Die „Rufus“-Reihe soll jeder verstehen und genießen können, Jugendliche und Erwachsene, Studierte und Nichtstudierte. Wer sich im Roman auf fremde Welten einlässt, der wird auf unterhaltsame Weise ganz automatisch kennenlernen, was die damalige Zeit so alles zu bieten hatte - und lernt beim Lesen wie von selbst. Alles so authentisch und historisch korrekt wie möglich zu erzählen und dabei spannend zu bleiben, das ist mein Ziel.
Die „AMORES - Die Liebesleiden des jungen Ovid“ sind dagegen nicht immer ganz jugendfrei (wie auch die Originalverse Ovids und seiner Zeitgenossen). Der Laie kann sich über die „moderne“ Sprache & Handlung freuen, der Fachmann über zahlreiche Anspielungen und intertextuelle Scherze.
Auf dem Blog zeige ich einen Blick hinter die Kulissen. Dabei gebe ich auch Hintergrundinformationen über Politik und Alltagsleben der späten Republik und frühen Kaiserzeit in Rom und einiger Kelten- und Germanenstämme.
Feste Probeleser aus verschiedensten Altersgruppen haben bereits die ersten Bände gelesen. Die Rückmeldungen setze ich um. Sehr gute Feedbacks kamen dabei nicht nur von Universitätsprofessoren und anderen Fachleuten sondern gerade auch von Schülerinnen und Schülern - vielleicht demnächst auch von dir? Gerne nehme ich jede gute Anregung auf (Rufus.in.Rom@gmail.com)...

Montag, 25. Februar 2013

4. Mannbarkeit. Leseprobe aus "Donner im Keltenland"

Nun ein Auszug aus dem vierten Kapitel von Rufus - Donner im Keltenland. Folgende Links führen zu den Leseproben aus dem ersten, zweiten und dritten Kapitel.
Wie immer freue ich mich über jede Anregung und jeden Kommentar!

4.  Mannbarkeit

[Euamellin wird schwer verletzt und bleibt zunächst mehrere Tage ans Bett gefesselt, doch helfen ihm seine Freunde, zur Mannbarkeitsprüfung wieder rechtzeitig fit zu werden.]

            […] Im heiligen Eichenhain der Kriegergöttin Vagdavercustis war bereits viel los. Dieses Jahr stellten sich wieder viele Söhne Ubiacums der Mannbarkeitsprüfung. Sie waren mit mindestens einem Mitglied ihrer Familie erschienen. Im Regelfall überantwortete der Vater den Sohn an die Gemeinschaft, es sei denn, dieser musste dringende Arbeiten auf dem Feld verrichten. Oder er war beim Handel oder Handwerk gerade unerlässlich. In diesem Fall nahm ein Verwandter oder der Gefolgsherr diese ehrenwerte Stelle ein. Doch wer auch immer Zeit erübrigen konnte, war dabei, wenn ein nahes Familienmitglied die Schwelle vom Kind zum freien Mann überschreiten sollte. So war die alte Viereckschanze im Wald dicht besetzt. „Ubiacum muss jetzt wie ausgestorben sein“, meinte Euamellin und sog den Duft des Waldes ein, der Bäume, Tannenzapfen und des Laubes. Aber auch der Geruch von Schweiß drang in seine Nase. Wenn das Gemurmel der Leute ein wenig abebbte, konnte man das Gluckern der heiligen Quelle vernehmen. Sedavo wippte angespannt vor und zurück. „Alle Familien mit einem Sohn im richtigen Alter sind hier. Ich wünschte nur, es würden nicht so viele zuschauen.“ Fiskja räkelte sich dagegen völlig entspannt in der Sommerhitze. „Sollen sie nur zuschauen, sie werden echte Krieger zu sehen bekommen. Das Schwimmen und den Formationsritt haben wir auch gut hinter uns gebracht und das war weitaus schwieriger. Was soll außerdem bei diesem Wetter schon schiefgehen?“. Die frische Brise, die über die Lichtung zog, ließ ihn angenehm stöhnen. „Jetzt geht es doch nur noch darum, eine gute Figur an der Waffe zu machen und sich zu beherrschen.“ Euamellin war weniger ruhig. „Und wenn wieder jemand Lust bekommt, etwas nach mir zu werfen, oder mir ein Geschenk mit Eisenspitze macht? Milmass durfte wieder nicht mitkommen…“ „Keine Sorge, wir sind ja auch noch da“, entgegnete Fiskja und ließ seine Oberarmmuskeln spielen.
