Die „Rufus“-Reihe soll jeder verstehen und genießen können, Jugendliche und Erwachsene, Studierte und Nichtstudierte. Wer sich im Roman auf fremde Welten einlässt, der wird auf unterhaltsame Weise ganz automatisch kennenlernen, was die damalige Zeit so alles zu bieten hatte - und lernt beim Lesen wie von selbst. Alles so authentisch und historisch korrekt wie möglich zu erzählen und dabei spannend zu bleiben, das ist mein Ziel.
Die „AMORES - Die Liebesleiden des jungen Ovid“ sind dagegen nicht immer ganz jugendfrei (wie auch die Originalverse Ovids und seiner Zeitgenossen). Der Laie kann sich über die „moderne“ Sprache & Handlung freuen, der Fachmann über zahlreiche Anspielungen und intertextuelle Scherze.
Auf dem Blog zeige ich einen Blick hinter die Kulissen. Dabei gebe ich auch Hintergrundinformationen über Politik und Alltagsleben der späten Republik und frühen Kaiserzeit in Rom und einiger Kelten- und Germanenstämme.
Feste Probeleser aus verschiedensten Altersgruppen haben bereits die ersten Bände gelesen. Die Rückmeldungen setze ich um. Sehr gute Feedbacks kamen dabei nicht nur von Universitätsprofessoren und anderen Fachleuten sondern gerade auch von Schülerinnen und Schülern - vielleicht demnächst auch von dir? Gerne nehme ich jede gute Anregung auf (Rufus.in.Rom@gmail.com)...

