Die „Rufus“-Reihe soll jeder verstehen und genießen können, Jugendliche und Erwachsene, Studierte und Nichtstudierte. Wer sich im Roman auf fremde Welten einlässt, der wird auf unterhaltsame Weise ganz automatisch kennenlernen, was die damalige Zeit so alles zu bieten hatte - und lernt beim Lesen wie von selbst. Alles so authentisch und historisch korrekt wie möglich zu erzählen und dabei spannend zu bleiben, das ist mein Ziel.
Die „AMORES - Die Liebesleiden des jungen Ovid“ sind dagegen nicht immer ganz jugendfrei (wie auch die Originalverse Ovids und seiner Zeitgenossen). Der Laie kann sich über die „moderne“ Sprache & Handlung freuen, der Fachmann über zahlreiche Anspielungen und intertextuelle Scherze.
Auf dem Blog zeige ich einen Blick hinter die Kulissen. Dabei gebe ich auch Hintergrundinformationen über Politik und Alltagsleben der späten Republik und frühen Kaiserzeit in Rom und einiger Kelten- und Germanenstämme.
Feste Probeleser aus verschiedensten Altersgruppen haben bereits die ersten Bände gelesen. Die Rückmeldungen setze ich um. Sehr gute Feedbacks kamen dabei nicht nur von Universitätsprofessoren und anderen Fachleuten sondern gerade auch von Schülerinnen und Schülern - vielleicht demnächst auch von dir? Gerne nehme ich jede gute Anregung auf (Rufus.in.Rom@gmail.com)...

Montag, 25. Februar 2013

5. Abschied. Leseprobe aus "Donner im Keltenland"

Im folgenden ein Auszug aus dem fünften Kapitel von Rufus - Donnerim Keltenland. Die Links hier führen zu den Leseproben aus dem ersten, zweiten, dritten und vierten Kapitel.
Wie immer freue ich mich über jede Anregung und jeden Kommentar!
 

5.   Abschied

            […] Vor ihnen erstreckte sich die südwestliche Lichtung am Fuße des alles überragenden Dünsberges. Vorsichtig kam die Vorhut des Zuges aus dem Wald, den Berg im direkten Blickfeld. Weit über tausend Fuß höher als die nahe Loneta dominierte er eindeutig die Landschaft. Mit seiner charakteristischen Silhouette in der Form eines menschlichen Knies bildete der Berg eine deutliche Landmarke. Bereits am Fuße der Hänge konnten sie ein weit ausgedehntes Heerlager sehen. Der Zug der Männer Ubiacums kam abrupt zum Stehen. Für ein solches Heer konnten sie nicht einmal ansatzweise eine Bedrohung darstellen. Entsetzt starrten sie auf das Gewimmel bewaffneter Krieger. Das ringförmig und weitläufig angelegte Lager reichte von der Ebene fast bis hinauf zum Oppidum auf der Kuppe des Berges, das durch mächtige Ringwälle befestigt war. Selbst auf den relativ steilen Hängen, auf denen die Bewohner Ubiacums podienartige Terrassenflächen angelegt hatten, vermeinte Euamellin Bewaffnete zwischen den Häusern ausmachen zu können. Die Anführer berieten sich mit dem Boten, der die Verhältnisse in der Stadt kannte. „Es sieht nicht gut aus. Sie sind überall: ein großes Heer an den Hängen, alle Tore sind besetzt, die Oberstadt auch, einfach alle wichtigen Punkte sind in ihrer Hand. Ein Versuch durchzubrechen wäre reiner Selbstmord“, lautete die nüchterne Bestandsaufnahme Haldavvos.