            Euamellin spürte, wie ein seltsames Kribbeln in seinem Nacken aufstieg. Die Jungen hatten sich vor der Prüfung im mittleren Drittel der Wiese versammelt, mit dem Rücken zum Publikum. Die meisten Zuschauer saßen an das Weidengeflecht der rituellen Palisaden gelehnt, welche das Heiligtum hinter einem Graben rechtwinklig umgab. Nicht ganz in der Mitte der weiten Fläche erhob sich ein hölzerner Rundtempel, der mit Beutestücken gefallener Feinde übersät war. Der Tempel war fensterlos und nur durch eine kleine Türöffnung zu betreten, die alle angestrengt im Blick behielten. Ein Raunen ging durch die Runde, als der oberste Stammespriester Vanamian aus dem Tempel schritt, gefolgt von Viganvarius, dem Priester der kriegerischen Vagdavercustis. Beide waren ganz in weiß gekleidet. Vanamian trat in die Mitte, um den Weg abzuschreiten, auf dem sich gleich ein Vorzeichen zeigen sollte und schüttelte einen Kultstab. Obwohl dieser Stab nur leise klirrende Geräusche von sich gab, kehrte doch sofort Ruhe ein. Euamellins Schultern verspannten sich. Gleich würden die Vorzeichen befragt, also nicht mehr lange bis zur Prüfung. Um sich zu beruhigen, konzentrierte er sich auf die Bewegungen des Holzstabes. Links, rechts, links, im Kreis, so wollte es der Ritus… Dann versuchte er den Stab zu fixieren, sein Blick blieb an den beiden Enden hängen, an denen eine Verkleidung aus verzierten Bronzehülsen saß. Am oberen Ende waren Kettchen mit symbolträchtigen Anhängern befestigt: Vogelköpfe, Sonnenrad und Menschenhände, die bei jeder Bewegung klimperten.
            Schließlich war der Bereich begutachtet und man spannte die heiligen Schimmel vor den Kultwagen, die nur für diesen Zweck in den Hainen waren. Vanamian und Staveno gingen langsam neben den Pferden her und beobachteten ihr Wiehern und Schnauben. Euamellin hörte ein Geräusch in seinem Rücken und fuhr nervös herum. Es war jedoch nur das leise Scheppern von Tongefäßen und das Ziehen von schweren Gegenständen über Gras. Hinter ihnen wurde bereits das gemeinsame Kultmahl vorbereitet. Plötzlich fuhr er zusammen, Waffen wurden aufeinandergeschlagen, Vanamian und Staveno standen mit in den Himmel gereckten Handflächen da und präsentierten sich so der Menge. Die Vorzeichen waren günstig. Zur Bestätigung schritt man zum rituellen Opfer. Während ein paar jüngere Priester Vanamian halfen, in die hohe Eiche zu klettern, standen weitere Priester unauffällig Viganvarius zur Seite, zwei weiße Stiere herbeizuführen. Vanamian setzte mit einer goldenen Sichel einen Schnitt, ledrige Mistelzweige fielen zu Boden, wo sie mit einem weißen Leintuch aufgefangen wurden. Viganvarius ließ sich assistieren, um die Hörner der Stiere mit Kränzen zu schmücken. Dann ließ er sich ein Kultbeil reichen. Euamellin wandte sich ab. Als er kurz nacheinander zwei laut krachende Geräusche vernahm, die über den Hain dröhnten, wusste er, dass die Schädel der Stiere in schneller Folge gespalten worden waren. Erst danach hörte man, wie die Tiere zusammenbrachen und zu Boden fielen. Sie hatten sich offensichtlich nicht gewehrt, nicht einmal ein Muhen von sich gegeben. Vermutlich hat man sie zuvor betäubt, dachte Euamellin. Solange die Eingeweide der Opfertiere untersucht wurden, hielt er den Blick noch abgewendet. Das danach einsetzende Getöse der Waffen zeigte ihm deutlich genug, dass die Göttin ihnen gewogen war. Schnell wurden die Tiere zerlegt, um für das gemeinsame Mahl gebraten zu werden. Nur die Knochen und das Fett des Tiers wurden Vagdavercustis dargebracht, indem man sie verbrannte. Den Rest verspeiste die Kultgemeinschaft gemeinsam mit ihrer Göttin, während sich die angehenden Krieger erst noch vor den Schmausenden beweisen mussten. Das Schlachtfest konnte beginnen.
