Kapitel VI: Catilina
[…]
Kaum hatte sich die Türe zu dem schummrigen Gang
geschlossen, da sprang Marcus Antonius mit einem Satz auf beide Verfolger los.
Sie wehrten sich heftig, doch noch bevor Rufus eingreifen konnte, hatte sich
Antonius je einen von ihnen unter den Arm geklemmt. „Beim Herkules, Marcus,
nicht so fest! Wehe wenn ich erst so alt bin wie du, dann packe ich gleich vier
von deiner Sorte. Ah…Sei gegrüßt, Rufus.“ Jetzt erkannte Rufus den kleineren
der zappelnden Jünglinge: Ventidius Pollio. Ein reicher Sohn eines Freigelassenen,
gleichaltrig zu Gaius, immer mit dabei und ein entsetzlicher Angeber. „Seid
gegrüßt, Pollio und Curio“. Lachend ließ Antonius Pollio und den lächelnden
Curio los. Gaius Scribonius Curio, erinnerte sich Rufus. Curio fiel Antonius
nun seinerseits um den Hals und versuchte seinen Freund in den Schwitzkasten
zunehmen. „Na, wie geht’s dir, Schätzchen?“ Curio drohte jedoch an der bärigen
Statur des Antonius zu scheitern, da drückte er ihm kurzerhand einen
schmatzenden Kuss auf. „Beim Herakles!“ Mit Getöse gingen sie zu Boden und
rissen Rufus, Pollio und einen Bronzevase mit sich, die scheppernd von einer
Truhe fiel.
„Was bringt mir dieser Tag für Einbrecher! Oder eher
Zerbrecher?“ begrüßte sie eine melodische Stimme vom Ende des Ganges her.
„Curio, Antonius, Pollio! Das hätte ich mir auch gleich denken können, das ihr
das seid, die nichts ganz lassen wollen.“ Der muskulöse Mann musterte sie mit
in die Hüften gestemmten Händen und einem freundlichen Lächeln. Seinen
kräftigen Unterkiefer und seine Oberlippen zierte der gleiche Bart, den er
schon bei Marcus Caelius, Cethegus und Curio gesehen hatte. Rufus wollte sich
erst wundern, dass ein wachhabender Sklave so freimütig mit herrschaftlichen
Gästen sprach, dann erst bemerkte er, dass der Mann den goldenen Ring eines
Patriziers trug. „Selber schuld, Lucius“, entgegnete Curio, du hast uns
schließlich eingeladen. Aber sag, was gibt es bei dir schon Wertvolles zu
zerbrechen, was du noch nicht versetzt hast?“ »Lucius« zuckte lachend mit den
Achseln und wies auf die verräterischen Stellen an der Wand, an denen die Farbe
kräftiger war, als an der Umgebung. „Da ist was dran. Kommt…“
Rufus hob schnell die Täfelchen auf, die Antonius
heruntergefallen waren. Schade, das Siegel war aufgegangen. Wie beiläufig fiel
sein Blick auf den Text. »…Laeca. Heute Abend…Gasse der Sichelmacher«. Dann
klappte er sie wieder zu und folgte den anderen. Auf dem Weg zum Triclinium
fiel Rufus auf, dass es noch weitere solche Stellen gab, an denen früher einmal
Möbel oder Statuen gestanden haben mussten. Ansonsten verriet das Haus eine
schlichte aber edle Eleganz. Die erdigen Farben der Wandbemalungen waren
perfekt aufeinander abgestimmt, die Mosaike makellos. Türen und Türstürze waren
einwandfrei geschnitzt und glänzten in dunkler Politur. Vor einem großen
rechteckigen Bild blieb Rufus stehen. Es hing an einem Holzrahmen direkt an der
Wand und war so lebensecht und plastisch gearbeitet, dass es Rufus schien, als
wollten die Figuren aus der Wand klettern. „Enkaustik“, rief Lucius. „Es zeigt
die Sergii, wie sie zusammen mit Aenaeas aus Troja nach Italien kamen.“ „Kommt
das aus dem Griechischen »enkauston« – eingebrannt?“ „Ja. Heißes Wachs,
Spachtel und glühende Eisen. Es ist wie wenn man die eigenen Gedanken mit Feuer
unvergänglich auf die Malfläche einbrennt. Kannst du ruhig anfassen, morgen
wird es sowieso verkauft.“ Vorsichtig fuhr Rufus mit dem Zeigefinger über das
Bild. Es fühlte sich tatsächlich ein wenig wie Bienenwachs an. Lucius lachte,
kam auf ihn zu und wuschelte ihm durch die Haare. „Ganz schön frech für einen
Sklaven! Du bist noch nicht lange im Haus meines Freundes Sura, oder? Du
gefällst mir! Geh in die Küche und lass dir ein Honigplätzchen geben – ich
bestehe darauf!“ Rufus wurde rot, wagte aber nichts zu sagen. Ihm war die
Ähnlichkeit zu den Vorfahren auf dem Bild aufgefallen. Die Sergii! Dann musste
er es doch sein: Dieser Lucius war niemand anders als Lucius Sergius Catilina!
[…]
[Im Hause des Catilina glühen die Würfelbecher.
Catilina erweist sich als äußerst charmanter und zuvorkommender Gastgeber. Als
er zufällig herausfindet, wer Rufus wirklich ist, wird Catilina neugierig...]
