Es folgt ein Auszug aus
Kapitel Zehn (zweiter Band - bisher gibt es hier Ausschnitte aus dem
ersten, zweiten, dritten, vierten, fünften, sechsten, siebten, achten und neunten Kapitel). Anregungen und Kommentare sind
wie immer erwünscht (Rufus.in.Rom@gmail.com)!
Kapitel X: Wie lange noch
|
Cicero, angewidert von Catilina |
[Am nächsten Morgen stehen bewaffnete Soldaten
am Hauseingang. Quintus Fabius Sanga ruft seine familia zusammen. Die
Briefe an Crassus und die andern Patrizier wurden im Senat vor Zeugen geöffnet
und verlesen, über die Erhebung des Manlius wurde beraten. Schließlich wird der
Notstand ausgerufen.]
[…]
[Rufus ist im Unterricht nicht bei der Sache,
selbst bei der Sage über Romulus und Remus muss er immer nur daran denken, was
sein Gastbruder Gaius gerade treibt – und wo. Rufus und Fabiulla werden mitten
aus dem Unterricht herausgerufen: Larcia wurde eingeladen, unter ausdrücklichem
Wunsch ihrer Gesellschaft...]
In Fulvias geschmackvoll
eingerichtetem Triklinium fehlte es wieder an nichts; an nichts außer an der
rechten Stimmung: Fulvia bemühte sich, eine gute Gastgeberin zu sein, doch
kaute sie andauernd an ihren Nägeln, während Larcia Neuigkeiten berichtete, die
bereits jeder wusste.
„Wie lange wir das wohl
noch zu erdulden haben müssen? Staatsnotstand – wie schrecklich! Auf den
Märkten ist kaum noch etwas zu haben. Ceres sei Dank, dass wir noch unsere
eigenen Landgüter haben, jetzt wo man das beste Obst und Gemüse nur noch zu
Wucherpreisen unter dem Ladentisch bekommt. Und von dem, was noch öffentlich
angeboten wird, wollen wir gar nicht erst reden: fade im Geschmack, zähes
Fleisch und vergammelter Fisch!...“
[…]
„Und wieso bitte, kann
man sie nicht einfach so verurteilen?“
„ʺWo bitte sind die
Beweise?ʺ, würden ihre Unterstützer sagen. Der junge Caesar hat sogar eine
flammende Rede gehalten, dass er Aufruhr in keiner Form unterstütze, dass man
sich aber strikt an das Gesetz zu halten habe…“
„… und hat damit verdammt
recht - in dubio pro reo!“
„Sempronia!“
Fulvia fuhr mit einem
Satz von der Speiseliege hoch und riss die Augen auf.
Sempronia nahm ungeniert
auf dem mittleren Speisesofa direkt neben Larcia Platz, so dass ihr Platz zum
neuen Ehrenplatz zwischen den Damen wurde.
Fabiulla und Rufus sogen
überrascht die Luft ein. Sempronia hatte ohne auf eine Einladung der
Gastgeberin zu warten einfach den locus consularis für sich in Anspruch
genommen. Larcia hatte sich deshalb ursprünglich auf die mittlere Liege
begeben, und Rufus neben Fabiulla auf der Randliege Platz nehmen lassen.
Larcia zog gekränkt beide
Augenbrauen hoch. Sempronias Verhalten sprach jeder Etikette Hohn.
Fulvia starrte Sempronia
immer noch an, als sei sie ein Gespenst.
»Wie kann man sich denn
vor einer so netten Frau so fürchten?«, wunderte sich Rufus. Erneut bewunderte
er ihre Erscheinung. Sempronia war vielleicht nicht mehr ganz so jung wie
andere Frauen, ihre Haut nicht mehr ganz so glatt, aber die Eleganz ihrer
Erscheinung suchte ihresgleichen. Allein schon ihre Bewegungen verrieten die
ganz große Klasse. Die Lachfältchen um ihre Augen und das leicht spöttische
Lächeln um ihre Mundwinkel fand Rufus besonders anziehend. »Sollte ich jemals
eine Römerin heiraten, dann so eine!«, schwor er sich, während er den Duft
ihres verführerischen Parfüms einsog.
„Na was ist?“, riss
Sempronia ein Glas an sich. „Bekommt man hier etwa keinen Wein? Oh, was für
leckere Häppchen…“
Larcia kämpfte darum,
nicht die Beherrschung zu verlieren. Sie setzte sich stocksteif auf und gab
sich demonstrativ angewidert, als Sempronia unbekümmert ein paar Pastetchen in
die Luft warf und mit dem Mund wieder auffing. Sempronias Stola war dabei so
weit entblößt, dass man ihre goldenen Arm- und Fußringe sehen und klappern
hören konnte.
Fabiulla kicherte
ausgelassen, Rufus war überwältigt von Sempronias Lebensfreude, Larcia sog
scharf die Luft ein.
„Außer sich wie billige
Akrobatinnen zu verhalten, scheint es manchen Frauen nicht einmal etwas
auszumachen, sich vor Männern zu entblößen!“
„Warum auch nicht, wenn
es der richtige ist? Und weißt du was? Es macht auch manchen Männern nichts aus
– solange sich die richtige Frau entblößt!“
„Fabiulla! Warte vor der
Tür! Agahtha, begleite sie! Wie kannst du nur solche Reden vor einem
wohlerzogenen Kind aus dem ruhmreichen Hause der Fabii Sangae führen?“
Agatha zog Fabiulla, die
ihr Lachen nicht zurückhalten konnte, hinter sich hinaus.
