Die „Rufus“-Reihe soll jeder verstehen und genießen können, Jugendliche und Erwachsene, Studierte und Nichtstudierte. Wer sich im Roman auf fremde Welten einlässt, der wird auf unterhaltsame Weise ganz automatisch kennenlernen, was die damalige Zeit so alles zu bieten hatte - und lernt beim Lesen wie von selbst. Alles so authentisch und historisch korrekt wie möglich zu erzählen und dabei spannend zu bleiben, das ist mein Ziel.
Die „AMORES - Die Liebesleiden des jungen Ovid“ sind dagegen nicht immer ganz jugendfrei (wie auch die Originalverse Ovids und seiner Zeitgenossen). Der Laie kann sich über die „moderne“ Sprache & Handlung freuen, der Fachmann über zahlreiche Anspielungen und intertextuelle Scherze.
Auf dem Blog zeige ich einen Blick hinter die Kulissen. Dabei gebe ich auch Hintergrundinformationen über Politik und Alltagsleben der späten Republik und frühen Kaiserzeit in Rom und einiger Kelten- und Germanenstämme.
Feste Probeleser aus verschiedensten Altersgruppen haben bereits die ersten Bände gelesen. Die Rückmeldungen setze ich um. Sehr gute Feedbacks kamen dabei nicht nur von Universitätsprofessoren und anderen Fachleuten sondern gerade auch von Schülerinnen und Schülern - vielleicht demnächst auch von dir? Gerne nehme ich jede gute Anregung auf (Rufus.in.Rom@gmail.com)...

Montag, 28. April 2014

VI. Catilina. Leseprobe aus "Geheimnisse in Rom"


Hier folgt ein Auszug aus dem sechsten Kapitel (aus dem zweiten Band gibt es bisher Ausschnitte zum ersten, zweiten, dritten, vierten und fünften Kapitel). Anregungen und Kommentare sind wie immer erwünscht (Rufus.in.Rom@gmail.com)!

Kapitel VI: Catilina
[…]
[Gaius geht mit Rufus den jungen Marcus Antonius wecken, was gar nicht so einfach ist. Dessen Stiefvater Lentulus Sura, der Stadtprätor, hat einen geheimen Auftrag für ihn: Sie sollen eine versiegelte Nachricht überbringen…]
            Kaum hatte sich die Türe zu dem schummrigen Gang geschlossen, da sprang Marcus Antonius mit einem Satz auf beide Verfolger los. Sie wehrten sich heftig, doch noch bevor Rufus eingreifen konnte, hatte sich Antonius je einen von ihnen unter den Arm geklemmt. „Beim Herkules, Marcus, nicht so fest! Wehe wenn ich erst so alt bin wie du, dann packe ich gleich vier von deiner Sorte. Ah…Sei gegrüßt, Rufus.“ Jetzt erkannte Rufus den kleineren der zappelnden Jünglinge: Ventidius Pollio. Ein reicher Sohn eines Freigelassenen, gleichaltrig zu Gaius, immer mit dabei und ein entsetzlicher Angeber. „Seid gegrüßt, Pollio und Curio“. Lachend ließ Antonius Pollio und den lächelnden Curio los. Gaius Scribonius Curio, erinnerte sich Rufus. Curio fiel Antonius nun seinerseits um den Hals und versuchte seinen Freund in den Schwitzkasten zunehmen. „Na, wie geht’s dir, Schätzchen?“ Curio drohte jedoch an der bärigen Statur des Antonius zu scheitern, da drückte er ihm kurzerhand einen schmatzenden Kuss auf. „Beim Herakles!“ Mit Getöse gingen sie zu Boden und rissen Rufus, Pollio und einen Bronzevase mit sich, die scheppernd von einer Truhe fiel.
            „Was bringt mir dieser Tag für Einbrecher! Oder eher Zerbrecher?“ begrüßte sie eine melodische Stimme vom Ende des Ganges her. „Curio, Antonius, Pollio! Das hätte ich mir auch gleich denken können, das ihr das seid, die nichts ganz lassen wollen.“ Der muskulöse Mann musterte sie mit in die Hüften gestemmten Händen und einem freundlichen Lächeln. Seinen kräftigen Unterkiefer und seine Oberlippen zierte der gleiche Bart, den er schon bei Marcus Caelius, Cethegus und Curio gesehen hatte. Rufus wollte sich erst wundern, dass ein wachhabender Sklave so freimütig mit herrschaftlichen Gästen sprach, dann erst bemerkte er, dass der Mann den goldenen Ring eines Patriziers trug. „Selber schuld, Lucius“, entgegnete Curio, du hast uns schließlich eingeladen. Aber sag, was gibt es bei dir schon Wertvolles zu zerbrechen, was du noch nicht versetzt hast?“ »Lucius« zuckte lachend mit den Achseln und wies auf die verräterischen Stellen an der Wand, an denen die Farbe kräftiger war, als an der Umgebung. „Da ist was dran. Kommt…“
