Kapitel 1:
Waffen in wuchtigem Takt: Aller Anfang ist gravis
Von
links drang der Schrei eines Säuglings durch die Wand, von rechts das Gezeter
eines streitenden Pärchens. Eingezwängt zwischen beiden Wänden, raufte sich
Naso die Haare.
Kleine
Schweißtröpfchen lösten sich und perlten hinab. In ihrem winzigen Inneren
spiegelte sich der Widerschein des flackernden Öllämpchens.
Tiefe
Nacht hatte sich über die Stadt ergossen. Trotzdem herrschte noch immer eine drückende
Hitze. Eigentlich viel zu heiß für einen Septemberabend. Selbst in Rom.
Mit
leisem Ticken trafen die Tröpfchen das Wachs, feuchte Buchstaben, die kurz
davor schienen, in der Hitze zu zerfließen. Wässrig glänzten sie auf blutrotem
Belag. Hätte Naso kein Diptychon mit besonders hoher Beimischung von Ruß benutzt,
nichts würde sie davon abhalten. Der Inhalt am allerwenigsten, dafür passte er
zu gut zu Asche...
Verdrossen
nahm er sein Täfelchen hoch und las, was er soeben ins Wachs gekratzt hatte:
„Waffen
in tödlicher Zahl und gewaltige Kriege besingen,
das ist mein Ziel und davon kündet der
Dichter gar viel“
Er
rollte seine Augen und nahm einen tiefen Schluck aus dem Tonbecher. Dann stellte
er ihn auf seinen Tisch zurück. Auf dem wurmstichigen Holz türmten sich
Wachstäfelchen und Schriftrollen. Es wackelte bedenklich. Unabsichtlich
streifte Naso ein paar Papyrusrollen, die leise raschelnd zu Boden glitten. Der
Fusel schmeckte bitter. Doch schenkte Naso dem keine Beachtung.
Weitaus
bitterer schmeckten ihm seine vergeblichen Dichtversuche. Schon wieder hatte
sich einer dieser verdammten Pentameter eingeschlichen! Und überhaupt… ʺdas ist
mein Ziel und davon kündet der Dichter gar vielʺ? Von wem stammte dieser unrhythmische
Mist? Konnte das wirklich von ihm sein?
Der
junge Dichter wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab. Ein Tropfen landete
auf seiner Nase, tänzelte hinab und benetzte eine Papyrusrolle am Boden. »Vielleicht
hat Vater doch recht«, dachte Naso mit einem Anflug von Verzweiflung. »Das ist
keine wahrhaftige Dichtung. Habe ich tatsächlich mein Talent verloren oder habe
ich es nie besessen?«
Eine
Schaffenskrise… Es wollte ihm einfach nicht gelingen. Und das Schlimmste war,
dass er nicht einmal mehr einen sauberen Hexameter durchbrachte. Dabei war das
früher sogar seine größte Stärke gewesen. Niemand konnte so locker fließende Hexameter bilden wie er. In der Schule hatten ihn immer alle darum beneidet,
sogar seine Lehrer. Und nun mogelte sich immer wieder ein Pentameter ein und es
gab nichts, was er dagegen tun konnte. Hatte er zuletzt zu viel von Gallus,
Propertius und Tibullus gelesen?
Vor
dem Fenster quietschten und ratterten Karren vorüber, um die Märkte und
Basiliken, die großen Einkaufszentren Roms, mit Waren für den nächsten Tag zu
versorgen. Ein Wagen schien stecken geblieben zu sein: Das wütende Geschrei,
mit dem ein Fuhrknecht auf sein Zugvieh ein brüllte, war er schon gewohnt. Doch
der laute Knall der Peitsche übertönte den üblichen Lärm der mit Eisen
beschlagenen Reifen auf dem Straßenpflaster. Immer wieder ließ der Fuhrmann die
Peitsche knallen. In der engen Gasse verstärkte sich das Geräusch und schraubte
sich wie Donnerhall empor, der sich im Echo steiler Gebirgswände aufschaukelt.
