[…] „Da geht’s rein, immer dem Geruch
lang“, feixte Crixos. Rufus zog überrascht den Kopf zwischen die Schultern.
Damit hatte er nicht gerechnet! Da saßen ja Männer, Frauen und Kinder auf einer
Art langen Eckbank und verrichteten gemeinsam ihr Geschäft! Ollugnio zeigte auf
eine freie Stelle der Bankreihe, wo kreisrunde Ausschnitte der Front und
Deckseite über eine längliche Aussparung verbunden waren. „Nun mach schon! […]“.
Catugnatos […] winkte einem Jungen, der kleine Schwämme an Stöcken feilbot. […]
Er kramte ein paar winzige Kupfermünzen heraus. „Hier, nehmt lieber die. Von
den gebrauchten würde ich die Finger lassen.“ Ein Schauer des Ekels lief Rufus
den Rücken hinunter. Da gab es doch tatsächlich eine Frau, die so einen
benutzte! Ohne mit der Wimper zu zucken zog sie einen gebrauchten
Toilettenschwamm aus dem Wassereimer, putzte sich den Hintern, wuschen den
Schwamm in der Wasserrinne vor ihnen aus und stellte ihn zurück. Crixos kaufte
sich lieber einen neuen. „Apropos die Finger davon lassen, was meint ihr, warum
sie das Schwert des Luernios abgenommen haben?“ Catugnatos und Ollugnio zuckten
mit den Schultern. „Was ist denn so besonderes daran?“, fragte Rufus nach und
rutschte ein wenig nervös auf seinem Sitz hin und her. Ein zarter Luftzug an
seinem blanken Hintern und ein leises Plättschern zeigten ihm an, dass darunter
ein stetiger Wasserstrom floss. „Zuerst einmal darf man gar keine Schwerter in
Rom haben“, erklärte Catugnatos. „Es herrscht Waffenverbot - niemand soll Rom
in böser Absicht betreten oder bewohnen.“ Rufus erinnerte sich, wie sie ihre
Waffen vor den Toren Roms hatten abgeben müssen. „Und trotzdem hängen bei den
Fabiern welche an den Wänden?“ Offensichtlich schienen sich Ollugnio und
Catugnatos bei der Verdauung nicht daran zu stören, dass sich hier alle Welt
unterhielt. Bei Rufus lief es nicht ganz so gut. „Das sind Prunkwaffen, nur
Dekor. Die wurden seit Jahrzehnten nicht mehr benutzt. Die meisten sollen Beutestücke
aus dem Krieg gegen unser Volk sein. Ich weiß nicht einmal, ob sie alle echt
sind. Nicht übel so ein frischer Schwamm…“
„Wie kam es eigentlich zu diesem
Krieg?“, fragte Rufus nach. Catugnatos stöhnte. „Das ist lange her…“ „Ein
trauriges Thema“, meinte Crixos, „aber passend zum Ort: Vor über sechzig Jahren
führten die Griechen von Massilia Krieg gegen die Salluvier. Allein haben es
die Massilioten natürlich nicht geschafft und so riefen sie die Römer zu Hilfe,
die auch schnell das ganze Gebiet erobert haben. Der Salluvierkönig Teutomalios
suchte bei unserem Stamm Schutz. Wir Allobroger liefern nie einen
Schutzflehenden aus, also erklärte Rom unseren Stämmen den Krieg. Wir haben uns
mit den Avernern zusammengetan, den Rivalen der Haeduer. Hat leider nichts
genutzt. Die erste Schlacht gewann der Konsul Gnaeus Domitius Ahenobarbus –
»der Eisenbart«. Seine Kriegselefanten sollen mächtig Eindruck gemacht haben,
doch unterwerfen konnte er unsere Stämme nicht. Dann kam Quintus FabiusMaximus, einer der Urgroßväter von Quintus Sanga. Noch bevor er sich in Gallien
blicken ließ, hat er zuallererst die Haeduer mobilisieren lassen, diese alten
Schoßhündchen der Römer. Eingerahmt von haeduischen Kriegern hatten seine
Legionen kaum noch etwas zu tun. Beim Zusammenfluss von Rhodanus und Isara kam
es zur letzten Schlacht, dann war Schluss. Die Averner kamen noch glimpflich
davon, sie verloren nur ihren König: Bituitos, den Sohn des ruhmreichen Königs
Luernios – und seine Waffen. Aber wir sind seitdem Teil der römischen Provinz…“
Ollugnio grunzte bitter. „Und der Sieger bekam den Beinamen »Allobrogicus«
verliehen, einen Triumphzug und einen ganzen Triumphbogen zugestanden: Vorne am
Ausgang der Via Sacra auf das Forum Romanum, der »Fornix Fabius«.“ Daher also
der Ärger über das Allobrogicus-Zimmer! Jetzt konnte Rufus Catugnatos
verstehen. Dieser Fabius Allobrogicus schaute auf dem Mosaik auch so
selbstzufrieden drein, als habe er gerade im Alleingang ganz Gallien erobert.
