Kapitel XII: Pistoria
Die Lage normalisierte
sich. Im Hause der Fabier nahm das Leben wieder seinen gewohnten Lauf. So war
es für Rufus eine große Überraschung, als er erneut zu Cicero gebeten wurde.
Der ehemalige Konsul saß in seiner Bibliothek zwischen den Philosophenköpfen
und massierte sich die Schläfen. Sein Haar war grauer geworden, seit Rufus ihn
zuletzt gesehen hatte, und sein Bauch dicker.
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Cicero unter Druck |
„Sei gegrüßt, Rufus! Nur
herein. Setz dich!“
Rufus nahm zwischen
Cicero und Tiro Platz, dem Sklaven und Privatsekretär mit dem freundlichen
Gesicht.
„Vale Cicero, vale Tiro!
Welchem Umstand verdanke ich deine Einladung, pater patriae – Vater des
Vaterlandes?“
Cicero presste nur die
Lippen aufeinander. Die Anspielung auf seine jüngsten Ehren schien ihn nicht
sonderlich zu amüsieren.
„Wie gut verstehst du dich
mit Crixos, Catugnatos und Ollugnio? Mir wurde berichtet, dass sie sich rührend
um dich gekümmert haben. Du sprichst ihre Sprache und teilst ihre Gedanken…
Würden sie auf deinen Rat hören?“
„Das kommt darauf an. Was
ist denn passiert?“
„Crassus! Das ist
passiert“, platzte es aus Cicero heraus. Dann fasste er sich und setzte wieder
sein gewinnendes Lächeln auf.
„Weißt du, dass die
Allobroger heute im Senat waren?“
„Ja, sie sollten doch
heute endlich ihren Fall vertreten und endlich die Rückzahlungserleichterungen
zugesprochen bekommen ... als Dank für ihre Mithilfe bei der Aufdeckung der
Catilinarischen Verschwörung. Dann wollten sie gleich wieder nach Hause. Sie
haben zuletzt von nichts anderem mehr gesprochen.“
„Nach Hause, das sind sie
... allerdings noch während der Sitzung….“
Cicero räusperte sich,
bevor er fortfuhr.
„Dass ich die Rolle der
gallischen Allobroger gegen Catilina hervorgehoben habe, hat dummerweise meinen
Gegnern in die Hände gespielt. Als sie Catilina noch gefürchtet haben, da haben
mich alle geachtet. Nun scheint es, als habe sich die Stimmung gedreht… Es war
jedenfalls keine gute Idee, in gallischer Tracht und mit Bart im Senat zu
erscheinen: Metellus Nepos hat alle daran erinnert, wie Catilina einst an der
Spitze einer gallischen Reitertruppe römische Ritter niedergemetzelt hat ...
damals unter Sulla. Crassus malte dann das Ganze drastisch aus, als ob diesmal
erneut römische Ritter unter Galliern leiden sollten ... die Steuerpächter
nämlich unter einer Lockerung der Schuldenlast der Allobroger. Pikanterweise
hat Crassus dabei aus meiner Rede gegen Fonteius zitiert:
ʺGallier, denen man weder
wegen ihres Jähzorns vertrauen, noch sie wegen ihrer Untreue respektieren darf,
die sich von den anderen Völkern so sehr an Sitte und Natur unterscheidenʺ.
Sorgen wir dafür, dass diese Gallier, die größten Feinde der Römischen Nation,
ʺleichter die Alpen erklimmen als die paar Stufen zum aerariumʺ!ʺ“
Cicero stöhnte und zupfte
sich eine Falte seiner Tunika glatt.
„Diese unbedachten
Äußerungen scheinen mich auf ewig zu verfolgen! Nepos und die Pompeius-Fraktion
haben das Thema jedenfalls in seltener Einmütigkeit wieder aufgenommen, um
gleichzeitig gegen mich Stimmung zu machen:
ʺBevor man den Feinden
des Menschengeschlechtes und ganz besonders unseres Volkes Geldgeschenke macht
und ihnen erlaubt, ehrbare römische Ritter zu ruinieren, sollten wir da nicht
lieber untersuchen, ob Ciceros Todesurteile mit der lex Sempronia vereinbar
waren oder nicht vielmehr gegen jede Sitte, Herkommen und Gesetz verstießen?ʺ“
Cicero wischte sich den
Schweiß von der Stirn.