            Euamellin, Sedavo und Fiskja befanden sich unter den Reitern Henakians. Ferio und seine Männer waren im vorderen Drittel postiert. Doch brüstete sich niemand mehr, die Sueben einfach davonzujagen zu können. Nervös kauten sie auf ihrer Unterlippe herum. Fiskja sah zu einer Stelle am Waldrand. „Seht ihr den Punkt da drüben? Hinter den Blättern bewegt sich was. Das muss wohl die Spitze eines Pferdekopfes sein.“ Euamellin gab ihm Recht. „Stimmt. Sie müssen Postenketten in der Umgebung aufgestellt haben.“ Sedavo blickte nachdenklich ins Gebüsch. „Ich bin mir sicher, dass sie auch die Wege zum Hafen an der Loneta blockiert haben. An ihrer Stelle würde ich es jedenfalls so machen.“ Fiskja zerrte wütend an seinem Schild herum. „Wie konnten sie nur die Ringwälle überwinden? Trotz der Spitzgräben, die davor liegen? Die sind immerhin dreiunddreißig Fuß tief! Das hätte sie doch eine Weile aufhalten müssen, beim Wodan! „Vierzehn Tordurchlässe sind nicht leicht zu verteidigen“, erwiderte Euamellin. Fiskja war noch nicht überzeugt. „Unsere unbezwinglichen Zangentore? Wer da hindurch will, muss sich doch von drei Seiten beschießen lassen, bevor er überhaupt an das Tor selbst rankommen kann!“ Sakjo mischte sich ein: „Jetzt denk doch einmal mit, du Chatte! Selbst wenn nicht fast alle unserer Krieger entweder bei uns im Wald gewesen wären oder auf den Feldern des Umlandes: Zur Verteidigung braucht man eine Menge Bewaffneter! Wir hatten gar keine Zeit, die Krieger in der Nähe nach Ubiacum einzuberufen.“ Sedavo hatte ebenfalls seine Zweifel. „Aber da müssen doch noch fast tausend Menschen übrig geblieben sein…und die Wachposten?“ „Kinder, Greise, Frauen und Unfreie, die sollen gegen ein Heer der Sueben Widerstand leisten? Ich bitte dich…“
            Während die Jungen, eingerahmt von erwachsenen Kriegern noch überlegten, kam auf der anderen Seite Bewegung in die Reihen. Fiskja ballte die Faust um seinen Schwertknauf. „Seht mal, man hat uns entdeckt. Jetzt wird’s ernst…“ „Da kommen aber nur drei Reiter“, wunderte sich Sedavo. „Anscheinend erinnern sie sich daran, dass wir eigentlich noch an das Friedensbündnis gebunden sind“, meinte Euamellin. „Auch wen es elf Jahre her ist…“ Die drei Reiter kamen näher. Ihre Pferde waren kleiner als bei den Ubiern üblich, kaum vier Fuß bis zum Widerrist am Halsansatz und fast vollkommen schmucklos. „Was ist das denn? Sind das Kinderpferdchen, oder was?“ „So klein sind die auch wieder nicht“, knurrte Fiskja. „Das sieht nur so aus, weil die Krieger besonders groß und muskulös sind. Die sollten wir nicht unterschätzen!“ „Seht mal“, bemerkte Sedavo, „die haben auch gar keine Sättel! Und Helme tragen sie auch nicht. Sind das am Ende gar keine vornehmen Anführer?“ Angestrengt musterten die Jungen die fremden Reiter. Alle drei hatten ihre langen blonden Haare rechts vorne über Stirn zu einem Haarknoten hochgebunden. Euamellin schätzte den in der Mitte mit Bart auf ungefähr dreißig Jahre, die anderen beiden waren jünger, vielleicht an die zwanzig und mehr oder weniger glatt rasiert. Sie hatten auch keinen Panzer angelegt, nur einen auffallenden wehenden Mantel über einem einfachen Kittel, Hose und Schuhe sowie ein Schwert. Wie sie lässig herantrabten, die rechte Hand locker nach unten hängend, machten sie nicht den Eindruck, als seien sie auf einen Kampf aus. Nur ihre Narben ließen auf einen kriegerischen Lebenslauf schließen.
