Über Anregungen und Kommentare würde ich mich
freuen!
Kapitel
5: Da! Corinna kommt!
Auch
der nächste Tag verlief nicht so, wie Naso es sich gewünscht hätte. Zwar
leugnete Corinna tatsächlich mit fester Stimme, dass sie sich ihm hingegeben
habe. Titus sei dafür viel zu betrunken gewesen. »Immerhin, wenn nicht ihr
Körper, so war wenigstens ihre Stimme loyal geblieben«, dachte Naso.
Doch
wollte sie ihn weder besuchen kommen, noch lud sie ihn zu sich ein. Und dies
änderte sich auch in den folgenden Tagen nicht.
[…]
Es
schien, als habe er mit der Welt abgeschlossen, auch mit Corinna.
Naso
schrieb wieder.
Er
arbeitete wie ein Besessener.
Allerdings
nicht an seiner humorvollen Dichtung über Liebesleid. Er hatte alle
Liebesdichtung beiseite gewischt und mit ihr zugleich alle Vorstellungen von
reiner Liebe mit ihr.
Er
war gefangen im dunkelsten Winkel menschlichen Empfindens.
Dunkler
noch als die Jahreszeit, dunkler als alles, was er bisher getan oder gelesen
hatte, seit sein Bruder gestorben war.
Medea.
Lange
hatte er den Entwurf dieser Tragödie verborgen und seitdem nie wieder
hervorgeholt – bis jetzt.
Medea
- in leidenschaftlicher Liebe zu Iason entbrannt. Medea – erst lebensrettende,
dann todbringende Zauberin. Medea – rasende Mörderin, die ihre Opfer
zerstückelte.
Selbst
beim Dichten liefen Naso kalte Schauer über den Rücken. Noch immer musste er
allein beim Gedanken daran weinen, wie Medea ihren Bruder tötete, zerstückelte
und die Leichenteile bei ihrer Flucht verteilte. Auf diese Weise aus Kolchis zu
entkommen, den eigenen Vater aufzuhalten, indem er die Leiche seines Sohnes
aufsammeln musste – wer konnte nur bereit sein, diesen Preis für seine Liebe zu
bezahlen?
Medea.
[…]
Grausiger
Inhalt, verewigt in nachtschwarzem Wachs, gepresst ins unerbittliches Ebenholz
der Schreibtafeln.
Es
gab gute Gründe, dass Naso seine Medea bisher unter Verschluss gehalten hatte.
Manchmal war ihm, als würde sein eigener Text ihn zu verwandeln trachten.
Manchmal schien ihm, als sei etwas erwacht, etwas Unheimliches, und wolle nach
ihm greifen. Manchmal fühlte es sich an, als wollten Wahnsinn und Zerrissenheit
tief aus Medeas Inneren entkommen und auf ihn überspringen: Ein Sog, der aus
der dunkelsten Psyche entsprang und ihn für immer zu verschlingen drohte, ihn
unaufhaltsam in einen gähnenden Abgrund zog - ein schwarzer Schlund der
Verzweiflung.
Trotz
allem, oder gerade deswegen wuchs die Tragödie wie von selbst. Medea schuf ihre
eigenen Gesetze, nahm Form an und alles in Anspruch. Naso musste sein Talent
beherrschen, anstatt ihm nachzugeben. Er konnte sich kaum noch losreißen,
schrieb nächtelang durch, die Geräusche seiner Umwelt drangen nicht mehr bis zu
ihm durch. Medea erschuf sich eine eigene Existenz, tief in ihrem Schöpfer.
Daneben gab es nichts mehr, nur Dunkelheit und drückende Stille, die schwer auf
Nasos Trommelfell lastete. Das einzige, was er wahrnahm, waren schwarze,
wirbelnde Wolken von Nichts, die sich in seiner Schreibtafel zu einer zähen
Masse verdichteten und seine Ohren wirkungsvoller verschlossen als das Wachs
des Odysseus bei den Sirenen.
Dunkle
Ringe bildeten sich unter Nasos Augen.
Nach
mehreren durchwachten Nächten in Folge spürte er ein seltsames Gefühl. War es
die Müdigkeit, die an ihm hochkroch? Nein, es war irgendwie anders - wie halb
im Schlaf und dennoch wach.
Naso
versuchte aufzustehen.
Er
konnte nicht.
Er
konnte keinen einzigen Muskel bewegen.
Kalter
Schweiß lief seinen Nacken entlang. Panik breitete sich in ihm aus. Aus dem
Schwarz des Wachses schienen Stimmen aufzusteigen, wie dunkler Nebel, der empor
wallte und ihn schließlich rundum einhüllte.
„Naso…
Naaaso“, schienen sie mit lockender Frauenstimme zu flüstern.
»Medea?
Bei allen Göttern! Ein Geist, geboren aus Wachs und Tinte? Kann sie etwa noch
in bloßen Buchstaben zaubern, retten oder gar zerstören?«
„Servare potui; perdere an possim, rogas?