„Dabei gibt es sonst
nichts, worüber sich Crassus und Pompeius je einig wären. Aber ich will dich
nicht mit Einzelheiten aufhalten: Crassus hat sich jedenfalls für die
Steuerpächter stark gemacht und den ganzen Antrag zu Fall gebracht. Wer weiß,
was ihn geritten hat. Vermutlich lauert er auf einen Aufstand und hofft dabei,
ein militärisches Kommando zu ergattern. Gegen Catilina ist er ja nicht zum
Zuge gekommen…“
„Das ist alles? Die
Allobroger riskieren für dich und für die Römische Republik ihr Leben und
ernten nur ein paar generalisierende Beleidigungen, die du in die Welt gesetzt
hast? Kein Wunder, dass sie sich verraten fühlen ... auch von dir, vermute
ich.“
Cicero erhob sich.
„Von mir ... vielleicht.
Und da kommst du ins Spiel: Die Allobroger sind jetzt auf der Via Flaminia nach
Norden unterwegs, mit all ihren Gefolgsmännern und im Schmuck ihrer Waffen. So
wütend wie sie aus der curia Hostilia hinausgestürmt sind, ist mit allem zu
rechnen. Wir fürchten, dass sie im Stande sind, einen Aufstand loszutreten oder
sich doch noch Catilina anschließen. Dich schätzen und lieben sie. Auf wen
werden sie hören, wenn nicht auf dich? Du musst sie einholen. Du musst sie
wieder zur Vernunft bringen. Du musst einen Krieg verhindern, der allen nur
neue Leiden bringen kann!“
Rufus nahm noch einen
Schluck. Der lange Ritt hatte ihn durstig gemacht. Doch schnell setzte er den
Becher wieder ab. Jetzt hatte dieser Dickwanst doch wieder Wein in sein Wasser
hineingeschüttet!
„Na, doch gut fürs Aroma,
hm?“, grinste der Wirt.
Rufus gab sich Mühe ein
zufriedenes Gesicht zu machen, obwohl ihn der fahle Geschmack anekelte. »Mit
dem Weinkeller der Fabier kann dieses Gesöff wirklich nicht mithalten.«
„Hm, guter Wein... Sag,
waren unter deinen Gästen zuletzt auch Gallier? Welche mit buntkarierten Hosen
und Schnauzbart?“
Rufus überlegte kurz, ob
er dem Wirt Brief und Siegel des Murena und des Cicero zeigen sollte. Die
Dokumente riefen jeden römischen Bürger zur aktiven Mithilfe auf – mit
Übernahme sämtlicher Spesen auf Staatskosten. Zugleich bestätigten sie, dass
Rufus und Cicatrix, den Cicero ihm als Leibwächter mitgegeben hatte, keine
Catilinarier waren und im offiziellen Auftrag des Senats handelten – gesiegelt
vom amtierenden und vom ehemaligen Konsul persönlich.
»Nein«, dachte Rufus,
»vielleicht hält der Mann eher zu Catilina. Besser, ich versuche es erst einmal
ohne.«
Der Wirt legte seinen
schmierigen Wischlappen beiseite und kratzte sich am Kopf. Sein Landgasthof
schien gut besucht zu werden.
„Kann sein, auf jeden
Fall so Barbaren mit Hosen. Ich kenne mich da nicht so aus. Hätten auch Illyrer
sein können oder sonst was. Bei all den fremden Reitern kommt man leicht
durcheinander, jetzt wo die Senatsarmeen hier dauernd hin und her marschieren.“
„Bitte, versuche dich zu
erinnern. Die drei, die ich meine, sind keine Spähtruppen der Armee, sondern
adlige Allobroger.“
„Hm… eigentlich habe ich
nicht… hm… nein, warte! ... ich erinnere mich an welche ... drei Vornehme mit
Gefolge; einer mit einer Narbe unter seinem Schnurrbart, ein Muskelpaket und
ein junger rasierter?“
Aufgeregt sprang Rufus
vom Hocker. „Catugnatos, Ollugnio und Crixos. Wann war das?“
„Gestern erst. Sie
blieben nicht lange, nur ein paar Becher Wein, solange ihre Leute Wasser und
Futter für ihre Pferde besorgt haben. Dann sind sie wieder weiter, Richtung
Norden.“
„Danke!“
Rufus kramte schnell eine
Messingmünze hervor und warf sie auf die Theke. Er gab Cicatrix einen Wink und
lief zur Tür.