„Aber hier ist doch gar kein Bild!“ Überrascht starrte
Rufus im Halbdunkel auf die Umrisse von deutlich leuchtenderen Farben an der
zentralen Wand. Davor stand ein schwerer Schreibtisch. Es roch nach Pergament,
Papyrus, Leder, und altem Holz. Aber nicht nach Wachs. „So, wirklich?“,
antwortete Catilina gedehnt. Rufus sah sich ein wenig um: An den restlichen
Wänden standen größtenteils Regale aus dunklem Holz, in dessen Politur sich der
Schein der Flamme widerspiegelte. In kunstvoll geschnitzten Aushöhlungen lagen
Papyrusrollen, gestapelt wie in einem Taubenschlag. Catilinas Bibliothek schien
jedoch weniger ordentlich, als diejenige der Fabier. Nicht alle Papyri steckten
in Lederzylinder, teils lagen sie ganz offen, teils in Weidenkörben und immer
wieder gab es große Lücken oder gar ganz leere Fächer. Eine seltsame Stimmung
hing über dem Raum. Den Umrissen nach waren die Wände zuvor bis fast an die
Decke zugestellt gewesen. Vielleicht standen dort ein paar große Holzschränke?
Einer war noch zu sehen. Im unruhigen Flackern des Lämpchens sah er fast so
aus, als ob er sich davonmachen wollte. Rufus spürte einen Lufthauch in seinem
Nacken. Gespenstisch. Als ob die restlichen Möbel, Schrank, Regale, Tisch und
Truhen alle vorhätten, sich jeden Augenblick davon zu machen. Ein Schauer lief
ihm über den Rücken. Reflexartig drehte er sich um, doch da stand nur Catilina.
Hinter dem erhobenen Licht konnte Rufus seinen Gesichtsausdruck nicht recht
deuten. Seltsamerweise hatte Catilina keinen Sklaven zur Bibliothek geschickt
und trug das Öllämpchen selbst. Man konnte zwar auch so die rechteckigen
Flecken erkennen, wo einmal Bilder gehangen haben mussten. Aber warum machte Catilina
nicht mehr Licht?
„Ah, du hast recht. Verzeih mir junger Gallier, ich hatte
ganz vergessen, dass ich die Bilder verkauft habe.“ Rufus kniff die Augenbrauen
zusammen und verschränkte die Arme. Catilina schmunzelte. „Ich bitte dich
abermals um Verzeihung. Du hast mir ja gerade im Gang erzählt, dass du gar kein
Gallier bist, obwohl du aus dem fernen Norden kommst… Ts ts ts, kein weiteres
Bild und dann auch noch ein unaufmerksamer Gastgeber. Wie wäre es, wenn ich
dich für meine Unaufmerksamkeit entschädige? Aber mit einer Buchrolle doch wohl
kaum, oder?“ „Doch, ich würde gerne selbst eine besitzen!“ Catilina lachte:
Dann suche dir eine aus! Vielleicht nach der Farbe?“ Er stemmte eine seiner
kräftigen Hände in die Hüfte und musterte Rufus genau. Rufus sah ihn ein wenig
unsicher an, sagte aber nichts.
Catilina schien ihn noch immer zu beobachten „Ein Stamm
weit im Norden… Vermutlich lebt ihr dort unter freiem Himmel, in Zelten oder in
Wagen, wie die Skythen?“ „Nein! Auch bei uns Ubiern gibt es Städte…“ Catilina
kratzte sich mit der freien Hand hinter seinem Ohr. „Interessant. Städte im
fernen Norden. Das erinnert mich an eine Stelle bei Herodotus, dem großen Vater
der Geschichtsschreibung. Herodotus hat sich über die Quelle dieses Istros, des
Danuvius, Gedanken gemacht – im zweiten oder dritten Band, glaube ich. Wenn
mich nicht alles täuscht, erwähnte er dabei sogar eine barbarische
»Stadtanlage«. Bei den »Kelten« und bei »Pyrene« soll der große Strom des
Danuvius entspringen. Demnach wären Danuvius und Ister derselbe Fluss…“ Rufus
war beeindruckt. Catilina dachte offensichtlich immer mit und konnte sich
einfach an alles erinnern. „Ein Buch über die Kelten im Norden, jenseits der
Gallier? Das würde ich sehr gerne sehen!“ „Gerne, nimm es nur heraus! Die Bibliothek
ist alphabetisch geordnet, das heißt, das was von ihr übrig ist. Warte, ich
mache dir ein wenig mehr Licht...“
Catilina zündete mehrere Öllampen an einem Reifen an, der
an einer schlichten Kette von der Decke hing und stellte das Öllämpchen auf den
Tisch. „Früher stand hier einmal eine Bronzestatue einer tanzenden Frau als
Leuchter. Die war so hübsch bemalt, man dachte jedes Mal, sie würde sich gleich
bewegen. Jetzt gehört sie Crassus…“ Rufus suchte bereits die kleinen
Index-Kärtchen ab, die an jeder Schriftrolle an einer Schnur befestigt waren
und Autor wie Titel angaben. Mal sehen, stand das Buch bei »H / h« oder bei »E / e«, da es bei den Griechen
nur einen Akzent für das schwach behauchte »H« gab? Rufus hoffte inständig,
dass er noch nicht verkauft war, bei »E« klafften nur noch große Lücken. „¹ Heureka - Ich hab’s gefunden!“, rief er auf
Griechisch und dreht sich triumphierend zu Catilina um. Sogleich zuckte Rufus
zusammen. War das noch die gleiche Person, die sich da drohend vor ihm
aufgebaut hatte? Catilinas blaue Augen leuchteten nicht mehr gütig, sondern
hatten ein gehetztes Funkeln angenommen. „Dachte ich mir, du kannst es also
doch!“ Catilina verschränkte die Arme vor seiner breiten Brust wobei er seine
Oberarmmuskeln hin und her drückte. Vom freundlichen und charmanten Gastgeber
war nichts mehr zu erkennen. „Was weißt du über Suras Nachricht? Wie viel hast
du gelesen? An welche Namen kannst du dich erinnern?“ Seine Stimme klang
eiskalt und gefährlich.