– Bewahren, das konnte ich; verderben, ob ich das kann, fragst du?“
Dieselben
Worte, die er Medea gerade noch in den Mund gelegt hatte, schienen sich nun an
ihn selbst zu richten.
„Medea?“
„Erkennst
du mich nicht?“, antworteten die Stimmen. „Sieh nur, in der Ecke: Da liegt noch
ein anderes Werk… Brenne! Sag dich los von Thalia, höre nicht auf Erato! Nur
Melpomene sollst du lauschen, der einzig wahren der Musen! Weg mit Erato!
Verbrenne die Liebe! Katharsis - Reinige dich! Vernichte sie im alles
reinigenden Feuer! Sie schafft nichts, außer grenzenlosem Leid…“
[… Nur mühsam gelingt es Naso, sich von der
dunklen Macht der Medea zu befreien. Amor führt ihn zurück aus seiner düsteren
Wahnvorstellung, zurück in den Frühling und zurück zum wieder erwachenden Leben.
In einer waghalsigen Aktion dringt er in einer lauen Frühlingsnacht bei Corinna
ein, wird jedoch von Nape abgefangen und hinterlässt eine Einladung.]
Mittag
war es und warm. Sogar recht heiß für den Frühling. Draußen strahlte die Sonne
als sei es mitten im Sommer.
[…]
In
zufriedener Müdigkeit betrachtete er das geteilte Licht, das in durch das
halboffene Fenster drang.
»Häuserwald
Roms«, sinnierte er, »was für ein schönes Farbenspiel! Beinahe wie im echten
Wald. Sonnenstrahlen, die durch das Blätterdach fallen. Oder durch den Farn… So
schön wie die letzten Strahlen des Tages, welche die Dämmerung des Waldes
durchleuchten, bevor die Sonne untergeht. Oder wenn die Nacht geht, aber der
Tag noch immer nicht geboren ist…«
Es
klopfte schüchtern an der Tür.
Naso
war noch viel zu gebannt, um aufzustehen.
„Ist
offen…“, flüsterte er.
Die
Türe öffnete sich leise und schloss sich wieder.
»Vermutlich
in der Tür geirrt«, dachte Naso. Immer noch hatte er nur Augen für das Spiel
des Frühlingslichtes, das in langen dünnen Bahnen durch die Läden strich. Er
hatte nicht einmal aufgesehen.
„Schönes
Leuchten! Genau so ein Licht muss man schüchternen Mädchen bieten, wo
furchtsame Scheu hoffen kann, sich zu verbergen…“
„Siehe
da, Corinna kommt!“, jubelte Naso. Sofort setzte er sich auf. „Was meinst du
mit dem Verbergen der Scheu? Sie ablegen?“
Corinna
legte ihren Zeigerfinger auf die Lippen.
„Pst.
Verdirb es nicht. Sieh einfach her und lass es wirken!“, flüsterte sie.
Naso
verstummte.
Corinna
konnte wirklich mit ihrem Auftreten spielen! Ihre Haare leuchteten zwar wieder
in ihrem unverwechselbaren Ton, doch hätte er sie nicht bereits kennen gelernt,
er hätte schwören können, er habe hier ein ganz anderes Mädchen vor sich:
äußerst unerfahren und scheu! So wie sie die Schultern hochzog, Kopf und
Augenlieder dafür sittsam nach unten und sich dazu bewegte. Sie war kaum wieder
zu erkennen.
Corinna
lies ihren Gürtel zu Boden gleiten. Ihren Mantel musste sie vor der Tür
gelassen haben.
Naso
stockte der Atem. Ihre Tunika war halb durchsichtig!
»Ein
Hauch von nichts…«, bewunderte Naso tonlos Corinnas Tunika aus koischer Seide.
Langsam
schritt sie auf ihn zu und löste ihr Haarband. Wie ein Strom aus Gold und Nacht
floss das Haar herab und teilet sich an ihrem makellosen Hals.
Als
sie direkt vor ihm stand, warf sie ihren Nacken zurück, so dass ihre Haare sie
links und rechts umflatterten.
„Semiramis!“,
hauchte er. Die berühmte assyrische Königin hatte ihn schon immer fasziniert.
Eine schöne und selbstbewusste Frau, die wusste, was sie wollte.
„Lais!“,
wisperte sie zurück.
Naso
zog fragend eine Augenbraue hoch. Meinte sie wirklich die berüchtigte Hetäre
aus Korinth?
„Qualiter et MULTIS Lais amata VIRIS? -
So wie die von vielen geliebte Lais, von vielen Männern?“
Corinna
musste lachen.
„Schönes
Wortspiel, Lais und ein Haufen Männer drum herum… Nein, einer reicht mir auch
für den Anfang… Sag, willst du mich denn die ganze Zeit so angezogen vor dir
stehen lassen?“
Naso
war verwirrt.
„Wie?
Nein, ich meine… Komm her!“
Er
wollte sie am Gewand an sich ziehen, Corinna beugte sich zurück, die Tunika
riss bis zum Bauch ein.
