Über Anregungen und Kommentare würde ich mich
freuen!
Kapitel 6: tempora noctis eunt - Draußen
vor der Tür
Doch
die nächsten Mittage waren nicht so schön wie dieser. Weder im Wetter noch in
der Gesellschaft. Corinna war wieder nicht auffindbar. Wo blieb sein Täubchen
der Liebe nur?
Naso
blieb nur eines: Abzuwarten, ob eine Nachricht von ihr kam und vor sich hin zu
brüten. Träge lag er in seiner Kammer und überlegte, ob er es nicht doch noch
einmal bei ihr versuchen sollte.
»Vorhin
war sie nicht zu Hause… hat jedenfalls Syrus steif und fest behauptet… Einen
Moment – hat seine Stimme nicht leicht gezittert…?«
Mit
einem Satz sprang er von der Liege zur Tür und schob den Riegel zurück.
»Wenn
sie doch zu Hause ist, muss ich sofort hin!«
Doch
gleich schob er ihn wieder vor.
»Aber
was ist, wenn sie nicht da war, weil sie auf dem Weg zu mir ist? Dann wäre es
dumm, ausgerechnet jetzt zu ihr zu eilen…«
Gerade,
las er sich wieder von der Türe entfernen wollte, hörte er Schritte.
Er
riss den Riegel zur Seite und schwang die Türe auf.
„Endlich,
Liebste! Wo warst du nur so lange?“
Mit
dem pikend feuchten Schmatzer, der auf seiner Backe landete, hatte er nicht
gerechnet.
Naso
prallte zurück.
»Seit
wann fühlen sich Corinnas Backen wie rauer Bimsstein an?«
Propertius
nahm ihn lachend in den Arm.
„Na,
mein Liebster, hast du etwa keinen Kuss erwartet?“
Naso
wischte sich mit dem Handrücken über die Backe.
„Beim…
jedenfalls nicht so einen feuchten! Was hält den Hostia von deiner
Kuss-Technik?“
„Nicht
allzu viel, sie hält es eher trocken. Kann sie haben! Es gibt ja noch andere,
die einen guten feuchten Kuss noch zu schätzen wissen!“ Er zwinkerte ihm
vielsagend zu. „Setz dich, ich hab‘ mit dir zu reden!“ Damit ließ er sich auf
Nasos Liege plumpsen und winkte ihn näher heran.
Mit
schief gezogener Lippe setzte sich Naso daneben. „Reizend, gibst du immer
solche Kommandos in fremden Betten?“
„Na,
du weißt doch: ʺSchaut mich an, wie ich
die Mädchen -gemischt unter Gästen- regiere!ʺ lachte Propertius.
„Na
und ich soll dann wohl eines deiner Mädchen sein, oder wie?“
„Du
sagst es!“
Naso
presste die Lippen aufeinander.
„Komm
schon Nasolein, eigentlich müsste ich beleidigt sein!“
„Du,
warum?“
„Wo
warst du gestern Abend?“
„Gestern
Abend? Wieso? Sind wir neuerdings miteinander verheiratet?“
Diesmal
presste Propertius die Lippen aufeinander.
Dann
erst fiel es Naso wieder ein. Mit der flachen Hand klatschte er sich gegen die
Stirn.
„Die
Iden des Aprilis! Maecenas Geburtstag…“
[…]
[Als Naso zu einer
Abendgesellschaft bei Messalla eingeladen wird, kann er nicht ablehnen. Doch
ohne seine Corinna langweilt er sich zu Tode, nicht einmal die Anwesenheit des
berühmten Horatius und seine Scherze im Wechsel mit Propertius können ihn
aufheitern. Als er auch noch erfährt, dass Titus doch noch in Rom weilt, gibt
es kein Halten mehr und er stürzt mitten im Trinkgelage davon zu Corinna]
In
Messalla Hauschuhen torkelte Naso schwankend durch die Nacht, den Kranz immer
noch auf seinem Haupt.
Eine
leichte Beute für jeden Räuber, Dieb und Halsabschneider.
Doch
er hatte Glück.
Außergewöhnliches
Glück.
Weit
und breit war keine Menschenseele zu sehen.
»Komisch…
ist es schon so spät geworden?“
Niemand
machte sich über den offensichtlich betrunkenen und wehrlosen jungen Mann her,
der zu allem Überfluss auch noch alleine unterwegs war. Ohne Schutz und ohne
Waffen, lediglich mit einer Fackel und einem Kranz stolperte er durch die
Subura.
Unbehelligt
gelangte er bis zu Corinnas Häuschen auf dem Esquilin.
Vorsichtig
schlich er zum Gartentor.
Es
war abgeschlossen.
Naso
klopfte zaghaft mit dem Fuß dagegen: zweimal langsam und dreimal schnell. Das
musste für den Türhüter reichen. Nur nicht zu viel Lärm…
Doch
niemand reagierte auf das Klopfzeichen.