[…]
„Aaaah“, stöhnte Catugnatos
behaglich, „bei Borvo dem Blubberer!“ Völlig entspannt räkelte er sich im
heißen Wasser. Von Ollugnios nassen Haaren stiegen Dampfwölkchen auf: „Bei Damonas zischendem Euter!“ Crixos
tauchte bis zum Kinn unter, wobei seine Lockenpracht in alle Richtungen trieb.
„Tut das gut, bei allen Schlangen und Eiern von Sirona!“ Rufus ließ Arme und
Beine durch das Wasser schaukeln. Zunächst war ihm das Wasser noch kochend heiß
vorgekommen, doch hatte er sich schnell an die Temperatur gewöhnt. „Sind das
alles römische Gottheiten des Wassers?“ Crixos prustete. „Nein, die sind aus unserer Heimat. Heiße Quellen und so. Für die Römer merk dir einfach Apollo für
alles, das gut tut und heilt - das reicht hier völlig. Bei Apollo…“ Mit einem
wohligen Grunzen tauchte er wieder unter. Rufus begann die Badeanlagen schätzen
zu lernen. Um richtig zu schwimmen, waren die Becken zu klein. Aber die
wohltuende Wärme war einfach wunderbar. Rufus liebte Wasser. Genießerisch
schloss er die Augen und nahm die Eindrücke in sich auf. So laut wie im
Frigidarium und in der Palaestra ging es in den Schwitzbädern nicht zu. Statt
dem dröhnenden Brausen warfen die Kuppeln des Daches nur verschwommene Laute
zurück: Das Flüstern und Lachen der Männer und das sanfte Schwappen und Tropfen
des Wassers.
Rufus versuchte, eines der Gespräche
um sie herum mitzubekommen. Auffallend oft fiel ein Wort, das ihm unbekannt
war. Es stand in Verbindung mit den Begriffen »revolutionär« »gegen die Sitte
der Vorväter« oder »unerhört«. „Was bedeutet eigentlich »Catilina«?“
„Catilina?“ Catugnatos verschränkte die dampfenden Arme hinter seinem Kopf.
„Catilina war im letzten Jahr ein Konkurrent des Cicero um das Konsulat. Sein
Wahlkampfpartner Hybrida hat es geschafft, er nicht. Anscheinend bewirbt er
sich dieses Jahr erneut.“ „Ich habe dir doch heute Morgen Catilinas
Wahlkampfslogans übersetzt!“, bemerkte Crixos leicht beleidigt, „Die an den
Häuserwänden - hast du mir nicht zugehört?“ „Doch doch, »tabulae novae« -»Umschuldung«. Nur - verstanden habe ich das nicht.“ „Du musst wissen, dass
auch viele Römer hoch verschuldet sind. Die ärmeren haben Schulden aufgenommen,
um zu überleben, die reicheren für ihre Karriere: So ein Wahlkampf verschlingt
Millionen und hat so manchen vornehmen Römer in den Ruin getrieben. Die kleinen
Landbesitzer dagegen können gegen die Großbetriebe und die Tribute aus den
Provinzen kaum bestehen, vor allem nicht gegen die Kornlieferungen aus
Sizilien. Viele ehemalige Soldaten haben auch nicht wieder ins normale Leben
zurückgefunden. Vor allem die Bürgerkriegsveteranen sollen es schwer haben,
einen unblutigen Lebensunterhalt zu verdienen. Catilina verspricht offenbar,
den Schuldnern zu helfen wieder zahlungsfähig zu werden: Die Zinsen sollen
verringert werden und die Rückzahlungen erleichtert. Und genau das müssen wir
auch für unsere Städte vom Senat erreichen – unsere Provinz kann die
Steuerabgaben sonst unmöglich leisten.“ Rufus dachte kurz nach. Leises Klackern
von Holzsandalen zeigte das Kommen weiterer Badegäste an. „Dann verspricht
Catilina also etwas vollkommen Neues, um den Menschen zu helfen?“ Ollugnio
winkte ab. „Das ist nicht einmal neu, das gab es schon öfter, wenn massenweise
Römer zahlungsunfähig waren.“ „Aber was kann man denn dann nur dagegen haben?“,
rief Rufus aus. „Wenn ich das richtig mitbekomme, führen die Badegäste hitzige
Diskussionen darüber!“ Catugnatos schüttelte den Kopf. „Du musst noch viel über
die Römer lernen.“ Damit tauchte er langsam ab.