            Rufus hob schnell die Täfelchen auf, die Antonius heruntergefallen waren. Schade, das Siegel war aufgegangen. Wie beiläufig fiel sein Blick auf den Text. »…Laeca. Heute Abend…Gasse der Sichelmacher«. Dann klappte er sie wieder zu und folgte den anderen. Auf dem Weg zum Triclinium fiel Rufus auf, dass es noch weitere solche Stellen gab, an denen früher einmal Möbel oder Statuen gestanden haben mussten. Ansonsten verriet das Haus eine schlichte aber edle Eleganz. Die erdigen Farben der Wandbemalungen waren perfekt aufeinander abgestimmt, die Mosaike makellos. Türen und Türstürze waren einwandfrei geschnitzt und glänzten in dunkler Politur. Vor einem großen rechteckigen Bild blieb Rufus stehen. Es hing an einem Holzrahmen direkt an der Wand und war so lebensecht und plastisch gearbeitet, dass es Rufus schien, als wollten die Figuren aus der Wand klettern. „Enkaustik“, rief Lucius. „Es zeigt die Sergii, wie sie zusammen mit Aenaeas aus Troja nach Italien kamen.“ „Kommt das aus dem Griechischen »enkauston« – eingebrannt?“ „Ja. Heißes Wachs, Spachtel und glühende Eisen. Es ist wie wenn man die eigenen Gedanken mit Feuer unvergänglich auf die Malfläche einbrennt. Kannst du ruhig anfassen, morgen wird es sowieso verkauft.“ Vorsichtig fuhr Rufus mit dem Zeigefinger über das Bild. Es fühlte sich tatsächlich ein wenig wie Bienenwachs an. Lucius lachte, kam auf ihn zu und wuschelte ihm durch die Haare. „Ganz schön frech für einen Sklaven! Du bist noch nicht lange im Haus meines Freundes Sura, oder? Du gefällst mir! Geh in die Küche und lass dir ein Honigplätzchen geben – ich bestehe darauf!“ Rufus wurde rot, wagte aber nichts zu sagen. Ihm war die Ähnlichkeit zu den Vorfahren auf dem Bild aufgefallen. Die Sergii! Dann musste er es doch sein: Dieser Lucius war niemand anders als Lucius Sergius Catilina!
[…]
[Im Hause des Catilina glühen die Würfelbecher. Catilina erweist sich als äußerst charmanter und zuvorkommender Gastgeber. Als er zufällig herausfindet, wer Rufus wirklich ist, wird Catilina neugierig...]
            „Aber hier ist doch gar kein Bild!“ Überrascht starrte Rufus im Halbdunkel auf die Umrisse von deutlich leuchtenderen Farben an der zentralen Wand. Davor stand ein schwerer Schreibtisch. Es roch nach Pergament, Papyrus, Leder, und altem Holz. Aber nicht nach Wachs. „So, wirklich?“, antwortete Catilina gedehnt. Rufus sah sich ein wenig um: An den restlichen Wänden standen größtenteils Regale aus dunklem Holz, in dessen Politur sich der Schein der Flamme widerspiegelte. In kunstvoll geschnitzten Aushöhlungen lagen Papyrusrollen, gestapelt wie in einem Taubenschlag. Catilinas Bibliothek schien jedoch weniger ordentlich, als diejenige der Fabier. Nicht alle Papyri steckten in Lederzylinder, teils lagen sie ganz offen, teils in Weidenkörben und immer wieder gab es große Lücken oder gar ganz leere Fächer. Eine seltsame Stimmung hing über dem Raum. Den Umrissen nach waren die Wände zuvor bis fast an die Decke zugestellt gewesen. Vielleicht standen dort ein paar große Holzschränke? Einer war noch zu sehen. Im unruhigen Flackern des Lämpchens sah er fast so aus, als ob er sich davonmachen wollte. Rufus spürte einen Lufthauch in seinem Nacken. Gespenstisch. Als ob die restlichen Möbel, Schrank, Regale, Tisch und Truhen alle vorhätten, sich jeden Augenblick davon zu machen. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Reflexartig drehte er sich um, doch da stand nur Catilina. Hinter dem erhobenen Licht konnte Rufus seinen Gesichtsausdruck nicht recht deuten. Seltsamerweise hatte Catilina keinen Sklaven zur Bibliothek geschickt und trug das Öllämpchen selbst. Man konnte zwar auch so die rechteckigen Flecken erkennen, wo einmal Bilder gehangen haben mussten. Aber warum machte Catilina nicht mehr Licht?
            „Ah, du hast recht. Verzeih mir junger Gallier, ich hatte ganz vergessen, dass ich die Bilder verkauft habe.“ Rufus kniff die Augenbrauen zusammen und verschränkte die Arme. Catilina schmunzelte. „Ich bitte dich abermals um Verzeihung. Du hast mir ja gerade im Gang erzählt, dass du gar kein Gallier bist, obwohl du aus dem fernen Norden kommst… Ts ts ts, kein weiteres Bild und dann auch noch ein unaufmerksamer Gastgeber. Wie wäre es, wenn ich dich für meine Unaufmerksamkeit entschädige? Aber mit einer Buchrolle doch wohl kaum, oder?“ „Doch, ich würde gerne selbst eine besitzen!“ Catilina lachte: Dann suche dir eine aus! Vielleicht nach der Farbe?“ Er stemmte eine seiner kräftigen Hände in die Hüfte und musterte Rufus genau. Rufus sah ihn ein wenig unsicher an, sagte aber nichts.