Rufus fielen die Schriftrollen aus der Hand. Langsam wich
er zurück. Catilina rückte mit gesenktem Kopf näher an ihn heran, die Arme wie
bei einem lauernden Ringer weit geöffnet. Rufus spürte, wie ihn Schriftrollen
in den Rücken piksten, Catilina hatte ihn in die Ecke gedrängt. „Was soll ich
denn gelesen haben? Dass dich Sura treffen will? Das ist doch kein Geheimnis,
wieso sollte er dir sonst über Gaius mich und Antonius Täfelchen schicken…?“
Catilina ließ sich auf eine Truhe fallen. Sein Gehetzter Gesichtsausdruck löste
sich auf. „Stimmt.“ Schon lächelte er wieder. „Hatte ich gar nicht bedacht,
immerhin ist Gaius dein Gastbruder… So, was mache ich nun mit dir?“
[…]
[Catilina nimmt Rufus kurzentschlossen mit zu einem
Treffen im Hause des Laeca mitten in der Subura, dem verrufensten Stadtteil
Roms. Dort muss er in der Dachkammer warten, bis das Treffen vorüber ist.]
Moment, war da nicht jemand an der Tür gewesen? Raschelte
das etwas bei den Kisten dahinten? Nein, wohl nur eine Katze. Der Perserkönig…
Ein Kistendeckel rutschte zur Seite. Da war noch jemand hier oben! Rufus sprang
mit einem Satz von der Liege herunter. Lebendige grüne Augen funkelten ihm
entsetzt ins Gesicht. Eine riesige schwarze Katze? Nein, doch ein Mensch,
gebückt und voller Angst - durchtrainiert und hübsch, wenn auch gerade etwas
verkrampft und wie in gebückter Haltung eingefroren. Plötzlich entspannte sich
sein Gegenüber wieder. Er nahm ein schwarzes Tuch vom Kopf und entblößte einen
Schwall rotblonder Locken, die ihm in sein braungebranntes Gesicht fielen. Er musste
einen Dolch gezogen haben, jedenfalls steckte er ihn jetzt wieder ein. Der
angstvolle Ausdruck wich einem breiten Lächeln: „Rufus! Ich hätte dich fast
nicht wieder erkannt, kleiner Namensvetter!“ „Marcus Caelius Rufus? Man sieht
dich ja kaum in dieser dunklen Tunika. Wozu denn im Sommer die langen Ärmel?
Und was machst du überhaupt hier oben?“ „Ach, ich wollte nur etwas nachsehen.
Ich bin auch eingeladen, weißt du? Da unten treffen sich ein paar Freunde…“
„Etwas nachsehen? Zeig mal…“ Rufus trat zur offenen Kiste, in der es metallisch
glitzerte. „Was ist denn das?“ „Sicheln, was erwartest du denn über der
Werkstatt eines Sichelmachers?“ Caelius schloss die Kiste schnell wieder, doch
Rufus erhaschte noch einen Blick. „Aber das sind doch keine Sicheln! Schau mal,
die Klingen in der einen sind viel zu lang!“ „Altmetall!“ „Altmetall?“ „Ja,
Altmetall. Wer Sicheln gießen will, braucht auch Metall, oder nicht? Ich würde
ja noch gerne weiter plaudern, aber ich muss wieder runter. Hat mich gefreut,
Rufus…“ Damit schritt Caelius mit einer eleganten Drehung zur Tür und war auch
schon wieder verschwunden.
Rufus blickte ihm noch ein wenig verdutzt hinterher. Dann
nahm der das Öllämpchen und ging wieder zu den Kisten, öffnete sie und
leuchtete hinein. Altmetall… konnte das sein? Dabei fand er nur Dolche und
Schwerter, in einwandfreiem Zustand. Und was war das in der nächsten Kiste?
Unter einer Lage Tücher lagen sorgfältig verpackt lauter Stoffpäckchen, die
quer an der Spitze von Stöcken mit Federn gebunden waren. Alle sahen aus wie
der Buchstabe »T«. Sie rochen seltsam, nach Schwefel und anderen eckligen
Substanzen. Rufus legte sie schnell in die Kiste zurück und schloss sie wieder.
Er konnte sich keinen Reim darauf machen. Waren das Pfeile? Aber wozu dann die
stumpfen und stinkenden Spitzen? Seltsam.