[…]
[Am
Abend werden Rufus und die Gesandtschaft schließlich doch noch offiziell von
den Hausherren empfangen. Eine Hausansicht steht im Post familia, eine verkürzte virtuelle Hausführung zeigt folgendes
Video:]
Die Liegen des Triclinium mit ihren
Polstern, Decken und Kissen waren noch weicher und gemütlicher, als Rufus
vermutet hatte. […] Unter dem schwindenden Protest von Larcia waren neben dem
älteren Sohn Gaius ausnahmsweise auch die anderen Kinder und Rufus zu einer
ordentlichen cena zugelassen worden – selbst die beiden Mädchen [Fabia und Fabiulla].
Dies hatte Quintus und die Allobroger einige Überredungskunst abverlangt, doch
schließlich hatte auch [Larcia, ]die Herrin des Hauses zugestimmt […].
„Beim Esus, trink nicht zu viel
davon! Oder lass dir wenigstens mehr aus dem Wasserkrug nachgießen!“, mahnte
Catugnatos über seine Liege hinweg. Rufus hatte seinen Becher in die Höhe
gehalten - und sofort war Syrus herbeigeeilt und hatte nachgefüllt. Rufus war
mit dieser cena einfach überfordert: Unmerkliche Zeichen genügten, schon eilte
eine Sklavin oder ein Sklave mit einem einhenkligen Krug herbei und schenkte
Wein, kaltes oder warmes Wasser nach oder goss einem irgendeine der unzählbaren
scharfen, deftigen und süßsauern Soßen in den Teller. Dazu standen zwischen
laufend nachgefüllten Vorspeisen auch noch Salz, Pfeffer und eine sehr salzige
Fischsauce zum Nachwürzen auf dem Tisch. Rufus konnte sich nicht einmal die
Namen der Speisen und Getränke merken. Woher sollte er denn wissen, mit welchem
Verhalten man hier die Sklaven aufforderte, ihm Wasser statt Wein nachzugießen?
Meistens huschte einer an ihm vorbei und schenkte nach, ohne dass er es gewollt
hatte. Und überhaupt - wieso sollte er diesen vorzüglichen Wein denn eigentlich
meiden? „Lass dir den Wein lieber schwächer mischen, Lucius und die Mädchen
begnügen sich ganz mit Wasser…“ „Lass den kleinen Rufus doch trinken“, rief
Quintus aus, der am Kopfende seiner Liege direkt neben Catugnatos dinierte.
„Wenn er zu viel hat, wird er es schon merken – spätestens beim nächsten Mal
weiß er es dann!“ Quintus begann darüber zu lachen, Larcia und Gaius, die neben
ihm lagen, lachten mit.
Rufus war ein wenig verärgert. Er
grämte sich noch immer darüber, nicht mehr mit seinem echten Namen angesprochen
zu werden. Während Catugnatos und Crixos versuchten, das Gespräch auf die
Steuern der Allobroger zu lenken, legte Ollugnio beruhigend eine Hand auf Rufus
Schulter. „Du möchtest lieber Euamellin genannt werden?“ Ollugnio lag am
Kopfteil seiner Liege Rufus am nächsten. Rufus nickte stumm. Lustlos löffelte
er in seinem Vorspeisenteller herum. […] „Lass dir das mit dem Namen nicht zu
sehr zu Herzen gehen. Die meisten Römer tragen einen Namen, den sie sich nicht
ausgesucht haben.“ Rufus zuckte schüchtern mit den Achseln und nahm sich noch
etwas von den mit Fischrogen gefüllten Oliven und von den Eiern mit
Pfeffer-Obstmus. Über der breiten Platte des reich verzierten Tisches traf sein
Blick denjenigen von Gaius.