„O,
entschuldige! Die schöne Seide, ich wollte nicht…“
Corinna
gab ihm einen Klaps.
„Pst!
Das gehört doch dazu. Spiel mit!“
Endlich
verstand Naso.
„O
ja! So ist es besser. Jetzt steht meinen Blicken nicht mehr so viel im Weg!“
Corinna
verbarg mit der einen Hand ihre Augen, mit der andern tat sie so als kämpfe sie
darum, ihre Blöße zu bedecken.
„Nein!
Bitte, ich bin ein anständiges Mädchen! Lass mich…“
Naso
jagte ihr hinterher. Im engen Zimmer ein schwieriges Unterfangen, sich nicht
sofort zu erwischen, aber sie brachten es zu Wege. Corinna kämpfte etwas
gekünstelt. Man sah nur allzu deutlich, dass sie nicht siegen wollte.
„improbe – du böser Junge du“, rief sie
ihm immer wieder zu.
Schließlich
packte er sie und warf sie auf sein Bett, wobei sie kräftig mithalf. Immer
wieder drückte er sie an sich und küsste sie heftig.
[…]
[Als
sich Naso wieder in Messallas Bibliothek sehen lässt, versucht er, sich
heimlich an seien Freunden vorbei zu schleichen. Doch Propertius und Sulpicia merken
ihm seine Freude an und platzen vor Neugier.]
Propertius
begann ebenfalls über das ganze Gesicht zu grinsen. Er streckte ihm den
Zeigefinger ins Gesicht, dass er beinahe die Nase berührte.
„Du
hast sie getroffen! Komm schon, erzähl! Wann, was und wie genau?“
Naso
zog eine Augenbraue nach oben. Es war unschwer zu erkennen, dass Propertius
darauf brannte, einfach alles zu erfahren.
Auch
Sulpicia war interessiert: „Ja, genau! Wann, was und wie genau… und vor allem:
wen?“
„Nein,
über so etwas spricht man nicht“, versuchte Naso sich aus der Affäre zu ziehen.
Er war eigentlich noch immer viel zu aufgeregt, um darüber mit jemanden zu
reden. Konnte man denn so ein Erlebnis wirklich in Worte fassen?
„Dann
mach eben eine Elegie daraus!“, bohrte Propertius weiter.
„Ein
Gedicht? Also gut:
Sie da, Corinna, sie kommt
- in Tunika ganz ohne Gürtel!
Schimmerndes Weiß wird am Hals beidseits bedeckt durch
ihr Haar.
So schön kam einst, wie
man sagt, Semiramis zu ihrer Bettstatt,
und auch -von vielen geliebt- von Männern umgeben: Lais.
Runter riss ich das Kleid:
vereinzelt war kaum was im Wege,
doch sie versuchte zu kämpfen, sich mit dem Gewand zu
bedecken,
trotzdem gewann ich das
Kleid. Und da sie so kämpfte wie eine,
die keine Lust hat zum Sieg, verlor sie durch eig‘nen
Verrat.
Wie sie so nackt vor mir
stand, meinen Augen sich ohne Kleid bot, da
war sie am ganzen Leib makellos, nirgends verkehrt.“
„So,
makellos also?“
Propertius
zog eine Augenbraue hoch.
„Was
genau, wenn ich fragen darf?“
„Schultern so prächtig und Arme - was sah ich
nur und hab‘s berührt!
Passend zum Drücken die Form – Brüste dafür wie gemacht,
unter der festen Brust,
was für ein ebener Bauch und
formvollendetes Bein - Schenkel so jugendhaft frisch!
Soll ich noch mehr im
Detail aufzählen? Ich sah nichts Verkehrtes
und presste dann ihren Leib immer und wieder zu mir…“
Naso
machte eine bedeutungsschwere Pause.
Propertius
wurde ganz hibbelig. Er schien es kaum erwarten zu können.
„Und
dann? Sag schon, aber richtig!“, platzte es aus ihm heraus. „Ja, wir wissen‘s,
schöne Wortwahl: ʺwas -so prächtig – was
fürʺ - Zitate erkannt. Aber wie ging’s bei EUCH beiden denn weiter? Das
ʺÜbrigeʺ, los…“
„Stimmt,
jetzt wo du’s sagst – wirklich nett“, erkannte auch Sulpicia an. „Reizend, ihn
mit Floskeln aus seinem eigenen Gedicht hinzuhalten… zweites Buch, Gedicht
Fünfzehn, nicht wahr? Oder gleich das Original, Philodemos fünfzehntes Epi…“
„Spann
uns doch nicht so auf die Folter!“, unterbrach Propertius barsch. „Details –
wir wollen Details! Los, erzähl schon das Übrige auch noch!“
„Übriges…? Wer wüsste’s nicht? Erschöpft -
nun ruhten wir beide!
Mögen mir zukünftig viel‘ Mittage kommen wie der!“
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