 
            Als erstes traten die jungen Krieger an, deren Familien kein Pferd unterhalten konnten, was bei den allermeisten Jugendlichen der Fall war. „Die sind ja alle viel älter als wir!“, staunte Sedavo. „Freut euch, Kinderchen, nicht jeder darf so jung ran“, knurrte Harimello. Es war unschwer zu erkennen, dass er schon seit Jahren darauf brannte, endlich die Mannbarkeitsprüfung zu bestehen. „Kommt anscheinend auch darauf an, wie viel Einfluss eine Familie hat“, mutmaßte Sedavo. „Mein Onkel Hristo meint, hohe Abkunft und Verdienste der Ahnen verschaffen einem nicht nur früh einen Gefolgsherrn, sondern auch die Mannbarkeit.“ „Ach was, ist doch viel einfacher: Je mächtiger, reicher oder kriegerischer die Sippe, desto jünger kann man für wehrfähig erklärt werden“, klärte Fiskja sie auf. „Was ihr drei dann in unserer Ecke macht, ist mir aber schleierhaft“, frotzelte Sakjo. „Bei Vagdavercustis, jetzt haltet doch endlich die Klappe, die ersten haben schon angefangen.“
            Wer sich zu seinem Holzschild nur eine Frame oder auch nur einen leichten Wurfspeer leisten konnte, machte den Anfang. Gemeinsam stimmten sie den Vormarschgesang an und schlossen die Reihen zu einer dichten Frontlinie. „U-bi-er, U-bi-er, U-bi-er“, dröhnte der vielstimmige Chor rhythmisch zu jedem Schritt. Die jungen Krieger kamen in der Mitte zu stehen und nahmen eine einfache Grundstellung ein. Viele hatten den Oberkörper entblößt und trugen nur eine Hose, ein paar traten sogar nackt an, wie Berserker. Dann erschallten die Kommandos: Vor, zum Keil! Zurück, Linie halten! Keilformation! Linie! Angriffshaltung mit zum Wurf erhobenem Speer! Linie, Verteidigungshaltung mit zur Abwehr gerecktem Speer! Schildwall bilden! Euamellin war überrascht. Dafür, dass jeder von den einfachen Leuten hauptsächlich einen anderen Beruf erlernen und ausüben musste, die meisten als Bauern, klappte das richtig gut. Im Schildwall standen sie fast vollkommen geschlossen wie erfahrene Krieger. Dazwischen wurden sie mit Stöcken beworfen oder mit Tannenzapfen als Schleudermunition beschossen, um zu sehen, ob sie sich beherrschen konnten und die Formation hielten oder ob sie sich allzu leicht ärgern ließen und auf den losstürzten, der sie beworfen hatte. Nach einem gemeinsamen Anlaufen gegen einen imaginären Gegner und gemeinschaftlichen Speerwurf wurde die erste Abteilung unter dem lauten Jubel ihrer Familien und Freunde entlassen. Zum letzten Mal mussten sie die Waffen abgeben. Die Väter oder Vertreter traten zur Übernahme der Waffensohnschaft hinzu und wappneten die jungen Krieger mit der ersten eigenen Frame und einem eigenen Schild. Aus dem Kreise der Stammesoberhäupter trat Haldavvo hervor und verkündete die Aufnahme in die Gemeinschaft: „Freie Männer Ubiacums, ihr habt bewiesen, dass ihr euch als vernünftige Krieger zu benehmen wisst. Bewahrt mit Stolz eure Waffen. Bisher wart ihr nur Teil eurer Familien, jetzt seid ihr Teil unseres Gemeinwesens.“ Es ertönte lautes Waffengetöse. Danach trat die nächste Gruppe an.