Dienstag, 2. Mai 2017

V. Da! Corinna kommt! - Leseprobe aus Buch I "Einzig Corinna"

Als Textprobe hier ein Auszug aus dem fünften Kapitel des ersten Bandes „Die Liebesleiden des jungen Ovids – Einzig Corinna" (hier geht es zumersten, zweitendritten und vierten Kapitel)
Über Anregungen und Kommentare würde ich mich freuen!
Kapitel 5: Da! Corinna kommt!
Auch der nächste Tag verlief nicht so, wie Naso es sich gewünscht hätte. Zwar leugnete Corinna tatsächlich mit fester Stimme, dass sie sich ihm hingegeben habe. Titus sei dafür viel zu betrunken gewesen. »Immerhin, wenn nicht ihr Körper, so war wenigstens ihre Stimme loyal geblieben«, dachte Naso.
Doch wollte sie ihn weder besuchen kommen, noch lud sie ihn zu sich ein. Und dies änderte sich auch in den folgenden Tagen nicht.
[…]
Es schien, als habe er mit der Welt abgeschlossen, auch mit Corinna.
cb ©: Stefan Gerlinger CC-BY 4.0 de
[…]
Naso schrieb wieder.
Er arbeitete wie ein Besessener.
Allerdings nicht an seiner humorvollen Dichtung über Liebesleid. Er hatte alle Liebesdichtung beiseite gewischt und mit ihr zugleich alle Vorstellungen von reiner Liebe mit ihr.
Er war gefangen im dunkelsten Winkel menschlichen Empfindens.
Dunkler noch als die Jahreszeit, dunkler als alles, was er bisher getan oder gelesen hatte, seit sein Bruder gestorben war.
Medea.
Lange hatte er den Entwurf dieser Tragödie verborgen und seitdem nie wieder hervorgeholt – bis jetzt.
Medea - in leidenschaftlicher Liebe zu Iason entbrannt. Medea – erst lebensrettende, dann todbringende Zauberin. Medea – rasende Mörderin, die ihre Opfer zerstückelte.
Selbst beim Dichten liefen Naso kalte Schauer über den Rücken. Noch immer musste er allein beim Gedanken daran weinen, wie Medea ihren Bruder tötete, zerstückelte und die Leichenteile bei ihrer Flucht verteilte. Auf diese Weise aus Kolchis zu entkommen, den eigenen Vater aufzuhalten, indem er die Leiche seines Sohnes aufsammeln musste – wer konnte nur bereit sein, diesen Preis für seine Liebe zu bezahlen?
Medea.
[…]
Grausiger Inhalt, verewigt in nachtschwarzem Wachs, gepresst ins unerbittliches Ebenholz der Schreibtafeln.
Es gab gute Gründe, dass Naso seine Medea bisher unter Verschluss gehalten hatte. Manchmal war ihm, als würde sein eigener Text ihn zu verwandeln trachten. Manchmal schien ihm, als sei etwas erwacht, etwas Unheimliches, und wolle nach ihm greifen. Manchmal fühlte es sich an, als wollten Wahnsinn und Zerrissenheit tief aus Medeas Inneren entkommen und auf ihn überspringen: Ein Sog, der aus der dunkelsten Psyche entsprang und ihn für immer zu verschlingen drohte, ihn unaufhaltsam in einen gähnenden Abgrund zog - ein schwarzer Schlund der Verzweiflung.
Trotz allem, oder gerade deswegen wuchs die Tragödie wie von selbst. Medea schuf ihre eigenen Gesetze, nahm Form an und alles in Anspruch. Naso musste sein Talent beherrschen, anstatt ihm nachzugeben. Er konnte sich kaum noch losreißen, schrieb nächtelang durch, die Geräusche seiner Umwelt drangen nicht mehr bis zu ihm durch. Medea erschuf sich eine eigene Existenz, tief in ihrem Schöpfer. Daneben gab es nichts mehr, nur Dunkelheit und drückende Stille, die schwer auf Nasos Trommelfell lastete. Das einzige, was er wahrnahm, waren schwarze, wirbelnde Wolken von Nichts, die sich in seiner Schreibtafel zu einer zähen Masse verdichteten und seine Ohren wirkungsvoller verschlossen als das Wachs des Odysseus bei den Sirenen.
Dunkle Ringe bildeten sich unter Nasos Augen.
Nach mehreren durchwachten Nächten in Folge spürte er ein seltsames Gefühl. War es die Müdigkeit, die an ihm hochkroch? Nein, es war irgendwie anders - wie halb im Schlaf und dennoch wach.
Naso versuchte aufzustehen.
Er konnte nicht.
Er konnte keinen einzigen Muskel bewegen.
Kalter Schweiß lief seinen Nacken entlang. Panik breitete sich in ihm aus. Aus dem Schwarz des Wachses schienen Stimmen aufzusteigen, wie dunkler Nebel, der empor wallte und ihn schließlich rundum einhüllte.
„Naso… Naaaso“, schienen sie mit lockender Frauenstimme zu flüstern.
»Medea? Bei allen Göttern! Ein Geist, geboren aus Wachs und Tinte? Kann sie etwa noch in bloßen Buchstaben zaubern, retten oder gar zerstören?«
Servare potui; perdere an possim, rogas? – Bewahren, das konnte ich; verderben, ob ich das kann, fragst du?“
Dieselben Worte, die er Medea gerade noch in den Mund gelegt hatte, schienen sich nun an ihn selbst zu richten.
„Medea?“
„Erkennst du mich nicht?“, antworteten die Stimmen. „Sieh nur, in der Ecke: Da liegt noch ein anderes Werk… Brenne! Sag dich los von Thalia, höre nicht auf Erato! Nur Melpomene sollst du lauschen, der einzig wahren der Musen! Weg mit Erato! Verbrenne die Liebe! Katharsis - Reinige dich! Vernichte sie im alles reinigenden Feuer! Sie schafft nichts, außer grenzenlosem Leid…“
[… Nur mühsam gelingt es Naso, sich von der dunklen Macht der Medea zu befreien. Amor führt ihn zurück aus seiner düsteren Wahnvorstellung, zurück in den Frühling und zurück zum wieder erwachenden Leben. In einer waghalsigen Aktion dringt er in einer lauen Frühlingsnacht bei Corinna ein, wird jedoch von Nape abgefangen und hinterlässt eine Einladung.]