Schließlich ging Rufus zur Liege zurück und nahm den
Herodotos wieder auf. Doch machte sich jetzt seine Müdigkeit immer stärker
bemerkbar. Die Buchstaben schienen immer mehr zu verschwimmen. Inzwischen
überflog Rufus bereits die zweite Schriftrolle des Herodotos, doch war noch
immer nichts über die Kelten in seiner Heimat zu finden. Perser, Zug nach
Ägypten, Nil… Das sagte Rufus alles gar nichts. Doch halt, da hatte jemand
etwas auf Latein vermerkt, direkt über dem Wort »Istros« […]
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Gaius platzte mit
roten Backen herein. Er atmete schwer, eine dunkle Locke klebte auf seiner
verschwitzten Stirn. Sein rechter Unterarm war verbunden, eine wenig Blut
sickerte durch und ließ einen kurzen, geraden Schnitt vermuten. Er hatte noch
immer einen blutigen Dolch in der Hand. Dennoch schien er glücklich, nein,
geradezu stolz. Seine Augen glänzten euphorisch. „Komm!“, rief er. „Besuchen
wir die Unterwelt!“
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Impression aus der Cloaca Maxima (unter Beleuchtung) |
Immerhin war es hier kühler. Dafür stank es bestialisch.
Rufus bückte sich. Er musste einem Steinbogen ausweichen, der für seinen Kopf
eindeutig zu niedrig war. Gaius schlüpfte durch eine Bresche im Mauerwerk.
Rufus sog scharf die verpestete die Luft ein und hielt sich die Nase zu. „Pass
doch auf, beim Iupitter!“ Gaius hatte Rufus gerade noch erwischt, bevor er in
den dunklen Strom gefallen wäre. Die Öffnung führte zwar zu einem recht breiten
Gewölbe, doch trennten sie lediglich ein paar am Rand angebrachte alte
Holzplanken von dem darunter fließenden Gewässer. Rufus war ausgerutscht und
gestolpert. Das war eindeutig nicht der Istros. Aber was war das dann? Der
Tiber wohl kaum. „Vorsichtig jetzt. Ein paar der Planken sind schon morsch.
Lass bloß nicht die Laterne ausgehen!“, mahnte Gaius. „Sonst ist es um uns
geschehen!“ Rufus sah sich ängstlich um. Unter ihnen spiegelte sich das Licht
der Laternen wie zwei Irrlichter, umgeben von einer halbrunden Röhre aus festen
Steinquadern. Nur ganz selten lagen die Bretter auf einem Steinvorsprung auf,
meist waren sie notdürftig in der Wand verankert. Ein kleiner Kahn war hier an
den Planken festgemacht. „Komm jetzt, nicht ins Boot. Wo wir hoch wollen, kommt
man nicht mit einem Boot hin. Aber falls eine Laterne ausgehen sollte -was
Mercurius verhüten soll!-, brauchen wir auf jeden Fall die andere. Also pass
gut darauf auf!“ Vorsichtig setzte Rufus Schritt an Schritt. „Wo zum Pluto sind
wir hier überhaupt?“ Sein Ausruf hallte in unheimlichem Echo von den Wänden
wieder. Rufus zuckte zusammen. Gaius lachte. „Riecht man das nicht? Eine cloaca
ist kein Triumphbogen- so sagt das Sprichwort. Willkommen in der Kanalisation!“
„cloaca - Kanalisation?“ „Ja, sagte ich doch! Habt
ihr etwa keine? Ich dachte, dein Stamm kennt auch Städte. Habt ihr etwa keine
Toiletten?“ Rufus wurde rot. So hygienisch wie in Rom ging es natürlich weder
bei den Ubiern noch bei den Kelten zu - nicht einmal bei den Galliern in Bibracte.
Man machte einfach in ein Plumpsklo im Garten. „Hier kommt also alles raus,
was…“ Gaius zog amüsiert eine Augenbraue nach oben. „Ja, was hinten rauskommt
eben. Und das fließt von hier weiter zum Tiber. Das Haus meines Vaters ist
nicht das einzige, was an die Abwasserleitungen angeschlossen ist. Toiletten,
Küchenabfälle, Bäder, auch die Entwässerung der Straßen - alles landet in der
Kanalisation und wird dann in den Tiber gespült.“ „Beim Apollo, dann sollte man
da wohl weniger baden!“
Gaius lachte. „Deswegen mag ich dich einfach, kleiner
Barbar, deshalb mag ich dich.“ „Sag mal Gaius, wieso müssen wir denn unbedingt
hier entlang? Und wenn wir von hier nach Hause kommen, wo ist denn da der
Eingang? Den kenne ich gar nicht!“ „Denn kennst du nicht? So was aber auch!
Muss wohl daran liegen, dass es ein Geheimgang ist, sorgfältig versteckt, wie
im Haus des Laeca. Wäre doch ein Jammer, wenn den jeder kennt!“ „Aber wer
braucht denn einen Geheimgang dahin, wo die… also wo…, na, du weißt schon!“ „Die
Plankenwege waren auch nicht von Anfang an da. Die Eingänge nach hier unten
auch nicht. Hat man vor über zwanzig Jahren zur Kanalisation hin gegraben.