            Catilina schien ihn noch immer zu beobachten „Ein Stamm weit im Norden… Vermutlich lebt ihr dort unter freiem Himmel, in Zelten oder in Wagen, wie die Skythen?“ „Nein! Auch bei uns Ubiern gibt es Städte…“ Catilina kratzte sich mit der freien Hand hinter seinem Ohr. „Interessant. Städte im fernen Norden. Das erinnert mich an eine Stelle bei Herodotus, dem großen Vater der Geschichtsschreibung. Herodotus hat sich über die Quelle dieses Istros, des Danuvius, Gedanken gemacht – im zweiten oder dritten Band, glaube ich. Wenn mich nicht alles täuscht, erwähnte er dabei sogar eine barbarische »Stadtanlage«. Bei den »Kelten« und bei »Pyrene« soll der große Strom des Danuvius entspringen. Demnach wären Danuvius und Ister derselbe Fluss…“ Rufus war beeindruckt. Catilina dachte offensichtlich immer mit und konnte sich einfach an alles erinnern. „Ein Buch über die Kelten im Norden, jenseits der Gallier? Das würde ich sehr gerne sehen!“ „Gerne, nimm es nur heraus! Die Bibliothek ist alphabetisch geordnet, das heißt, das was von ihr übrig ist. Warte, ich mache dir ein wenig mehr Licht...“
            Catilina zündete mehrere Öllampen an einem Reifen an, der an einer schlichten Kette von der Decke hing und stellte das Öllämpchen auf den Tisch. „Früher stand hier einmal eine Bronzestatue einer tanzenden Frau als Leuchter. Die war so hübsch bemalt, man dachte jedes Mal, sie würde sich gleich bewegen. Jetzt gehört sie Crassus…“ Rufus suchte bereits die kleinen Index-Kärtchen ab, die an jeder Schriftrolle an einer Schnur befestigt waren und Autor wie Titel angaben. Mal sehen, stand das Buch bei »H / h« oder bei »E / e«, da es bei den Griechen nur einen Akzent für das schwach behauchte »H« gab? Rufus hoffte inständig, dass er noch nicht verkauft war, bei »E« klafften nur noch große Lücken. „¹ Heureka - Ich hab’s gefunden!“, rief er auf Griechisch und dreht sich triumphierend zu Catilina um. Sogleich zuckte Rufus zusammen. War das noch die gleiche Person, die sich da drohend vor ihm aufgebaut hatte? Catilinas blaue Augen leuchteten nicht mehr gütig, sondern hatten ein gehetztes Funkeln angenommen. „Dachte ich mir, du kannst es also doch!“ Catilina verschränkte die Arme vor seiner breiten Brust wobei er seine Oberarmmuskeln hin und her drückte. Vom freundlichen und charmanten Gastgeber war nichts mehr zu erkennen. „Was weißt du über Suras Nachricht? Wie viel hast du gelesen? An welche Namen kannst du dich erinnern?“ Seine Stimme klang eiskalt und gefährlich.
            Rufus fielen die Schriftrollen aus der Hand. Langsam wich er zurück. Catilina rückte mit gesenktem Kopf näher an ihn heran, die Arme wie bei einem lauernden Ringer weit geöffnet. Rufus spürte, wie ihn Schriftrollen in den Rücken piksten, Catilina hatte ihn in die Ecke gedrängt. „Was soll ich denn gelesen haben? Dass dich Sura treffen will? Das ist doch kein Geheimnis, wieso sollte er dir sonst über Gaius mich und Antonius Täfelchen schicken…?“ Catilina ließ sich auf eine Truhe fallen. Sein Gehetzter Gesichtsausdruck löste sich auf. „Stimmt.“ Schon lächelte er wieder. „Hatte ich gar nicht bedacht, immerhin ist Gaius dein Gastbruder… So, was mache ich nun mit dir?“
[…]
[Catilina nimmt Rufus kurzentschlossen mit zu einem Treffen im Hause des Laeca mitten in der Subura, dem verrufensten Stadtteil Roms. Dort muss er in der Dachkammer warten, bis das Treffen vorüber ist.]
            Moment, war da nicht jemand an der Tür gewesen? Raschelte das etwas bei den Kisten dahinten? Nein, wohl nur eine Katze. Der Perserkönig… Ein Kistendeckel rutschte zur Seite. Da war noch jemand hier oben! Rufus sprang mit einem Satz von der Liege herunter. Lebendige grüne Augen funkelten ihm entsetzt ins Gesicht. Eine riesige schwarze Katze? Nein, doch ein Mensch, gebückt und voller Angst - durchtrainiert und hübsch, wenn auch gerade etwas verkrampft und wie in gebückter Haltung eingefroren. Plötzlich entspannte sich sein Gegenüber wieder. Er nahm ein schwarzes Tuch vom Kopf und entblößte einen Schwall rotblonder Locken, die ihm in sein braungebranntes Gesicht fielen. Er musste einen Dolch gezogen haben, jedenfalls steckte er ihn jetzt wieder ein. Der angstvolle Ausdruck wich einem breiten Lächeln: „Rufus! Ich hätte dich fast nicht wieder erkannt, kleiner Namensvetter!“ „Marcus Caelius Rufus? Man sieht dich ja kaum in dieser dunklen Tunika. Wozu denn im Sommer die langen Ärmel? Und was machst du überhaupt hier oben?“ „Ach, ich wollte nur etwas nachsehen. Ich bin auch eingeladen, weißt du? Da unten treffen sich ein paar Freunde…“ „Etwas nachsehen? Zeig mal…“ Rufus trat zur offenen Kiste, in der es metallisch glitzerte. „Was ist denn das?“ „Sicheln, was erwartest du denn über der Werkstatt eines Sichelmachers?“ Caelius schloss die Kiste schnell wieder, doch Rufus erhaschte noch einen Blick. „Aber das sind doch keine Sicheln! Schau mal, die Klingen in der einen sind viel zu lang!“ „Altmetall!“ „Altmetall?“ „Ja, Altmetall. Wer Sicheln gießen will, braucht auch Metall, oder nicht? Ich würde ja noch gerne weiter plaudern, aber ich muss wieder runter. Hat mich gefreut, Rufus…“ Damit schritt Caelius mit einer eleganten Drehung zur Tür und war auch schon wieder verschwunden.