Mittag war es und warm. Sogar recht heiß für den Frühling. Draußen strahlte die Sonne als sei es mitten im Sommer.
[…]
In zufriedener Müdigkeit betrachtete er das geteilte Licht, das in durch das halboffene Fenster drang.
»Häuserwald Roms«, sinnierte er, »was für ein schönes Farbenspiel! Beinahe wie im echten Wald. Sonnenstrahlen, die durch das Blätterdach fallen. Oder durch den Farn… So schön wie die letzten Strahlen des Tages, welche die Dämmerung des Waldes durchleuchten, bevor die Sonne untergeht. Oder wenn die Nacht geht, aber der Tag noch immer nicht geboren ist…«
Es klopfte schüchtern an der Tür.
Naso war noch viel zu gebannt, um aufzustehen.
„Ist offen…“, flüsterte er.
Die Türe öffnete sich leise und schloss sich wieder.
»Vermutlich in der Tür geirrt«, dachte Naso. Immer noch hatte er nur Augen für das Spiel des Frühlingslichtes, das in langen dünnen Bahnen durch die Läden strich. Er hatte nicht einmal aufgesehen.
„Schönes Leuchten! Genau so ein Licht muss man schüchternen Mädchen bieten, wo furchtsame Scheu hoffen kann, sich zu verbergen…“
„Siehe da, Corinna kommt!“, jubelte Naso. Sofort setzte er sich auf. „Was meinst du mit dem Verbergen der Scheu? Sie ablegen?“
Corinna legte ihren Zeigerfinger auf die Lippen.
„Pst. Verdirb es nicht. Sieh einfach her und lass es wirken!“, flüsterte sie.
Naso verstummte.
Corinna konnte wirklich mit ihrem Auftreten spielen! Ihre Haare leuchteten zwar wieder in ihrem unverwechselbaren Ton, doch hätte er sie nicht bereits kennen gelernt, er hätte schwören können, er habe hier ein ganz anderes Mädchen vor sich: äußerst unerfahren und scheu! So wie sie die Schultern hochzog, Kopf und Augenlieder dafür sittsam nach unten und sich dazu bewegte. Sie war kaum wieder zu erkennen.
Corinna lies ihren Gürtel zu Boden gleiten. Ihren Mantel musste sie vor der Tür gelassen haben.
Naso stockte der Atem. Ihre Tunika war halb durchsichtig!
»Ein Hauch von nichts…«, bewunderte Naso tonlos Corinnas Tunika aus koischer Seide.
Langsam schritt sie auf ihn zu und löste ihr Haarband. Wie ein Strom aus Gold und Nacht floss das Haar herab und teilet sich an ihrem makellosen Hals.
Als sie direkt vor ihm stand, warf sie ihren Nacken zurück, so dass ihre Haare sie links und rechts umflatterten.
„Semiramis!“, hauchte er. Die berühmte assyrische Königin hatte ihn schon immer fasziniert. Eine schöne und selbstbewusste Frau, die wusste, was sie wollte.
„Lais!“, wisperte sie zurück.
Naso zog fragend eine Augenbraue hoch. Meinte sie wirklich die berüchtigte Hetäre aus Korinth?
Qualiter et MULTIS Lais amata VIRIS? - So wie die von vielen geliebte Lais, von vielen Männern?“
Corinna musste lachen.
„Schönes Wortspiel, Lais und ein Haufen Männer drum herum… Nein, einer reicht mir auch für den Anfang… Sag, willst du mich denn die ganze Zeit so angezogen vor dir stehen lassen?“
Naso war verwirrt.
„Wie? Nein, ich meine… Komm her!“
Er wollte sie am Gewand an sich ziehen, Corinna beugte sich zurück, die Tunika riss bis zum Bauch ein.
„O, entschuldige! Die schöne Seide, ich wollte nicht…“
Corinna gab ihm einen Klaps.
„Pst! Das gehört doch dazu. Spiel mit!“
Endlich verstand Naso.
„O ja! So ist es besser. Jetzt steht meinen Blicken nicht mehr so viel im Weg!“
Corinna verbarg mit der einen Hand ihre Augen, mit der andern tat sie so als kämpfe sie darum, ihre Blöße zu bedecken.
„Nein! Bitte, ich bin ein anständiges Mädchen! Lass mich…“
Naso jagte ihr hinterher. Im engen Zimmer ein schwieriges Unterfangen, sich nicht sofort zu erwischen, aber sie brachten es zu Wege. Corinna kämpfte etwas gekünstelt. Man sah nur allzu deutlich, dass sie nicht siegen wollte.
improbe – du böser Junge du“, rief sie ihm immer wieder zu.
Schließlich packte er sie und warf sie auf sein Bett, wobei sie kräftig mithalf. Immer wieder drückte er sie an sich und küsste sie heftig.
[…]