            Die jungen Reiterkrieger mussten noch warten, bis die Abteilungen der Fußkämpfer ihr Können gezeigt hatten. Allmählich fand es Euamellin langweilig. Immer dasselbe. Framen, bunt bemalte Schilde, Angriffs- und Verteidigungspositionen, kleinere Provo-kationen und Störversuche, Speerwurf, Aufnahme verkündet von einem Mitglied des Rates von Ubiacum. Nur ganz selten musste ein Jugendlicher zurückgeschickt werden, der sich hatte aus dem Takt bringen lassen oder die Beherrschung verloren hatte. „Du zeigst noch nicht genug Verantwortungsbewusstsein, um alleine eine Waffe führen zu können. Lerne, dich zu beherrschen und versuche es im nächsten Jahr erneut“, bekam der enttäuschte Anwärter zu hören. Als man mit den reicheren Familien bei den Schwertkämpfern angelangt war, wurde das Aufnahmeritual schon spannender: Jetzt traten die Jungen einzeln vor und bekamen es mit einem richtigen Gegner zu tun. Ein echter Zweikampf war freilich auch hier nicht vorgesehen, erneut mussten Stellungen gezeigt und behauptet werden, auch wenn man von einem weitaus erfahreneren Gegner genarrt oder provoziert wurde. Hinzu kam noch eine ritualisierte Abfolge von Schlägen und Paraden, die relativ vorhersehbar war.
            Bedrohlich wirkte das Ganze kaum, vielleicht auch wegen des fröhlichen Schmausens der Zuschauer um sie herum, zu dem sich alle gesellen konnten, die schon bestanden hatten. Dennoch war Sedavos Vater Evekern an den Rand der Kämpfenden geeilt und hatte begonnen, eine Ledertasche auszupacken. Euamellin wusste, dass Evekern häufig als Heiler in Anspruch genommen wurde. Evekern besaß umfangreiche medizinische Kenntnisse, vor allem bei Knochenbrüchen. Wund-infektionen schien er geradezu magisch in den Griff zu bekommen. […]
            Evekern war nur allzu gerne bereit, Euamellin über seine Geräte und sein Wissen Auskunft zu geben. Das half gleichermaßen, seine Neugier zu stillen wie auch seine Nervosität zu verringern. Bis zu dem Moment, als seine Freunde ihn wieder zu sich holten. Sedavo schien auch ein wenig unsicher. Er suchte anscheinend Euamellins Nähe, ohne dabei zu nahe bei seinem Vater Evekern gesehen zu werden. „Komm, du kannst ein andermal weiter fachsimpeln.“ Fiskja war dagegen voller Vorfreude. „Mach dich bereit Euamellin! Jetzt kann es nicht mehr lange dauern, Freunde. Gleich sind auch wir stolze Krieger!“ Inzwischen waren nicht mehr viele Jungen übrig, nur noch angehende Reiterkrieger, die es mit einem Gegner in voller Rüstung zu tun bekamen. Euamellin versuchte sich damit zu beruhigen, dass es offensichtlich mehr auf eine einfache Beherrschung der Waffenführung und seiner selbst ankam, als um eine echte Herausforderung. Ihr Können als Reiter hatten sie ja bereits bei der Schwimmprüfung und auf dem Ritt demonstrieren müssen. Als Fiskja an der Reihe war, schlug ihm das Herz bis zum Hals. Man hatte ihm Warjan als Gegner bestimmt, den heißblütigen Sohn des Friatto. Wie befürchtet ließ Warjan keine Gelegenheit aus, Fiskja zu provozieren. „Na, Suebensöhnchen, wollen wir uns schon mit richtigen Männern messen?“, höhnte er, als er Fiskja zum Stolpern gebracht hatte. Doch Fiskja hatte lange genug bei den anderen zugesehen und mit Provokationen gerechnet. Er biss auf die Zähne und ließ sich durch überhaupt nichts aus der Ruhe bringen. Stumm hielt er die ihm bestimmten Positionen ein und zeigte ergeben alle geforderten Schläge und Paraden. Nicht einmal als Warjan ihn mit dem Schwert seine Haut ritzte, seinen Hosenbund durchschnitt und ihm in den Hintern trat, zeigte er eine Reaktion. Umso größer toste der waffenklirrende Beifall, als er die Prüfung schließlich souverän be-standen hatte. Stolz nahm er von seinem Vater Pferd, Schild, Schwert und Umhang entgegen. Sinnio verkündete die Aufnahme in die Gemeinschaft.
