[…] Im heiligen Eichenhain der Kriegergöttin
Vagdavercustis war bereits viel los. Dieses Jahr stellten sich wieder viele
Söhne Ubiacums der Mannbarkeitsprüfung. Sie waren mit mindestens einem Mitglied
ihrer Familie erschienen. Im Regelfall überantwortete der Vater den Sohn an die
Gemeinschaft, es sei denn, dieser musste dringende Arbeiten auf dem Feld
verrichten. Oder er war beim Handel oder Handwerk gerade unerlässlich. In
diesem Fall nahm ein Verwandter oder der Gefolgsherr diese ehrenwerte Stelle
ein. Doch wer auch immer Zeit erübrigen konnte, war dabei, wenn ein nahes
Familienmitglied die Schwelle vom Kind zum freien Mann überschreiten sollte. So
war die alte Viereckschanze im Wald dicht besetzt. „Ubiacum muss jetzt wie
ausgestorben sein“, meinte Euamellin und sog den Duft des Waldes ein, der
Bäume, Tannenzapfen und des Laubes. Aber auch der Geruch von Schweiß drang in
seine Nase. Wenn das Gemurmel der Leute ein wenig abebbte, konnte man das
Gluckern der heiligen Quelle vernehmen. Sedavo wippte angespannt vor und
zurück. „Alle Familien mit einem Sohn im richtigen Alter sind hier. Ich
wünschte nur, es würden nicht so viele zuschauen.“ Fiskja räkelte sich dagegen
völlig entspannt in der Sommerhitze. „Sollen sie nur zuschauen, sie werden
echte Krieger zu sehen bekommen. Das Schwimmen und den Formationsritt haben wir
auch gut hinter uns gebracht und das war weitaus schwieriger. Was soll außerdem
bei diesem Wetter schon schiefgehen?“. Die frische Brise, die über die Lichtung
zog, ließ ihn angenehm stöhnen. „Jetzt geht es doch nur noch darum, eine gute
Figur an der Waffe zu machen und sich zu beherrschen.“ Euamellin war weniger
ruhig. „Und wenn wieder jemand Lust bekommt, etwas nach mir zu werfen, oder mir
ein Geschenk mit Eisenspitze macht? Milmass durfte wieder nicht mitkommen…“
„Keine Sorge, wir sind ja auch noch da“, entgegnete Fiskja und ließ seine
Oberarmmuskeln spielen.
Euamellin spürte, wie ein seltsames
Kribbeln in seinem Nacken aufstieg. Die Jungen hatten sich vor der Prüfung im
mittleren Drittel der Wiese versammelt, mit dem Rücken zum Publikum. Die
meisten Zuschauer saßen an das Weidengeflecht der rituellen Palisaden gelehnt,
welche das Heiligtum hinter einem Graben rechtwinklig umgab. Nicht ganz in der
Mitte der weiten Fläche erhob sich ein hölzerner Rundtempel, der mit Beutestücken
gefallener Feinde übersät war. Der Tempel war fensterlos und nur durch eine
kleine Türöffnung zu betreten, die alle angestrengt im Blick behielten. Ein
Raunen ging durch die Runde, als der oberste Stammespriester Vanamian aus dem
Tempel schritt, gefolgt von Viganvarius, dem Priester der kriegerischen
Vagdavercustis. Beide waren ganz in weiß gekleidet. Vanamian trat in die Mitte,
um den Weg abzuschreiten, auf dem sich gleich ein Vorzeichen zeigen sollte und
schüttelte einen Kultstab. Obwohl dieser Stab nur leise klirrende Geräusche von
sich gab, kehrte doch sofort Ruhe ein. Euamellins Schultern verspannten sich.
Gleich würden die Vorzeichen befragt, also nicht mehr lange bis zur Prüfung. Um
sich zu beruhigen, konzentrierte er sich auf die Bewegungen des Holzstabes.
Links, rechts, links, im Kreis, so wollte es der Ritus… Dann versuchte er den
Stab zu fixieren, sein Blick blieb an den beiden Enden hängen, an denen eine
Verkleidung aus verzierten Bronzehülsen saß. Am oberen Ende waren Kettchen mit
symbolträchtigen Anhängern befestigt: Vogelköpfe, Sonnenrad und Menschenhände,
die bei jeder Bewegung klimperten.
