Kapitel XI: Tiefer Sturz
[Gaius kehrt zurück, puterrot aber quicklebendig. Er ist außer sich,
dass Cicero Catilina aus der Stadt getrieben hat. Manlius und Catilina vereinigen
ihre Truppen und werden zu Staatsfeinden erklärt. Catilina lässt sich in der
Provinz zum Gegen-Konsul ausrufen und schürt Aufstände. Unter dem Adler des
Marius sammelt er ein Doppelheer aus zwei Legionen. Unterdessen erhalten die
Allobroger eine geheimnisvolle Einladung: Sempronia und Gabinius versuchen die
Allobroger zu einem Bündnis mit den Verschwörern zu verleiten. Die Gesandten
sind geteilter Meinung. Was sollen sie tun…?]
Es war kalt, bitterkalt –
zumindest für Rom, selbst für eine Dezembernacht. Jedenfalls hatte man ihm
wiederholt gesagt, dass es in Rom eigentlich nie so kalt würde, wie jetzt.
Soweit man sie im fahlen Mondlicht sehen konnte, stiegen kleine Dampfwölkchen
beim Ausatmen auf. Wie kleine Gespensterkinder entstiegen sie Mund und Nase,
hingen ein wenig in der Luft und verwehten schließlich im Reitwind der Pferde.
Manchmal hielten sie sich auch etwas länger, so dass man fast meinen könnte,
sie unterhielten sich mit den Toten der Gräber, die auf der großen
Ausfallstraße den Weg säumten.
Rufus wickelte sich den
Mantel enger um den Hals. »Was war das?« Rufus horchte angestrengt. »Habe ich
da etwas gehört? ... Nein, nur der schauerliche Ruf einer Eule.« Er lauschte
wieder angestrengt in die Nacht, aber außer dem Klackern der Hufe auf der Via
Flaminia war nichts mehr zu hören.
Der Nebel wurde zunehmend
dichter.
»Wenn nur Volturcius
endlich von seiner Seite weichen würde, beim Hercules!« Rufus verfluchte den
Einfall Suras, ihnen diesen Titus Volturcius als Eskorte mitzugeben. Er sollte
die Allobroger zu Catilina führen, bevor sie weiterzögen. Dort sollten sie sich
gegenseitig durch einen feierlichen Eid verpflichten.
Rufus versuchte, sein
Pferd direkt neben Gaius zu lenken, so dass er ihn von Volturcius trennte. Doch
erneut gab es auf der engen Straße kein Durchkommen.
»Beim Iuppiter! Ich muss
es schaffen. Jetzt, jetzt muss ich handeln. Es bleibt nicht viel Zeit!«
Seit dem Treffpunkt war
kein Herankommen an Gaius gewesen, schon seit sie mitten in der Nacht
aufgebrochen waren. Volturcius und Umbrenus hatten sie geweckt und zu den
Pferden geführt, Gaius war erst außerhalb Roms mit den Waffen der Allobroger zu
ihnen gestoßen.
»Dabei muss ich doch
unbedingt mit ihm reden, bevor es zu spät ist!«
Rufus ließ sein Pferd auf
die Hinterbeine steigen und schob sich mit gewagtem Sprung mitten zwischen die
beiden, so dass Volturcius‘ Ross laut wiehernd vom Seitenrand abkam.
„Beim Pluto! Kannst du
nicht reiten? Wieso habt ihr nur dieses Kind mitgebracht?“
„Euamellin bleibt!“, rief Catugnatos bestimmt. „Er ist der Sohn eines bedeutenden Stammeshäuptlings und
ein Teil unserer Gesandtschaft. Er ist mit uns nach Rom gekommen und er wird
auch zusammen mit uns in den Norden zurückreiten.“
„Dann mach du doch sein
Kindermädchen“, schnaubte Volturcius und sprengte an die Spitze der Gruppe.
„Aus dem Weg ihr Kleinkinder!“
Gaius warf Rufus einen
bitterbösen Blick zu, der zu bedeuten schien ʺWarum hast du das getan?ʺ.
Vielleicht täuschte sich Rufus auch. Gaius‘ Gesicht war bei den vielen
Schatten, welche die Grabmonumente und die kahlen Zweige der Bäume warfen,
nicht richtig zu erkennen.
Vor ihnen ritten jetzt
Crixos und Ollugnio, Catugnatos mit einem Bediensteten kam dahinter.
„Pst, Gaius!“, versuchte
es Rufus in gedämpftem Ton.
„Jetzt nicht!“
Rufus presste die Lippen
aufeinander.
In der Ferne tauchte
bereits die Silhouette des Pons Milvius aus dem Nebel auf. Halb verdeckt
spannte er sich wie ein viele hundert Fuß breiter Schlund des Orcus über den
Tiber. Das Ende lag im dichten Nebel verborgen.
„Doch Gaius, jetzt!
Später ist zu spät.“
„Was soll es denn
ausgerechnet jetzt noch wichtiges geben?“
„Bitte vertrau mir: Hau
hab, schnell, solange noch Zeit ist. JETZT!“ Rufus sah seinen Gastbruder
flehentlich an.