Gaius lag mit gequältem Lächeln
zwischen seinen Eltern und machte einen eher angespannten Eindruck. Rufus hatte
fast den Eindruck, als ob sich Vater und Sohn gelegentlich wie Raubtiere
beäugten. Ollugnio richtete sich ein wenig an seiner Lehne auf: „»Rotschopf«
ist als Spitzname noch ganz in Ordnung, glaube mir. Oder möchtest du lieber
»Warzengesicht«, oder »Hackfresse« heißen? […]“.
[…]
„He, Gaius, du hängst doch oft genug
mit seinem Stiefsohn ab, diesem verzogenen Marcus Antonius. Erzähl doch unseren
Gästen die Geschichte wie Sura zu seinem Namen kam, wenn du schon etwas über
römische Namen beitragen willst!“
Gaius verzog das Gesicht.
Widerwillig winkte er ab. Stattdessen nahm er sich etwas von den Nudeln,
dekoriert mit den ersten Spargelsitzen der Saison. „Nun mach schon, Sohn!“
„Antonius ist in Ordnung und Sura auch, ich weiß gar nicht, was du hast,
Vater.“ „Gaius!“, herrschte ihn Larcia an. Gaius stöhnte. „Na schön. Wie ihr
vielleicht wisst, spielen wir hier gerne Ball – zumindest die Jüngeren.“ Rufus
dachte an die Kinder in den Thermen. Das mit dem »Ball spielen« musste er doch
einmal ausprobieren. „Wenn einer ein Foulspiel begeht, streckt er danach seine
Wade hin – wenn er fair ist. Als man Lentulus im Senat wegen eines
Korruptionsskandals angegangen ist, da hat er einfach vor allen Senatoren seine
Wade entblößt. Da haben alle lachen müssen und seitdem heißt er nur noch »Sura«
- »die Wade«. Vielleicht ist er nicht ganz ohne Fehler, aber er steht dazu. Und
dass er nach seinem Ausschluss aus dem Senat ein zweites Mal erfolgreich die
Ämter durchlaufen konnte, spricht für ihn: Das Volk liebt ihn, Antonius liebt
ihn wie seinen leiblichen Vater und ich mag ihn auch.“ Quintus wollte
kopfschüttelnd etwas erwidern, doch Crixos war schneller. „Die Wade hinstrecken
– wozu?“. Lucius sprang von der Liege auf: „Was soll das heißen wozu? Na, damit
die Spieler der gegnerischen Mannschaft dem Übeltäter in die Wade treten
können, natürlich! So…“ Mit lautem Scheppern fiel ein Tablett mit Bronzegeschirr
zu Boden, welches Asia gerade hereingetragen hatte. Gerollte Schnitzel in
weißer Piniensauce kullerten über den Boden und ergänzten das Mosaik der
künstlichen Speisereste. Lucius schaute beschämt zur Liege seiner Eltern. Asia
hatte er gar nicht kommen sehen. Larcia richtete sich empört in der Liege auf.
„Suram - Foulspiel!“, rief Quintus schnell lachend, „Foulspiel, Wade her!“
[…]
Auch der Nachtisch war für Rufus
etwas völlig Neues: Anstatt Obst einfach Obst sein zu lassen, gab es auch in
gelbem Sirup konservierte Feigen und Birnen, Mus, Kompott und die
vielfältigsten Kuchen. Seltsam dass Gaius sich all dies entgehen ließ: Nach dem
Opfer an die Hausgötter war sein Platz leer geblieben.
[…]
Alles drehte sich. Rufus war noch
immer so fürchterlich schlecht. Crixos hatte ihm geholfen, sich in die Latrine
zu erbrechen - kein guter Eindruck für einen ersten Abend! Rufus hatte gedacht,
er müsse sterben. „Rede keinen Unsinn, das ist nur der viele Wein. Davon ist
noch nie einer gestorben“, hatte Crixos ihn beruhigt. Nachdem er kräftig mit
kaltem Wasser übergossen worden war, wurden seine Gedanken wieder klarer.