Schließlich war der Bereich
begutachtet und man spannte die heiligen Schimmel vor den Kultwagen, die nur
für diesen Zweck in den Hainen waren. Vanamian und Staveno gingen langsam neben
den Pferden her und beobachteten ihr Wiehern und Schnauben. Euamellin hörte ein
Geräusch in seinem Rücken und fuhr nervös herum. Es war jedoch nur das leise
Scheppern von Tongefäßen und das Ziehen von schweren Gegenständen über Gras.
Hinter ihnen wurde bereits das gemeinsame Kultmahl vorbereitet. Plötzlich fuhr
er zusammen, Waffen wurden aufeinandergeschlagen, Vanamian und Staveno standen
mit in den Himmel gereckten Handflächen da und präsentierten sich so der Menge.
Die Vorzeichen waren günstig. Zur Bestätigung schritt man zum rituellen Opfer.
Während ein paar jüngere Priester Vanamian halfen, in die hohe Eiche zu
klettern, standen weitere Priester unauffällig Viganvarius zur Seite, zwei
weiße Stiere herbeizuführen. Vanamian setzte mit einer goldenen Sichel einen
Schnitt, ledrige Mistelzweige fielen zu Boden, wo sie mit einem weißen Leintuch
aufgefangen wurden. Viganvarius ließ sich assistieren, um die Hörner der Stiere
mit Kränzen zu schmücken. Dann ließ er sich ein Kultbeil reichen. Euamellin
wandte sich ab. Als er kurz nacheinander zwei laut krachende Geräusche vernahm,
die über den Hain dröhnten, wusste er, dass die Schädel der Stiere in schneller
Folge gespalten worden waren. Erst danach hörte man, wie die Tiere zusammenbrachen
und zu Boden fielen. Sie hatten sich offensichtlich nicht gewehrt, nicht einmal
ein Muhen von sich gegeben. Vermutlich hat man sie zuvor betäubt, dachte
Euamellin. Solange die Eingeweide der Opfertiere untersucht wurden, hielt er
den Blick noch abgewendet. Das danach einsetzende Getöse der Waffen zeigte ihm
deutlich genug, dass die Göttin ihnen gewogen war. Schnell wurden die Tiere
zerlegt, um für das gemeinsame Mahl gebraten zu werden. Nur die Knochen und das
Fett des Tiers wurden Vagdavercustis dargebracht, indem man sie verbrannte. Den
Rest verspeiste die Kultgemeinschaft gemeinsam mit ihrer Göttin, während sich
die angehenden Krieger erst noch vor den Schmausenden beweisen mussten. Das
Schlachtfest konnte beginnen.
Als erstes traten die jungen Krieger
an, deren Familien kein Pferd unterhalten konnten, was bei den allermeisten
Jugendlichen der Fall war. „Die sind ja alle viel älter als wir!“, staunte
Sedavo. „Freut euch, Kinderchen, nicht jeder darf so jung ran“, knurrte
Harimello. Es war unschwer zu erkennen, dass er schon seit Jahren darauf
brannte, endlich die Mannbarkeitsprüfung zu bestehen. „Kommt anscheinend auch
darauf an, wie viel Einfluss eine Familie hat“, mutmaßte Sedavo. „Mein Onkel
Hristo meint, hohe Abkunft und Verdienste der Ahnen verschaffen einem nicht nur
früh einen Gefolgsherrn, sondern auch die Mannbarkeit.“ „Ach was, ist doch viel
einfacher: Je mächtiger, reicher oder kriegerischer die Sippe, desto jünger
kann man für wehrfähig erklärt werden“, klärte Fiskja sie auf. „Was ihr drei
dann in unserer Ecke macht, ist mir aber schleierhaft“, frotzelte Sakjo. „Bei
Vagdavercustis, jetzt haltet doch endlich die Klappe, die ersten haben schon
angefangen.“
Wer sich zu seinem Holzschild nur
eine Frame oder auch nur einen leichten Wurfspeer leisten konnte, machte den
Anfang. Gemeinsam stimmten sie den Vormarschgesang an und schlossen die Reihen
zu einer dichten Frontlinie. „U-bi-er, U-bi-er, U-bi-er“, dröhnte der
vielstimmige Chor rhythmisch zu jedem Schritt. Die jungen Krieger kamen in der
Mitte zu stehen und nahmen eine einfache Grundstellung ein. Viele hatten den
Oberkörper entblößt und trugen nur eine Hose, ein paar traten sogar nackt an,
wie Berserker. Dann erschallten die Kommandos: Vor, zum Keil! Zurück, Linie
halten! Keilformation! Linie! Angriffshaltung mit zum Wurf erhobenem Speer!