Während der Bürgerkriege: Das hat tatsächlich dem einen oder anderen Patrizier
das Leben gerettet.“ „Das verstehe ich nicht. Bürgerkriege? Da hat man doch
sicher auf dem Schlachtfeld gekämpft – aber auch in der Kanalisation?“ Gaius
musste lachen, die Laterne wackelte bedenklich. „Nein, natürlich nicht“,
prustete er. „Hat dir Crispus nichts über Marius und Sulla erzählt?“
Das Brett unter ihren Füßen federte unangenehm nach.
„Marius und Sulla?“ „Ja, Marius und Sulla und vor allem die sullanische
Restauration. Der Grund, warum wir Catilina so nötig haben! Pompeius und
Crassus, selbst ehemalige Lieblinge und Generäle Sullas haben zwar viele der
Beschränkungen von Sullas Regime wieder abgeschafft, aber immer noch drückt die
Nobilität das Volk nieder. Blutigste Bürgerkriege – Marius gegen Sulla,
»Populare« gegen »Optimaten«.“ Die Laternen warfen ein unheimlich waberndes
Licht auf die Wasseroberfläche und die behauenen Steine des Tunnelganges.
Vorsichtig wechselten sie von einer Planke auf einen kurzen steinernen
Vorsprung. „Bürgerkriege… Römer gegen Römer, Gastgeber gegen Gastfreund, Bruder
gegen Bruder, Vater gegen Sohn… kannst du dir so etwas überhaupt vorstellen?“
Rufus zuckte mit den Achseln. „Weiß nicht. In meiner
Familie jedenfalls nicht…“ Dann dachte er an den Verräter Harimello bei den
Ubiern, den Spion der Sueben. „Wobei, manchmal weiß man nie. Wenn Geld und Ruhm
im Spiel ist…“ „Menschen verändern sich, Völker auch. Undenkbar für die maiores
- unsere Vorfahren -, aber nicht weit über unseren Köpfen entfernt standen
Pfähle mit den Köpfen von römischen Mitbürgern! Es ist keine zwanzig Jahre her
und es flossen Ströme von Bürgerblut. Vom Forum und sogar in den Tempeln und in
den Straßen - von den Straßen über die Rinnsteine und Gullys bis hier hinunter
in die Kanalisation. Ja, hier unten hier tropfte, rann und floss alles Blut der
Ermordeten zusammen.“ Rufus schauderte. Ein übler Hauch wehte ihnen entgegen.
Der dunkle Strom schien auf einmal nur noch nach Verwesung und Tod zu riechen.
IM flackernden Laternenlicht war ihm so, als ob Blutstropfen von der Decke
rannen. „Wie konnte es denn nur dazu kommen? Crispus hat uns Ennius lesen
lassen, den Dichter. Der erzählt von den Anfängen Roms und wie Rom durch die
Gunst des Schicksals und der Götter zur größten Macht des Erdkreises wurde.
Aber da hieß es immer, dass Rom wegen seiner Manneszucht und guten Sitten
aufstieg, nicht dass man sich gegenseitig abgeschlachtet hat: »moribus
antiquis res stat romana virisque« - durch alte Sitten und seine Männer
steht der römische Staat fest da…“.
„Nun, als es darum ging, ein Reich zu erobern, da hielten
noch alle zusammen. Oder besser, da hörten die Armen immer auf die Reichen und
Mächtigen und die Mächtigen bewiesen ihre Tüchtigkeit im Krieg, nicht im
privaten Luxus. So gewann man Italien, so konnte man gegen Hannibal und die
Karthager gewinnen, so eroberte man ganz Griechenland. Aber sobald die Furcht
vor dem äußeren Feind entfiel, fand auch die Selbstbeherrschung der Mächtigen
ein Ende. Noch in demselben Jahr, indem Rom sich nach außen die Herrschaft über
das gesamte Mittelmeer gesichert hatte, da waren die Probleme im Inneren nicht
mehr zu übersehen. Das war unter dem Konsulat des Publius Mucius Scaevola und
Lucius Calpurnius Piso - also vor genau siebzig Jahren. Jahrelang, wenn nicht
jahrzehntelang waren römische Bürger als Soldaten unterwegs gewesen. Als sie
nach Hause kamen und aus der Armee entlassen wurden, da hatten sie keinen Beruf
und kein Land mehr. Die Bauernhöfe ihrer Eltern waren von ihren Verwandten
übernommen, verarmt, verkauft oder zwangsversteigert worden. Reich wurden in
den Kriegen immer nur andere: Großrundbesitzer und Händler. Kleinere Bauern
verelendeten.“ Rufus dachte nach. Bei den Ubiern rühmten sich auch nur die
reichen Familien der großen Kriegszüge. „Machen Kriege immer die Armen ärmer
und die Reichen reicher?“ Gaius pfiff anerkennend durch die Zähne. „Du lernst
wirklich schnell, welch schöne Sentenz! Der Unterricht bei Crispus bekommt dir!
Aber du hast recht, jedenfalls für unsere Gesellschaft trifft es sicher zu.