Sempronia kniff die Augen
zusammen.
„Wie kannst du dein
eigenes Kind nur zu einem Sklaven der Männer erziehen wollen? Glaubst du
wirklich, dass unser Leben nur dafür da ist, überkommene Konventionen zu
wahren?“
Larcia schloss ihre Augen
und wandte sich entrüstet ab.
„Ja, verschließ nur deine
Augen vor der Wahrheit und vor dem Leben! Aber glaube nicht, dass ein
intelligentes Kind wie deine Tochter glücklich wird, wenn man sie den ganzen
Tag einsperrt und Wolle spinnen lässt. Erst redet man ihr ein, dass die
arrangierten Hochzeiten nur dazu dienen, den Richtigen für sie zu finden. Dann
wird sie verkauft wie ein Stück Vieh, für Ansehen oder für ʺFreundschaftʺ, nur
um gerade eine politische Koalition zu besiegeln oder einen Parteifreund näher
an sich zu binden. Und sollte sie wirklich einmal mit einem Mann zufrieden sein
oder sich gar in ihn verlieben – hopp, ihr nötigt sie zur Scheidung, weil die
Politik gerade andere Bindungen verlangt. Willst du das wirklich?
Schau dich doch selbst
an, du wirst von deinem Ehemann als reines Repräsentationsobjekt gehalten, wie
ein Schmuckstück für Männer, das man vorzeigt, aber das weder einen eigenen
Willen hat noch einen haben darf - und als Reproduktionsobjekt, für legitime
Nachkommen mit dem Abbild deines gesetzlich anvertrauten Vormunds und
Bestimmers. Wo bleibt da die Freude? Sind wir Tuchwalker? Sind wir Legehennen?
Wenn ein Mann Spaß dabei haben will, geht er nicht zu seiner Frau sondern ins
Bordell: Niemand wird deshalb schlecht über ihn reden sondern man lobt ihn noch
dafür, wie es der alte Cato schon tat. So ist es bei den Römern Brauch. Aber
was ist mit uns? Wo bleibt unser Vergnügen?“
In Larcias Augenwinkel
blitzte eine Träne auf, doch machte sie keine Anstalten, auf Sempronia zu
reagieren.
Sempronia beugte sich
näher heran, bis ihr Mund beinahe Larcias Ohr berührte.
„Und du? Was ist mit dir
und mit deinen Bedürfnissen? Bespricht er seine Handlungen zuvor mit dir und
hört er auf dein Urteil? Geschäfte, Politik, Erziehung? Quintus ist auch schon
lange nicht mehr so lebendig wie früher, wie man hört. War er es jemals? Geht
er auf deine Bedürfnisse ein? Spürt er, was du willst? Nimmt er auf deine
Vorstellungen Rücksicht? Und - hast du Vergnügen daran, wenn Quintus dich im
Ehebett aufsucht, oder liegst du nur stumm da und wartest reglos, bis es vorbei
ist? Und dann lebst du nur noch für das Ziel, noch ein Kind gebären zu dürfen,
damit dein Mann dich stolz als ehrbare Matrone herzeigen kann? Oder kommt er
schon gar nicht mehr zu dir, sondern sucht sich lieber etwas… Lebendigeres?“
Rufus sah, wie Larcia
eine Träne über die Wange lief. Noch immer hielt sie die Lider nach unten
gepresst, als höre sie nichts von alledem. Dennoch schien sie schwer getroffen.
Sempronia legte sanft
einen Arm um Larcias Schulter.
„Entschuldige, ich wollte
dich nicht beleidigen, nur aufrütteln. Du musst dich nicht in ein solches
Schicksal fügen. Niemand sollte das müssen, weder Mann noch Frau. Es gibt noch
mehr im Leben für eine Frau als nur zu Hause sitzen, Wolle spinnen, Kinder und
Unterwerfung! Auch ich habe Kinder, aber es gibt einfach zu viel zu entdecken!
Wer sagt, dass sich nur Männer bilden sollen? Mein Decimus lässt mich gewähren,
seine Bibliothek steht mir immer offen – und mehr als das! Komm doch einmal mit
zu mir, wir sind nicht alleine. Du kannst deine Töchter gerne mitbringen. Es
gibt viele Frauen, die so denken wie ich. Fulvia ist auch eine von uns. Das
bist du doch noch, nicht wahr?“
Sempronia unterzog Fulvia
einem prüfenden Blick.
Fulvias Kopf sank leicht
zwischen ihre Schultern.
„Und es gibt auch Männer,
die uns unterstützen wollen, veränderungsbereite Männer, mutige Männer wie…“
Larcia riss Sempronias
Arm herunter.
„Fulvia! Es tut mir leid,
aber wenn du solchen Umgang pflegst, werde ich dich zukünftig nicht mehr mit
Kindern besuchen können!“
„Ja, Fulvia achte auf
deinen Umgang!“
Sempronia sah Fulvia
direkt in die Augen.
„Deswegen bin ich
eigentlich hergekommen, als man mir berichtete, wer gerade so zu dir kommt -
und geht.“
Fulvia wurde blass.