[…]
Aber
es war genau das, was er gewollt hatte. Das Leben. Voll im Leben. Kein
Stadtviertel konnte einem mehr Inspiration für das Leben verschaffen als die
Subura - nirgends in Rom waren die Mieten billiger. Nur, um sich zu
konzentrieren, war es nicht immer der beste Ort. Solche Probleme kannten andere
Dichter nicht. In der Subura hätte ein Vergilius sich kaum derart schwärmerisch
über den Landbau auslassen können.
»Vergilius…«,
Naso verzog angewidert das Gesicht. »Gilt bereits als der neue Ennius. Wenn es
wenigstens wegen der Eklogen wäre, dann könnte er es noch verstehen, doch diese
Aeneis… Vielschreiberei ginge ja noch an - nur diese prophetische Überhöhung
der Julier, eine geradezu ekelhafte Speichelleckerei vor ʺdem Erhabenenʺ, damit
verlor sein Werk dermaßen an poetischer Kraft… aber erfolgreich. Vor allem
erfolgreich…«
Gerade
erst war Vergilius verstorben und doch kannten schon so viele den Anfang seines
berühmten Spätwerkes auswendig, über das schon massenhaft Auszüge in Umlauf
waren: Das neue National-Epos ʺAeneisʺ, mit besonderer Wertschätzung des
Princeps Augustus als goldenem, von den Göttern gesandten Knaben...
»Wer
unter dem Regime ʺdes Erhabenenʺ Erfolg haben will, muss wohl ein Epos
schreiben. Warum dann nicht ein wenig anders, so wie die Elegiker die
Liebesdichtung auf den Kopf gestellt haben?«
Gallus,
Propertius, Tibullus… Naso bewunderte die drei großen elegischen Dichter, die
ihren eigenen Stil gefunden hatten. Liebesdichtung in Distichen, immer ein
Hexameter gefolgt von einem Pentameter. Liebe, nicht Krieg, das war ihr Thema –
gegen alle Gewohnheit in Rom, gegen das herrschende Lebensideal, gegen das
herrschende Rollenverständnis und gegen alle guten Sitten, gegen die mores maiorum, die Sitten der Vorväter.
Ein
melancholisches Stöhnen entwich seiner Brust.
»Die
Elegiker. Was für eine Provokation! Was für eine Schaffenskraft! Was für eine
Literatur! Nur leider ist dieses Literaturgenre nun bereits ausgereizt…« Damit
ließ sich sicher keine aufsehenerregende Karriere mehr starten. Nichts Neues
mehr. Aber war die konservative Dichtung der richtige Weg, das Epos in der Art
des Vergilius, selbst wenn man es mit Ironie verband oder parodierte, so wie er
es vorhatte?
Naso
ließ seine schmalen Schultern hängen und fiel rücklings von seinem Hocker,
direkt auf seine Liege. Die billige Füllung aus Schilf pikste ein wenig. Er
spürte es durch die Laken hindurch. Aber für eine bessere Matratze hatte er
kein Geld. Sicher, er könnte seinen Vater um peculium bitten, eine Art Taschengeld. Aber dafür müsste er sich
wieder unter die patria potestas seines Vaters unterwerfen und das würde bedeuten, dass er sein jetziges Leben
endgültig aufgeben müsste. Zurück zur Anwaltskanzlei, zurück zu einem
geregelten Leben, zurück zum tristen Wälzen von langweiligen Akten. Aufstehen
noch vor Morgengrauen und quälend eintönige Prozesse… Nein, vor Gericht konnte
und wollte er nicht zurück. Was aber, wenn ihm keine Wahl blieb…?
Missmutig
verschränkte er die Arme. Vor seinem inneren Auge zogen die letzten Wochen
vorbei: Der Zauber des Neuanfangs, die Begeisterung für ein Lebensziel, das er
so leidenschaftlich liebte wie kaum etwas sonst. Musste er sich mit den harten
Realitäten abfinden? Kaum begonnen, war sie da schon wieder vorüber, die
Karriere als Dichter?
Jemand
klopfte laut mit dem Fuß gegen die Tür.