Früher kannten unsere maiores nur Patrizier- den Adel - und Plebejer -
die nichtadligen Bürger – vielleicht noch die equites - die Ritter- aber
das sind auch nur reiche Plebejer. Die Armen wurden aber immer ärmer. Die
Besitzlosen bilden seitdem eine neue Schicht, die der proletarii, der
Proletarier. Und manch glückloser verarmter Patrizier steht nun den
Proletariern näher, als seinem Geburtsstand.“
„Und das hat niemand versucht zu ändern?“ „Doch, die
Gracchen! Obwohl ihre Familie selbst einer der reichsten und mächtigsten
Familien Roms war. Sie haben sich zu Volkstribunen wählen lassen und wollten
mit Ackergesetzen helfen, Staatsland an Bedürftige verteilen und so weiter.
Unter dem Konsulat des Scaevola und Piso ging es los: Zuerst hat der
Volkstribun Tiberius Gracchus versucht, die drängendsten Probleme zu lösen,
dann sein Bruder Gaius. Mit der Verteilung von Staatsland sollten die
ehemaligen Soldaten und Besitzlosen wieder Bauern werden. Das ganze Elend
sollte ein Ende haben. Wer täglich Arbeit und Brot hat, der muss schließlich
weder stehlen noch morden. Außerdem braucht Rom eine Mittelschicht, woher
sollen sonst die Soldaten kommen, die für ihr Land und für Heim und Herd
kämpfen, wie früher gegen Hannibal?“
Und, hat das funktioniert?“ „Nein, sie wurden
umgebracht!“ „ Wieso das denn, wer konnte denn da etwas dagegen haben?“ Gaius
lachte bitter. „Na, überlege einmal! Dieselben, die auch heute noch etwas
dagegen haben: Dieselben, die Catilina und jegliche Reformen blockieren. Viele
der konservativen Senatoren waren dagegen, oder optimi viri – die Besten
- Optimaten, wie sie sich selbst nennen, oder wie Cicero sie nennt.
Cicero!“Gaius spuckte wütend aus. „Unser geschätzter Konsul und Freund unser
Familie! Erst Anfang dieses Jahres hat er ein neues Ackergesetz zum Scheitern
gebracht, die Landreform des Rullus. Dabei galt Cicero früher einmal als Idealist,
als homo novous! Aber als Emporkömmling hat er sich ganz schnell die
Haltung der großen alten Familien zu Eigen gemacht – und erst recht ihre
Arroganz! Dabei haben sie so lange versucht, ihn von der Macht fernzuhalten…
erst Catilina hat ihnen genug Angst gemacht, ihn zum Konsul zu wählen…“ „Aber
was war denn nun mit dem Ackergesetz? Wer kann um alles in der Welt dagegen
sein, Probleme der Gesellschaft zu lösen?“ „Richtig, das Ackergesetz. Seit den
Gracchen ein Kernpunkt der populares, der politischen Richtung der
»Volksfreunde«. Kurz, damals wie heute waren die großen alten Senatoren dagegen
– schon aus Prinzip der Konservativen. Dass manche von ihnen einen kleinen Teil
des Staatslandes selbst gepachtet haben, ist jedenfalls kein triftiger Grund.“
Aber was dann?“ „Na denk doch einmal nach! Was bedeutet denn die Versorgung von
armen Soldaten und Bürgern mit Land? Denk doch an das Klientelverhältnis!“
Rufus setzte vorsichtshalber die Laterne am Boden ab, als
er auf den nächsten Steinvorsprung wechselte. Da begann es Rufus zu dämmern:
„Beim Iupitter! Was für ein Machtgewinn für den, der ein solches Gesetz
durchbringt! Schutz gegen Treue: Eure Klienten, die den ganzen Morgen auf ihren
Patron warten… Ein mächtiger Römer wie euer Vater hilft seinen Klienten bei
rechtlichen Fragen, bietet ihm Sicherheit und Schutz - und sie wählen dann den
Mann, den er bestimmt: wenn nicht ihn selbst, dann seinen Parteifreund. Und
wenn ich an die ganzen kleinen Leute denken, die von euch sportulae
bekommen, Körbe mit Essen und Geld – ja, dass ihr diejenigen versorgt, die
nicht auf eigenen Beinen stehen können: Ein Patron bietet ja auch Lebenshilfe
und vertritt den Klienten vor Gericht wie Gnaeus Cornelius Lentulus Clodianus
auf dem Forum! Ein Patron berät die Klienten und kümmert sich um ihre
Versorgung, notfalls indem er Land und Geld leiht.“ „Sicher“, stimmte Gaius
finster zu, „dafür begleiten die Klienten ihrem Patron in der Menge, notfalls
als Schläger, sie bieten ihm auch körperliche Sicherheit, absolute Treue und
Wahlhilfe, sie bilden seine Gefolgschaft, begleiten ihn in der Öffentlichkeit
und helfen beim Wahlkampf. Vor allem werden sie immer ihren Patron und dessen
Freunde wählen und ihm notfalls bewaffnet zur Seite stehen.“ „Das ist der
Grund, warum viele dagegen sind? Eine Vergrößerung der Macht beim Gegner zu
verhindern, ist den Politikern wichtiger, als die Lösung eines Sachproblems?“
Eine Weile gingen sie schweigend weiter. der Kanal teilte
sich jetzt häufiger und wurde schmaler. An der nächsten Abzweigung gab es zwei
Plankenreihen. Gaius suchte nach seiner Markierung, fand sie und folgte
beruhigt der sanften Steigung. Rufus grübelte. Schließlich fragte er: „Aber
deswegen braucht man sich ja nicht gleich die Köpfe einzuschlagen oder gar auf
Spieße zu stecken! Wie kam es denn dazu?“ „Nun die konservativen Senatoren
hatten Angst, dass die Volkstribunen ihre Gesetze weiter bei der
Volksversammlung einbringen würden, nicht bei der zur Konsulwahl, sondern bei
der andern, bei der alle Stimmen gleich viel zählen. Da hatten sie berechtigte
Angst, dass die Gracchen weiter gewinnen würden. Aber die Ermordung der
Gracchen und ihrer Anhänger hat die Probleme des Volkes natürlich nicht gelöst.
