|
cb viro vir - mas & mas ©: S. Gerlinger CC-BY 4.0 |
Ein
Mann, der so gelehrt und gebildet ist wie Ovid, so kultiviert und feinfühlig, unzählige
Verse anderer Autoren auswendig kennt, sich ganz der Literatur verschrieben hat
und Frauen so gut zu verstehen scheint – ist der nicht zwangsläufig homosexuell?
So
(und derber) äußern sich jedenfalls einige Schüler bei der Ovid-Lektüre – besonders
wenn die Rede auf den Hirten Ganymed fällt, der -wie Ovid in den Metamorphosen
erzählt (Buch 10, ab Vers 155)- so
schön war, dass ihn Jupiter aus erotischen Gründe zu sich nach Hause entführte.
Bei
Ovids griechischen Vorbildern ist Knabenliebe Gang und gebe. Könnte also auch etwas
dran sein, Ovid für homo- oder bisexuell zu halten?
Dazu
befragen wir am besten Ovid selbst! Selbstauskünfte zu diesem Thema hat dankenswerter
Weise der Philologe J.C. McKeown in seinem ersten Kommentar zu den Amores gesammelt (McKeown, J. C.,
Amores, text, prologomena & commentary, Liverpool 1989-2012 (4 Bände), Band
1, S. 22-24 zu den Amores-Versen 19-20).
Dabei
wird schnell klar, dass Homosexualität für Ovid persönlich wenig in Frage zu
kommen scheint. Was er in Gedichten preisgibt, zeugt sogar von eher moderner Auffassung
von Heterosexualität als von der zeitgenössischen spezifisch römischen Sexualvorstellung:
Im antiken Rom ist der Geschlechtsverkehr unter Männer insofern gesellschaftlich
akzeptiert, wenn der höher stehende dabei die aktive Rolle einnimmt (vgl. S.
Gerlinger, Virtus ohne Ende? Zum Rollenverständnis zwischen Mann und Frau, in:
A. Heil / M. Korn / J. Sauer (Hrsg.), Noctes Sinenses. Heidelberg 2011). Passive
Frauen sind die Normalität, aktive Frauen ein Skandal. Dagegen gibt es keine
Probleme, wenn ein freigeborener Römer aktiv ist, ein Freigelassener, Sklave
oder Nichtrömer passiv.
Nichts
davon findet sich jedoch in Ovids Dichtung wieder. Er scheint in seinem
Sexualverständnis nicht zwischen höherem gesellschaftlichen Status zu
unterscheiden, abgesehen vom Brief der Deianira an Hercules in den Heroiden hebt
er nicht auf die Aktiv-Passiv-Ordnung seiner Zeit ab.
Dafür
äußert er sich überraschend deutlich in der Ars Amatoria: Er hasse Sex, der
nicht beiden gleichzeitig Befriedigung bringe und werde deshalb auch kaum von
Jungen angezogen: odi concubitus, qui non
utrumque resolvunt / hoc est cur pueri amore minus tangar (Buch 2, ab Vers
683). An vielen weiteren Stellen lässt Ovid eine deutlich ablehnende Haltung zur
Homosexualität erkennen (z. B. Ars Amatoria, Buch 1, Vers 524; Buch 3, ab Vers
437). In den Amores wird Homosexualität überhaupt nur in zwei Versen erwähnt (Buch1, Gedicht 1, Vers 20 und Gedicht 8, Vers 68). Selbst im Trauergedicht um den
Dichter Tibull (Buch 3, Gedicht 9) wird dessen homosexueller Geliebter und Gegenstand
dessen Dichtung völlig verschwiegen.
Zurecht
nimmt McKeown an, dass Homosexualität für Ovid persönlich auszuschließen ist.
Jedoch
ist Ovid auch weit davon entfernt, Homosexuelle zu verdammen: Eines seiner
verehrtesten Vorbilder ist Tibull. Tibull, der Homosexualität und Knabenliebe
literarisch verarbeitet wird von Ovid literarisch bewundert. Ovid weiß die
Person des Tibull und seine Dichtung sehr zu schätzen.
Ovid
hat eine klare Vorstellung von Sexualität, die noch über die gesellschaftliche
Realität und Traditionen des alten Rom hinaus geht. Er scheint eine Art gleichberechtigte
Heterosexualität angestrebt zu haben. Dass Ovid trotz dieser klaren Haltung nicht
missioniert, spricht für seine gelebte Toleranz. Ein weiterer Charakterzug, der
den humorvollen Ausnahme-Dichter nur sympathischer macht.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.