[Als sich Naso wieder in Messallas Bibliothek sehen lässt, versucht er, sich heimlich an seien Freunden vorbei zu schleichen. Doch Propertius und Sulpicia merken ihm seine Freude an und platzen vor Neugier.]

Propertius begann ebenfalls über das ganze Gesicht zu grinsen. Er streckte ihm den Zeigefinger ins Gesicht, dass er beinahe die Nase berührte.
„Du hast sie getroffen! Komm schon, erzähl! Wann, was und wie genau?“
Naso zog eine Augenbraue nach oben. Es war unschwer zu erkennen, dass Propertius darauf brannte, einfach alles zu erfahren.
Auch Sulpicia war interessiert: „Ja, genau! Wann, was und wie genau… und vor allem: wen?“
„Nein, über so etwas spricht man nicht“, versuchte Naso sich aus der Affäre zu ziehen. Er war eigentlich noch immer viel zu aufgeregt, um darüber mit jemanden zu reden. Konnte man denn so ein Erlebnis wirklich in Worte fassen?
„Dann mach eben eine Elegie daraus!“, bohrte Propertius weiter.
„Ein Gedicht? Also gut:

Sie da, Corinna, sie kommt - in Tunika ganz ohne Gürtel!
            Schimmerndes Weiß wird am Hals beidseits bedeckt durch ihr Haar.
So schön kam einst, wie man sagt, Semiramis zu ihrer Bettstatt,
            und auch -von vielen geliebt- von Männern umgeben: Lais.
Runter riss ich das Kleid: vereinzelt war kaum was im Wege,
            doch sie versuchte zu kämpfen, sich mit dem Gewand zu bedecken,
trotzdem gewann ich das Kleid. Und da sie so kämpfte wie eine,
            die keine Lust hat zum Sieg, verlor sie durch eig‘nen Verrat.
Wie sie so nackt vor mir stand, meinen Augen sich ohne Kleid bot, da
            war sie am ganzen Leib makellos, nirgends verkehrt.

„So, makellos also?“
Propertius zog eine Augenbraue hoch.
„Was genau, wenn ich fragen darf?“

Schultern so prächtig und Arme - was sah ich nur und hab‘s berührt!
            Passend zum Drücken die Form – Brüste dafür wie gemacht,
unter der festen Brust, was für ein ebener Bauch und
            formvollendetes Bein - Schenkel so jugendhaft frisch!
Soll ich noch mehr im Detail aufzählen? Ich sah nichts Verkehrtes
            und presste dann ihren Leib immer und wieder zu mir…

Naso machte eine bedeutungsschwere Pause.
Propertius wurde ganz hibbelig. Er schien es kaum erwarten zu können.
„Und dann? Sag schon, aber richtig!“, platzte es aus ihm heraus. „Ja, wir wissen‘s, schöne Wortwahl: ʺwas -so prächtig – was fürʺ - Zitate erkannt. Aber wie ging’s bei EUCH beiden denn weiter? Das ʺÜbrigeʺ, los…“
„Stimmt, jetzt wo du’s sagst – wirklich nett“, erkannte auch Sulpicia an. „Reizend, ihn mit Floskeln aus seinem eigenen Gedicht hinzuhalten… zweites Buch, Gedicht Fünfzehn, nicht wahr? Oder gleich das Original, Philodemos fünfzehntes Epi…“
„Spann uns doch nicht so auf die Folter!“, unterbrach Propertius barsch. „Details – wir wollen Details! Los, erzähl schon das Übrige auch noch!“

Übriges…? Wer wüsste’s nicht? Erschöpft - nun ruhten wir beide!
            Mögen mir zukünftig viel‘ Mittage kommen wie der!

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