Linie, Verteidigungshaltung mit zur Abwehr gerecktem Speer! Schildwall bilden!
Euamellin war überrascht. Dafür, dass jeder von den einfachen Leuten
hauptsächlich einen anderen Beruf erlernen und ausüben musste, die meisten als
Bauern, klappte das richtig gut. Im Schildwall standen sie fast vollkommen
geschlossen wie erfahrene Krieger. Dazwischen wurden sie mit Stöcken beworfen
oder mit Tannenzapfen als Schleudermunition beschossen, um zu sehen, ob sie sich
beherrschen konnten und die Formation hielten oder ob sie sich allzu leicht
ärgern ließen und auf den losstürzten, der sie beworfen hatte. Nach einem
gemeinsamen Anlaufen gegen einen imaginären Gegner und gemeinschaftlichen
Speerwurf wurde die erste Abteilung unter dem lauten Jubel ihrer Familien und
Freunde entlassen. Zum letzten Mal mussten sie die Waffen abgeben. Die Väter
oder Vertreter traten zur Übernahme der Waffensohnschaft hinzu und wappneten
die jungen Krieger mit der ersten eigenen Frame und einem eigenen Schild. Aus
dem Kreise der Stammesoberhäupter trat Haldavvo hervor und verkündete die
Aufnahme in die Gemeinschaft: „Freie Männer Ubiacums, ihr habt bewiesen, dass
ihr euch als vernünftige Krieger zu benehmen wisst. Bewahrt mit Stolz eure Waffen.
Bisher wart ihr nur Teil eurer Familien, jetzt seid ihr Teil unseres
Gemeinwesens.“ Es ertönte lautes Waffengetöse. Danach trat die nächste Gruppe
an.
Die jungen Reiterkrieger mussten
noch warten, bis die Abteilungen der Fußkämpfer ihr Können gezeigt hatten.
Allmählich fand es Euamellin langweilig. Immer dasselbe. Framen, bunt bemalte
Schilde, Angriffs- und Verteidigungspositionen, kleinere Provo-kationen und
Störversuche, Speerwurf, Aufnahme verkündet von einem Mitglied des Rates von
Ubiacum. Nur ganz selten musste ein Jugendlicher zurückgeschickt werden, der
sich hatte aus dem Takt bringen lassen oder die Beherrschung verloren hatte.
„Du zeigst noch nicht genug Verantwortungsbewusstsein, um alleine eine Waffe
führen zu können. Lerne, dich zu beherrschen und versuche es im nächsten Jahr
erneut“, bekam der enttäuschte Anwärter zu hören. Als man mit den reicheren
Familien bei den Schwertkämpfern angelangt war, wurde das Aufnahmeritual schon
spannender: Jetzt traten die Jungen einzeln vor und bekamen es mit einem
richtigen Gegner zu tun. Ein echter Zweikampf war freilich auch hier nicht
vorgesehen, erneut mussten Stellungen gezeigt und behauptet werden, auch wenn
man von einem weitaus erfahreneren Gegner genarrt oder provoziert wurde. Hinzu
kam noch eine ritualisierte Abfolge von Schlägen und Paraden, die relativ
vorhersehbar war.
Bedrohlich wirkte das Ganze kaum,
vielleicht auch wegen des fröhlichen Schmausens der Zuschauer um sie herum, zu
dem sich alle gesellen konnten, die schon bestanden hatten. Dennoch war Sedavos
Vater Evekern an den Rand der Kämpfenden geeilt und hatte begonnen, eine
Ledertasche auszupacken. Euamellin wusste, dass Evekern häufig als Heiler in
Anspruch genommen wurde. Evekern besaß umfangreiche medizinische Kenntnisse,
vor allem bei Knochenbrüchen. Wund-infektionen schien er geradezu magisch in
den Griff zu bekommen. […]
Evekern war nur allzu gerne bereit,
Euamellin über seine Geräte und sein Wissen Auskunft zu geben. Das half
gleichermaßen, seine Neugier zu stillen wie auch seine Nervosität zu
verringern. Bis zu dem Moment, als seine Freunde ihn wieder zu sich holten.