„Aber warum?“, fragte
Gaius ungläubig.
Rufus beugte sich so weit
er konnte, ohne aus dem Sattel zu fallen, zu Gaius hinüber.
„Weil das ein Falle ist.
Geh! Sag, dass dein Pferd lahmt und steig ab. Die werden auch ohne dich
weiterziehen. Jetzt geh schon, bei allen Göttern!“
„Was? ... Nein! ... Du
Gallier, du Barbar! Was hast du nur getan?“
Gaius presste die Zähne
aufeinander.
Rufus spürte, wie das schlechte
Gewissen an ihm nagte. Lange hatte er gezögert, was er tun sollte, auf welche
Seite er sich schlagen sollte. Nun war genau das eingetreten, was er am meisten
gefürchtet hatte: Er hatte Gaius in einer schwierige, in eine unmögliche Lage
gebracht.
Rufus hielt sich wieder
aufrecht, um kein weiteres Aufsehen zu erregen. Aus den Augenwinkeln
beobachtete er Gaius.
»Wenn er mich verrät,
schneiden die mir kurzerhand die Kehle durch. Ob er das in Kauf nimmt? Er hängt
doch so an der Ehre ... und nachdem ich ihm das Leben gerettet habe …
Andererseits, tut er es nicht, verrät er die ganze Gruppe, alle Anhänger seines
großen Idols Catilina … O ihr Götter, wenn er sich doch nur davonmachen würde!
Ich kann schon die sechs Brückenpfeiler erkennen!«
Entsetzt starrte ihn
Gaius an.
„Du hast uns wirklich
verraten? Nach allem, was wir für dich getan haben? Von einem Barbaren ist ja
auch nichts anderes zu erwarten, als Hinterlist und Täuschung! Aber ICH verrate
Catilina nicht. Ich bleibe treu! Was verlangst du da von mir? Ich soll die
anderen eiskalt in ihr Verderben reiten lassen?“
„Gaius! Es hat keinen
Zweck! Ihr habt sowieso einen Maulwurf unter euch.“
„Ja, dich, du falsche
Schlange!“, zischte Gaius.
„Nein, nicht nur mich, es
sind viele! Ich weiß es ganz sicher, von Cicero selbst.“
„Verdammter Caelius! Ich
hätte es wissen müssen… Die Pest über ihn, die Pest über Crassus, die Pest über
Cicero und dich!“, spuckte Gaius verächtlich aus.
„Gaius! Bitte vertrau
mir!“
Gaius presste zornig die
Lippen aufeinander.
„Wie könnte ich DIR nur
je wieder vertrauen? Und dich habe ich einmal ʺBruder genanntʺ…“
„Vertrau mir doch nur
noch ein einziges Mal! Du hast gesagt, ich bin dein Bruder, und ich kann immer
mit einer Bitte zu dir kommen, was es auch immer sei. Und jetzt bitte ich dich,
hör mich an und dreh um. Steig wenigstens ab, beim Apoll!“
Gaius schien
nachzudenken.
Rufus lief ein Schauer
über den Rücken. Vor ihnen hatte Volturcius bereits die Brücke erreicht. Wenn
er an der Stelle der Prätoren Flaccus und Pomptinus wäre, dann würde er den
Hinterhalt genau hier legen. Bisher hatte er aber noch niemand gesehen, keinen
Soldaten, keine Prätoren. Sollten sie am Ende auch zu den Verschwörern gehören
und die Falle galt am Ende gar nicht den Catilinariern sondern ihm und den
Allobrogern? Oder hatte man inzwischen schon alle wichtigen Beamten umgebracht,
darunter auch Cicero und die Prätoren?
Die Reiter verlangsamten
ihr Tempo. Die Holzplanken waren rutschig. Am anderen Ende trieb noch eine
dichte Nebelbank, von der Volturcius verschluckt wurde, davor begann der Nebel,
sich wieder zu lichten.
„Also gut“, flüsterte
Gaius schließlich, als sie mitten auf der Brücke waren, „nehmen wir an, dass…“
„Eine Falle! Verfluchter
Cicero! Alles zurück!“
Das laute Gebrüll kam von
Volturcius. Urplötzlich galoppierte er auf sie zu - eine schwarze
Schreckgestalt, die aus dem Nebel brach. Hinter him stiegen zwei unheimlich
rotglühende Augen in den achthimmel empor, die Augen eines riesigen Drachens.
»Feuerpfeile, kein
Untier... Das muss das verabredete Signal sein!«
Kaum hatte Rufus die
Pfeile richtig eingeordnet, als er schemenhaft eine Horde dunkler Gestalten
erkannte, die Volturcius nachsetzten. Soldaten! Sie hatten Gesicht und Rüstung
mit Schlamm geschwärzt. Sicher hatten sie am Hang hinter der Brücke auf der Lauer
gelegen. Dahinter kamen noch mehr, ungeschwärzt, aber mit Fackeln bewehrt.