            Warjan war unschwer anzusehen, dass er sich weniger über die Aufnahme des Sohns eines Chatten unter die Gemeinschaft der Männer Ubiacums gefreut hatte. Verärgert kaute er auf seiner Unterlippe herum. Sein Mundwinkel hing auf einer Seite schräg hinab, die Augenbrauen zeigten zur Nase hin, deren Flügel vor Zorn bebten. Als nächster Kandidat musste Harimello antreten. Der erste Wechsel an Schwert-schlägen und Paraden folgte dem ritualisierten Ablauf. Doch schon nach wenigen Augenblicken steigerte Warjan Schlagkraft und Tempo enorm. Harimello hatte kaum eine Chance, die geforderten Paraden rechtzeitig anzubringen. Die Schläge und Finten prasselten in immer schnellerer Folge auf ihn ein, dazwischen setzte es noch Tritte und Schildstöße. Offensichtlich wollte Warjan ihn bloßstellen. Harimello hielt verbissen dagegen. Auf keinen Fall wollte er erneut scheitern. Als Warjan ihn stolpern ließ und einen leichten Schnitt in den Arm verpasste, fuhr er herum und stürzte sich mit einem Wutschrei auf seinen Gegner. Warjan wich ihm jedoch elegant aus und versetzte ihm mit dem Schildbuckel einen Stoß. Harimello ging erneut zu Boden und bekam einen Tritt in den Hintern serviert. Harimello spuckte aus. Aus seinem Mundwinkel und von seinem Oberarm tropfte Blut, seine brau-nen Locken klebten verschwitzt an seinem Gesicht. Er atmete tief durch, wobei der ganze Körper bebte. Dann richtete er sich langsam halbhoch auf. Euamellin schaute sich nach Viganvarius um, dem Priester der Kriegergöttin. Mehrere Zuschauer mussten die gleiche Idee gehabt haben, doch Viganvarius hielt nur die Arme verschränkt und bedeutete mit einem leichten Kopfschütteln allen, die sich hilfesuchend an ihn gewendet hatten, dass sich noch niemand einmischen dürfe.