            Rufus blickte ihm noch ein wenig verdutzt hinterher. Dann nahm der das Öllämpchen und ging wieder zu den Kisten, öffnete sie und leuchtete hinein. Altmetall… konnte das sein? Dabei fand er nur Dolche und Schwerter, in einwandfreiem Zustand. Und was war das in der nächsten Kiste? Unter einer Lage Tücher lagen sorgfältig verpackt lauter Stoffpäckchen, die quer an der Spitze von Stöcken mit Federn gebunden waren. Alle sahen aus wie der Buchstabe »T«. Sie rochen seltsam, nach Schwefel und anderen eckligen Substanzen. Rufus legte sie schnell in die Kiste zurück und schloss sie wieder. Er konnte sich keinen Reim darauf machen. Waren das Pfeile? Aber wozu dann die stumpfen und stinkenden Spitzen? Seltsam.
            Schließlich ging Rufus zur Liege zurück und nahm den Herodotos wieder auf. Doch machte sich jetzt seine Müdigkeit immer stärker bemerkbar. Die Buchstaben schienen immer mehr zu verschwimmen. Inzwischen überflog Rufus bereits die zweite Schriftrolle des Herodotos, doch war noch immer nichts über die Kelten in seiner Heimat zu finden. Perser, Zug nach Ägypten, Nil… Das sagte Rufus alles gar nichts. Doch halt, da hatte jemand etwas auf Latein vermerkt, direkt über dem Wort »Istros« […]
            Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Gaius platzte mit roten Backen herein. Er atmete schwer, eine dunkle Locke klebte auf seiner verschwitzten Stirn. Sein rechter Unterarm war verbunden, eine wenig Blut sickerte durch und ließ einen kurzen, geraden Schnitt vermuten. Er hatte noch immer einen blutigen Dolch in der Hand. Dennoch schien er glücklich, nein, geradezu stolz. Seine Augen glänzten euphorisch. „Komm!“, rief er. „Besuchen wir die Unterwelt!“
Römisches Kanalsystem
Impression aus der Cloaca Maxima (unter Beleuchtung)
            Immerhin war es hier kühler. Dafür stank es bestialisch. Rufus bückte sich. Er musste einem Steinbogen ausweichen, der für seinen Kopf eindeutig zu niedrig war. Gaius schlüpfte durch eine Bresche im Mauerwerk. Rufus sog scharf die verpestete die Luft ein und hielt sich die Nase zu. „Pass doch auf, beim Iupitter!“ Gaius hatte Rufus gerade noch erwischt, bevor er in den dunklen Strom gefallen wäre. Die Öffnung führte zwar zu einem recht breiten Gewölbe, doch trennten sie lediglich ein paar am Rand angebrachte alte Holzplanken von dem darunter fließenden Gewässer. Rufus war ausgerutscht und gestolpert. Das war eindeutig nicht der Istros. Aber was war das dann? Der Tiber wohl kaum. „Vorsichtig jetzt. Ein paar der Planken sind schon morsch. Lass bloß nicht die Laterne ausgehen!“, mahnte Gaius. „Sonst ist es um uns geschehen!“ Rufus sah sich ängstlich um. Unter ihnen spiegelte sich das Licht der Laternen wie zwei Irrlichter, umgeben von einer halbrunden Röhre aus festen Steinquadern. Nur ganz selten lagen die Bretter auf einem Steinvorsprung auf, meist waren sie notdürftig in der Wand verankert. Ein kleiner Kahn war hier an den Planken festgemacht. „Komm jetzt, nicht ins Boot. Wo wir hoch wollen, kommt man nicht mit einem Boot hin. Aber falls eine Laterne ausgehen sollte -was Mercurius verhüten soll!-, brauchen wir auf jeden Fall die andere. Also pass gut darauf auf!“ Vorsichtig setzte Rufus Schritt an Schritt. „Wo zum Pluto sind wir hier überhaupt?“ Sein Ausruf hallte in unheimlichem Echo von den Wänden wieder. Rufus zuckte zusammen. Gaius lachte. „Riecht man das nicht? Eine cloaca ist kein Triumphbogen- so sagt das Sprichwort. Willkommen in der Kanalisation!“