[…]
Lange musste Rufus gegen seine Übelkeit
kämpfen, bis er in einen unruhigen Schlaf fiel. Mit einem Knall wurde er wieder
wach. Catugnatos stand in der Tür. „Räum dein Zimmer, du kannst meines haben!“
„Ist es schon morgen?“ „Nein, jetzt mach schon.“ „Wieso?“ „Beim Taranis, frag
nicht, mach schon!“ Rufus wurde den Verdacht nicht los, dass auch Catugnatos
betrunken war. Der Türsteher am Gästetrakt kam besorgt auf sie zu, Catugnatos
drückte ihm seine Kleider in die Hand, scheuchte ihn weg und schloss die Tür
hinter sich. Verwundert begleitete er Rufus mit seinem tönernen Öllämpchen bis
zum Zimmer am Hinterhofgarten. Im flackernden Licht des Öllämpchens schienen
ihm »Hackfresse Fabius« und seine Soldaten höhnisch aus dem Mosaik entgegen zu
grinsen. Doch als der Sklave wieder zurückschlurfte, war Rufus schon
eingeschlafen.
Er träumte von den seltsamen Tieren
mit dem langen Rüssel, aus deren Stoßzähnen die Verzierungen und Skulpturen des
Esstisches und der Sofaliegen stammten. Sie gaben ein markerschütterndes
Trompeten von sich, wie eine gallische Carnyx. Dann verwandelten sich die Tiere
in die Carnyxträger des Dumnorix. Die Soldaten aus dem Mosaik marschierten auf
ihn zu. Doch er hatte ein Schwert – das Schwert des Luernios! Ollugnio hatte es
ihm am Abend genau beschrieben. Mit einem verlangenden Zischen fuhr es aus der
Scheide. Es sang ein furchtbares Lied, wenn es durch die Luft sauste. Links und
rechts schnitt Rufus Schneisen in die Reihe seiner Feinde. Dann wichen alle
Gegner zurück. Ein Riese erschien – Fabius Verrucosus? Nein, er verwandelte sich,
zuerst in den schnauzbärtigen Dumnorix, dann wurde er kleiner und – Ariovistos!
Der Suebenkönig, der ihn als Geisel nehmen ließ! Er war jetzt so klein, dass er
es mit ihm hätte aufnehmen können, doch Ariovistos schlug ihm mit bloßen Händen
das Schwert aus der Hand als sei es nur ein alberner Stock. Wehrlos steckte
Rufus lauter dröhnende Kopfschläge ein. Schließlich ging er zu Boden.
Das konnte sich Rufus nicht länger
gefallen lassen. Mit einem Satz sprang er auf und versetzte der schattenhaften
Gestalt vor ihm einen kräftigen Schlag ins Gesicht. „Ai!“ Rufus bekam einen
Schlag ab, taumelte und landete an der Wand. Der Schatten war verschwunden.
Rufus war wieder im Gästezimmer der Fabier und ihm war schlecht. Gerade noch
rechtzeitig erinnerte er sich an das Nachtgeschirr unter seinem Bett und
erbrach sich.
[…]
Als er wieder wach wurde, stand
Lucius vor seinem Bett und sprach leise auf ihn ein. Zunächst verstand er kein
Wort. Langsam wurde ihm klar, dass Lucius ihn abholen sollte, ein gewisser
»magister Crispus« wartete schon auf sie. Wer das auch immer war, er musste ein
extremer Frühaufsteher sein. Rufus gähnte - so früh am Morgen und dazu noch
diese verdammten Kopfschmerzen… Als er sich anzog, fiel sein Blick kurz auf die
Wand mit den Siegestrophäen. Sowas, das Schwert des Luernios sah wirklich so
aus, wie in seinem Traum. Doch hatte er keine Zeit zum Trödeln.
[Rufus
nimmt am Hausunterricht teil, doch kennt Crispus kein Erbarmen mit seinem
verkaterten Schüler und die kleine Fabiulla macht sich auch noch über ihn
lustig.]