„Wer kommt und geht - und
was du so erzählen könntest. Aber wie ich sehe, sagst du gerade nicht besonders
viel. Schade eigentlich, denn schließlich es gerade das, was mich am meisten
interessiert, wenn ich meine liebe Freundin besuche. Aber manchmal soll das
auch besser sein. Es soll sogar Menschen geben, die das als Verrat sehen
würden, wenn jemand einmal zu viel redet, vielleicht als Verrat am eigenen
Geschlecht, da eine Frau sittsam und still sein soll, nicht wahr Larcia? Oder
als Verrat an der Sache. Ich kenne mich da ja nicht so gut aus, aber ich hörte
davon, dass schon viel Blut vergossen wurde – aber immerhin wird man bekannt:
Nicht umsonst heißt unser Hinrichtungsfelsen für Verräter nach Tarpeia, die
einfach nicht ihren Mund halten konnte…“
Fulvia schwankte. Sie
schien einer Ohnmacht nahe.
Sempronia beugte sich zur
äußeren Liege hinüber und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Das spöttische
Lächeln jedoch blieb.
„Aber teuerste Fulvia,
was hast du nur? Das sind doch nur uralte Mythen! Keine Ahnung, wie ich
überhaupt auf das Thema zu sprechen kam. Dafür gibt es doch nicht den
geringsten Anlass, wie ich sehe. Oder, Fulvia?“
Fulvia zitterte, obwohl
ihre Liege direkt neben dem dreifüßigen Kohlerost stand. Sie war kreidebleich.
„Wie blass du geworden
bist! Fühlst du dich nicht wohl? Vielleicht eine Erkältung… Ich glaube, ich
muss die Arme beruhigen. Ihr geht jetzt besser wieder nach Hause. Am besten
bleibe ich gleich über Nacht, lasse meinen Arzt kommen und passe ein wenig auf
sie auf. Dafür sind doch Freundinnen da, nicht wahr? In ein paar Tagen hat sie
sich wieder vollständig erholt. Dann können wir wieder ein so herrlich
kontroverses Schwätzchen halten. Es hat mich gefreut, Larcia, deine Kinder
kennen zu lernen und dich wiederzusehen.“
Dann sah sie Rufus an und
lächelte.
„Larcia, ich glaube, ich
muss mich wirklich bei dir entschuldigen! Wenn ich mir deinen Sohn so ansehe…
es gibt wohl doch mehr Abwechslung in deinem Leben, als ich geahnt hätte…“
Larcia rauschte wortlos
hinaus, begleitet vom kehligen Lachen Sempronias.
[…]
[Rufus stößt scheinbar zufällig mit Fulvias
Sklavin Helena zusammen, die ihm heimlich ein Schreibtäfelchen zusteckt]
Kaum waren sie vor der
Tür, da konnte sich Larcia auch schon nicht mehr zurückhalten und ließ ihrem
ganzen aufgestauten Ärger freien Lauf. Dass es sich nicht schickte, in einer
Sänfte unmittelbar vor dem Hause der Gastgeberin über eine Dame und Gast des
Hauses zu schimpfen, schien sie vollkommen vergessen zu haben.
„..und genau das ist auch
eingetreten: Vor Frauen wie Sempronia hat man mich gewarnt – und zwar zu recht!
Nie mehr setzte ich einen Fuß in das Haus von Fulvia! Ich habe ja immer
gewusst, dass sich Fulvias Lebensweise und Ansichten nicht schicken, schon gar
nicht für eine Dame von Stand, aber dass es so weit geht… Mit solchem Gesindel
zu verkehren – einfach unerhört.“
Larcia zitterte vor
Erregung.
„Komm schon Mama, so
schlimm kann es doch unmöglich sein. Bisher war es doch auch immer ganz nett
bei Fulvia. Und du hast doch gesagt, sie ist immerhin eine Dame von Stand und
auch Sempronia….“
Wage nicht, diesen Namen
noch einmal in den Mund zu nehmen, oder ich muss ihn dir auswaschen! Ich hätte
es wissen müssen. Frauen, die nicht mehr auf die Sitten der Vorväter hören,
sind zu allem fähig. Warum habe ich nicht erkannt, dass sich Fulvia mit solchem
Gesindel abgibt? Dass sie sich mit solchen verschwenderischen Frauen gemein
macht, die über ihre Verhältnisse leben! Zuerst bestreiten sie ihren ungeheuren
Aufwand mit körperlicher Unzucht, dann setzt ihr fortschreitendes Alter nur den
Möglichkeiten ihres Gelderwerbs, aber nicht ihres Luxuslebens ein Ende. Das
sind genau die Art hochverschuldete Frauen, mit denen Verbrecher wie Catilina
Umgang pflegen.“
„Woher willst du denn
wissen, dass Catilina…“
„Aber das weiß doch
jeder! Nicht nur, dass er sich selbst reichen Frauen gegen Geld und Einfluss
zur Verfügung gestellt hat, mit Hilfe der Frauen zweifelhafter Herkunft und
zweifelhafter Gesinnung will er sicher die städtische Sklavenschaft aufwiegeln,
die Stadt anzünden und ihre Männer entweder in die Verschwörung aufnehmen oder
lieber gleich umbringen lassen…“
[…]
Rufus tastete nach dem
Schreibtäfelchen, wagte jedoch nicht, es zu öffnen.