            Als die Reiter in Rufreichweite gekommen waren, blieben sie stehen. „Männer Ubiacums, wir grüßen euch. Vor euch stehen treue Gefolgsmänner des Aginomellosohnes Ariovistos, des Königs der Sueben. Wer befehligt eure Krieger?“, rief der Reiter in der Mitte in haeduischem Keltisch. Er sprach mit einem seltsamen Mischakzent: sowohl Suebisch als auch Sequanisch. Snevemin und Staveno ritten ihnen entgegen. „Vor euch stehen Staveno, des Sautheno Sohn und sein Schwiegersohn Snevemin, Sohn des Battavo“ entgegnete Snevemin in chattischem Suebisch. Staveno war noch vom Ritt erschöpft und atmete schwer. Der älteste der drei Sueben ritt direkt neben Snevemin heran, so dass sich ihre Pferde beinahe an der Flanke berührten. „Gut, die führenden Mitglieder eures Rates, wie mir gesagt wurde.“ Ungerührt behielt der Suebe sein akzent-behaftetes Keltisch bei: „Ich schätze dahinter sitzt der restliche Rat - hoch zu Ross?“ Snevemin verschränkte die Arme und zog einen Mundwinkel herunter. Dann wechselte er nahtlos ins Haeduische „Und wenn dem so wäre? Was wollt ihr?“ „Oh verzeih, habe ich vergessen mich vorzustellen?“ Die anderen beiden lachten mit unverhohlenem Spott, ihr Anführer drehte sich grinsend um. „He, hört auf zu lachen! Wo bleiben nur eure Manieren?“ Dann wieder zu Snevemin gewandt. „Ich bin Gamuth, Sohn des Gimbert, die zwei Spaßvögel da sind meine Brüder Gimo und Gamo, ebenfalls Söhne des Gimbert. Wir statten euch einen kleinen Höflichkeitsbesuch ab, wie es sich unter Bündnispartnern gehört.“ Wieder lachten Gimo und Gamo. Snevemin und Staveno waren entrüstet. „Ein Höflichkeitsbesuch…?“ „Warum auch nicht? So weit ist der Rhenos ja gar nicht entfernt. Unser Heerkönig wollte nur nachsehen, ob bei euch Ubiern alles in Ordnung ist. Wo doch zuletzt  so viele eilige Boten bei euch unterwegs waren. Na, und da sind wir eben als gute Nachbarstämme mal eben kurz vorbeigekommen.“ Snevemin wurde zunehmend ärgerlich, spielte das Spiel jedoch noch mit: „Eure Höflichkeit ist ziemlich raumgreifend. Wie ich höre sind die Tore voller Krieger, die Oberstadt auch - die ganze Stadt ist besetzt...“ Gamuth blieb die Gelassenheit in Person. „Wir wussten einfach nicht, wo wir so viele Männer lassen sollten, ohne euch zu stören… und da ihr gerade nicht zu Hause wart…“ „Ihr habt sie gut verteilt“, antwortete Staveno mit einem grimmigen Lächeln.
            […] In der großen Halle herrschte ein ziemliches Gedränge. An der Stirnseite stand Gamuth exponiert in der Mitte, hinter ihm seine Brüder Gimo und Gamo und ein paar suebische Krieger. Weitere Sueben bildeten längs durch den Raum zu beiden Seiten eine Gasse, dahinter standen Vertreter der Ratsfamilien Ubiacums mit ein paar ihrer Kinder. Euamellin suchte nach bekannten Gesichtern und fand Staveno, der schwer atmete und sich von Snevemin stützen ließ, Sinnio mit seinen Söhnen, Evekern, Lellavo und auch Veleda. Gleich am Eingang erkannte er Henakian und Sakjo sowie dessen Schwester. Und unter den Kriegern der Sueben an der Stirnseite? Täuschte er sich oder stand hinter dem blonden Brüderpaar… doch, das war ja – Harimello! Der große Krieger, der sie hereingeführt hatte, gab mit dem Zeigefinger ein Zeichen nach vorn, Gimo trat an Harimello heran und flüsterte ihm etwas zu, worauf Harimello nickte. Gimo machte seinem Bruder ein Zeichen mit dem Daumen. „Gut“, begann Gamuth, „alle Ubier, die wir wollten, sind hier.“ Er sprach wieder in haeduischem Keltisch, von dem er wusste, dass die ubische Oberschicht stolz war, es zu beherrschen. Sein eigenwilliger sequanisch-suebischer Akzent war leicht irritierend, störte jedoch kaum das Verständnis. Nur die Chatten hätten es sicher lieber gesehen, wenn er auf Suebisch gesprochen hätte. Ab und zu musste einer von ihnen einen Ubier fragen, was gerade gesprochen wurde.