[…]
Da trat Syrus ein und lief direkt auf Rufus zu. „Komm. Der Herr erwartet dich.“
[…]
Quintus ließ sich hinter einem
schweren Eichentisch auf einen Stuhl fallen. [… und] bedeutete dem Jungen, sich
zu setzen. „So, jetzt zu dir, kleiner Ubier. Was soll ich wohl mit dir machen?“
Rufus lief es eiskalt über den Rücken. Hatte er sich schon so sehr daneben
benommen, dass er im Hause des Quintus Fabius Sanga nicht mehr willkommen war?
Was sollte dann nur aus ihm werden? In Gallien würde er wieder in die Fänge des
Ariovistos geraten und sein Leben als Geisel der Sueben fristen, oder schlimmer
noch: Der Haeduer Dumnorix wartete nur auf eine Gelegenheit, ihn endgültig
verschwinden zu lassen…
Quintus musterte ihn von oben bis
unten. „Hm - Crispus meint, du kennst noch nicht einmal lateinische
Buchstaben?“ „Nein, aber ich lerne schnell.“ „Hm. Scheint so.“ Quintus ließ ein
Schreibtäfelchen über den Tisch gleiten. Es waren die Übungen, mit denen Rufus
sich zuletzt beschäftigt hatte. „Zumindest kannst du auch ein wenig
Griechisch.“ Rufus wurde abwechselnd heiß und kalt. Hatte er zu wenig Talent? […]
[…] „Versteht euer Stamm etwas vom
Reiten?“ „Natürlich, beim Herkules! Ich selbst schaffe über sechzig Meilen an
einem Tag!“ „Soso, sechzig Meilen an einem Tag und das in deinem Alter?“ „Ja,
gib mir ein Pferd und ich zeige es dir! […]“ Quintus lächelte zufrieden. „Gut
zu wissen. Ihr habt also eine besonders gut ausgebildete Kavallerie. Händler
habt ihr auch.“ […]
„Schon gut.“ Quintus ließ erneut ein
Täfelchen über den Tisch gleiten. Es war das Empfehlungsschreiben des
Diviciacos, das Suarto in Gallien dem Trucillus mitgegeben hatte. „Du darfst
bleiben. Das bin ich meinem Geschäftspartner und Gastfreund Diviciacos sowieso
schuldig. Und wer weiß, vielleicht wirst du später einmal Hilfstruppen aus
deiner Heimat anführen – Rom braucht stets gute Reiter. Wollen wir nur hoffen,
dass wir uns da keinen neuen Jugurtha heranziehen…“
[…] Rufus hatte schließlich seinen
Gürtel entdeckt. Unter den andern keltischen Trophäen hatte er ihn glatt
übersehen: „Schon gut, ich habe ihn gefunden. Er hängt an der Wand, neben dem
Schwert des Luernios.“
Überrascht rannten die Allobroger
ins Zimmer. „Dann habe ich das doch nicht geträumt“, murmelte Rufus. […] „Was
ist denn so besonderes an diesem Schwert?“, fragte Rufus. „Es ist ein
mythisches Schwert eines sagenhaft reichen Königs“, antwortete Catugnatos. „Wer
es für eine gerechte Sache einsetzt, den soll es unbesiegbar machen, wie damals
Luernios selbst. […]“
Ollugnio zog die Klinge blank, um
die Schärfe der Schneide zu testen. Er rupfte sich ein Haar aus und ließ es von
der Klinge sauber zerteilen. „Nicht schlecht - taugt nicht nur als Dekoration
…“ Vorsichtig tastete Rufus über die Oberfläche der Klinge. „Was ist das denn?“
Fragte er auf einmal entsetzt. Ein wenig einer zähflüssigen dunklen Masse war
an seinem Daumen hängen geblieben. Ollugnio zerrieb die Masse zwischen seinen
Fingern. „Blut. Frisches Blut! Kein Tag alt.“ Catugnatos rieb sich das Kinn.
„Es sieht so aus, als ob man sich neuerdings darüber hinwegsetzt in Rom – über
das Verbot, Waffen zu tragen. Interessant.“ Er hielt das Schwert in das direkte
Sonnenlicht im Garten. „Seht her, jemand hat versucht, die Klinge abzuwischen.