Ein unangenehmer Geruch
schlug ihnen entgegen. Jetzt waren sie schon kurz vor der Wäscherei des
Sestius. Jetzt musste er eine Entscheidung fällen, wenn er selbstbestimmt und
unbemerkt handeln wollte. Wer war glaubwürdiger – Sempronia oder Larcia?
»Was soll ich tun?«
Rufus versuchte, im Gehen
einen kurzen Blick auf den Inhalt des Briefes zu werfen:
ʺAchter Tag vor den Iden
des November.
Noch vor Sonnenaufgang
soll Cicero ermordet werden: Lucius Vargunteius und Gaius Cornelius kommen zur
morgendlichen Salutatio und werden ihm die Kehle aufschlitzen.ʺ
Rufus fiel das Täfelchen
aus der Hand. Mit zittrigen Händen versuchte er, es wieder aufzuheben, doch kam
ihm jemand zuvor.
„Das nehme besser ich.“
Er blickte in das
vernarbte Gesicht, das er nur zu gut kannte: Cicatrix! Doch noch bevor er ihn
bitten konnte, ihm die Nachricht zurückzugeben, war Cicatrix schon wieder
verschwunden.
»Rufus, bist du schon wieder
in jemanden hineingerannt? Na komm schon!«
Fabiulla hatte
anscheinend kein Interesse daran, sich alleine die Moralpredigten ihrer Mutter
über verkommene Frauen in Rom anhören zu müssen.
„Fabiulla! Wie oft habe
ich dir schon gesagt, dass es sich nicht schickt, in der Öffentlichkeit
lauthals aus einer Sänfte zu brüllen!“
»Nicht oft genug«, dachte
Rufus und hielt wieder mit der Sänfte Schritt, »nicht oft genug. Hoffentlich
kommt der Brief in die richtigen Hände! Und hoffentlich noch rechtzeitig…«
An einem kleinen Eckladen
sah er, wie der Verkäufer einem Hähnchen den Hals durchtrennte. Eisige Schauer
liefen ihm über den Rücken, wie eine Art Vorahnung.
»Iuppiter, oberster Gott
und Beschützer der Römer. Lass dieses Omen bitte fern sein!«
[…]
[Rufus möchte sich mit den Allobrogern beraten,
doch diese sind bereits am Feiern, dass Cicero sich in der morgigen
Senatssitzung endlich für sie und die Überschuldungsprobleme ihrer Städte
einsetzen will. Rufus soll als Teil der Gesandtschaft auftreten, um einen guten,
einen zivilisierten Eindruck zu verbreiten, da er sowohl keltisch als auch
inzwischen nahezu akzentfreies Latein sprechen könne. Auf dem Weg zum
Senatsgebäude begegnen sie überall Wachen. Die curia ist verwaist, die
Sitzung ist in den Tempel der Concordia verlegt.]
[…]
Als sie oben angekommen
waren versperrten ihnen die Legionäre am Tempeltor den Weg.
„Halt! Durchsuchen!“
„Senator Quintus Fabius
Sanga zusammen mit den allobrogischen Gesandten. Wir sind angemeldet.“
Ein Mann mit
quergestelltem Helmbusch trat mit verschränkten Armen vor. Seine muskulösen
Arme waren voller Narben. Er erinnerte Rufus an seinen alten Ausbilder
Haldavvo, der in seinem Stamm der Jugend die militärischen Formationen
beibrachte. Außer dass Haldavvo natürlich nicht nach Knoblauch stank sondern
nicht einmal Bärlauch mochte.
„Und wenn ihr Iupitter
Stator persönlich wärt, ich muss euch zunächst durchsuchen. Waffentragen ist
noch immer verboten. Auch für Senatoren.“
Quintus zuckte mit den
Achseln.
„Ich habe nichts zu
verbergen.“
Die Legionäre erledigten
ihre Arbeit ruppig aber sorgfältig. Schließlich ließen sie die Gruppe durch.
Rufus zog den Kopf ein, um durch die schmale Pforte zu gelangen.
Kaum war er im Inneren,
zuckte er sofort zurück: Ein bärtiger Riese auf einem riesigen Thronsessel
schien ihn streng zu mustern.
Sonst schien sich niemand
daran zu stören.
Rufus sah genauer hin:
Nein, das war nur eine dieser bemalten halbnackten Statuen. Im Licht der vielen
Dreifüße schien er sich im gespenstisch flackernden Licht zu bewegen. Warum
hatte niemand eine Fackel angezündet oder diese Öllämpchen?
Catugnatos bemerkte
seinen Gesichtsausdruck und lächelte.
„Für Senatssitzungen
dürfen keine Lampen angezündet werden. Kein Ahnung warum.“
„St!“, mahnte sie Quintus
an ihre verabredete Rolle – eine schweigsame.
Rufus runzelte die Stirn.
Die Kohlebecken spendeten nicht nur Wärme. Warum war das denn dann nicht auch
verboten?
»Diese Römer und ihre
ständigen kleinen juristischen Tricks! Als ob es immer nur auf den Wortlaut des
Gesetzes ankäme und niemals auf dessen Sinn.«
Rufus erwischte sich
dabei, wie er unwillkürlich eine Augenbraue nach oben zog, ganz so wie die
römischen Adligen. Er musste grinsen.