Sedavo schien auch ein wenig unsicher. Er suchte anscheinend Euamellins Nähe,
ohne dabei zu nahe bei seinem Vater Evekern gesehen zu werden. „Komm, du kannst
ein andermal weiter fachsimpeln.“ Fiskja war dagegen voller Vorfreude. „Mach
dich bereit Euamellin! Jetzt kann es nicht mehr lange dauern, Freunde. Gleich
sind auch wir stolze Krieger!“ Inzwischen waren nicht mehr viele Jungen übrig,
nur noch angehende Reiterkrieger, die es mit einem Gegner in voller Rüstung zu
tun bekamen. Euamellin versuchte sich damit zu beruhigen, dass es
offensichtlich mehr auf eine einfache Beherrschung der Waffenführung und seiner
selbst ankam, als um eine echte Herausforderung. Ihr Können als Reiter hatten
sie ja bereits bei der Schwimmprüfung und auf dem Ritt demonstrieren müssen.
Als Fiskja an der Reihe war, schlug ihm das Herz bis zum Hals. Man hatte ihm
Warjan als Gegner bestimmt, den heißblütigen Sohn des Friatto. Wie befürchtet
ließ Warjan keine Gelegenheit aus, Fiskja zu provozieren. „Na, Suebensöhnchen,
wollen wir uns schon mit richtigen Männern messen?“, höhnte er, als er Fiskja
zum Stolpern gebracht hatte. Doch Fiskja hatte lange genug bei den anderen
zugesehen und mit Provokationen gerechnet. Er biss auf die Zähne und ließ sich
durch überhaupt nichts aus der Ruhe bringen. Stumm hielt er die ihm bestimmten
Positionen ein und zeigte ergeben alle geforderten Schläge und Paraden. Nicht
einmal als Warjan ihn mit dem Schwert seine Haut ritzte, seinen Hosenbund
durchschnitt und ihm in den Hintern trat, zeigte er eine Reaktion. Umso größer
toste der waffenklirrende Beifall, als er die Prüfung schließlich souverän
be-standen hatte. Stolz nahm er von seinem Vater Pferd, Schild, Schwert und
Umhang entgegen. Sinnio verkündete die Aufnahme in die Gemeinschaft.
Warjan war unschwer anzusehen, dass
er sich weniger über die Aufnahme des Sohns eines Chatten unter die
Gemeinschaft der Männer Ubiacums gefreut hatte. Verärgert kaute er auf seiner
Unterlippe herum. Sein Mundwinkel hing auf einer Seite schräg hinab, die
Augenbrauen zeigten zur Nase hin, deren Flügel vor Zorn bebten. Als nächster
Kandidat musste Harimello antreten. Der erste Wechsel an Schwert-schlägen und
Paraden folgte dem ritualisierten Ablauf. Doch schon nach wenigen Augenblicken
steigerte Warjan Schlagkraft und Tempo enorm. Harimello hatte kaum eine Chance,
die geforderten Paraden rechtzeitig anzubringen. Die Schläge und Finten
prasselten in immer schnellerer Folge auf ihn ein, dazwischen setzte es noch
Tritte und Schildstöße. Offensichtlich wollte Warjan ihn bloßstellen. Harimello
hielt verbissen dagegen. Auf keinen Fall wollte er erneut scheitern. Als Warjan
ihn stolpern ließ und einen leichten Schnitt in den Arm verpasste, fuhr er
herum und stürzte sich mit einem Wutschrei auf seinen Gegner. Warjan wich ihm
jedoch elegant aus und versetzte ihm mit dem Schildbuckel einen Stoß. Harimello
ging erneut zu Boden und bekam einen Tritt in den Hintern serviert. Harimello
spuckte aus. Aus seinem Mundwinkel und von seinem Oberarm tropfte Blut, seine
brau-nen Locken klebten verschwitzt an seinem Gesicht. Er atmete tief durch,
wobei der ganze Körper bebte. Dann richtete er sich langsam halbhoch auf.
Euamellin schaute sich nach Viganvarius um, dem Priester der Kriegergöttin.
Mehrere Zuschauer mussten die gleiche Idee gehabt haben, doch Viganvarius hielt
nur die Arme verschränkt und bedeutete mit einem leichten Kopfschütteln allen,
die sich hilfesuchend an ihn gewendet hatten, dass sich noch niemand einmischen
dürfe.