Nur ein paar Schlieren sind haften geblieben. Zum Rasieren wird man das Schwert
wohl kaum benutzt haben. Also wer – und wozu?
Das »prandium« fand ohne die
Allobroger statt. […] Dieses Mal saßen sie in einem weiteren Triclinium, das
zum Garten offen nur vom privaten Teil des Hauses aus zu erreichen war. Es
hatte eine niedrigere Decke und das Fußbodenmosaik zeigte ein Stillleben mit
Rehkitz und körbeweise Früchte. Anstatt der in dunklem rot gehaltenen
Familienszene luden an den Wänden hier Fresken von Früchteschalen vor einem
mehrfarbigen Hintergrund zum Verzehr ein.
Die harmonische Einrichtung stand
jedoch im Gegensatz zur Stimmung: „Gaaaiuuus!“, brüllte Quintus aus dem Garten
zum oberen Stockwerk hin, wo Gaius Zimmer lag. Quintus wollte seine Geschäfte
offenbar nur kurz unterbrechen und saß in der Toga zu Tisch. Larcia stemmte
ihre Hände in die Hüften: „Aber Quintus, doch nicht vor den Sklaven und
Kindern! Apollonius kann genauso gut nachsehen lassen. Apollonius…“ Gaius ließ
jedoch noch auf sich warten. Fabia wartete folgsam ab, Fabiulla nahm sich ein
Mostbrötchen vom Tisch, erntete jedoch einen strengen Blick von Larcia. „Nein,
lass sie nur!“, meinte Quintus. „Fangt an, allzu lange kann ich mir heute
wieder keine Zeit zum Essen nehmen. In diesen Zeiten ist der Warteraum voller
Klienten.“ Rufus nahm sich eine ihm unbekannte Frucht aus einer Glasschale und
betrachtete sie genau. „malum persicum“, grinste Fabiulla. „Kann man essen,
kein Sorge. Tropft nur ein wenig. Nimm ein Serviettentuch.“ Rufus biss
vorsichtig in das weiche Fruchtfleisch. Hm, angenehm süß! Beim Kauen betrachtete
er die Elfenbeinskulpturen am Esstisch […]: ein paar Panther mit geöffnetem
Rachen, ein paar Reiterkrieger waren auch dabei.
„Du Lucius, wer ist eigentlich
Jugurtha?“, flüstere Rufus, während Quintus zu Larcias Missbilligung mit einer
Hand auf der Tischplatte herum trommelte. „Wo bleibt nur dieser kleine…“,
murmelte Quintus. Larcia rümpfte ungehalten die Nase. „Jugurtha war ein König
der Numider aus Africa“, flüsterte Lucius zurück. Er hat unter Scipio
Aemilianus die Kavallerie vor Numantia angeführt. Mit der Einnahme Numantias
hat Scipio die Hispanier nach zehn Jahren Krieg unterworfen.“ „Und hat der
irgendetwas mit mir zu tun?“ „Ich hoffe nicht! Jugurtha war ein Wilder: Er hat
seine Brüder umbringen lassen und am Ende hat er gegen Rom einen wechselvollen
Wüstenkrieg geführt, der kein Ende nehmen wollte. Erst Marius und Sulla konnten
ihn endlich erwischen.“ Rufus schielte nachdenklich zu Quintus herüber. „Ach
ja, beinahe hätte ich es vergessen – er hat auch eine Weile in Rom gelebt, wie
das bei ausländischen Prinzen und Anführern von Hilfstruppen häufig geschieht.“
Rufus wurde rot.