            Euamellin sah mitfühlend zu Harimello herüber. Dann schreckte er zurück: In Harimellos Augen blitzte schiere, unbändige Mordlust auf. Mit seiner Beherrschung war es endgültig vorbei. Seine Hand löste sich vom Schildgriff. Wie ein Wolf hielt er sich geduckt, alle Sehnen bis zum Zerreißen gespannt, dann sprang er seinen Gegner unter lautem Gebrüll und mit gezogenem Schwert an. Warjan war überrascht, er hatte anscheinend nicht damit gerechnet, dass der Jugendliche vor ihm ausrasten und zu einer ernsthaften Gefahr für ihn werden könne. Ehe jemand eingreifen konnte, hatte Harimello ihm den Schildarm durchbohrt. Wie Tropfen eines Sprühregens spritze das Blut, als er die Waffe wieder aus der Wunde riss. Ungläubig ließ Warjan den Schild fallen, doch noch bevor dieser auf dem Boden aufschlug, hatte Harimello ihm das Standbein gebrochen. Der blitzschnelle Drehschlag mit dem Schwertknauf war kaum zu sehen gewesen. Verblüfft sackte Warjan in sich zusammen. Dabei verlor er auch sein Schwert. Harimello hob mit Entschlossenheit sein Schwert zum tödlichen Streich. Die Zuschauer hielten den Atem an. Es war vollkommen still. Kurz bevor er Warjans ungeschützte Kehle durchstechen konnte, riss ihn Snevemin in einem gewaltigen Hechtsprung zur Seite. Snevemin hielt den noch immer wie im Rausch schreienden und wild um sich tretenden Jugendlichen eisern im Schwitzkasten. Obwohl auch einige Gefolgsmänner schnell herbeigeeilt waren, legten Haldavvo und Henakian persönlich Hand an. Harimello wurde überwältigt und entwaffnet. Seine Familie geleitete ihn nach Hause. Für Harimello war es damit vorbei. Von einem Mann wurde größere Beherrschung verlangt.
            Warjan wurde sofort behandelt. Evekern kam mit den beiden länglichen Eisengeräten angelaufen, die er Euamellin als Schaber zum Säubern sowie als Eisensonde zum Abtasten tiefer Wunden erklärt hatte. Zwei Gehilfen trugen weitere Geräte, seine Ledertasche, Holzstöcke, Leinentücher und den Wein. Vom Zuschauen hatte Euamellin erst einmal genug. Er wusste bereits aus eigener Anschauung, wie man Wunden abtastet und reinigt. Verstohlen schielte er zum Platz seiner Familie, wo bereits seine Waffen auf ihn warteten, sollte er Erfolg haben. Eine Lanze, ein neues Kettenhemd, an der Schulterpartie mit einem zusätzlichen Überwurf verstärkt. Sogar einen Helm konnte er entdecken. Der Form nach ein Modell nach gallischem Vorbild mit breitem Wangenschutz, der an Scharnieren am Helmrand befestigt war und sich so dem Gesicht anpassen konnte. Einen solchen Helm trug auch nicht jedermann. Daneben lag behutsam zusammengelegt ein blau-rot gewürfelter Mantel aus Wolle mit cremefarbenen Fransen unter einer hübschen, breiten Bronzefibel mit roten Emailleeinlagen. Die Farben der Sippe Stavenos. Und alles zum Greifen nah! Nicht zu vergessen ein Schwert. War das etwa eben jene Klinge, bei der er dem Schmied zugesehen hatte? Glänzte dort derselbe Flammendamast? Wenn ja, dann war noch ein Griff aus Hirschhorn mit Einlagen aus Email dazugekommen. Die Schlagmarke des Schmiedes auf der Klinge konnte er jedoch nicht ohne weiteres erkennen. Er schlenderte unauffällig näher heran: Zum Greifen nahe lagen die Zeichen seiner Mannbarkeit bereit. Kein Zweifel, es war das Schwert. Der Schmied hatte mit einem Stempel der Münzmeister ein kleines tanzendes Männlein mit einer Schlange in der Hand aufgehämmert. Dieses Motiv der für Ubiacum charakteristischen Silbermünzen hatte man zum ersten Mal vor sieben Jahren geprägt. Staveno hatte das Bild dieses Quinars persönlich in Auftrag gegeben: Damals war Euamellin als Kleinkind mit einer Schlange in der Hand durch die große Halle getanzt. Wie oft hatte er diese Geschichte zu hören bekommen, an die ihn nun jeder dieser Quniarmünzen erinnerte… Ein lautes Knirschen und Warjans zeitgleiches Wimmern gab ihm zu verstehen, dass Evekern inzwischen nach dem Säubern der Wunden und dem Entfernen etwaiger Knochensplitter und Fremdkörper gerade die Knochen gerichtet hatte. Schnell nahm er wieder seinen Platz ein. Warjan wurde unterdessen vom Platz getragen. Fest und Prüfung gingen weiter.
