Eigentlich bedeutet
amicitia
laut Wörterbuch
Freundschaft. Cicero
hat ein ganzes Buch darüber geschrieben (
Laelius – de amicitia). Was aber ein
Römer unter
amicus und
amicitia versteht, das würden wir eher
Parteifreund, wichtiger Kontakt und
Seilschaft,
Netzwerk,
Interessensgemeinschaft
oder gar
Klüngel nennen. Die
amici halten im Senat zusammen und
versuchen gemeinsam die politische Linie festzulegen.
Ein Römer unterscheidet genau zwischen einem echten Kumpel
oder gutem Freund (
familiaris) einerseits und „Beziehungen“ andererseits, d.h., jemand, der einem nützlich war, noch einmal nützlich sein
kann, oder dieselben politischen Vorstellungen hat (
amicus). Will man so eine
amicitia dauerhaft zwischen zwei Familien herstellen, so wird kurzerhand geheiratet: Meist schiebt man einem mächtigen Mann, mit dessen Familie man ein dauerhaftes (politisches) Bündnis eingehen will, eine Verwandte in heiratsfähigem Alter unter. Meist ist die neue Frau jünger, oft die eigene Tocher. Die neue Frau wird schon dafür sorgen, dass ihre alte Familie und alle ihre Anliegen in Zukunft genügend berücksichtigt werden. Doch wehe, man lässt sich ohne beiderseitigem Einverständnis scheiden, schneller und nachhaltiger kann man sich keine Familie zum Feind (
inimicus) machen...
Der Philosoph Seneca spricht von „wechselseitiger
Dienstbarkeit“ von „Gefallen“ (beneficia),
die man sich in einer amicitia schuldet. Überlappende Netze solcher amicitiae gelten als die soziale Währung Roms: Man kann um ein beneficium für sich selbst oder für
Freunde, oder für den Freund eines Freundes bitten.
Man muss dabei jedoch genau überlegen, wen man um einen Gefallen
bittet und wem man einen erfüllt: Sorgfältig wird abgewägt, inwieweit man sich
dadurch zum Dank und Gegenleistung verpflichtet und wie weit den Freund. Bittet
man häufiger um
beneficia als man
zurückgibt, sinkt man allmählich auf den Rang eines
Klienten ab, was eine
starke Abwertung des Status bedeutet.
Je wichtiger ein Römer ist desto mehr
clientes UND
amici hat
er. Um sich diese alle merken zu können, beschäftigen die meisten
Senatoren
einen
nomenclator, einen Sklaven mit
sehr gutem Gedächtnis, der sich alle Namen merkt und seinem Herrn ins Ohr
flüstert.
Ist man Teil eines einflussreichen Netzwerks an
amici, kann man sich deren Ressourcen
bedienen: Möchte man ein wichtiges
Gesetz einbringen? Ein einflussreicher
amicus mobilisiert seine Parteifreunde und
Klienten. Braucht man einen guten Anwalt? Der beste ist gerade genug, schuldet
er einem mächtigen
amicus einen
Gefallen, so muss er wohl oder übel anklagen oder verteidigen, wen immer dieser
bestimmt – es sei denn, er riskiert den offenen Bruch (viele Feindschaften –
inimicitiae- haben hier ihren Ursprung).
Hat man eine Provinz ausgeplündert und es droht ein Prozess? Kein Problem,
solange sich genügend einflussreiche
amici
um den Posten als Ankläger und Geschworene bewerben – wahrscheinlich kennt man
auch den
Prätor, den vorsitzenden Richter oder kann ihm ein Angebot machen, das
er nicht ablehnen kann…
Schuldet man keinen Gefallen, so kann man sich den größten
Dank und einzufordernde Gefälligkeiten als Anwalt erwerben, obwohl kein Gehalt
gezahlt wird: Nach erfolgreichen Verteidigungen vor Gericht verpflichtet man
sich nicht nur die Angeklagten, sondern macht auch noch Werbung für neue
Kundschaft und viel Eindruck auf unentschlossene
Wähler und zukünftige Klienten, die sich gut vertreten fühlen. Einen guter Redner, der Eindruck
macht, wird sofort von einem der mächtigen Netzwerker als
amicus umworben – es sei denn, er trat bereits gegen sie auf.
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