            cloaca - Kanalisation?“ „Ja, sagte ich doch! Habt ihr etwa keine? Ich dachte, dein Stamm kennt auch Städte. Habt ihr etwa keine Toiletten?“ Rufus wurde rot. So hygienisch wie in Rom ging es natürlich weder bei den Ubiern noch bei den Kelten zu - nicht einmal bei den Galliern in Bibracte. Man machte einfach in ein Plumpsklo im Garten. „Hier kommt also alles raus, was…“ Gaius zog amüsiert eine Augenbraue nach oben. „Ja, was hinten rauskommt eben. Und das fließt von hier weiter zum Tiber. Das Haus meines Vaters ist nicht das einzige, was an die Abwasserleitungen angeschlossen ist. Toiletten, Küchenabfälle, Bäder, auch die Entwässerung der Straßen - alles landet in der Kanalisation und wird dann in den Tiber gespült.“ „Beim Apollo, dann sollte man da wohl weniger baden!“
            Gaius lachte. „Deswegen mag ich dich einfach, kleiner Barbar, deshalb mag ich dich.“ „Sag mal Gaius, wieso müssen wir denn unbedingt hier entlang? Und wenn wir von hier nach Hause kommen, wo ist denn da der Eingang? Den kenne ich gar nicht!“ „Denn kennst du nicht? So was aber auch! Muss wohl daran liegen, dass es ein Geheimgang ist, sorgfältig versteckt, wie im Haus des Laeca. Wäre doch ein Jammer, wenn den jeder kennt!“ „Aber wer braucht denn einen Geheimgang dahin, wo die… also wo…, na, du weißt schon!“ „Die Plankenwege waren auch nicht von Anfang an da. Die Eingänge nach hier unten auch nicht. Hat man vor über zwanzig Jahren zur Kanalisation hin gegraben. Während der Bürgerkriege: Das hat tatsächlich dem einen oder anderen Patrizier das Leben gerettet.“ „Das verstehe ich nicht. Bürgerkriege? Da hat man doch sicher auf dem Schlachtfeld gekämpft – aber auch in der Kanalisation?“ Gaius musste lachen, die Laterne wackelte bedenklich. „Nein, natürlich nicht“, prustete er. „Hat dir Crispus nichts über Marius und Sulla erzählt?“
            Das Brett unter ihren Füßen federte unangenehm nach. „Marius und Sulla?“ „Ja, Marius und Sulla und vor allem die sullanische Restauration. Der Grund, warum wir Catilina so nötig haben! Pompeius und Crassus, selbst ehemalige Lieblinge und Generäle Sullas haben zwar viele der Beschränkungen von Sullas Regime wieder abgeschafft, aber immer noch drückt die Nobilität das Volk nieder. Blutigste Bürgerkriege – Marius gegen Sulla, »Populare« gegen »Optimaten«.“ Die Laternen warfen ein unheimlich waberndes Licht auf die Wasseroberfläche und die behauenen Steine des Tunnelganges. Vorsichtig wechselten sie von einer Planke auf einen kurzen steinernen Vorsprung. „Bürgerkriege… Römer gegen Römer, Gastgeber gegen Gastfreund, Bruder gegen Bruder, Vater gegen Sohn… kannst du dir so etwas überhaupt vorstellen?“
            Rufus zuckte mit den Achseln. „Weiß nicht. In meiner Familie jedenfalls nicht…“ Dann dachte er an den Verräter Harimello bei den Ubiern, den Spion der Sueben. „Wobei, manchmal weiß man nie. Wenn Geld und Ruhm im Spiel ist…“ „Menschen verändern sich, Völker auch. Undenkbar für die maiores - unsere Vorfahren -, aber nicht weit über unseren Köpfen entfernt standen Pfähle mit den Köpfen von römischen Mitbürgern! Es ist keine zwanzig Jahre her und es flossen Ströme von Bürgerblut. Vom Forum und sogar in den Tempeln und in den Straßen - von den Straßen über die Rinnsteine und Gullys bis hier hinunter in die Kanalisation. Ja, hier unten hier tropfte, rann und floss alles Blut der Ermordeten zusammen.“ Rufus schauderte. Ein übler Hauch wehte ihnen entgegen. Der dunkle Strom schien auf einmal nur noch nach Verwesung und Tod zu riechen. IM flackernden Laternenlicht war ihm so, als ob Blutstropfen von der Decke rannen. „Wie konnte es denn nur dazu kommen? Crispus hat uns Ennius lesen lassen, den Dichter. Der erzählt von den Anfängen Roms und wie Rom durch die Gunst des Schicksals und der Götter zur größten Macht des Erdkreises wurde. Aber da hieß es immer, dass Rom wegen seiner Manneszucht und guten Sitten aufstieg, nicht dass man sich gegenseitig abgeschlachtet hat: »moribus antiquis res stat romana virisque« - durch alte Sitten und seine Männer steht der römische Staat fest da…“.