Bisher waren nur wenige
Senatoren anwesend, die allesamt am äußersten Stuhlring standen. Der Tempel des
Iupitter Stator war einer der ganz wenigen runden Tempel in Rom. Anscheinend
fand deswegen die Sitzung heute hier statt. In der Mitte waren mehrere
Stuhlreihen in zwei Ovalbögen aufgebaut: Platz für mehrere hundert Senatoren.
Nach hinten stiegen die Reihen wie im Theater an, dafür hatte man Holzplatten
aufgeschichtet. In der einen Schmalseite standen die Bögen zum Doppeltor offen,
in der anderen zur Statue. Der Mittelpunkt blieb frei.
Rufus fröstelte. Wo keine
Dreifüße standen, war die Luft kalt und doch zugleich auch muffig. Ob der
Geruch von der Holzdecke kam? Lauter Kassetten mit Versteifungen und kunstvoll
geschnitzten Randstegen. Aber es roch auch nach etwas anderem. Von den Opferungen
konnte es nicht stammen, die machte man ja draußen auf dem Altar. Ach richtig,
diese Körnchen, die auch Quintus vor dem Hausaltar im Atrium benutzte: tus
- Weihrauch, oder so ähnlich, das konnte man ja auch in speziellen Gefäßen
schwenken…
Quintus bedeutete ihnen,
sich zu setzen. Selbst ging er ein paar Senatoren an, nahm sie freundschaftlich
in den Arm und begann auf sie einzureden. Vermutlich alles nur Hinterbänkler:
Ritter und Handelsunternehmer. Darunter hatte Quintus viele Freunde und
Unterstützer, aber auch viele Gegner, die Steuerpächter, ihre Patrone und ihre
Freunde. Für sein Anliegen brauchte Quintus am besten die Unterstützung eines
Spitzenpolitikers, wenn nicht gar einen Redner vom Schlage eines Cicero.
Der Konsul war jedoch
noch nicht erschienen.
Nach und nach trudelten
weitere Senatoren ein. Manche waren wichtiger als andere, das konnte man sofort
an den zumeist unterwürfigen Reaktionen der anderen sehen. Catugnatos kannte
ein paar vom Sehen, nicht zuletzt vom letzten Prozess der Allobroger gegen
ihren korrupten Statthalter Fonteius. Leise flüsternd stellte er sie ihnen vor:
„Der dürre Alte, das ist
Catulus, der Führer der Konservativen. Schaut euch nur sein Gesicht an! Er ist
wohl noch immer tief gekränkt, dass ihm der Populare Caesar für den Posten des
Pontifex Maximus vorgezogen worden war. Behilflich war er uns jedoch noch
nicht.“
[…]
„Sanga! Auch wieder
einmal im Senat?“
Den Mann, der geradewegs
auf Quintus zugelaufen kam, brauchte Rufus niemand vorzustellen.
Marcus Licinius Crassus Dives.
Seine Glatze leuchtete im
schummrigen Licht selbst wie ein kleines Kohlenfeuer. Seine sonst nach vorne
gekämmten Resthaare hatten beim Abziehen der Kapuze den Halt verloren und sich
in unzugänglicheren Regionen der Kopfmitte versteckt.
Quintus schien davon
nichts zu bemerken und begegnete ihm mit ausgesuchter Höflichkeit: „Marcus
Licinius, ich bin hocherfreut, dass ein so vielbeschäftigter Mann sich an mich
zu erinnern weiß.“
„So, wirklich?“, fragte
Crassus höhnisch, ohne den ausgestreckten Unterarm entgegenzunehmen.
Stattdessen stemmte er drohend beide Arme in die Hüfte. „Ein Spross der
hochadligen Fabii und du hast jetzt nichts Wichtigeres zu tun, als dich um
Gallier zu kümmern?“
Quintus‘ Lächeln gefror.
„Ich gebe dir einen
freundschaftlichen Rat, da du ja im Senat nicht unbedingt zu den Stammgästen
gehörst – zumindest nicht zu den Akteuren auf der großen Bühne. Du solltest
nicht in falsch verstandener Treue zu sehr an deine gallischen Schutzbefohlenen
denken. Denk lieber an deine Wähler und Koalitionspartner! Oder, wenn dir diese
Denkweise näher steht, willst du nicht lieber an deine Wirtschaftspartner
denken? Wer die großen Pachtunternehmen verärgert und ihre Ritter, der lebt
nicht mehr lange –“
Crassus lächelte
schmallippisch, während Quintus leicht schockiert eine Augenbraue nach oben
zog.
„- politisch meine ich“,
setzt Crassus schnell hinzu. „Denke doch nur an deinen Vater und wie er sich im
Prozess der Allobroger gegen Fonteius eingesetzt hat: Gegen einen
unbescholtenen römischen Bürger der Anklagevertretung zu assistieren und das
ausgerechnet gegen unseren Erbfeind: aufrührerische Gallier… Ist der seitdem
nur aus dem Senat verschwunden oder ganz aus dem Leben…? Aber schau, unser
vorsitzender Konsul hat es auch endlich hierher geschafft. Ich muss jetzt
wieder nach vorne, erste Reihe, versteht sich…Vale!“
Damit verschwand Crassus,
noch immer schmallippisch lächelnd und ohne zu warten, ob Quintus seinen Gruß
erwiderte.