Euamellin sah mitfühlend zu
Harimello herüber. Dann schreckte er zurück: In Harimellos Augen blitzte
schiere, unbändige Mordlust auf. Mit seiner Beherrschung war es endgültig
vorbei. Seine Hand löste sich vom Schildgriff. Wie ein Wolf hielt er sich
geduckt, alle Sehnen bis zum Zerreißen gespannt, dann sprang er seinen Gegner
unter lautem Gebrüll und mit gezogenem Schwert an. Warjan war überrascht, er
hatte anscheinend nicht damit gerechnet, dass der Jugendliche vor ihm ausrasten
und zu einer ernsthaften Gefahr für ihn werden könne. Ehe jemand eingreifen
konnte, hatte Harimello ihm den Schildarm durchbohrt. Wie Tropfen eines
Sprühregens spritze das Blut, als er die Waffe wieder aus der Wunde riss.
Ungläubig ließ Warjan den Schild fallen, doch noch bevor dieser auf dem Boden
aufschlug, hatte Harimello ihm das Standbein gebrochen. Der blitzschnelle
Drehschlag mit dem Schwertknauf war kaum zu sehen gewesen. Verblüfft sackte
Warjan in sich zusammen. Dabei verlor er auch sein Schwert. Harimello hob mit Entschlossenheit
sein Schwert zum tödlichen Streich. Die Zuschauer hielten den Atem an. Es war
vollkommen still. Kurz bevor er Warjans ungeschützte Kehle durchstechen konnte,
riss ihn Snevemin in einem gewaltigen Hechtsprung zur Seite. Snevemin hielt den
noch immer wie im Rausch schreienden und wild um sich tretenden Jugendlichen
eisern im Schwitzkasten. Obwohl auch einige Gefolgsmänner schnell herbeigeeilt
waren, legten Haldavvo und Henakian persönlich Hand an. Harimello wurde
überwältigt und entwaffnet. Seine Familie geleitete ihn nach Hause. Für
Harimello war es damit vorbei. Von einem Mann wurde größere Beherrschung
verlangt.
Warjan wurde sofort behandelt.
Evekern kam mit den beiden länglichen Eisengeräten angelaufen, die er Euamellin
als Schaber zum Säubern sowie als Eisensonde zum Abtasten tiefer Wunden erklärt
hatte. Zwei Gehilfen trugen weitere Geräte, seine Ledertasche, Holzstöcke,
Leinentücher und den Wein. Vom Zuschauen hatte Euamellin erst einmal genug. Er
wusste bereits aus eigener Anschauung, wie man Wunden abtastet und reinigt.
Verstohlen schielte er zum Platz seiner Familie, wo bereits seine Waffen auf
ihn warteten, sollte er Erfolg haben. Eine Lanze, ein neues Kettenhemd, an der
Schulterpartie mit einem zusätzlichen Überwurf verstärkt. Sogar einen Helm
konnte er entdecken. Der Form nach ein Modell nach gallischem Vorbild mit
breitem Wangenschutz, der an Scharnieren am Helmrand befestigt war und sich so
dem Gesicht anpassen konnte. Einen solchen Helm trug auch nicht jedermann.
Daneben lag behutsam zusammengelegt ein blau-rot gewürfelter Mantel aus Wolle
mit cremefarbenen Fransen unter einer hübschen, breiten Bronzefibel mit roten
Emailleeinlagen. Die Farben der Sippe Stavenos. Und alles zum Greifen nah!
Nicht zu vergessen ein Schwert. War das etwa eben jene Klinge, bei der er dem
Schmied zugesehen hatte? Glänzte dort derselbe Flammendamast? Wenn ja, dann war
noch ein Griff aus Hirschhorn mit Einlagen aus Email dazugekommen. Die
Schlagmarke des Schmiedes auf der Klinge konnte er jedoch nicht ohne weiteres
erkennen. Er schlenderte unauffällig näher heran: Zum Greifen nahe lagen die
Zeichen seiner Mannbarkeit bereit. Kein Zweifel, es war das Schwert. Der
Schmied hatte mit einem Stempel der Münzmeister ein kleines tanzendes Männlein
mit einer Schlange in der Hand aufgehämmert. Dieses Motiv der für Ubiacum
charakteristischen Silbermünzen hatte man zum ersten Mal vor sieben Jahren
geprägt. Staveno hatte das Bild dieses Quinars persönlich in Auftrag gegeben:
Damals war Euamellin als Kleinkind mit einer Schlange in der Hand durch die
große Halle getanzt. Wie oft hatte er diese Geschichte zu hören bekommen, an
die ihn nun jeder dieser Quniarmünzen erinnerte… Ein lautes Knirschen und
Warjans zeitgleiches Wimmern gab ihm zu verstehen, dass Evekern inzwischen nach
dem Säubern der Wunden und dem Entfernen etwaiger Knochensplitter und
Fremdkörper gerade die Knochen gerichtet hatte. Schnell nahm er wieder seinen
Platz ein. Warjan wurde unterdessen vom Platz getragen. Fest und Prüfung gingen
weiter.