„Warte noch, Junge! Du
bekommst noch drei As raus, auf deine Sesterze.“ Der dicke Wirt wälzte sich
hinter der Theke hervor. „Wenn ich an eurer Stelle wäre, würde ich übrigens die
Abzweigung nehmen und vor Pistoria von der Hauptstraße runter. Da soll sich
Catilinas Heer gerade rumtreiben. Deine Gallier sind sicher auch außen rum ...
wie alle anderen auch. Lieber kein Risiko eingehen, was?“
„Danke für den Tipp. Das
Restgeld kannst du behalten.“
[…]
[Rufus und Cicatrix versuchen die Soldaten weiträumig zu umgehen,
werden aber gefangengenommen und in ein Lager gebracht. Zu Rufus Entsetzen steht
er im Praetorium nicht dem senatorischen Kommandanten gegenüber, sondern
Catilina. Es stellt sich jedoch heraus, dass er von den neuesten Nachrichten aus
Rom so gut wie abgeschnitten ist.]
Rufus sah in die
angegebene Richtung. Er kniff die Augen zusammen. Doch, die blinkende attische
Rüstung kannte er. Tränen liefen ihm über die Augen.
„Gaius? Ich dachte, du
wärst tot?“
„Die Berichte über meinen
Tod waren maßlos übertrieben“, lachte er. „Wozu hast du mir lautloses Schwimmen
beigebracht, in Baiae? Ich brauchte nur noch ein wenig zu Tauchen, ein
Schilfrohr zum Atmen und den Gang durch die Kanalisation. Aus der Stadt raus
war‘s schon schwieriger, aber die Müllwägen werden fast nie durchwühlt. Ich
habe mich einfach unter dem ganzen Abfall rauskarren lassen, wie ein totes
Tier. Aber sieh‘ mich jetzt einmal an, ich bin sogar lebendig genug für einen
Militärtribun - endlich!“
Gaius strahlte über das
ganze Gesicht. Der Panzer stand ihm gut, das musste Rufus zugeben. Er hatte ihn
bisher noch gar nicht bemerkt, so natürlich bewegte er sich unter den
Offizieren. Allerdings waren noch andere Jugendliche darunter. Aber das war bei
den Römern wohl normal. Wenn sie kein tirocinium fori bei einem Anwalt
absolvierten, kamen junge Adlige gleich mit sechzehn Jahren ins Heer – wenn es
stimmte, was Gaius ihm gesagt hatte.
Catilina verschränkte
lächelnd die Arme.
„Nicht nur irgendein
Militärtribun, einer meiner besten! Er kennt jede Schlacht und jedes Manöver
auswendig. Aber was da mit den Allobrogern auf der Brücke genau vorgegangen
ist, den Bericht ist mir Gaius noch immer schuldig. Jedenfalls sollst du ihm
das Leben gerettet haben, indem ihr euch beide in den Tiber gestürzt habt?“
Catilina beobachtete ihn
mit zusammengekniffenen Augen.
Rufus schlug seine Augen
nieder und nickte.
„Und jetzt willst du dich
mir anschließen. Kann ich gut verstehen! Das würde ich auch machen, wenn ich du
wäre.“
Catilina lachte.
„Aber warum gerade jetzt
und nicht zuvor?“
„Ich… wollte noch auf die
Allobroger warten.“
„Und? Konntest du sie
überzeugen?“
„Weiß nicht, sie sind vor
mir aufgebrochen. Ich wollte sie gerade einholen.“
„Schade, dass du sie
verpasst hast. Sie scheinen eher zu mir zu halten. Ein feiner Zug. Die
Allobroger haben anscheinend deinen und Gaius‘ Namen aus dem Protokoll
rausgehalten. Damit haben sie euch beiden den Prozess erspart. Der wäre eher
kurz gewesen, fürchte ich, so wie bei Sura, Cethegus und den anderen…“
Ein markerschütternder
Horn-Stoß unterbrach Catilina.
„Nicht das beste aller
Omen… Nun gut. Es beginnt.“
Unter dem Signal der
bucina und weiterer Blechbläser formierten sich die Soldaten und rückten aus.