„Beim Teutates, so ein…“
„St! Die Sitzung
beginnt.“
Inzwischen war Cicero
ruckartig von seiner sella curulis aufgestanden. Die Sitzfläche des
Elfenbeinklappstuhls wippte deutlich nach. Mit einer Anrufung der Götter
eröffnete Cicero feierlich die Senatssitzung.
Rufus atmete erleichtert
auf. Cicero lebte. Jedenfalls für den Augenblick. Aber nein, die Sonne war
bereits aufgegangen. Cicero war sicher – zunächst jedenfalls…
Cicero ließ die
Anwesenheit überprüfen, dann begann er, über die Lage zu berichten.
Quintus saß mit
versteinerter Miene da. Cicero wollte auf mehr hinaus, das war deutlich zu
spüren. Vermutlich schrieb Quintus seinen Plan bereits ab, auf das Anliegen der
Allobroger zu sprechen zu kommen.
„Werte Mitbürger, sicher
habt ihr euch gewundert, über die nächtliche Besetzung des Palatin und all die
Wachen in der Stadt….“
„Allerdings! Erkläre uns
doch, ob das alles wirklich notwendig ist, oder ob du übergeschnappt bist!“
Allenthalben war
zustimmendes Gemurmel zu hören.
„Cicero bauscht die
Situation auf!“
„Beim Iupitter, alles
Schwindel!“
„Cicero benimmt sich wie
ein Tyrann!“
„Nein, wie ein Feigling!“
Da erhob sich die hagere
Gestalt des Catulus. Sofort verstummten alle wieder.
„Ruhe! Wer sind wir?
Kleine Kinder, die auf kleinliche Streitereien und alten Groll Wert legen oder
römische Bürger, denen die Rettung des Staates am Herzen liegen muss? Lasst den
Konsul sprechen!“
Nach dieser Intervention
kehrte augenblicklich Stille ein.
Als Cicero erklärte,
warum die starken Sicherheitsmaßnahmen notwendig seien, hörten ihm alle
Senatoren aufmerksam zu. Jedoch zeigten nicht alle Gesichter gleichermaßen
Zustimmung. Sura gab ein ums andere Mal einen Zwischenkommentar und grinste
hämisch.
„Du meinst, die Lage ist
so gefährlich wie am Wahltag, als du dich in einem Panzer verkrochen hast? Na,
aber heute droht dir doch gar kein Hitzschlag.“
Einige Senatoren johlten
laut, andere lachten. Die Mehrheit verschränkte aber die Arme. Sie wollten
Cicero hören. Wenn er so schwere Geschütze auffuhr, musste schon mehr daran
sein.
Als Cicero jedoch vom
Mordplan an seiner Person, dem turnusgemäß vorsitzenden Konsul berichtete,
ernteten Suras Bemerkungen keinen Beifall mehr. Cicero lieferte so viele
überzeugende Details, dass niemand mehr an seiner Glaubwürdigkeit zweifelte.
Offensichtlich war Marcus Metellus der Bewachung seines Privatgefangenen nur
unzureichend nachgekommen und Catilina war es gelungen, im Hause des Marcus
Porcius Laeca in der Nacht von den Nonen auf den achten Tag vor den Iden des
November eine Versammlung der Mitverschwörer abzuhalten. Dort wurde besprochen,
wie Lucius Vargunteius und Gaius Cornelius am siebten Tag vor den Iden sich bei
Cicero zum Morgenbesuch anmelden und ihn ermorden sollten, um die Stadt in die
Gewalt der Verschwörer zu bringen. Catilina selbst wollte gleich nach Ciceros
Ermordung zu Manlius aufbrechen. Cicero kannte den Ort, die auserkorenen Täter
und alle Beratenden. Sein Bericht war stimmig und wirkte absolut authentisch.
Selbst Sura verstummte.
Ungläubig und mit offenem Mund hörte er sich all das an, was nie hätte an die
Öffentlichkeit gelangen können – es sei denn, es gab einen Verräter, der in
alles eingeweiht war.
Gerade als Cicero die
Senatoren endlich zu entschiedeneren Beschlüssen drängen wollte, ging plötzlich
ein Raunen durch die Reihen. Mitten in der Sitzung war Catilina erschienen.
Als wäre nichts gewesen,
schlenderte er zu den vorderen Reihen und ließ sich lässig auf einen freien
Stuhl fallen.
Cicero verstummte.
Catilina winkte Cicero
spöttisch zu, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und grinste.
Um ihn herum entstand
Bewegung: Viele Senatoren rückten demonstrativ von ihm ab, alle zunächst
Sitzenden stoben auseinander.
»So muss es aussehen,
wenn ein Fuchs in einen riesigen Hühnerhof eindringt«, dachte Rufus angesichts
der blendend weißen Togen mit Purpursaum, die in Bewegung gerieten.
Aber warum? Rufus dachte
an die römischen Gerichtsprozesse. Der Angeklagte musste sich immer demütig
zeigen, selbst wenn er auf unschuldig plädierte. Das Auftreten Catilinas zeigte
nichts von alledem. Entweder es war eine Provokation oder er wollte sogar, dass
man Ciceros Vorwürfen Glauben schenkte und vor Catilina erzitterte.
Während sich ein Kreis
leerer Stühle um ihn bildete, ließ sich Catilina nicht im Mindesten
beeindrucken. Er behielt sein Grinsen im Gesicht bei.