Als nächstes war Sakjo an der Reihe.
Sakjos Gegner agierte mehr als vorsichtig. Die Kämpfenden berührten sich fast
gar nicht. Angriff und Parade gingen extrem langsam vonstatten und waren leicht
vorauszuberechnen. In der Tat gab es nur wenige, die es gewagt hätten, der einflussreichen
Sippe des Friatto die Mannbarkeit eines Sohnes zu gefährden. Seine Herkunft und
der reizbare Charakter seiner Familie hatten das Schauspiel zu einer reinen
Formsache gemacht. Nach einer voraussehbaren und gähnend langweiligen
Vorstellung strich Sakjo seine Mannbarkeit und seine Waffen ein, die mit
einiger Silberzier außergewöhnlich prunkvoll ausfielen. Euamellin beneidete ihn
jedoch kaum, nicht einmal der Helm mit dem bei jeder Bewegung schwingenden
Raubvogel konnte ihn neidisch machen. Sein eigenes schlichtes, aber elegantes
Modell würde ihm vollauf genügen. Für die restlichen Kämpfe sprang Haldavvo für
den Gegner Sakjos ein. Ein Aufatmen ging durch die Runde der letzten Jungen.
Sedavo war erleichtert, als er sich Haldavvo auf dem Kampfplatz stellte. Trotz
anfänglicher Nervosität schnitt er bei seinem Lehrmeister erwartet gut ab.
Haldavvo wollte fast ausschließlich das testen, von dem er wusste, dass es die
Jungen leisten konnten. Er provozierte nur wenig. Euamellins Zuversicht wuchs.
Sedavo nahm am Ende stolz Waffen und Aufnahmespruch entgegen und setzte sich zu
seiner Familie. Sogar ein funkelndes Kettenhemd nannte er nun sein eigen.
Evekerns florierende Holzwerkstätten, die Zahl seiner unfreien Pächter und sein
Zuverdienst als Heiler hatten offenbar üppigen Gewinn abgeworfen.
Schließlich blieb nur noch Euamellin
übrig. Er hatte als einziger niemanden mehr neben sich sitzen, der im Mut
zusprechen konnte. So störte sich auch niemand daran, dass seine Familie ihm
auf dem Weg zum Kampfplatz entgegenkam und ihm Glück wünschte. „Sohn meiner
Schwester, gerade noch ein Kind und schon darfst du dich als Mann beweisen…“
Onkel Lellavo nahm ihn fest in den Arm, eine einzelne Träne der Rührung verfing
sich in seinem rötlichen Bart. „Keine Sorge, du wirst uns stolz machen, bei
meinem Barte.“ Uh, wie das kratzte! Snevemin reichte ihm nur wortlos den Arm,
drückte ihn voller Zuversicht und sah ihm aufmunternd in die Augen. Seine
Schwester Veleda fuhr ihm lächelnd über den Kopf. „Wenn du erst ein Mann bist,
darf ich das wohl nicht mehr…“ und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.
Großvater Staveno begnügte sich von seinem Sitzplatz aus mit huldvollem und
zugleich liebevollem Winken. Sein weißer Bart wiegte sanft in der Sommerbrise.
Euamellins Freunde standen aufrecht, drückten die Daumen und bedeuteten ihm
durch Zurufen und Zeichen, dass er es auf jeden Fall schaffen würde. Dann wurde
es für ihn ernst. Alleine schritt er in die Mitte des Kampfplatzes. Statt
Haldavvo stand dort nun ein anderer Krieger bereit. Ein Gefolgsmann der Sippe
des Friatto. Der kräftige Krieger winkte Euamellin mit dem Schwert, ließ die
Waffe dann kreisen und lief auf ihn zu. Für Euamellin schien er sich ein hohes
Tempo aufgespart zu haben. Wie beim Tanzen drehten sich die Kämpfenden in schneller
Folge umeinander. Gerade waren sie dabei, sich ineinander zu verbeißen,
Euamellin und sein Gegner reckten ihr Schwert in die Höhe, da sprengte ein
verschwitzter Reiter in die Mitte und riss sie aus ihrem Zusammenspiel: „Die
Sueben…, die Sueben sind da. Die Sueben haben die Stadt besetzt!“
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