„Da, der Herr Sohn geruht endlich
auch zu Tisch zu erscheinen?“ „Lass mich bitte zufrieden, Vater“, stöhnte
Gaius. Sein Gesicht war aschfahl, sein linkes Auge blau geschwollen und seine
Toga zerknautscht. „Wohl kaum, beim Iupitter! Zumindest nicht, solange du uns
nicht wenigstens sagst, wo du gestern Abend gewesen bist. Deine Kleidung riecht
immer noch nach Wein!“ „Ich bin erwachsen, Vater. Hier, sieh her, ich trage die
Toga des freien Mannes!“ „Die Toga des freien Mannes? Allenfalls frei von
Beherrschung... Sieh nur selbst!“ Quintus deutete auf eine dunkle Stelle an
Gaius Brust. „Ungemischter Wein, nehme ich an? Du befleckst deine Toga, du
befleckst die Ehre unserer Familie, du befleckst dich selbst!“ Gaius sah
schuldbewusst zu Boden. „Ob du nun siebzehn Jahre alt bist oder siebzig,
solange du unter meinem Dach wohnst, hast du dich an die mores maiorum zu
halten!“ Rufus machte ein fragendes Gesicht. „Die Sitten der Vorfahren“,
flüsterte Lucius ihm auf Griechisch zu.“
Gaius stöhnte, nahm sich einen
eingelegten Hering und versuchte seinem Vater aus dem Weg zu gehen. Doch
Quintus ließ nicht locker: „Hast du dich etwa wieder mit Antonius
herumgetrieben? Oder noch schlimmer, mit diesem Caelius oder Clodius? Beim
Hercules, Junge, ich will doch nur das Beste für dich! Außer, dass sie einen
schlechten Einfluss auf dich haben - diese Kerle sind einfach zu alt für dich…“
Damit schien Gaius nicht einverstanden. Er erhob sich. „Ich bin alt genug!
Wieso hast du mich sonst auf den Kapitol gebracht und zum Mann erklären lassen?
Ich bin nur vier Jahre jünger als Caelius, sechs als Antonius und Vedius Pollio
ist sogar noch jünger als ich…“ „Vedius Pollio!“, machte Quintus nur und verzog
das Gesicht, „dieser eitle Nichtsnutz.“ „Der Sohn eines Freigelassenen ist doch
kein Umgang für dich!“, kam Larcia ihrem Mann zu Hilfe. „Auch wenn er mit den
Octaviern befreundet ist, unsere Familie ist eine der ältesten Familien Roms -
wie die Cornelier und die Aemilier – die Fabier sind sogar älter als die
Claudier…“
Doch Gaius beachtete sie gar nicht.
Mit funkelnden Augen starrte er seinen Vater an. „Glaubst du nicht, dass die
vornehmsten jungen Männer Roms alt genug sind, um zu wissen, mit wem sie Umgang
haben können? Auch Antonius hat jedenfalls nicht das Problem, dass sein Vater…“
„Dass DIESE Jünglinge alt genug sein sollten, darin gebe ich dir recht, Sohn.
Doch ist dies nicht der Fall, wie es scheint. Antonius hat jedenfalls keinen
Vater mehr, auf den er achten muss oder dessen Ruf er schaden könnte. Und was
den Ruf seines Stiefvaters anbelangt – die Censoren waren schon einmal der
Meinung, dass Sura keinen mehr hat….“ Gaius seufzte tief. „Selbst wenn es so
wäre - was geht dich das denn an?“
Quintus stand auf und packte seinen
Sohn bei den Schultern. „Was mich das angeht? Sage mir, Sohn: hast du dich
geprügelt? Wenn ja, dann sag mir, mit wem und ob dabei jemand zu Schaden kam!
Als pater familias bin ich immer noch für dich verantwortlich. Weshalb sollte
ich sonst den Vorsitz über unsere Familie führen? Falls Beschwerden kommen,
muss ich wissen, was passiert ist! Wenn es zu einem Prozess kommt, könnte deine
Karriere als Anwalt vorbei sein, noch bevor sie richtig begonnen hat!“ „Das ist
es ja: Vielleicht ist das langwierige tirocinium
fori ja gar nichts für mich: endlose langweilige Gerichtsakten und kleine
unbedeutende Prozesse. Vielleicht will ich gar kein ruhmloser Händler und
Anwalt für Barbaren und kleine Leute werden, hast du daran schon einmal
gedacht? Wieso hast du mir keinen Posten als Militärtribun verschafft? Andere
Patrizier gehen schon mit sechzehn zur Armee! Soll ich denn auch nur ein
Hinterbänkler im Senat werden, ohne jemals im Felde etwas geleistet zu haben,
so wie du? Nur mit Ruhm kann man heutzutage in der Politik etwas werden. Beim Militär
nimmt man jedenfalls auch Leute, die sich schlagen können, weil sie wenigstens
zu kämpfen verstehen!“ Damit ließ er seine fassungslosen Eltern stehen und
rauschte wutentbrannt davon.
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