»Sie
muss es geändert haben!«
Naso
beäugte die Mauer. Vorsichtig lehnte er seine Fackel dagegen und überlegte, ob
er wieder mit einem Sprung nach oben gelangen könnte.
Doch
schon das Hinaufsehen ließ ihn taumeln. Mit einem leisen ʺPlingʺ stützte er
sich gegen das kleine Tor.
„Pst,
Türhüter?“, flüsterte er. „Bist du da?“
Nichts.
Dann
fiel ihm die Kette ein.
„Oh,
entschuldige!“, schob er nach, „Natürlich bist du da. Wo könntest du auch hin,
angebunden mit der grausamen Kette! Ein Jammer, nicht wahr?“
Von
der anderen Seite war nichts zu hören.
[…]
„Die
Stunden der Nacht gehen dahin, schlag doch den Riegel aus dem Pfosten!
Schlag
ihn raus, so wirst du auch einst von der langen Kette erlöst und du musst nicht
ewig Sklavenwasser trinken!“
Naso
stieß mit dem Kopf gegen die Tür.
„Ai!“
Das
harte Metall ließ ihn zurücktaumeln. Naso tastete nach den Türangeln und
Pfosten. Vielleicht war hier ein Durchkommen?
„Du
Eiserner, vergeblich hörst du, wie ich bitte, die starrende Tür hat Pfosten aus
festem Kernholz, unverrückbar steht sie da…“
Naso
schüttelte sich. Der Kranz fiel hinunter. Er hob ihn wieder auf.
„Belagerten
Städten nützen verschlossene Tore als Befestigung; mittendrin im Frieden, was
fürchtest du da für Waffen? Was wirst du erst dem Feind antun, wenn du so den
Liebhaber ausschließt?“
Naso
ballte eine Faust und schlug einmal dagegen.
„Die
Stunden der Nacht gehen dahin, schlag doch den Riegel aus dem Pfosten!“
Sein
Kranz fiel ihm vom Kopf. Er setzte ihn wieder auf.
„Ich
komme doch nicht in Begleitung von Soldaten und auch nicht mit Waffen! Allein
wäre ich… wenn nicht der wilde Amor mit dabei wäre… also den, selbst wenn ich
es wollte, den kann ich nirgendwohin losschicken. Eher kann ich von meinen
eigenen Körperteilen getrennt werden!“
Naso
lehnte sich an das Tor und keuchte. Erneut fiel ihm der Kranz herunter. Wieder
hon er ihn auf.
„Ja,
also gut, Amor ist bei mir und… ein mäßiges Weinchen um meine Schläfen und der
Kranz, der von meinem feuchten Haar herabgerutscht ist. Wer fürchtet denn schon
solche Waffen? Wer würde ihnen nicht lieber entgegen gehen?“
Naso
drückte sein Ohr an das Tor, konnte aber keine Reaktion erlauschen. Dafür fiel
der Kranz aufs Neue hinunter.
„Die
Stunden der Nacht gehen dahin, schlag doch den Riegel aus dem Pfosten!“
Stille.
»Die
Stunden der Nacht gehen dahin, schlag doch den Riegel aus dem Pfosten… habe ich
das nicht schon vorhin…? Doch! Und auch der Kranz… Immer wieder dasselbe.«
Naso
wurde angst. Wenn er immer denselben Satz vorbrachte, dann musste er schon eine
ganze Weile vor diesem dämlichen Tor stehen. Und er hatte nichts Besseres zu
tun, als immer wieder denselben Satz vorzubringen, ganz so wie das Ticken der
Tropfen in Messallas Wasseruhr? Ausgerechnet vor verschlossener Tür… War er
denn schon sein eigener Alkaios, dessen literarisches Motiv des Liebhabers vor
verschlossener Tür durch die Jahrhunderte weiterentwickelt wurde, war dieses
Paraklausithyron entkommen und machte sich nun in der Realität breit?
»Moment,
war da nicht ein Geräusch? Nein, nichts. Der Kerl da drin bewegt sich immer
noch nicht!«
„Langsam
und faul bist du – oder ist es der Schlaf, der sich dem Liebenden gegenüber so
übel zeigt und meine Worte in den Wind schlägt, abgeprallt von deinen Ohren?
Aber, ich weiß es noch genau, als ich mich vor dir verstecken wollte, da warst
du sehr wachsam, noch bis in die Mitte der Nacht hinein!“
»Ja,
damals… und jetzt tut er so, als ob ich nicht da wäre und hört mir nicht einmal
zu! Wenn von meinen Ohren etwas abprallt, dann nur, wenn ich mich mit einem
Mädchen zusammen bin…
„Ah,
vielleicht ruht eine Freundin bei dir – ist Nape draußen? Heu, um wie viel
besser ist doch dein Schicksal gegenüber meinem! Wenn nur auf diese Weise, ja
dann geht auf mich über, ihr harten Ketten!“
Naso
streckte beide Arme gen Himmel, so dass der Kranz herabfiel. Mühsam setzte er
ihn auf und klopfte mit den Fingerknöcheln gegen das Tor.