            „Nun, als es darum ging, ein Reich zu erobern, da hielten noch alle zusammen. Oder besser, da hörten die Armen immer auf die Reichen und Mächtigen und die Mächtigen bewiesen ihre Tüchtigkeit im Krieg, nicht im privaten Luxus. So gewann man Italien, so konnte man gegen Hannibal und die Karthager gewinnen, so eroberte man ganz Griechenland. Aber sobald die Furcht vor dem äußeren Feind entfiel, fand auch die Selbstbeherrschung der Mächtigen ein Ende. Noch in demselben Jahr, indem Rom sich nach außen die Herrschaft über das gesamte Mittelmeer gesichert hatte, da waren die Probleme im Inneren nicht mehr zu übersehen. Das war unter dem Konsulat des Publius Mucius Scaevola und Lucius Calpurnius Piso - also vor genau siebzig Jahren. Jahrelang, wenn nicht jahrzehntelang waren römische Bürger als Soldaten unterwegs gewesen. Als sie nach Hause kamen und aus der Armee entlassen wurden, da hatten sie keinen Beruf und kein Land mehr. Die Bauernhöfe ihrer Eltern waren von ihren Verwandten übernommen, verarmt, verkauft oder zwangsversteigert worden. Reich wurden in den Kriegen immer nur andere: Großrundbesitzer und Händler. Kleinere Bauern verelendeten.“ Rufus dachte nach. Bei den Ubiern rühmten sich auch nur die reichen Familien der großen Kriegszüge. „Machen Kriege immer die Armen ärmer und die Reichen reicher?“ Gaius pfiff anerkennend durch die Zähne. „Du lernst wirklich schnell, welch schöne Sentenz! Der Unterricht bei Crispus bekommt dir! Aber du hast recht, jedenfalls für unsere Gesellschaft trifft es sicher zu. Früher kannten unsere maiores nur Patrizier- den Adel - und Plebejer - die nichtadligen Bürger – vielleicht noch die equites - die Ritter- aber das sind auch nur reiche Plebejer. Die Armen wurden aber immer ärmer. Die Besitzlosen bilden seitdem eine neue Schicht, die der proletarii, der Proletarier. Und manch glückloser verarmter Patrizier steht nun den Proletariern näher, als seinem Geburtsstand.“
            „Und das hat niemand versucht zu ändern?“ „Doch, die Gracchen! Obwohl ihre Familie selbst einer der reichsten und mächtigsten Familien Roms war. Sie haben sich zu Volkstribunen wählen lassen und wollten mit Ackergesetzen helfen, Staatsland an Bedürftige verteilen und so weiter. Unter dem Konsulat des Scaevola und Piso ging es los: Zuerst hat der Volkstribun Tiberius Gracchus versucht, die drängendsten Probleme zu lösen, dann sein Bruder Gaius. Mit der Verteilung von Staatsland sollten die ehemaligen Soldaten und Besitzlosen wieder Bauern werden. Das ganze Elend sollte ein Ende haben. Wer täglich Arbeit und Brot hat, der muss schließlich weder stehlen noch morden. Außerdem braucht Rom eine Mittelschicht, woher sollen sonst die Soldaten kommen, die für ihr Land und für Heim und Herd kämpfen, wie früher gegen Hannibal?“
            Und, hat das funktioniert?“ „Nein, sie wurden umgebracht!“ „ Wieso das denn, wer konnte denn da etwas dagegen haben?“ Gaius lachte bitter. „Na, überlege einmal! Dieselben, die auch heute noch etwas dagegen haben: Dieselben, die Catilina und jegliche Reformen blockieren. Viele der konservativen Senatoren waren dagegen, oder optimi viri – die Besten - Optimaten, wie sie sich selbst nennen, oder wie Cicero sie nennt. Cicero!“Gaius spuckte wütend aus. „Unser geschätzter Konsul und Freund unser Familie! Erst Anfang dieses Jahres hat er ein neues Ackergesetz zum Scheitern gebracht, die Landreform des Rullus. Dabei galt Cicero früher einmal als Idealist, als homo novous! Aber als Emporkömmling hat er sich ganz schnell die Haltung der großen alten Familien zu Eigen gemacht – und erst recht ihre Arroganz! Dabei haben sie so lange versucht, ihn von der Macht fernzuhalten… erst Catilina hat ihnen genug Angst gemacht, ihn zum Konsul zu wählen…“ „Aber was war denn nun mit dem Ackergesetz? Wer kann um alles in der Welt dagegen sein, Probleme der Gesellschaft zu lösen?“ „Richtig, das Ackergesetz. Seit den Gracchen ein Kernpunkt der populares, der politischen Richtung der »Volksfreunde«. Kurz, damals wie heute waren die großen alten Senatoren dagegen – schon aus Prinzip der Konservativen. Dass manche von ihnen einen kleinen Teil des Staatslandes selbst gepachtet haben, ist jedenfalls kein triftiger Grund.“ Aber was dann?“ „Na denk doch einmal nach! Was bedeutet denn die Versorgung von armen Soldaten und Bürgern mit Land? Denk doch an das Klientelverhältnis!“
