Der historische
Hintergrund
In
den Abwehrkriegen gegen die persische Weltmacht schließen sich die sonst so
verfeindeten Stadtstaaten (Poleis) des kleinen Griechenland zusammen. Sparta steuert
die besten und am Härtesten gedrillten Landheere bei, Athen schützt sich und
andere durch seine Flotte: Es gründet zusammen mit zahlreichen anderen Städten einen
attischen Seebund zum Schutz gegen
die Perser, übernimmt dessen Kontrolle, zieht die Beitragszahlungen ein, fasst
die Inselstaaten zu einem Handelsimperium zusammen und wird reich und mächtig. Eine
neue Gesellschaftsform in Verbindung mit einem gewissen Wohlstand setzt
ungeahnte kreative Kräfte frei, Athen wird zum Zentrum der griechischen Kultur.
Der
Sieg gegen die übermächtigen Perser ist nur mit Hilfe der Flotte möglich geworden,
die wendigen Athener Kriegsschiffe sind nur mit gut trainierten und hoch motivierten
Ruderern effektiv. Für die eigene Heimat zu kämpfen und zugleich den Reichen zu
zeigen, was auch ein einfacher Bürger zu leisten vermag, das treibt die ärmeren
Athener zu nautischen Spitzenleistungen an.
In
der Folge verlangen diese einfachen Bürger auch immer mehr Mitspracherechte: Eine
erste Demokratie entsteht – wenn auch eine radikale und unter Ausschluss von
Fremden, Sklaven und Frauen. Regiert wird diese Demokratie über regelmäßig neu gewählte Ausschüsse
- ein „permanent tagender Debattierklub“ (Schwanitz 2002, S. 63): Volksversammlungen,
Wahlen und Gerichtsverhandlungen – sowie eine Abstimmung über den
unbeliebtesten Bürger des Jahres, der kurzerhand durch ein Scherbengericht
verbannt wird (Ostrakismos). Nur wer über genügend Bildung verfügt, kann in
so einer radikalen Demokratie bestehen. Die Hilfsmittel, Bildung und vor allem die
Erlernung der Redekunst - verspricht die „Sophistik“, die nun bestimmende
Richtung der Philosophie. Ihre Lehrer reisen aus ganz Griechenland nach Athen.
Wie die Naturphilosophen lehnen auch
die Sophisten Mythen und Religion als Begründung für den Zustand der Welt und
ihre Veränderungen ab. Allerdings sind sie auch gegen unbeweisbare
Behauptungen, wie gegenüber der Atomtheorie, skeptisch.
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Protagoras: Es gibt immer zwei Seiten |
Unnötig sei es, sich Gedanken über
Dinge zu machen, die man sowieso nicht sicher beantworten kann. Also halten
sich die Sophisten nicht mit Spekulationen über das Wesen der Natur auf,
sondern rücken den Menschen ins Zentrum ihrer Überlegungen.
Sophistik
Die
meisten Sophisten sind sehr gut ausgebildet und spezialisieren sich vor allem
auf Jugend- und Erwachsenenbildung im Bereich der Redekunst. In
Athen (und in den weiteren frühen
Demokratien) herrscht dafür großer Bedarf. Die Sophisten lehren vor allem die Kunst des Disputierens, der Rede und
Gegenrede, das Denken als Dialog. Die Lehrmethode, alles von zwei Seiten aus zu
betrachten, nennen sie „Dialektik“: Durch Frage und Antwort kommt man
über eine Behauptung (These) und eine Gegenbehauptung (Antithese) zu einem Ergebnis
(Synthese).
Als
Redelehrer lässt sich viel Geld verdienen: Reiche Athener
suchen nach den Besten verfügbaren Sophisten, um (sich und) ihren Kindern das
Diskutieren und die Wahl der besten Argumente zu lehren. Laut Platon (im Dialog
Menon, 91d) verdient ein berühmter Sophist mehr Geld als elf berühmte
Kunsthandwerkermeister zusammen.
Im
Bemühen als der beste Lehrer zu gelten, gehen viele Sophisten jedoch zu weit.
Der Skeptizismus –einfach alles in Frage zu stellen- verschreckt viele
religiöse und konservative Athener. Es gebe z.B. kein natürliches Schamgefühl,
denn sonst müsste es angeboren sein und nicht in jeder Gesellschaft anders
anerzogen. Adlige fühlen sich bedroht, wenn sie von einfachen Bürgern in der
Volksversammlung plötzlich argumentativ an die Wand gedrängt werden. Vor allem
aber der bedenkenlose Einsatz der Rhetorik als reines Mittel zum Zweck, sorgt
für einen schlechten Ruf der Sophisten bis in unsere Zeit: Viele Sophisten üben
mit ihren Schülern nur, den Gesprächspartner mit rhetorischen Mitteln aus der
Bahn zu werfen und seine eigenen Argumente durchzudrücken. Die Zuhörer werden
überwältigt, nicht mit Moral oder Vernunft überzeugt. Fatal ist die
Werbemaßnahme, nach einem Unterricht könne man beim Diskutieren jeder Seite zum
Sieg verhelfen – auch der schlechteren. Es käme darauf an, das eigene Argument
auch wenn es das schwächere ist, zum stärkeren zu machen – dies findet sich
auch in einem Fragment des Philosophen Protagoras
(487-420 v. Chr.). Eine Argumentationstechnik, die sich nicht um den
tatsächlichen Inhalt oder um die Wahrheit kümmert, sondern nur um die
rhetorische Überzeugungskraft.
Das
Verdinest der Sophistik bleibt allerdings, die Philosophie für den Menschen
selbst interessiert zu haben. Gut und Böse, Recht und Unrecht sollen immer im
Hinblick auf den Menschen bezogen werden. „Der Mensch ist das Maß aller Dinge“
– so Protagoras. Dieser berühmte
Ausspruch ist als Homo-Mensura-Satz (=„Mensch-Maßstab“-Satz) in die
Philosophiegeschichte eingegangen (der Satz geht allerdings noch weiter, aber,
was Protagoras mit „das Seiende ist, das Nichtseiende ist nicht“ genau gemeint
hat, das wird nie völlig geklärt werden können). Es gibt immer zwei Seiten,
meint Protagoras, die einander entgegengesetzte Aussagen enthalten.
Protagoras
gilt auch als der erste Agnostiker,
also jemand, der nicht weiß, ob er richtig an Gott / bzw. die Götter glaubt, da
er darüber kein genaues Wissen erlangen könne: „Über die Götter kann ich nichts
feststellen, weder ob es sie gibt oder nicht, noch wie sie aussehen.“ Den
religiösen Athener Bürgern hat er damit bereits zu viel festgestellt, nach einem
Gottlosigkeitsprozess wird Protagoras 411 v. Chr. aus Athen verbannt und
ertrinkt auf der Fahrt nach Sizilien.
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