„Die
Stunden der Nacht gehen dahin, schlag doch den Riegel aus dem Pfosten!“
Naso
erwischte sich dabei, schon wieder dieselbe Phrase zu verwenden.
»Beim
Hades! Ich bin tatsächlich schon mein eigener amator exclusus, ein Zerrbild des elegischen Systems! Oder…
Täusche
ich mich, oder haben die Pfosten soeben ein Geräusch gemacht? Haben die
Torangeln sich gedreht? Hat das zitternde Tor einen dumpfen Ton von sich
gegeben?«
Angestrengt
beobachte Naso das Tor und lauschte in die Nacht.
»Ich
habe mich doch getäuscht! Ein lebhafter Windstoß hat nur am Tor gerüttelt…
Verdammter Kranz! Schon wieder am Boden… Weh mir! Wie lange hat der Windhauch
nur meine Hoffnung weggetragen!«
Naso
versuchte dem Wind mit seinen Blicken zu folgen. Gleichzeitig hielt er mit der
einen Hand seinen Kranz fest, mit der andern griff er nach seiner Fackel. Sie
war bis auf einen armseligen Stumpf heruntergebrannt.
„Wenn
du dich noch gut genug an Oreithya erinnerst, Nordwind Boreas, wie du einst die
athenische Prinzessin entführt hast, dann komm hierher und drücke mit deinem Blasen
das Tor ein, das auf nichts hört!“
Einen
hoffnungsvollen Moment lang nahm der Wind zu, ebbte dann aber wieder ab.
Ringsum herrschte nur noch undurchdringliche Stille. Das einzige Geräusch war
das sanfte Kratzen von Nasos Kranz auf dem gepflasterten Boden und das
Rascheln, als er ihn wieder aufhob.
„In
ganz Rom schweigt einfach alles – und feucht vom glasklaren Tau gehen die
Stunden der Nacht dahin, schlag doch den Riegel aus dem Pfosten!
Oder…
ich bin selbst schon entschlossener als Eisen und Feuer, das ich mit meiner
Fackel am Leben halte, und greife euer hochmütiges Haus an! Nacht, Liebe und
Wein raten nichts Maßvolles: jene kennt keine Scheu, der Weingott und Amor
keine Furcht….!“
Naso
gab dem Türhüter Zeit, vor seinen wilden Drohungen zu erschauern.
Doch
nichts geschah.
„Alles
hab‘ ich versucht und dich weder durch Bitten noch Drohungen bewegen können… O
du bist selbst noch viel härter als deine Tür! Du verdienst es nicht, die
Schwelle eines schönen Mädchens zu bewachen, ein ruheloser Kerker, das wäre was
für dich…!“
Naso
blickte nach Osten. War dort ein Menschenauflauf zu ihm unterwegs, mit Fackeln,
die weithin leuchteten?
Nein,
es war Lucifer. Wie aus der Hekale des Kallimachos entsprungen setzte der
Lichtbringer bereits seinen taubdeckten Wagen in Bewegung. Unerbittlich zog die
Morgendämmerung auf.
Irgendwo
krähte ein Hahn und rief die armen Menschen zu ihrer armseligen Arbeit.
Naso
schauderte. Wäre er noch Anwalt, dann müsste er jetzt bereits im Tablinium
stehen und Klienten empfangen. Ein Glück, dass er jetzt davon frei war. Frei…
»Bin
ich wirklich frei? Nicht im Herzen jedenfalls und auch nicht im Kopf, wie es
scheint…«
Naso
wollte sich kratzen, geriet aber nur an das Laub seines Kranzes, der jetzt erst
richtig zu sitzen begann. Er schüttelte den Kopf, doch der Kranz wollte nicht
von selbst. Diesmal nicht. Parfüm und Haarwasser hatten sich schließlich doch
noch verflüchtigt. Empört zerrte ihn Naso vom Kopf und warf ihn auf die
Schwelle vor das Gartentor. Jetzt war er richtig wütend, so sehr, dass er
wieder unbewusst zu dichten anfing.
„Du aber, Kranz, von den Haaren, nicht
glücklich herunter gerissen,
liege die restliche Nacht, hart auf der Schwelle herum!
Du wirst der Herrin, wenn
sie dich morgen geworfen erblicket,
Zeugnis sein, wie ich so schlecht so viele Zeit hab‘
vertan.
Wie du auch immer dich
gibst, höre zum Abschied das Grußwort:
-schließt einen Liebenden aus- Faulpelz und Mistkerl,
leb‘ wohl!
Du auch, du grausames Tor
mitsamt der starrenden Schwelle,
Pfosten und obere Tür, bleibt doch versklavt - und lebt
wohl!“
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