Außer den Horn-und Trompetenstößen hörte man nur noch das rhythmische Hämmern
der genagelten Schuhe auf dem harten Boden.
Rufus marschierte mit.
Sein Helm war zu klein, er drückte und der Wangenschutz rieb seine Backe wund.
Die Öse war kaputt und es war auch kein Lederriemen zur Hand, um ihn
ordnungsgemäß zu befestigen.
Manlius hatte Rufus und
Cicatrix zwischen anderen Jugendlichen und ein paar recht alt aussehenden
Männern unter den Fußsoldaten eingereiht. Für ordentliche Reiterabteilungen
fehlten ihnen die Pferde, es reichte kaum für eine einzige turma zu dreißig
Mann.
Rufus roch den Schweiß
seiner Kameraden. Die meisten waren nicht viel älter als er selbst. Nur ein
Viertel davon trug die vorschriftsmäßige Bewaffnung. Der Rest schien mit dem
zufrieden, was der Zufall ihm gerade in die Hand gedrückt hatte: Lanze, Speer,
Fleischermesser oder lediglich einen angespitzten Pfahl. Trotzdem wirkten sie
fest entschlossen. Wenn es Angstschweiß war, was sie absonderten, ließen sie
sich nichts davon anmerken.
Rufus umklammerte fest
den Dolch, den ihm Fabia geschenkt hatte.
»Immerhin besser als ein
Stock. Ob wir hinter der vordersten Frontlinie einfach Waffen und Rüstungsteile
der Gefallenen aufnehmen sollen? Aber das dauert sicher zu lange, bis man das
an sich genommen hat, auch nur ein Schwert aufzuheben… Was gäbe ich jetzt nur
für ein Kettenhemd!«
Als der menschliche
Lindwurm das Lager hinter sich gelassen hatte, ertönte wieder das
heiser-metallische Krächzen der bucina. Es wurde von mehreren
tieftönenden Trompetenstößen aufgenommen und mit mannshohen Hörnern aus Bronze
an die Feldzeichenträger der einzelnen Einheiten weitergegeben.
Rufus sah nichts als
endlose Reihen vor und hinter ihm in der hügeligen Landschaft, denen er
schicksalsergeben hinterher stolperte. Zudem wirbelten sie auf dem kargen Boden
den Staub viele Schritte weit in die Höhe.
„Nach links“, zog ihn
Cicatrix am Ärmel, „hast du nicht die tuba unserer Kohorte gehört, oder
dann die nähere für unser Manipel oder wenigstens die cornu für unsere
Zenturie?“
„Du kennst die Signale?
Warst du in der Armee?“
„Was glaubst du wohl,
woher ich mein Andenken im Gesicht habe? Ein Glück, dass ich mich gleich wieder
… anderweitig umsehen konnte. Komm, wir müssen die Formation ändern. Runter da,
in die Senke. Das war das Zeichen für die Feldherren-Ansprache. Mach einfach
nach, was die Veteranen da vormachen.“
„Veteranen? Du meinst
wohl die Großväter und Greise?“
Cicatrix schnaubte
wütend. „Greise… Wenn du auf der Gegenseite ein paar ʺGreisenʺ begegnest, sieh
dich ja vor! Die haben meist über zwanzig Jahre lang kämpfen gelernt – das
verlernt man nicht so schnell. Die Veteranen bilden die Elite. Was ihnen an
Schnelligkeit fehlt, machen sie an Technik und Erfahrung mehr als wett. Also
hüte dich, so einen zu unterschätzen…“
Als sich die Truppen in
der Talsenke wie in einem Theater angeordnet hatten, konnte Rufus mehr
erkennen. Weit entfernt konnte er schon schemenhaft ein anderes Heer ausmachen,
dass von den Hügeln herunter kam und sich zum Kampf aufstellte, wie winzige
Ameisen, die eine riesige Staubwolke hinter sich herzogen.
„Wie viele sind das?“
„Das Heer des Antonius
Hybrida“, murmelte Cicatrix. „Volle Kampfstärke, wie man hört: zwölftausend
Mann. Von der anderen Seite Metellus Celer, noch einmal zwei Legionen ... und
wir nicht einmal ein volle. Das wird ein Gemetzel…“
Rufus schluckte. Er ließ
sich von den anderen mittreiben. Ihre Zenturie wurde in die zweite Reihe
dirigiert. Gaius befehligte offenbar den Abschnitt. Hoch zu Ross gab er den
Signalbläsern Anweisungen. Er trug ein Langschwert, dass nicht recht zu seiner
griechischen Rüstung passen wollte.