Cicero blieb ebenfalls
ruhig. Still wartete er ab, bis die Senatoren um Catilina neue Sitzplätze
gefunden hatten und starrte seinen Widersacher mit ernster Miene an.
Eine quälende Stille trat
ein.
Niemand sagte etwas,
nicht einmal ein Husten war mehr zu hören.
Cicero wartete.
Catilina rührt sich nicht
und grinste Cicero unentwegt an.
Schließlich ging Cicero
mit festen Schritten auf Catilina, bis er ihm genau gegenüber stand. Er presste
die Lippen aufeinander und – wartete.
„Wie lange noch“,
donnerte er auf einmal und füllte mit seiner gewaltigen Stimme den gesamten
Tempel aus, „wie lange noch, Catilina, willst du unsere Geduld noch
missbrauchen? Wie lange wird uns dein Wahnsinn noch verspotten? Bis wohin wird
sich deine zügellose Frechheit noch aufspielen?“
Catilina hielt immer noch
grinsend seine Arme hinter dem Kopf verschränkt, aber an seinen Augen war zu
erkennen, dass ihn Ciceros Angriff schon nicht mehr amüsierte.
Doch Cicero hatte gerade
erst begonnen:
„Haben dich denn in gar
keiner Weise die nächtliche Besetzung des Palatin berührt, in gar keiner Weise
die bewaffneten Wachmannschaften innerhalb der Stadt, in gar keiner Weise die
Furcht des Volkes, in gar keiner Weise der Zusammenschluss aller Patrioten, in
gar keiner Weise dieser stark befestigte Sitzungsort hier, in gar keiner Weise
der Gesichtsausdruck und das Mienenspiel all dieser Männer? Merkst du denn
nicht, dass deine Pläne offen liegen? Dass sich deine Verschwörung durch das
Wissen all dieser Männer hoffnungslos verstrickt hat - siehst du das nicht?“
Cicero lief auf und ab,
warf seinen Kopf in den Nacken oder senkte sein Haupt, wedelte mit Armen,
Händen und Fingern oder ließ sie in der Luft verharren. Jede auch noch so
kleine Geste saß perfekt. Seine Stimme variierte, als sei selbst ein lebendiges
Wesen: sie sank zu einem tiefen Bass oder steigerte sich bis zu den schrillsten
Höhen. Bald war sie kaum noch wahrnehmbar, bald dröhnte sie bis in den
hintersten Winkel. Setzte selbst in der größten Erregung standen immer noch
bedeutungsschwere Pausen, so dass alle die folgenden Worte mit Hochspannung
erwarteten. Cicero setzte seine Hände und sein ausdrucksstarkes Mienenspiel
dermaßen gekonnt ein, dass Stimme, Inhalt, Bewegung und Körper zu einem
einzigen großen Ganzen verschmolz, zu einem einzigen Argument, zu einem
einzigen Vorwurf an Catilina. Noch nie hatte Rufus einen Mann so reden gehört!
Nach und nach begriff
Catilina, wie sehr Cicero die Senatoren in seinen Bann gezogen hatte und wie
sehr sich die eine allgemeine Stimmung der Ablehnung und des Hasses gegen ihn
aufbaute.
Das spöttische Grinsen
verschwand. Mit energischem Kopfschütteln versuchte er die Vorwürfe
abzustreiten.
„Nein! Alles Lügen! Ich
war die ganze Zeit über in Haft – bei Marcus Metellus. Weißt du das etwa nicht
mehr?“
Cicero zog die buschigen
Augenbrauen zusammen wie ein Vater, der sein Kind ertappt hat und ihm zürnt, da
es ihn noch immer anlügt.
Catilina sah sich hilflos
einem Sturm der Entrüstung ausgeliefert: Buhrufe, aggressives Zischen und
höhnisches Gelächter erschollen im ganzen Rund.
„Was du letzte Nacht, was
du vorletzte Nacht getrieben hast, wo du gewesen bist, mit wem du dich
getroffen hast, welchen Plan du geschmiedet hast – was glaubst du wohl, wer von
uns das NICHT wüsste?“, nahm Cicero die Reaktion seiner Standesgenossen auf.
Catilina wollte etwas
erwidern, aber der donnernde Beifall für Cicero ließ ihn nicht zu Wort kommen.
„O tempora o mores - In
was für Zeiten leben wir denn und was für Sitten haben wir denn? Der Senat
durchschaut es, der Konsul sieht es. Und trotzdem lebt der noch?“
Cicero machte eine
gedankenschwere Pause.
„Wie du siehst, ich lebe
noch!“, schrie Catilina sofort in die Stille hinein. Und ich habe nicht vor,
mich, einen Sergius, aus einer Familie, welche die zahlreichsten Heldentaten
für die Republik geleistet hat, von einem dahergelaufenen Hinterwäldler aus
Arpinum einschüchtern zu lassen! Glaubt ihr etwa, dass ich, ein Mann von altem
Adel, ein Patrizier, die Republik zerstören will, während ein Marcus Tullius,
ein dahergelaufener Eindringling – ein inquilinus civis die Republik bewahren
will? Siehst du mich Cicero? Ich lebe noch, o ja - und wie ich noch lebe!“
Catilina versuchte im nun
einsetzenden Tosen die Urheber zu erkennen und warf einzelnen Senatoren wütende
Blicke und Gesten zu. Auch fuhr er sich mit abgespreiztem Daumen über den Hals,
um anzuzeigen, dass sie still sein sollten und er genug davon hatte.