            „Ihr fragt euch sicher, warum wir euch besuchen?“ Gamuth ließ seine stechenden, graublauen Augen über die Versammelten schweifen. „Wie gesagt, ein reiner Freundschaftsbesuch. Niemand hat vor, Feindseligkeiten auszutragen, schon gar kein Gemetzel“ Gamuth schritt, während er sprach, die Gasse auf und ab, blieb ab und zu stehen und schaute dem einen oder anderen direkt ins Gesicht. „Jedenfalls nicht, solange es nicht unbedingt nötig ist“ Die Anwesenden sogen die Luft ein. Euamellin verspannte sich. „Wie man euch wahrscheinlich schon berichtet hat, ist unser stolzer Heerkönig Ariovistos, Sohn des Aginomello gerade ein wenig südlich von euch beschäftigt“, fuhr Gamuth fort, „da gibt es doch durchaus ein paar Helvetier und andere Keltenstämme, die ihm nicht wirklich freundlich gesonnen waren, während er in den letzten Jahren für die Sequaner gekämpft hat. Manche haben ein Abhängigkeitsverhältnis abschütteln wollen oder gar bereits vereinbarte Tribute nach einem Unterwerfungsvertrag eingestellt, manche waren sogar so unverschämt, seine Feinde, die Haeduer zu unterstützen. Jedenfalls hat er ein paar Truppen bei der Belagerung des Oppidums von Manching gelassen, andere vor Kehlheim und rückt durch das Gebiet der Vindeliker nun gegen die Noricer vor. Sobald wir uns wieder mit seinem Hauptheer vereinigt haben, statten wir König Voccio einen kleinen Besuch ab…“ Da stellte sich Gimo direkt neben Henakian, der ein besonders unzufriedenes Gesicht machte: „Schade, wir werden eure freundliche Gastfreund-schaft also nicht lange in Anspruch nehmen können.“ Dann zupfte er unversehens Henakian an seinem wohlgestutzten Bart „Du freust dich doch über unseren Besuch, du Schnurrbart, oder?“ Mehrere Sueben lachten. Staveno legte ihm sanft die Hand auf den Schwertarm. Man sah Henakian an, dass er sich nur mit äußerster Kraftanstrengung beherrschen konnte.
            Ein dermaßen respektloses Auftreten der Sueben hatten nur die Wenigsten erwartet. „Bei meinem Barte!“, murmelte Lellavo. Sofort baute sich Gimo vor ihm auf „He, du Rotbart, was erlaubst du dir? Hast du etwa keinen Respekt vor deinen suebischen Freunden?“ Instinktiv legte sich Lellavos Hand an seinen Schwertgriff. Sofort zogen die suebischen Krieger drohend ihre Schwerter aus der Scheide und erhoben ihre Speere. „Hristo, nicht jetzt!“, herrschte ihn Snevemin an. „Hristo, nein, denk an die Kinder! Es nützt nichts - lass es, Onkel“, raunte ihm Veleda zu. Einen Moment lang noch schien es, als wolle Lellavo auch blank ziehen, dann riss er sich zusammen und blickte stumm zu Boden. Gamo gesellte sich zu seinem Bruder, um zusammen mit Gimo seinen Spaß mit Lellavo zu treiben. „Wer oft flüstert, braucht gute Ohren. Hat Dir schon jemand gesagt, dass Du ganz besonders große Ohren hast?“ Gamo näherte sich mit Zeigefinger und Daumen Lellavos Ohren, Gimo packte gerade noch rechtzeitig Gamo am Handgelenk: „Aber Brüderchen, du willst doch nicht einen unserer Gastgeber beleidigen! Große Ohren, ts, ts, ts!“ Dann packte er selbst Lellavos Ohren mit beiden Händen: „Nein, RIESIGE Ohren sind das, gigantische, nicht einfach nur große!“ Lellavo stieg das Blut in den Kopf. Die Farbe seiner Ohren wechselte von zartem Rosa zu dunklem Purpur. Seine Hand gehorchte ihm kaum, sich nicht wieder auf den Schwertgriff zu legen. Gimo ließ ihn los, dafür trat Gamo forsch auf ihn zu und beugte sich über den fast einen Kopf kleineren Lellavo, als sähe er ein Naturschauspiel: „ Er hat sogar bunte Ohren, nicht wahr, Gimo?“ „Lass mich mal sehen! Ja, in der Tat! Er kann seine Ohren leuchten lassen! Was könnt ihr Ubier noch alles? Komisch reden? Zusammengepfercht innerhalb einer Stadtmauer leben, wie Vieh? Ohren leuchten lassen? Aber mit so großen Ohren kann man doch sicher gut zuhören, oder? Mit solchen Ohren müsste man doch sicher gut Abmachungen einhalten können, nicht wahr? Und Bündnisse und Tributversprechungen, oder?“