„Nein,
mein Nachttopf war das nicht!«, rief Naso mechanisch, ohne aufzustehen. „Zwei
Türen weiter und grüß‘ mir Marcus!“
„Der
Inhalt deines lasanum und dieser
Marcus interessieren mich einen Scheißdreck!“, polterte eine nur allzu
vertraute Stimme.
„Vater?“
Naso
sprang von seinem Bett und schob den schweren Riegel zur Seite.
„Na
wenigstens hast du eine richtige Türe. Keinen Fetzen von Vorhang zum Hausflur,
wie man das nebenan sieht…“
„Vater?
Was machst du denn hier, mitten in der Nacht? Und dazu noch in einem schweren Mantel?“
Publius
Ovidius Senior zog sich die Kapuze vom Kopf. „Die Frage sollte eher lauten, was
machst DU hier, in einer Gegend, in der ein anständiger Mann sich tagsüber
nicht sehen lassen sollte. Ein Publius Ovidius in der Subura … die Blüte des
Ritterstandes vom Paelignerland in der Gosse!“ Er blieb abwartend in der Türe
stehen. Hinter ihm konnte man zwei grobschlächtige Leibwächter ausmachen.
Naso
nahm ihm seinem den Mantel ab, faltete ihn und legte ihn vorsichtig auf sein
Bett. Er wollte nicht fragen, was seinen Vater zu ihm führte. Er wusste es auch
so
„IN
der Gosse, Vater? Wir sind hier im fünften Stock…“
Ovidius
Senior nur rümpfte Nase. „Es riecht jedenfalls nicht viel anders…. Beim Pluto,
das stinkt ja bis in dein Zimmer nach ungewaschenem Pack, menschlichen
Ausdünstungen, Urin und … gekochtem Kohl?“ Er zog eine Augenbraue nach oben.
[…]
„Was
hat denn das damit zu tun? Mein Gott Junge, das Leben ist doch kein
griechischer Abenteuerroman! Oder hältst du dich für den ʺGoldenen Eselʺ?
Vielleicht mich, den du dauernd anzapfen kannst? Ich bin doch nicht Midas!
Nicht alles, was ich anfasse wird zu Gold! Glaubst du ich, könnte Gold
scheißen? Bei einer Heirat geht es doch nicht um Liebe, sondern um eine
gesicherte Verbindung, um Beziehungen, um Macht - oder zumindest um Geld! Wovon
willst du leben, wenn du dich der Gesellschaft und ihren Regeln verschließt?
Nicht als Anwalt, nicht als Politiker, nicht als Militär…“
„Als
Dichter. Ich arbeite an einem neuen Epos. Du wirst zugeben, dass Vergilius
damit zuletzt mehr als erfolgreich war…“
„Als
Dichter? Warum versuchst du dich ausgerechnet an brotlosen Künsten? Selbst
Homeros hinterließ keine Reichtümer! Darf man fragen, wie du so zu Geld kommen
willst? So einer wie Maecenas, der Dichter wie Horatius und Vergilius fördert,
ist schwer zu finden! Mit deiner Haltung gegenüber dem Herrscherhaus sowieso
nicht, schließlich ist er einer der engsten Freundes des Erhabenen…“
[…]
[Ovidius
ist über Nasos alternative Lebenseinstellung entsetzt.] „Und das soll ein Grund sein? Beim
Hercules! Woher hast du nur diese verrückten Ideen? Liebesheirat, keine
Ämterlaufbahn… Anwalt macht keinen Spaß, Politik auch nicht und für den Krieg
hast du kein Händchen. Du willst keinem Menschen wehtun… merda!“
„Fändest
Du nicht, dass die Welt eine bessere wäre, wenn alle so dächten, Vater?“
„Stultissime! Gallus, Tibullus und
Propertius beim Wort zu nehmen, die sentina
des modernen Dichtergesocks? Wie soll man sich da noch gegen die Barbaren
wehren können, wie sollte ein Staat noch funktionieren können? Als ob Rom keine
Männer mehr hätte! Wo käme das Imperium hin, wenn alle jungen Männer sich so
benehmen würden! Gerade damit es keinen Mord und Totschlag gibt, braucht man
eine Verwaltung und das Militär! Was glaubst du wohl, warum dem Jahr im zivilen
Amt immer das mit dem militärische Kommando folgt? Dein Messalla weiß das nur
zu gut. Erst erfolgreich werden in der Politik, dann berühmt werden als General
und erst danach einen Dichterkreis aufziehen. Selbst Gallus stand im Felde und
bis zu den Knien in Blut. Also rede doch keinen Blödsinn!“
„Ovidius
atmete tief durch und setzte sich wieder hin. Er presste die Lippen
aufeinander, dann rang er um einen freundlichen Gesichtsausdruck. Er setzte
sich wieder.