Es gab noch weiterhin viele Kriege gegen fremde Völker, darunter erbarmungslose
Feinde Roms. Hast du zum Beispiel einmal von den Kimbern und Teutonen gehört?
Die kamen doch aus der Gegend deines Stammes, oder?“
Misstrauisch beäugte Rufus ein paar vorbeihuschende
Ratten. „Nein, weiter nördlich! Mein Onkel hat mir darüber ganze Gesänge
vorgetragen, wie ein Heuschreckenschwarm kamen sie über das Volk der Kelten,
niemand konnte sie bezwingen…“ „Ist gut, dann kennst du ja diese mordlustigen
Barbaren. Die Niederlage zweier Heere war für uns natürlich ein Schock. Über
vierzig Jahre ist das her. Bis dahin mussten unsere Soldaten ihre Ausrüstung
immer selbst finanzieren. Jetzt waren aber nicht mehr genügend Soldaten da:
Waffen kosten Geld! Außerdem war die Versorgung der Soldaten nach dem Krieg
ungeklärt. Während der Panik nach den großen Niederlagen in Noreia, Agennum und
in Arausio konnte General Marius etwas durchsetzen: In seinem Afrikafeldzug
gegen den Numiderfürsten Jugurtha hat er etwas ausprobiert, etwas Neues, etwas
Unerhörtes: Zum ersten Mal wurden Besitzlose eingezogen, arme Bürger zu
Soldaten gemacht. Seitdem zahlt der Staat Waffen und Rüstung. Die Soldaten
werden aus praktischen Gründen direkt vom Feldherrn versorgt, durch Beute oder
seinen Privatbesitz. Meist übernimmt die Staatskasse die Kosten, oft über eine
nachträgliche Auszahlung. Die Bürgerarmee ist zur Berufsarmee geworden. Damals
schien es die Lösung, in der Folge wurde genau das zum neuen Problem. Verstehst
du warum?“
„Der Feldherr wurde zum neuen Patron? Riesige Heere,
tausende Exsoldaten, die ihrem Feldherrn Treue schwuren und von ihm versorgt
wurden… ehemalige Feldherren bekommen seitdem ein großes Klientel hinzu, einen
riesigen Zuwachs an Wählerstimmen?“ „Nicht nur als Wähler! Ihre Loyalität, ihre
Treue gilt nicht mehr dem römischen Staat, sondern nur noch dem Feldherrn!
Erfolgreiche Feldherrn werden immer auch erfolgreiche Politiker.“ „Also
bekommen Feldherrn zu viel Macht in der Politik?“ „Ja. Das ist bis heute so,
denk nur, wenn Pompeius »der Große« mit seinem Riesenheer aus dem Osten
zurückkehrt: nicht auszudenken, wenn er die alle bis nach Rom führt… Am
Schlimmsten war es bisher bei Marius und Sulla: Früher kämpften sie gemeinsam
gegen Jugurtha, dann gegen Kimbern und Teutonen und im Bundesgenossenkrieg. Der
reiche Plebejer Marius und der verarmte Patrizier Sulla wurden sogar Freunde.
Doch war ihnen ihre eigene Macht noch wichtiger. Also suchten sie sich
unterschiedliche Verbündete im Senat. Sulla, der wieder zu Geld gekommen war,
suchte die Nähe der alten Adligen, Marius deren Gegner und alte Anhänger der
Gracchen. So kämpften sie erst im Senat für eine Gruppe und deren ehrenhaft
klingenden Schlagwörter: Für Ordnung oder Freiheit, für Senat oder Volk von
Rom.“
„Kämpften sie nicht vielmehr für ihre eigene Macht?“
Gaius lächelte. „So würde das Vater hinter vorgehaltener Hand vielleicht auch
sagen. Vor seinen Parteifreunden würde er aber sicher Sulla als ehrenhaften
Retter des Staates herausstellen. Manch anderer eher den Marius – ich auch und
im Moment sogar Catilina, obwohl er einst Offizier Sullas war … Jedenfalls
blieb es nicht bei den politischen Kämpfen. Am Ende standen blutige
Bürgerkriege: die Popularen für das Volk gegen die Optimaten für die
Senatsmacht. Die mächtigen Senatoren, die ehemaligen Generäle mit ihren vielen
ehemaligen Soldaten, die ihnen blind folgten, zogen in den Bruderkrieg mit
wechselndem Geschick. Als Marius in Rom herrschte, gab es ein Blutbad, nach
dessen Schlaganfall übernahm der Tyrann Cinna: erneut ein Blutbad. Und als
Sulla schließlich siegreich aus dem Osten zurückkehrte, musste er sich den
Zugang zur Stadt in der Schlacht an der porta collina blutig erkämpfen.