»Das Schwert des
Luernios! Also hat Gaius es an sich genommen, nicht die Allobroger. Vom Pferd
aus ist es sicher besser zu gebrauchen als das übliche römische Kurzschwert…«
Als alle in Reih und
Glied standen, ritt Catilina zum tiefsten Punkt. Er saß auf einem weißen
Hengst, trug einen weißen Helmbusch und ein blutroter Umhang umwehte seinen
silberglänzenden Muskelpanzer.
„Catilina! Schick uns in
die Schlacht! Du musst unseren Kampfgeist nicht erst entfachen“, rief einer.
„So ist es! Vor uns
Metellus, hinter uns Hybrida ... wir haben genug Mumm, wir kämpfen gegen beide!
Wozu noch eine Rede?“
Catilina lächelte
amüsiert. Dann richtete er sich auf.
Es wurde
mucksmäuschenstill. Nur noch der Wind war zu hören.
„Ich weiß bereits, meine
Soldaten, dass Worte weder Tapferkeit verleihen, noch aus einem faulen Heer ein
tatkräftiges machen können und dass durch die Rede eines Feldherrn ein
ängstliches Heer nicht zu einem mutigen werden kann. So viel Wagemut ein jeder
von Geburt an oder durch seinen Willen besitzt, so viel zeigt sich gewöhnlich
auch im Krieg. Wen weder Ruhm noch Gefahren motivieren, den feuert man
vergeblich an: Die Furcht verstopft seine Ohren.
[…]
Wenn ich euch betrachte,
meine Soldaten, und wenn ich an eure Taten denke, dann erfüllt mich große
Hoffnung auf den Sieg. Euer Mut, euer jugendliches Alter, eure Mannhaftigkeit
machen mich zuversichtlich; dazu kommt noch die Zwangslage, die auch Furchtsame
zu Tapferen macht. Denn dass die Übermacht der Feinde uns einkesseln kann, das
verhindern die Engpässe dieses Ortes.
Wenn aber das Schicksal
neidisch sein sollte auf eure Tapferkeit, dann hütet euch, ungerächt euer Leben
zu lassen, euch gefangen nehmen und euch lieber wie Vieh abschlachten zu
lassen, anstatt nach Männersitte kämpfend den Feinden nur einen blutigen und
beklagenswerten Sieg zu überlassen.“
Darauf erhob sich ein
gewaltiges Gebrüll: „Catilina! Catilina! Catilina!“
Rufus versuchte an Gaius
heran zu kommen, während die bucina ertönte und die Soldaten die Lederhüllen
von den Schilden zogen – zumindest diejenigen, die einen Schild bekommen
hatten. Aber auch die anderen nahmen daran keinen Anstoß, sondern scherzten nur
fröhlich. Alle machten sich begeistert ans Werk. Wer konnte, steckte die Federn
auf den Helm auf und überprüfte den sicheren Sitz des Schwertgurtes an der
rechten Seite und die Schneide des gladius. Ein paar reichten noch ihr pilum
nach vorne weiter, um wenigstens das erste Treffen mit dem schweren römischen
Wurfspeer auszustatten.
»Verrückte, alles
Verrückte«, dachte Rufus. »Ich muss hier raus. Gaius muss hier raus. Ich muss
ihn überzeugen!«
Endlich kam Rufus zu
seinem Militärtribun durch. Gaius wirkte bleich. Er hatte dunkle Augenringe.
Dennoch schien er höchst euphorisiert. Er schien auch noch Spaß daran zu haben.
„Rufus? Zurück zu deiner
Formation! Ich habe genug zu tun, meine Kohorte hier richtig aufzustellen.“
„Gaius! Komm - weg hier.
Gegen diese Übermacht könnt ihr nicht gewinnen!“
„Warum nicht? Haben die
Griechen nicht gegen die persische Übermacht gewonnen, hat Alexander nicht
gegen Dareios gesiegt?“
„Gaius, das ist doch
Wahnsinn!“
„Nein, das ist virtus!“
[…]
[Rufus und Cicatrix können dem Gemetzel gerade noch entkommen.