„Sohn,
sei doch kein Dummkopf. So einfach wie in der jetzigen Zeit war es noch nie für
einen Ritter, zu Amt und Würden zu gelangen und in die Nobilität aufzusteigen!
Der Erhabene braucht in allen Provinzen junge Ritter, auf die er sich verlassen
kann. Du könntest so in Kürze zu einem einflussreichen Senator werden, unsere
Familie zu einer senatorischen machen, einen Stand höher klettern. Ja sogar ein
Konsulat wäre möglich, bei deinem Redetalent. Denk nur an die große Ehre!“
Naso
lächelte gequält.
„Nehmen
wir an, ich würde an nichts anderes mehr denken und nichts anderes mehr tun,
alles nur für die Karriere. Selbst wenn ich es schaffen sollte: Wäre es
wirklich noch dieselbe Ehre wie in den alten Tagen der Republik, wenn man nur
ein paar Tage lang Konsul ist für das Jahr, das nur einem einzigen zustehen
sollte? Sind das wirklich noch freie Wahlen, jetzt wo ʺder Erhabeneʺ gerade
über alle Konsuln eine allgemeine Leitungsgewalt übernommen hat? Statt dem Jahr
den Namen zu geben würde ich zusammen mit zahlreichen anderen nur mehr durchgeschoben
werden, um danach möglichst viele Prokonsuln in die Provinzen zu bekommen,
eingesetzt als Marionetten mit ruhmvollen Namen, mit einer bloßen Pseudomacht
von des ʺErhabenenʺ Gnaden. Sag mir Vater, wäre das noch genauso ehrenvoll wie
früher?“
Ovidius
zog seine buschigen Augenbrauen zusammen.
[…]
[Ovidius ist auch
über Nasos Schreibversuche entsetzt]
Ovidius
erhob sich und schüttelte langsam den Kopf.
„Und
überhaupt… Liebesdichtung… Elegiker und das Ideal einer standesungemäßen Liebe
an eine untreue Frau… Lass lieber die Finger davon! Der Erhabene hat da etwas
vor, etwas nie da Gewesenes. Im Senat werden gerade völlig neue Gesetzte
debattiert – zur Hebung der Moral, wie es heißt, zum dem Schutz der Ehe, zum
Schutz der unverheirateten Frauen... Du müsstest eigentlich bereits davon
gehört haben: die Straßen quellen über vor Diskussionen! Es geht zurück zu den
alten Werten, mores maiorum! Nur dass
sich keiner der maiores erinnern
könnte, dass in Rom jemals Sitten- und Ehegesetze verabschiedet wurden… Jedenfalls
wird Fremdgehen bald als Straftat kriminalisiert: ein straf-rechtlich
verfolgbares Delikt – Ehebruch, Sexualverkehr mit einer unverheirateten Frau
sowie außerehelicher Verkehr. Spätestes nächstes Jahr soll noch mehr folgen,
eine Regulierung standesgemäßer Ehen, Maßnahmen gegen die Kinderlosigkeit: Die
Ehe soll zum Zwang und das Kinderzeugen zur Pflicht. Also kein Spaß mehr, über
den man sich lustig machen kann, sondern verdammte Pflicht und Schuldigkeit.“
Ovidius
hüstelte.
„Also
mach bitte nichts, was dir nachher als Vorwurf und Fehler angerechnet werden
kann, wenn du Erfolg hast! Oder gar als Verbrechen - nicht mal als Gedicht…!