Seine Generäle verdienten sich blutrünstige Namen: Pompeius und Crassus.“
„General Pompeius? Gnaeus Pompeius der Große?“ Tja,
damals hieß er noch nicht »der Große«, man nannte ihn »den jungen Schlächter«,
weil er damals keine Gnade kannte. Aber am Schlimmsten war SULLA.“ Gaius ließ
das Wort mit verächtlichem Echo im Gewölbe umherdröhnen. Rufus zuckte zusammen.
„Sulla Felix - »der Glückliche«. Sulla hing Listen seiner Feinde aus,
»Proskriptionslisten«: Wer immer einen Proskribierten erwischte, durfte ihn
straflos töten und bekam eine Belohnung vom Staat. Auf dem Forum hingen die
Köpfe der Feinde Sullas an langen Stangen. Ihr Besitz wurde versteigert.
Niemand wagte es, mehr zu bieten, wenn Sullas Freunde ein Anwesen für sich
selber haben wollten. Crassus ist so unendlich reich geworden. Seltsam, dass
ausgerechnet Crassus Catilina im Wahlkampf unterstützt hat…“
„Und deswegen hat man im Haus des Laeca und bei den
Fabiern die Geheimgänge zur Kanalisation gegraben?“ „Genau. Viele mussten
damals damit rechnen, mit abgetrenntem Kopf auf Spießen am Forum zu enden.
Zuerst unter Marius, dann unter Sulla. Da lag die Idee nahe, sich einen letzten
Fluchtweg zu graben. Ein paar sollen aber hier unten verloren gegangen sein und
den Ausweg nicht gefunden haben. Man sagt, ihre ruhelosen Geister, die Lemuren,
haben sich mit den im Bürgerkrieg Ermordeten zusammengetan und machen jetzt die
Kanalisation unsicher“. Rufus schauderte. Instinktiv zog er den Kopf ein und
beäugte misstrauisch die Schatten an den Wänden. Gaius sah sich nach Rufus um,
dann lachte er auf.
„Keine Angst. War doch nur ein Scherz! Glaubst du an
ruhelose Geister? Ich habe noch keinen gesehen! Jedenfalls befürchten viele
Bürger bei Catilina wieder Ähnliches.“ „Und – haben sie einen Grund dazu?“
Gaius lächelte grimmig. „Das könnte tatsächlich der nächste Bürgerkrieg werden,
aber nur wenn sich die Sturköpfe von Konservativen weiter gegen die Reformen
stellen! Isauricus, Cato und die ganze Bande! Und Catulus! Catulus einer der
schlimmsten und das obwohl er ein Freund und fast schon so etwas wie ein Patron
Catilinas war! Sie haben Lügen und Propaganda über Catilina ausgeschüttet, als
sei er ein Monster!“ Gaius drehte immer öfter den Kopf zu Rufus um, anstatt auf
den Weg zu achten. Dabei gestikulierte er lebhaft mit seinen Armen, wie beinahe
alle Römer. Die Laterne drohte mehrfach auszugehen. „Mir wäre wohler, wenn du
wieder nach vorne schauen könntest“, merkte Rufus vorsichtig an. Solange Gaius
so wackelte, tanzten die Schatten wie Geisterarmeen, die sich gegenseitig
abstachen, an den Wänden. „Außerdem - bei so vielen Geschichten, meinst du
wirklich, dass Catilina keine dunkle Seite hat, kein Bisschen Gewalttätigkeit,
obwohl er ein Offizier Sullas war?“ Gaius verzog das Gesicht. „Nun, sicher,
auch Catilina kämpfte im Bürgerkrieg unter Sulla… Aber dass er seinen Schwager
Marius Gratidianus zu Tode gefoltert haben soll, jedes Körperteil einzeln
ausgerissen, denn Kopf eigenhändig abgeschnitten und sich im Tempel die
blutigen Hände mit Weihwasser abgewaschen… Wer soll das schon glauben – außer
eingefleischten Wählern Ciceros? Cicero, dieser alte… He, was zum Pluto…?“
Gaius war gegen etwas getreten, bleiche Gegenstände
schlitterten umher. Ratten stoben davon. Etwas fiel klatschend ins Wasser,
etwas Größeres kullerte ein wenig vor, blieb dann liegen und blickte ihnen mit
offenem Mund ins Gesicht. Rufus erkannte es sofort: Es war ein Totenschädel.
Gaius riss die Augen auf, eine knöcherne Hand kam auf seinen Zehen zum Liegen.
„Hilfe, ein Lemur!“ „Ganz ruhig, das ist doch nur ein lebloses Skelett!“ Doch
Gaius versuchte heftig die Hand abzuschütteln, rutschte dabei auf einem Knochen
aus und ruderte wild mit den Armen, so dass seine Laterne erlosch. Rufus
versuchte Gaius mit seiner Rechten zu packen, bekam jedoch nur einen Schlag der
rudernden Arme ab und verlor seine Laterne. Blechern hüpfte sie über den
gemauerten Boden, flackerte noch einmal auf, dann wurde es vollkommen dunkel.
„Verflucht sei Cicerooo…!“
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