Hilflos sieht Rufus von einer Anhöhe aus zu, wie Catilinas Heer untergeht. Nur die
Dokumente des Murena und Cicero sowie die Bürgschaft des Trucillus retten sie
vor der Hinrichtung als Spione. Dafür müssen sie nun mithelfen, wichtige Tote
zu identifizieren (v.a. die jungen Burschen aus dem Adel), während die Soldaten
das Lager plündern.]
|
Das Schlachtfeld von Pistoria |
Auf der Ebene zwischen
Gebirge und Felsen wehte ein eisiger Wind. Behutsam zerrte er an den
niedergesunkenen Standarten und ließ die Fahnentücher flattern. Ebenso
umspielte er mit leisem Geheul die Tuniken, Haare und Mäntel der zahllosen
Leichen.
Rufus war übel. So wie
die Körper aussahen, mussten zuerst die Plünderer gekommen sein und an den
Toten herumgerissen haben. Sie hatten teure Ausrüstungsgegenstände, Ringe,
Schmuck und Geld mitgenommen. Jetzt wüteten sie vermutlich im Lager Catilinas.
Ein vielstimmiges
Krächzen ließ Rufus herumfahren. Die Raben hatten das Schlachtfeld bemerkt,
noch hatte sich niemand die Mühe gemacht, die Toten zu begraben.
Rufus band sein Halstuch
enger um die Nase. Zusammen mit Cicatrix und ein paar Trossknechten wälzte er
Leiche um Leiche. Dazu hatten sich noch ein paar Soldaten freiwillig gemeldet,
die ihre Sorge um einen Freund oder Verwandten höher schätzten, als das Beutemachen.
Trucillus notierte den Fund: mit Namen, wenn bekannt, bei Offizieren auch
unbekannt als Anführer der Truppe, bei deren Feldzeichen und Signalbläser er
lag.
„Nein, nein, neiiin! O
ihr Götter. Sohn, was hast du nur getan?“ Ein alter Veteran fiel vor Schmerz
auf die Knie. Zärtlich drückte er den blutüberströmten Kopf an seine Brust. Er
schenkte ihm tränennasse Küsse, die jedoch nicht mehr ins Bewusstsein des
jungen Mannes gelangen konnten. Der alte Soldat schluchzte hemmungslos.
Trucillus ließ ihn
trauern. Wenn er sich erst um seinen Sohn kümmern und ihn mit einem schnellen
Grab vor den Raben schützen wollte, sollte es ruhig so sein. Die Leichen liefen
nicht mehr weg.
Rufus wandte schnell
seinen Blick ab und sich wieder seiner grausigen Arbeit zu. Die Trauer des
Vaters mit anzusehen, schnürte ihm die Kehle zu. Immer wieder fand einer der
Helfer einen Freund, Gastfreund oder gar ein meist junges Familienmitglied. Das
Wehklagen der Finder mischte sich mit dem Heulen des Windes und dem Krächzen
der Raben.
Als er den nächsten Toten
umdrehte, blieb der Kopf liegen. Er war sauber abgetrennt. Mit zwei Fingern zog
Rufus ein wenig an den Haaren. Dann starrte er direkt in sein Antlitz:
»Titus!«
Rufus würgte, dann
erbrach er sich so lange und heftig, bis nur noch Galle kam. Cicatrix riss
einem Toten den Mantel herunter, faltete ihn und wischte Rufus damit den Mund
ab.
„Das erste Mal ist’s
immer am Schlimmsten. Das legt sich.“
»Titus. Was hat es dir
nun genützt, dass dein Arm so gut verheilt ist…? Der Gewalt konntest du nicht
endfliehn, solange du lebtest. Erst ein grausamer Vater, dann ein grausamer
Gegner. O Pluto, nimm wenigstens du ihn jetzt gnädig in dein Reich auf.«
Rufus musste daran
denken, wie es seinem eigenen Vater ginge, wenn er ihn so fände. Würde er ihn
überhaupt jemals wieder lebend zu Gesicht bekommen? Und sein Schwester Veleda,
seine Freunde, seine Mutter? Nur mit Mühe konnte er seine Tränen zurückdrängen.
»Virtus!« Vor Römern sollte man keine Schwäche zeigen. Doch Rufus fand immer
mehr bekannte Gesichter: Minucius, Publicius, Tongilius und viele andere mehr.