Ich möchte dich schließlich nicht auf eine einsame Insel verbannt sehen… longe hoc omen abesto!“
Ovidius
murmelte schnell ein Gebet, um das schlechte Vorzeichen zu verscheuchen.
„Du
machst dir vielleicht Sorgen, Vater!“, versuchte Naso zu beruhigen. „Catullus
hat es gewagt, sogar Caesar direkt anzuggreifen und lächerlich zu machen – und
was ist passiert? Nichts…“
„Catullus?
Lange vorbei! Sich über die Mächtigen und ihr Handeln lustig zu machen, das
Publikum mit Schweinkram zu provozieren und damit ungeschoren davon zu kommen–
die Zeiten sind endgültig vorbei. So viel Humor gibt es im gesamten Haus der
Julier nicht mehr. Selbst wenn man sich gar nicht direkt anlegt… Denk an
Gallus: Karriereende, Prozess und Selbstmord! Und wenn du keinen Erfolg hast,
dann verhungerst du. Und im Moment sieht es ganz danach aus, so furchtbar, wie
du dichtest….“
Damit
nahm Ovidius seinen Mantel und warf ihn sich wieder um die Schultern.
„Es
ist ja nicht so, als ob Cupido persönlich dir einen Versfuß gestohlen hätte und
es deshalb nicht klappt, mit deinem Epos!“
Ovidius
verschloss den Mantel mit einer breiten Fibel aus Silber und zog die Kapuze
über den Kopf. Das Flackern der Öllampe verfing sich in der silbernen
Gewandschließe.
Naso verengte die Augen zu Schlitzen. Es war nicht
der funkelnde Widerschein der Lampe, der ihn störte. Es war das protzige
Silber, das seine Augen quälte,
und wofür es stand. Doch dann riss er die Augen auf einmal wieder auf. Eine
Idee keimte in ihm auf. Was hatte sein Vater da gerade gesagt…?
„Junge,
geht es dir gut?“
„Ja,
bestens.“
„Gut.
Ich muss jetzt wieder gehen. Versprichst du mir, nach Hause zu kommen? Dann
kann ich dir ein wenig Taschengeld da lassen, für die Reise….“
Naso
war fest vom Gegenteil überzeugt, hielt es aber für die beste Idee zuzustimmen.
Nicht nur des Geldes wegen. Vor allem, um seinen Vater schnell wieder los zu
sein. Die nächste Zeit hätte er seine Ruhe.
„Ja
Vater“, senkte er demütig sein Haupt. „Aber nicht sofort - ich muss
nachdenken.“
„Denk
noch ein wenig drüber nach, wenn du musst. Aber dann komm nach Hause. Wir
werden auf dich warten.“
Damit
warf er einen klimpernden Beutel auf die Bettliege, ging zur Tür und war einen
Augenblick später verschwunden.
Naso
hielt noch ein kleinwenig inne. Er hatte demütig sein Haupt gesenkt, aber nicht
aus Demut.
Darunter
glühte er.
Aus
Vorfreude.
Sein
Vater hatte ihn auf eine Idee gebracht. Er ließ noch ein wenig seine Gedanken
kreisen. Catullus und seine gekonnte Provokation… zu seiner Zeit hatte er mit
einer respektlosen Ausdrucksweise Furore gemacht und wurde als Roms frechster
Dichter berühmt, trotz oder gerade wegen seiner derben Attacke auf Caesar…
Gallus und die Abkehr von den alten Werten, die neuartigen Sitten- und
Ehegesetze… der große Vergilius und sein Römerepos…
»Ja,
das ist es!«
Naso
setzte sich mit einem Sprung auf seinen Schemel, der beinahe umfiel vor
Schwung, und riss Wachstäfelchen uns Stilus an sich. Vor seinem geistigen Auge
fügte sich endlich alles zusammen. Das war DIE Idee.
Naso
würde seinem Vater den Gehorsam verweigern. Auch in seinen Gedichten würde er
sich verweigern, dem Epos nämlich, den Heldengedichten: Verweigerung! Eine recusatio, die klassische literarische
Absage an ein Epos seit dem Alexandriner Kallimachos! Liebesdichtung und zwar
nicht diejenige zwischen Ehemann und braver Ehefrau wie Odysseus und Penelope!
