neuer Straftatbestand. Das
Gesetz dient offiziell dem Schutz der Ehe und dem Schutz unverheirateter freier
Frauen. Der Ehemann, der seine Frau in flagranti („auf frischer Tat") beim
Ehebruch erwischt, muss sich von ihr scheiden lassen. Nur wenn ihm aus
Gutmütigkeit die Untreue entgeht, wird er nicht bestraft. Manche Männer stehen
nun vor der Entscheidung, ob sie ihre fremdgehende Frau anzeigen und einen
Skandal riskieren oder nicht anzeigen und weiter behalten sollen, weil sie sie
lieben oder weil sie Geld in die Ehe bringt oder weil durch sie die Verbindung mit einer anderen angesehenen Familie gesichert ist. Sie müssen sich dann sozusagen „dumm stellen“.
- In
dem 18 v. Chr. erlassenen Gesetz lex
Iulia de maritandis ordinibus ordnet Augustus zur Erhöhung der
allgemeinen Moral und zur Bekämpfung von Kinderlosigkeit an, dass nur noch
„standesgerechte Ehen" geschlossen werden dürfen, senatorische Familien
dürfen keine Freigelassenen mehr heiraten
und auch keine Schauspieler, Prostituierte, Zuhälter(innen) und überführte
Ehebrecherinnen dürfen gar nicht mehr heiraten. Für alle anderen wird die Ehe gar
zum Zwang erklärt und das Kinderzeugen zur Pflicht. Kinder zeugen ist kein Spaß mehr,
sondern verdammte Pflicht und Schuldigkeit.
- Im
Jahre 9 n. Chr. kommt die lex Papia
Poppaea hinzu, mit dem eine Ehepflicht für alle römischen Bürger
im heiratsfähigen Alter verfügt wird und zwar für alle Männer zwischen 25-60
und alle Frauen zwischen 20-50. Darüber hinaus müssen sich Männer innerhalb von
100 Tagen nach einer Scheidung wiederverheiraten (nach nicht enden wollenden
Protestwellen aber auf 3 Jahre erhöht: vgl. Suet.Aug.34), sonst werden sie von
den Spielen ausgeschlossen und werden in der Ämterlaufbahn zurückgesetzt. Wer unverheiratet bleibt, verliert das
Anrecht auf Erbschaften, kinderlose Ehepaare das Anrecht auf die Hälfte einer
Erbschaft. Paare mit Kindern werden durch Privilegien gefördert (ius
liberorum). Mindestens drei sind
Pflicht (ius trium liberorum), um volles Erbrecht zu behalten (vier für Freigelassene). Mit
Kinderreichtum bekommt man dafür leichteren Zugang zu den Ämtern, darf sich seine Provinz als Statthalter vor den anderen
aussuchen und sich vor dem Altersminimum in der Ämterlaufbahn bewerben.
Zur
Hebung der Kinderzahl nutzt all dies höchstwahrscheinlich wenig. Auch wenn
viele Konservative, Ältere und Moralapostel die Wende preisen, modern gesinnte
Römer laufen gegen die Sittengesetze Sturm: Laut Sueton kann Augustus dem Lärm der Proteste nur Herr werden, indem
er einen Teil der Strafen wieder aufhebt, zumindest abmildert und wenigstens
die Frist zur Wiederverheiratung auf drei Jahre erhöht, sowie Kinderprämien und
Elternvorrechte erhöht (Suet.Aug.34). Junge Ritter veranstalten weiterhin
Demonstrationen zur Abschaffung der Gesetze (ebd.).
Das
Bild des Augustus in der Öffentlichkeit wandelt sich jedoch tatsächlich: Zu
Beginn seiner Herrschaft war sein nicht gerade altehrwürdiger Umgang mit Frauen
noch in aller Munde, Sextus Pompeius schimpft ihn einen Frauenheld, Antonius
unterstellt ihm, sich unter Caesar nach oben geschlafen zu haben und sich von Hirtius
bezahlt haben zu lassen, Theaterbesucher spotten über ihn als Weichei
(Suet.Aug.68). Seine Affären mit verheirateten Frauen werden nicht einmal von
seinen Freunden abgestritten und füllen ein ganzes Kapitel seines Biographen
(Suet.Aug.69), der auch aus vertraulichen Briefen zitiert. Nicht zu vergessen
der „Skandal der Zwölfgöttertafel“, wo Augustus den Apoll gibt (Suet.Aug.70).
Selbst im Alter bleibt Augustus „ganz versessen auf junge Mädchen“ (Suet.Aug.71)…
Nicht
gerade zuträglich für das Image des Herrschers, dessen politisches Programm die
Wiederherstellung der alten Werte propagiert. Als die Gerüchte überhand nehmen,
greift Augustus mit harter Hand durch. Ehebruch wird tatsächlich verfolgt und
auf Grundlage der neuen Gesetze mit drastischen Geldstrafen (bis zur Einziehung
der Hälfte des Vermögens für Männer, der Hälfte der Mitgift und einem Drittel
des Vermögens für Frauen), gelegentlich sogar mit der Verbannung an einen
einsamen Ort (relegatio in insulam – auf
eine Insel) bestraft. Der princeps Augustus
geht mit der Anwendung dieser Gesetze bei seiner Tochter Julia (seinem einzigen
leiblichen Kind) und später auch bei seiner Enkelin Julia voran und verbannt
nacheinander beide. Bei der Enkelin relegiert er den (an)spiel(ungs)freudigen
Dichter Ovid gleich mit (diesen jedoch ans „Ende der Welt“, ans Schwarze Meer
nach Tomi. Allerdings sind bei den Julias und ihren regimegegnerischen
Liebhabern auch ganz handfeste politische Motive im Spiel, die mit den
Sittengesetzen vertuscht werden können.
Die Gesetze eignen sich bestens, politische Gegner ohne
viel Aufsehen loszuwerden. Wenigstens politisch werden die strengen Moralgesetze ein glänzender Erfolg: Der princeps
Augustus wird sein altes Bild des
jugendlichen Herumtreibers und Verführers, das ihn schon als „Octavian“ prägte, endgültig los und bald
gilt „der Erhabene“ gar als segensreicher Retter und Bewahrer der öffentlichen
Moral...
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Wen Interkationen
zwischen Römern und Römerinnen
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