            Ein Raunen ging durch die Runde der versammelten Ubier. „Ganz recht, liebe Ubier. Das hättet ihr eigentlich hinbekommen sollen. Wo ihr solche Ohren unter euch habt…Aber auch wir haben Ohren…“ Gamo lächelte verschmitzt. „Uns ist zu Ohren gekommen, dass ihr in letzter Zeit viel zugehört habt oder euch zumindest viel zu sagen hattet. Einberufungen der adligen Familien, ein Thing in Planung und so weiter… was habt ihr da noch gleich beschlossen?“ „Aber Bruderherz“, unterbrach ihn Gimo, „das geht uns nichts an, ist doch eine rein ubische Angelegenheit - oder eine ubisch-chattische, oder doch eher eine chattische…? Gingen eigentlich in den letzten Jahren gar keine Tribute mehr an die Hauptgruppe der Chatten oder haben die nur vergessen, diese an uns weiterzuleiten?“ Gamuth übernahm wieder für seine Brüder: „Aber Brüderchen, das klären wir später. Mit den Chatten hätten wir noch ein größeres Huhn zu rupfen.“ Gamuth machte eine kleine Pause und lächelte. „Zumindest haben wir bei den Vindelikern ein paar Wagenladungen von euch gefunden, die auf dem Weg nach Manching waren. Die waren doch sicher für unseren Ariovistos, den Sohn Aginomellos bestimmt, oder? Wir haben die Hilfsgüter und Goldmünzen schon einmal als Anzahlung genommen. Aber sagt mal, prägt ihr nicht eure eigenen Vogelköpfe? Und habt ihr nicht auch eine lustige Silbermünze, so ein tanzendes Männlein? Warum hattet ihr denn so viele fremde Goldmünzen runtergeschickt? Wozu denn das Gold wieder dorthin zurückschicken, woher ihr es teuer bezieht…?“ In der Halle war kein einziger Laut zu vernehmen.
            Gamuth musterte alle Stammeshäupter, einen nach dem anderen, schließlich brach er selbst das Schweigen. „Aber wie gesagt, es handelt sich lediglich um einen Freundschaftsbesuch. Wie ihr wisst, hat unser Heerkönig viele Freunde. Unter ihm verdienen sich außer uns Gefolgsmänner vieler anderer Stämme Ehre, Ruhm und Beute. So mancher Triboker, Harude und Markomanne hat sich bereits einen Besitz westlich des Rhenos verdienen können. Warum nicht auch ihr? Jeder der sich uns anschließen will, ist willkommen!“ Da lief Harimello zu ihm hin, die rechte Hand ruhte auf dem Holzgriff eines relativ schlichten, suebischen Schwertes, mit dem er gegürtet war. Seine braunen Locken waren seitlich zu einem Knoten aufgebunden. Der lange Oberkörper steckte in einem Kettenhemd. Es schien zwar ein wenig zu kurz und zu locker zu sein, dafür trug er es sichtlich mit Stolz. „Wer auch genug hat von den sinnlosen Vorschriften der alten Familien, soll ihnen folgen. Ich habe mich jedenfalls dazu entschieden.“ Euamellin traute kaum seinen Ohren. Harimello hatte so einfach die Fronten gewechselt? „Bei ihnen zählen nicht nur sinnlose Riten, beherrscht von einzelnen Sippen. Unter Ariovistos kämpft man als Freier unter Freien, nicht den sogenannten »besten Familien« untertan, oder Adligen, wie sie sich nennen. Während ihr euch hier langsam versammelt habt, habe ich bereits mehrere jugendliche Krieger aus der Unterstadt überzeugen können. Aber auch hier sehe ich unzufriedene Männer. Na los, wer ist sonst noch dabei?“ Niemand rührte sich.