Er würde die Elegien weiterführen, Liebe statt Kriegsdienst! Er würde dem ausgereizten
Genre etwas Neues hinzufügen: Ironie, Witz, Übertriebung, bis hin zur Parodie.
Dazu noch breit gestreut bekannte Zitate in neuem Kontext und Anspielungen auf
alle bekannten Dichter - zur Freude aller literarisch vorgebildeten Leser. Da
konnte ihm sein spielerischer Übermut, den man bisher so oft an ihm getadelt
hatte, nur zu Gute kommen.
»Das
alberne Programm des Augustus kommt gerade zur rechten Zeit! Ob er mit den von
oben verordneten Moralvorstellungen von seinen wilden Frauengeschichten und den
Affären im Kaiserhaus ablenken will? Egal, wenn alle über seine Gesetzgebung
reden und sich viele darüber aufregen - durch meine Gedichte können sie genau
das Gegenteil von dem lesen, was Augustus ihnen mit dem Zeigefinger und dem
Gesetzbuch einbläuen will. Durch mich können sie sich darüber lustig machen,
darüber lachen!«
Naso
barst gerade vor Zuversicht: Die restriktiven Ehegesetze waren das Thema der
Stunde, nein, sicher des Jahres, wenn nicht des nächsten Jahrfünfts oder
Jahrzehnts! Diesen gesetzlich verordneten sittsam-keuschen und höchst
langweiligen Lebenswandel dürfte sich kaum eine selbstbewusste Römerin ohne
weiteres gefallen lassen, schon gar keine aus der feinen Gesellschaft. Und
ungebundene, freiheitsliebende Römer ebenso wenig. Die Aufmerksamkeit dieser
Leser war ihm gewiss.
Nur
der Anfang fehlte noch. Nun, wenn das Kaiserhaus gerade so viel Werbung für
Vergilius machte, für dessen posthum veröffentlichtes Werk, die Aeneis, mit dem
er den guten alten Ennius im Römerepos Nummer Eins ablösen sollte – bitteschön!
Auf den konnte er auch noch anspielen: Mal sehen, wie war das bei Vergilius? arma virumque cano - ʺvon Waffen und
Männern möchte ich singenʺ… Ein paar Vokale umstellen, eine leichte Variation
und schon… ʺarma gravi numeroʺ – ʺWaffen in schwerer Zahlʺ oder
ʺWaffen in wuchtigem Taktʺ, im Versmaß der Heldendichtung. gravis passte einfach perfekt für den Anfang: schwer,
schwerwiegend, wichtig ernst, bedeutend - das klassische Adjektiv schlechthin
für ein Epos im Hexameter.
»Reimt sich genauso gut und jeder
erkennt das Vorbild. Und wie komme ich jetzt von der Heldendichtung in
Hexameter zur Liebesdichtung im Distichon, über das Vater so sehr gemotzt hat?
Von zwölf zu elf Takten… Moment, wie hat Vater das formuliert? ʺEs ist ja nicht so, als ob Cupido persönlich
dir einen Versfuß gestohlen hätte und es deshalb nicht klappt, mit deinem Epos!ʺ
Ja, wunderbar! Das ist es. Die ultimative Tradition: der Liebesgott inspiriert
mit seinem Bogen, wie bei Hesiods Theogonie und den Musen – oder besser: Der Befehl
des Apollo an Kallimachos, Elegien statt Epos zu schreiben … etwas Ähnliches
steht doch schon bei Propertius und Horatius und sogar bei Vergilius in dessen
Eklogen… und Posidippus, wie Liebe dichterische Kreativität verhindert? Nur ein
wenig variieren muss ich’s noch… Heureka! Ein Dichter, der ein Epos schreiben
will wie Vergilius... Das mache ich daraus! Cupido stiehlt ʺmirʺ als Dichter
einen Versfuß und das Ganze rutscht automatisch jeden zweiten Vers zum
Pentameter ab… Distichon statt Hexameter, Liebes- statt Heldendichtung. Danke
Vater! Ich muss nur aufpassen, dass die fiktive Dichterperson des poeta-amator sich nicht zu sehr mit mir
selbst vermischt. Aber wie groß kann die Gefahr schon sein…“
Naso
strahlte vor Freude. Fieberhaft begann er in sein Wachstäfelchen zu ritzen:
Waffen
in wuchtigem Takt und blutige Schlachten entwickeln
hatte ich vor und zum Stoff
sollte gut passen die Form.