            Rufus setzte vorsichtshalber die Laterne am Boden ab, als er auf den nächsten Steinvorsprung wechselte. Da begann es Rufus zu dämmern: „Beim Iupitter! Was für ein Machtgewinn für den, der ein solches Gesetz durchbringt! Schutz gegen Treue: Eure Klienten, die den ganzen Morgen auf ihren Patron warten… Ein mächtiger Römer wie euer Vater hilft seinen Klienten bei rechtlichen Fragen, bietet ihm Sicherheit und Schutz - und sie wählen dann den Mann, den er bestimmt: wenn nicht ihn selbst, dann seinen Parteifreund. Und wenn ich an die ganzen kleinen Leute denken, die von euch sportulae bekommen, Körbe mit Essen und Geld – ja, dass ihr diejenigen versorgt, die nicht auf eigenen Beinen stehen können: Ein Patron bietet ja auch Lebenshilfe und vertritt den Klienten vor Gericht wie Gnaeus Cornelius Lentulus Clodianus auf dem Forum! Ein Patron berät die Klienten und kümmert sich um ihre Versorgung, notfalls indem er Land und Geld leiht.“ „Sicher“, stimmte Gaius finster zu, „dafür begleiten die Klienten ihrem Patron in der Menge, notfalls als Schläger, sie bieten ihm auch körperliche Sicherheit, absolute Treue und Wahlhilfe, sie bilden seine Gefolgschaft, begleiten ihn in der Öffentlichkeit und helfen beim Wahlkampf. Vor allem werden sie immer ihren Patron und dessen Freunde wählen und ihm notfalls bewaffnet zur Seite stehen.“ „Das ist der Grund, warum viele dagegen sind? Eine Vergrößerung der Macht beim Gegner zu verhindern, ist den Politikern wichtiger, als die Lösung eines Sachproblems?“
            Eine Weile gingen sie schweigend weiter. der Kanal teilte sich jetzt häufiger und wurde schmaler. An der nächsten Abzweigung gab es zwei Plankenreihen. Gaius suchte nach seiner Markierung, fand sie und folgte beruhigt der sanften Steigung. Rufus grübelte. Schließlich fragte er: „Aber deswegen braucht man sich ja nicht gleich die Köpfe einzuschlagen oder gar auf Spieße zu stecken! Wie kam es denn dazu?“ „Nun die konservativen Senatoren hatten Angst, dass die Volkstribunen ihre Gesetze weiter bei der Volksversammlung einbringen würden, nicht bei der zur Konsulwahl, sondern bei der andern, bei der alle Stimmen gleich viel zählen. Da hatten sie berechtigte Angst, dass die Gracchen weiter gewinnen würden. Aber die Ermordung der Gracchen und ihrer Anhänger hat die Probleme des Volkes natürlich nicht gelöst. Es gab noch weiterhin viele Kriege gegen fremde Völker, darunter erbarmungslose Feinde Roms. Hast du zum Beispiel einmal von den Kimbern und Teutonen gehört? Die kamen doch aus der Gegend deines Stammes, oder?“
            Misstrauisch beäugte Rufus ein paar vorbeihuschende Ratten. „Nein, weiter nördlich! Mein Onkel hat mir darüber ganze Gesänge vorgetragen, wie ein Heuschreckenschwarm kamen sie über das Volk der Kelten, niemand konnte sie bezwingen…“ „Ist gut, dann kennst du ja diese mordlustigen Barbaren. Die Niederlage zweier Heere war für uns natürlich ein Schock. Über vierzig Jahre ist das her. Bis dahin mussten unsere Soldaten ihre Ausrüstung immer selbst finanzieren. Jetzt waren aber nicht mehr genügend Soldaten da: Waffen kosten Geld! Außerdem war die Versorgung der Soldaten nach dem Krieg ungeklärt. Während der Panik nach den großen Niederlagen in Noreia, Agennum und in Arausio konnte General Marius etwas durchsetzen: In seinem Afrikafeldzug gegen den Numiderfürsten Jugurtha hat er etwas ausprobiert, etwas Neues, etwas Unerhörtes: Zum ersten Mal wurden Besitzlose eingezogen, arme Bürger zu Soldaten gemacht. Seitdem zahlt der Staat Waffen und Rüstung. Die Soldaten werden aus praktischen Gründen direkt vom Feldherrn versorgt, durch Beute oder seinen Privatbesitz. Meist übernimmt die Staatskasse die Kosten, oft über eine nachträgliche Auszahlung. Die Bürgerarmee ist zur Berufsarmee geworden. Damals schien es die Lösung, in der Folge wurde genau das zum neuen Problem. Verstehst du warum?“
            „Der Feldherr wurde zum neuen Patron? Riesige Heere, tausende Exsoldaten, die ihrem Feldherrn Treue schwuren und von ihm versorgt wurden… ehemalige Feldherren bekommen seitdem ein großes Klientel hinzu, einen riesigen Zuwachs an Wählerstimmen?“ „Nicht nur als Wähler! Ihre Loyalität, ihre Treue gilt nicht mehr dem römischen Staat, sondern nur noch dem Feldherrn! Erfolgreiche Feldherrn werden immer auch erfolgreiche Politiker.“ „Also bekommen Feldherrn zu viel Macht in der Politik?“ „Ja. Das ist bis heute so, denk nur, wenn Pompeius »der Große« mit seinem Riesenheer aus dem Osten zurückkehrt: nicht auszudenken, wenn er die alle bis nach Rom führt… Am Schlimmsten war es bisher bei Marius und Sulla: Früher kämpften sie gemeinsam gegen Jugurtha, dann gegen Kimbern und Teutonen und im Bundesgenossenkrieg. Der reiche Plebejer Marius und der verarmte Patrizier Sulla wurden sogar Freunde. Doch war ihnen ihre eigene Macht noch wichtiger. Also suchten sie sich unterschiedliche Verbündete im Senat. Sulla, der wieder zu Geld gekommen war, suchte die Nähe der alten Adligen, Marius deren Gegner und alte Anhänger der Gracchen. So kämpften sie erst im Senat für eine Gruppe und deren ehrenhaft klingenden Schlagwörter: Für Ordnung oder Freiheit, für Senat oder Volk von Rom.“