            […] Auf das betretene Schweigen führte Gimo das Werben um Gefolgsleute fort: „Warum sollten nicht auch einige von euch sich freiwillig durch einen Treueeid verpflichten? In der einen oder anderen Sippe führt ein Verwandter die Geschäfte, für euch bleibt kaum ein Weg, sich auszuzeichnen? Steht doch auf eigenen Füßen!“ Gimo zeigte auf Harimello. „Der Bursche hier ist gar nicht so dumm, bei euch durfte er seit Jahren nicht einmal Waffen tragen, jetzt ist ihm schon einmal mindestens ein Hof jenseits des Rhenos sicher - mit allem was dazu gehört, Gebäude, Ausstattung und Pächter. Und dann erst der Ruhm einer Schlacht…“ Gimos grünblauen Augen mit den Lachfältchen am Rande blitzten voll überzeugter Begeisterung. „Da zählt noch die tapfere Tat eines tapferen Mannes. Für eure Dienste beim Heerkönig persönlich winken gestellte Verpflegung, persönliche Ausrüstung, einen Anteil an der Beute sowie sonstige Geschenke.“ Damit klopfte er mit den Handknöcheln auf Harimellos Schwert und Kettenhemd. „Oder wollt ihr lieber hier träge werden, Felder bestellen und auf Ernten warten, kurz, in langer Friedensruhe erstarren? Es gibt schon einen Grund  dafür, warum die Ubier nicht mehr so mächtig sind, wie sie es einst einmal waren. Sich mit mühseligem Schweiß zu erarbeiten, was man ruhmreich mit Blut haben kann – das ist doch erst richtige Schlaffheit für einen echten Mann… Wer sich jedoch Beute und Land verdienen will, der kommt mit uns.“
            Gamo streckte zur Geste des Willkommens und der Freundschaft seine geöffnete Hand in den Raum und wartete. Seine listigen eisblauen Augen durchmaßen flink die Halle und suchten nach leicht zu überzeugenden Opfern, denen er sich mit besonderer Liebenswürdigkeit und Überzeugungskraft widmete. Ein paar Jugendliche und Männer niederer Rangfolge innerhalb ihrer Sippe wollten sich nun tatsächlich Ariovistos als Gefolgsmänner anbieten. Man begrüßte sie herzlich und ließ sie durch die Absperrung der Krieger in die Gasse treten. Ihre Familien beobachteten die unerwartete Szene jedoch mit Abscheu und Entsetzen.
            Damit schien die Veranstaltung beendet. Zufrieden schritten die drei Brüder die Gasse entlang Richtung Tür. Die Familien Ubiacums atmeten auf. Kurz bevor Gamuth die Halle verließ, drehte er sich jedoch noch einmal um. „Ach, beinahe hätte ich es vergessen! Unser Heerkönig würde es gerne sehen, wenn er diesmal von Ärger hinter seinem Rücken verschont bliebe, sollte er bald wieder im Westen sein. Das mit den Geiseln, die ihr vor elf Jahren bei den Chatten lassen musstet… ihr wisst ja selbst, dass die Chatten inzwischen nicht mehr unbedingt unsere Nähe suchen. Von den Tributen und den Familien, die man zu deren Absicherung hierher verfrachtet hat, ganz zu schweigen. Eure Söhne und Töchter, die heute hier versammelt sind - soweit sie sich uns nicht angeschlossen haben - werden uns zu Ariovistos begleiten. Seid uns deswegen nicht böse. Nur um sicher zu gehen, dass ihr auch weiterhin die richtigen Entscheidungen trefft; vor allem beim anstehenden Thing. Das dient ausschließlich eurem eigenen Wohlergehen – und dem eurer Familien…“
[…]
            Schließlich war es so weit. Am Ende des Rundrittes standen sie am Südosttor. Hier führte der breiteste und bequemste Weg den Berg hinab. Euamellin spürte, wie ihn ein Knoten im Hals drückte. Er musste schlucken. Das sollte also für lange Zeit seine letzte Begegnung mit Ubiacum sein. Durch die geöffneten Tore sah er die Wohnstätten außerhalb am Strahlenwall, aber auch bereits die Landschaft tief unterhalb des Berges. Entfernt vermeinte er, die Loneta durch die Häuserecken und die tiefer liegenden Hügel blitzen zu sehen, die Hänge, Felder und Wälder. In der Ferne war ein Donnerschlag zu hören, einzelne Wolken verdichteten sich zu einem schwarzen Band. Es würde Regen geben. Euamellin drehte sich bergaufwärts zum mittleren Ringwall und der Oberstadt um. Eine Träne kämpfte sich ihren Weg durch seine Lider. Würde er Louba, seine Mutter, seinen Vater Snevemin und Onkel Lellavo jemals wiedersehen? Der Wind wurde stärker. Zum letzten Mal sog Euamellin den Geruch vom Dünsberg ein, der ihm um die Nase wehte: Es roch nach dem Rauch aus Holzfeuern vieler Häuser und Werkstätten, nach Tannen, Fichten, Birken und Linden, Wiesen, Wildblumen und Feldern, Rindern und Schweinen. Das war der Geruch Ubiacums, der Geruch seiner Heimat. Als Euamellin seine Heimatstadt durch das Zangentor verließ, ritt er einer ungewissen Zukunft als Geisel der Sueben entgegen.
 
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