Gleichlang
reihte sich Vers an Vers da hat wohl Cupido,
sagt man, da droben gelacht,
stahl aus dem Vers einen Fuß!
ʺWer
gab, wilder Gesell, dir ein Recht auf meine Gedichte?
Den schönen Musen geweiht bin
ich als Dichter, nicht dir!
Raubt
denn Venus vielleicht die Waffen der blonden Minerva?ʺ…
Naso schrieb wie im Rausch. Dabei ließ
er alles einfließen, was er an berühmten Versstücken im Kopf hatte und sich
harmonisch in den Text einfügen ließ. Er brauchte kaum zu überlegen, das
Gedicht wuchs wie von selbst – trotz unterschiedlicher Ebenen: Vordergründig
war es nur ein verspieltes Aition, dass erklärte, wie ein Dichter von seinem
Vorhaben der Heldendichtung zum Schreiben von Elegien gekommen war. Auf den
höheren Ebenen war es jedoch voller Anspielungen auf lateinische und
griechische Dichter, an die alexandrinische Kleinform und ihre Motive, sogar
identische Wortwiederholungen gelehrter Dichter brachte er mit spielerischer
Leichtigkeit unter.
Naso lächelte. Er wusste sofort, dass
es gut war. Selbst auf der untersten Ebene bot der Handlungsstrang noch ein
schlüssiges Bild: Der Dichter, dem der Liebesgott heimlich in jedem zweiten
Vers einen Versfuß stiehlt und so das Epos sabotiert, darauf die wütende
Schimpfrede an den Gott, dem er vorwirft, sich ungerechtfertigt einzumischen.
Dazu das exemplarische Durcheinander aller Aufgabenbereiche der Götter, um das
Chaos zu beschwören, das losbrechen würde, sollte man sich nicht fest an seinen
eigenen Zuständigkeitsbereich halten. Die Argumentation las sich fast wie ein
Plädoyer vor Gericht - trotz der komischen Bilder, wie der sprichwörtlich
unmusikalische Kriegsgott, der sich an der Leier des schöngeistigen Apollo
versucht.
Naso schmunzelte. »Offensichtlich
drängt sich die Erfahrung als Anwalt in meine Gedichte. Ob Vater dieses
Ergebnis meiner Ausbildung zu schätzen weiß? Auf diese Weise bleibe ich gerne
Jurist.«
Das Gespräch mit seinem Vater schien
ihn noch mehr zu beflügeln. Wie Naso selbst ließ der den fiktiven Dichter nun
beklagen, niemanden zu haben, den er lieben könnte und damit auch kein Thema,
über das er Liebesdichtung verfassen könnte: weder lockige Mädchen noch Knaben.
Deshalb könne er unmöglich Liebes-Elegien schrieben.
Also
klag ich; da löst von den Schultern sofort er den Köcher,
wählt auch die Pfeile
geschwind, mir zum Verderben bestimmt,
krümmt
mit dem Knie wie ein Mann zur Form eines Halbmonds den Bogen,
spricht: „Da nimm, du Poet -
hier kommt der geeignete Stoff!"
Weh
mir Armem! Er hat treffsichere Pfeile, der Junge!
O wie das brennt! Nicht mehr
frei bin ich, der Gott herrscht in mir!
So
sei es: Es steige das Lied im Sechstakt und sinke im Fünften.
Eiserner Krieg und ihr, eiserne
Rhythmen, lebt wohl!
Auf,
mit der Myrte vom Strand umkränz‘ dir die goldblonden Schläfen,
Muse, für die in elf Takten
erklinge mein Lied.
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