            Als nächstes war Sakjo an der Reihe. Sakjos Gegner agierte mehr als vorsichtig. Die Kämpfenden berührten sich fast gar nicht. Angriff und Parade gingen extrem langsam vonstatten und waren leicht vorauszuberechnen. In der Tat gab es nur wenige, die es gewagt hätten, der einflussreichen Sippe des Friatto die Mannbarkeit eines Sohnes zu gefährden. Seine Herkunft und der reizbare Charakter seiner Familie hatten das Schauspiel zu einer reinen Formsache gemacht. Nach einer voraussehbaren und gähnend langweiligen Vorstellung strich Sakjo seine Mannbarkeit und seine Waffen ein, die mit einiger Silberzier außergewöhnlich prunkvoll ausfielen. Euamellin beneidete ihn jedoch kaum, nicht einmal der Helm mit dem bei jeder Bewegung schwingenden Raubvogel konnte ihn neidisch machen. Sein eigenes schlichtes, aber elegantes Modell würde ihm vollauf genügen. Für die restlichen Kämpfe sprang Haldavvo für den Gegner Sakjos ein. Ein Aufatmen ging durch die Runde der letzten Jungen. Sedavo war erleichtert, als er sich Haldavvo auf dem Kampfplatz stellte. Trotz anfänglicher Nervosität schnitt er bei seinem Lehrmeister erwartet gut ab. Haldavvo wollte fast ausschließlich das testen, von dem er wusste, dass es die Jungen leisten konnten. Er provozierte nur wenig. Euamellins Zuversicht wuchs. Sedavo nahm am Ende stolz Waffen und Aufnahmespruch entgegen und setzte sich zu seiner Familie. Sogar ein funkelndes Kettenhemd nannte er nun sein eigen. Evekerns florierende Holzwerkstätten, die Zahl seiner unfreien Pächter und sein Zuverdienst als Heiler hatten offenbar üppigen Gewinn abgeworfen.
            Schließlich blieb nur noch Euamellin übrig. Er hatte als einziger niemanden mehr neben sich sitzen, der im Mut zusprechen konnte. So störte sich auch niemand daran, dass seine Familie ihm auf dem Weg zum Kampfplatz entgegenkam und ihm Glück wünschte. „Sohn meiner Schwester, gerade noch ein Kind und schon darfst du dich als Mann beweisen…“ Onkel Lellavo nahm ihn fest in den Arm, eine einzelne Träne der Rührung verfing sich in seinem rötlichen Bart. „Keine Sorge, du wirst uns stolz machen, bei meinem Barte.“ Uh, wie das kratzte! Snevemin reichte ihm nur wortlos den Arm, drückte ihn voller Zuversicht und sah ihm aufmunternd in die Augen. Seine Schwester Veleda fuhr ihm lächelnd über den Kopf. „Wenn du erst ein Mann bist, darf ich das wohl nicht mehr…“ und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Großvater Staveno begnügte sich von seinem Sitzplatz aus mit huldvollem und zugleich liebevollem Winken. Sein weißer Bart wiegte sanft in der Sommerbrise. Euamellins Freunde standen aufrecht, drückten die Daumen und bedeuteten ihm durch Zurufen und Zeichen, dass er es auf jeden Fall schaffen würde. Dann wurde es für ihn ernst. Alleine schritt er in die Mitte des Kampfplatzes. Statt Haldavvo stand dort nun ein anderer Krieger bereit. Ein Gefolgsmann der Sippe des Friatto. Der kräftige Krieger winkte Euamellin mit dem Schwert, ließ die Waffe dann kreisen und lief auf ihn zu. Für Euamellin schien er sich ein hohes Tempo aufgespart zu haben. Wie beim Tanzen drehten sich die Kämpfenden in schneller Folge umeinander. Gerade waren sie dabei, sich ineinander zu verbeißen, Euamellin und sein Gegner reckten ihr Schwert in die Höhe, da sprengte ein verschwitzter Reiter in die Mitte und riss sie aus ihrem Zusammenspiel: „Die Sueben…, die Sueben sind da. Die Sueben haben die Stadt besetzt!“

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