Schließlich waren sie in
der Mitte angelangt, wo die Leichen dichter lagen.
„Eins muss man ihnen
lassen“, bemerkte Cicatrix anerkennend, „was die im Heer Catilinas für Wagemut
und Willenskraft entwickelt haben, das macht ihnen so schnell niemand nach. Die
halten ihre Position selbst noch im Tod, fast jeder, hält die Stellung, die er
lebend gehalten hat, auch nach Verlust seines Lebens mit dem bloßen Leib! Die
hier liegen ein wenig zerstreuter, aber alle mit Wunden auf der Brust. Da ist
niemand geflohen und wurde von hinten erwischt…“
Man konnte tatsächlich noch
immer erkennen, wo die Prätorianerkohorte die Catilinarier mitten entzwei
gesprengt hatte. Die Körper waren hier übler zugerichtet worden, geradezu
zerstückelt.
Für Rufus wurde das zu
viel, er zog sich ein wenig nach hinten zurück, hinter die Reihen der Armee des
Petrius – wie er glaubte. Hier lagen keine Catilinarier mehr, dafür ein dichter
Knäul von Petreius‘ Männern. Zufällig fiel sein Blick nach unten, wo der Ring
am dichtesten war.
„Hilfe! Er lebt noch!“,
schrie Rufus entsetzt.
Da lag er, mit voller
Wildheit im Antlitz und grausigem Blick seiner weit geöffneten Augen, das
Gesicht zur blutrünstigen Fratze verzogen: Catilina! Sein erhobenes Schwert,
von dem das Blut hinunter tropfte, schien genau auf ihn zu zielen.
Rufus viel vor Schreck
rücklings hin, krabbelte auf allen Vieren davon, und verfing sich in den Händen
der Toten.
„Hilfe!“, brüllte er aus
vollem Hals.
Inzwischen waren die
Anderen zu Rufus gestoßen und umringten die schauerliche Gestalt mit gezogenen
Schwertern.
Eine Weile standen sie
noch abwartend da. Keiner sagte ein Wort, alle hielten den Blick fest auf
Catilina. Es schien, als würde sich sein Brustkorb noch ein wenig heben und
senken. Oder war das nur der Wind? Er machte den Eindruck, sich jeden Moment zu
erheben, um ihnen allen den Kopf abzuschlagen, wie er es mit Quintus Caecilius
und Marcus Marius Gratidianus getan haben sollte, seinem eigenen Schwager und
dem Verwandten Ciceros. Doch Catilina blieb liegen. Dafür schien er noch immer
ein wenig von der arroganten Spottlust auszuatmen, die lebend so gern im Senat
zur Schau gestellt hatte. Noch immer trug er seine prächtige Silberrüstung und
sogar noch seinen goldenen Siegelring. Anscheinend hatte niemand gewagt, ihn
auszuplündern.
Schließlich nahm sich
Cicatrix ein Herz, schritt vorwärts und hieb Catilina den Kopf ab.
Rufus sah zur Seite.
Sicher, sie hatten den Auftrag die Köpfe der berühmtesten Toten einzusammeln,
damit man sie in einer Kiste Eis nach Rom bringen konnte. Doch wollte er dabei
lieber nicht zuschauen.
Da erblickte er einen Offizier
mit attischem Helm und blauen Helmbusch am Boden. Mit zitternden Fingern drehte
er ihn um.
„GAIUS! O Gaius. Warum
hast du nur nicht auf mich gehört?“
Sein Gesicht war
geschwollen, die Nase gebrochen, der Muskelpanzer war eingedrückt, überall
verkrustetes Blut. Rufus nahm ihn in den Arm und schluchzte hemmungslos.
Trucillus versuchte ihn in den Arm zu nehmen und den Weinenden zu trösten, doch
Rufus ließ seinen Bruder nicht los.
„R-R-r“
„Was ... hast ... du ...
gesagt ... Trucillus?“, brachte Rufus unter Schluchzen mühsam hervor.
„Nichts. Sicher nur die
Raben“, antwortete Trucillus ungerührt.
Doch dann hört er wieder
ein leises Flüstern:
[…Und das Ende….? Na, da die Bücher noch in Papierform auf den Markt
gebracht werden, kann das in einer Leseprobe im Netz natürlich nicht verraten
werden…]
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