            „Kämpften sie nicht vielmehr für ihre eigene Macht?“ Gaius lächelte. „So würde das Vater hinter vorgehaltener Hand vielleicht auch sagen. Vor seinen Parteifreunden würde er aber sicher Sulla als ehrenhaften Retter des Staates herausstellen. Manch anderer eher den Marius – ich auch und im Moment sogar Catilina, obwohl er einst Offizier Sullas war … Jedenfalls blieb es nicht bei den politischen Kämpfen. Am Ende standen blutige Bürgerkriege: die Popularen für das Volk gegen die Optimaten für die Senatsmacht. Die mächtigen Senatoren, die ehemaligen Generäle mit ihren vielen ehemaligen Soldaten, die ihnen blind folgten, zogen in den Bruderkrieg mit wechselndem Geschick. Als Marius in Rom herrschte, gab es ein Blutbad, nach dessen Schlaganfall übernahm der Tyrann Cinna: erneut ein Blutbad. Und als Sulla schließlich siegreich aus dem Osten zurückkehrte, musste er sich den Zugang zur Stadt in der Schlacht an der porta collina blutig erkämpfen. Seine Generäle verdienten sich blutrünstige Namen: Pompeius und Crassus.“
            „General Pompeius? Gnaeus Pompeius der Große?“ Tja, damals hieß er noch nicht »der Große«, man nannte ihn »den jungen Schlächter«, weil er damals keine Gnade kannte. Aber am Schlimmsten war SULLA.“ Gaius ließ das Wort mit verächtlichem Echo im Gewölbe umherdröhnen. Rufus zuckte zusammen. „Sulla Felix - »der Glückliche«. Sulla hing Listen seiner Feinde aus, »Proskriptionslisten«: Wer immer einen Proskribierten erwischte, durfte ihn straflos töten und bekam eine Belohnung vom Staat. Auf dem Forum hingen die Köpfe der Feinde Sullas an langen Stangen. Ihr Besitz wurde versteigert. Niemand wagte es, mehr zu bieten, wenn Sullas Freunde ein Anwesen für sich selber haben wollten. Crassus ist so unendlich reich geworden. Seltsam, dass ausgerechnet Crassus Catilina im Wahlkampf unterstützt hat…“
            „Und deswegen hat man im Haus des Laeca und bei den Fabiern die Geheimgänge zur Kanalisation gegraben?“ „Genau. Viele mussten damals damit rechnen, mit abgetrenntem Kopf auf Spießen am Forum zu enden. Zuerst unter Marius, dann unter Sulla. Da lag die Idee nahe, sich einen letzten Fluchtweg zu graben. Ein paar sollen aber hier unten verloren gegangen sein und den Ausweg nicht gefunden haben. Man sagt, ihre ruhelosen Geister, die Lemuren, haben sich mit den im Bürgerkrieg Ermordeten zusammengetan und machen jetzt die Kanalisation unsicher“. Rufus schauderte. Instinktiv zog er den Kopf ein und beäugte misstrauisch die Schatten an den Wänden. Gaius sah sich nach Rufus um, dann lachte er auf.
            „Keine Angst. War doch nur ein Scherz! Glaubst du an ruhelose Geister? Ich habe noch keinen gesehen! Jedenfalls befürchten viele Bürger bei Catilina wieder Ähnliches.“ „Und – haben sie einen Grund dazu?“ Gaius lächelte grimmig. „Das könnte tatsächlich der nächste Bürgerkrieg werden, aber nur wenn sich die Sturköpfe von Konservativen weiter gegen die Reformen stellen! Isauricus, Cato und die ganze Bande! Und Catulus! Catulus einer der schlimmsten und das obwohl er ein Freund und fast schon so etwas wie ein Patron Catilinas war! Sie haben Lügen und Propaganda über Catilina ausgeschüttet, als sei er ein Monster!“ Gaius drehte immer öfter den Kopf zu Rufus um, anstatt auf den Weg zu achten. Dabei gestikulierte er lebhaft mit seinen Armen, wie beinahe alle Römer. Die Laterne drohte mehrfach auszugehen. „Mir wäre wohler, wenn du wieder nach vorne schauen könntest“, merkte Rufus vorsichtig an. Solange Gaius so wackelte, tanzten die Schatten wie Geisterarmeen, die sich gegenseitig abstachen, an den Wänden. „Außerdem - bei so vielen Geschichten, meinst du wirklich, dass Catilina keine dunkle Seite hat, kein Bisschen Gewalttätigkeit, obwohl er ein Offizier Sullas war?“ Gaius verzog das Gesicht. „Nun, sicher, auch Catilina kämpfte im Bürgerkrieg unter Sulla… Aber dass er seinen Schwager Marius Gratidianus zu Tode gefoltert haben soll, jedes Körperteil einzeln ausgerissen, denn Kopf eigenhändig abgeschnitten und sich im Tempel die blutigen Hände mit Weihwasser abgewaschen… Wer soll das schon glauben – außer eingefleischten Wählern Ciceros? Cicero, dieser alte… He, was zum Pluto…?“
            Gaius war gegen etwas getreten, bleiche Gegenstände schlitterten umher. Ratten stoben davon. Etwas fiel klatschend ins Wasser, etwas Größeres kullerte ein wenig vor, blieb dann liegen und blickte ihnen mit offenem Mund ins Gesicht. Rufus erkannte es sofort: Es war ein Totenschädel. Gaius riss die Augen auf, eine knöcherne Hand kam auf seinen Zehen zum Liegen. „Hilfe, ein Lemur!“ „Ganz ruhig, das ist doch nur ein lebloses Skelett!“ Doch Gaius versuchte heftig die Hand abzuschütteln, rutschte dabei auf einem Knochen aus und ruderte wild mit den Armen, so dass seine Laterne erlosch. Rufus versuchte Gaius mit seiner Rechten zu packen, bekam jedoch nur einen Schlag der rudernden Arme ab und verlor seine Laterne. Blechern hüpfte sie über den gemauerten Boden, flackerte noch einmal auf, dann wurde es vollkommen dunkel. „Verflucht sei Cicerooo…!“
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