Cicero brachte mit
ausgebreiteten Armen die Senatoren zum Verstummen.
„Er lebt? Ja und nicht
nur das, er kommt sogar in den Senat, er nimmt an der staatlichen Beratung
teil, er bestimmt und bezeichnet mit seinen Blicken jeden einzelnen von uns zur
Hinrichtung! Wir aber, wir tapferen Männer, wir scheinen unserer Pflicht
gegenüber dem Gemeinwesen genüge getan zu haben, wenn wir den Waffen und der
Raserei von diesem Kerl da ausweichen.“
Rufus konnte sehen, wie
manche Senatoren betreten zu Boden sahen. Schämten sie sich, dass ihren Konsul
so lange die Unterstützung versagt hatten, bis es zum Mordanschlag gekommen
war?
„Zum Tode, Catilina,
hättest schon längst auf Befehl des Konsuls geführt werden müssen und das
Verderben auf dich geladen, das du schon lange uns allen vorbereitest!“
Donnernder Beifall erhob
sich. Jetzt fuhren sich die Senatoren mit abgespreiztem Daumen über die Gurgel,
diesmal jedoch um Catilina offen mit der Hinrichtung zu drohen.
Catilina setzte beide
Hände als Trichter vor den Mund und versuchte noch einmal einem Gegenruf.
„Das ist Aufhetzung zum
Mord! In der Republik unserer Vorväter hätte kein Senator so etwas je getan,
erst recht kein Konsul!“
Cicero brachte die Menge
mit der rechten Hand zum Schweigen und wiegte sein Haupt, als würde er
Catilinas Argument kurz bedenken.
„Ach wirklich?“, stieß er
dann sarkastisch hervor, „Hat etwa der hochangesehene Publius Scipio, der
Pontifex Maximus, also nicht den Tiberius Gracchus als Privatmann getötet – und
das als der nur unerheblich den Zustand der Republik erschütterte? Und wir
sollen als Konsuln einen Catilina ertragen, der den Erdkreis mit Mord und
Brandstiftung verwüsten will?“
Wieder erhoben sich
wütende Zwischenrufe:
„Töte ihn!“
„In den Tullianum mit Catilina!
Lassen wir ihn erdrosseln!“
„Nein, machen wir es
selbst, gleich jetzt, gleich hier!“
„Mit eigener Hand, so wie
Servilius Ahala den Spurius Maelius!“
Cicero hob die rechte
Hand.
„Ja, einst hat es… In der
Tat... Senatoren! Senatoren. Jene allzu weit zurückliegenden Ereignisse
übergehe ich, aber ja – es hat sie gegeben. Einst hat es einmal in diesem
Staate die männliche Tugend gegeben, dass tapfere Männer einen verderblichen
Mitbürger mit grausameren Strafen im Zaum hielten, als den härtesten Feind.“
[…]
Cicero war nicht mehr zu
bremsen. Ein um das andere Mal wies er auf die Details der Verschwörung hin,
Aufstand, Mord- und Brandanschläge und vieles mehr und sparte nicht einmal
echtes und vermutetes Fehlverhalten aus Catilinas Privatleben aus. Wie besessen
ereiferte Cicero sich in seiner Rede. Wie ein Schauspieler machte er vollen
Einsatz von seiner Stimme, seinem Körper, seinen Gesten und seiner Mimik.
Zugleich gelang es ihm auch, außer sämtlichen hässlichen Gerüchten noch
unumstößliche Tatsachen und überzeugende Argumente einzubauen und auf Catilina
abzuschießen.
[…]
Catilina versuchte eine
allerletzte Gegenwehr. Er erhob sich, nur um im Mittelgang wieder auf die Knie
zu gehen und flehentlich die Hände zu ringen:
„Glaubt…. Glaubt doch
nicht leichtfertig, dass…“
„Mörder!“ „Verräter!“
„Ich habe doch seit
meiner Jugend so gelebt, dass…“
„Eben drum!“
„Senatoren, Freunde! Ihr
kennt doch meine Fähigkeiten – und meine Familie…“
„Nur allzu gut!“
„Verschwinde!“
„Geh ins Exil!“
„Nein, bring dich um!“
Catilina sprang auf,
Cicero machte schnell ein paar Schritte zurück.
„DEM wollt ihr also
lieber glauben als einem Patrizier? Diesem Feigling, einem ehrlosen Tullius,
der noch nicht einmal seinen Militärdienst ordentlich abgeleistet hat? Schaut
euch doch nur diesen Schlappschwanz an, DAS soll ein Konsul sein? So ein…“
Doch als Catilina Cicero
weiter beschimpfen wollte, gingen all seine Bemerkung im hereinbrechenden
Höllenlärm unter.
Cicero gebot dem Krach
souverän und mit einem Lächeln Einhalt.
Nun wurde es Catilina endgültig
zu viel. Wütend warf er seinen Stuhl nach Cicero und brüllte:
„Ich warne euch! Wenn ich
schon von meinen Feinden umzingelt bin und stürzen soll, dann werde ich meinen
Brand mit Trümmern ersticken!“
Darauf stürzte er davon.
Niemand wagte, ihn aufzuhalten.
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