Fieberhaft versuchten
alle, ihre Pferde herumzureißen und sich zum anderen Ufer durchzuschlagen. Doch
es war bereits zu spät.
Wie aus dem Nichts
tauchten auch auf der anderen Seite pechschwarze Gestalten aus der Uferböschung
auf. Mit Zweigen am Helm und dem Pilum in der Hand. Der gesamte Brückenbereich
war großräumiger besetzt, ein Umkehren war nicht mehr möglich.
„Im Namen der Konsuln!
Ihr kommt hier nicht mehr raus. Legt eure Waffen nieder und ergebt euch!“
„Flaccus! Gaius Valerius
Flaccus, das alte Schlappohr“, murmelte Catugnatos. „Immerhin ist Troucillos
zuverlässig…“
Ein ähnlicher Ruf
erscholl von der anderen Seite. Das musste dann der Prätor Gaius Pomptinus
sein. Von beiden Seiten erhob sich nun das Kampfgeschrei der Soldaten.
Volturcius trieb sein
Pferd selbst mit lauten Schreien gegen die Mannschaften, doch sein Kurzschwert
war gegen die Reihen der Pilen machtlos. Mühelos durchbohrten sie sein Pferd.
Mit erbärmlichem Gewieher brach es zusammen und warf unter wilden Zuckungen
seinen kühnen Reiter ab.
Die Soldaten drängten auf
beiden Seiten auf die Brücke nach.
Doch so schnell war
Volturcius nicht klein zu bekommen.
„Verdammte Feiglinge! Ein
wehrloses Tier abschlachten, das könnt ihr! ... Versucht es doch mit einem
Mann, ihr Memmen!“
Damit stürzte er sich ins
Getümmel, gefolgt von seinen Sklaven. Unter ihren wilden Hieben wichen die
Soldaten tatsächlich zurück – allerdings nur, um ihr pilum in den Boden zu
rammen und als feste Schildmauer mit Schild und Schwert wieder vorwärts zu
drängen. Sie wollten sie lebend.
Umbrenus saß mit offenem
Mund da und schien nicht zu verstehen, was vor sich ging.
Ollugnio hob ihn kurzerhand
vom Pferd.
Catugnatos streckte die
Hand nach seiner Korbtasche aus, während Ollugnio ihn festhielt:
„Publiulle –
Publius-Schätzchen, sei doch so gut und gib uns die Unterlagen!“, äffte Crixos
Sempronias Singsang nach.
„Ihr verdammten…!“
Umbrenus riss sich los
und warf sich mit einem Satz auf Crixos.
Doch Catugnatos reagierte
schneller. Krachend schlug seine Faust in Umbrenus‘ Gesicht ein. Kleine
weinrote Tröpfchen umtanzten die Faust und verteilten sich dampfend im
dezemberlichen Nachthimmel - wie ein feiner Nebel.
Umbrenus hielt seine
gebrochene Nase und wollte aufstehen, doch Ollugnio setzte ihm lächelnd sein
Schwert unter die Kehle. Umbrenus‘ Sklaven wollten eingreifen, doch die drohend
geschwungenen Langschwerter der Allobroger überzeugten sie eines Besseren.
Schließlich war alles
vorbei. Volturcius gab auf, als er sah, dass die Allobroger ihm nicht
beistanden. Er bettelte noch flehentlich Pomptinus an, ließ sich aber
widerstandslos festnehmen. Seine Freundschaft zum Prätor brachte ihm diesmal keinen
Nutzen. Die Legionäre begannen, einzeln die Namen der Reitergruppe zu notieren
und sie gut zu verschnüren.
Gaius saß noch immer im
Sattel. Blass und regungslos wartete er auf das Unvermeidliche: Gefangennahme,
Verhör, Prozess wegen Hochverrat und Hinrichtung.
Rufus warf einen Blick
nach unten in den tief dahin rauschenden Tiber. Es war dieselbe Stelle, an der
sie im Sommer zusammen gebadet hatten. Ein paar der kleineren Felsen schauten
noch immer aus dem Wasser.
»Wenn sich die Mulde
seitdem nur nicht mit zu viel Geröll gefüllt hat!«, hoffte Rufus inständig
„Schwimm!“, flüsterte er
Gaius zu, der ihn verständnislos ansah, „Und halte den Kopf so lang wie möglich
unter Wasser!“
Kurzerhand zog Rufus
seinen Dolch und rammte ihn Gaius‘ Pferd in die Flanke; nicht tief -er wollte
dem Tier nicht unnötig weh tun- aber tief genug, dass es Gaius abwarf. Rufus
half mit einem Richtungswechsel nach und lenkte den schreienden Gaius geschickt
über die Brüstung.
Sofort waren ein paar der
Soldaten bei ihnen.
„Wer war das? Umbrenus?“
„Keine Angst!“, grinste
Catugnatos, „Umbrenus ist unter Kontrolle. Und die Gesandschaft ist auch
komplett ... komplett und unverletzt.“
Crixos hob die Tasche des
Umbrenus hoch. „Und das haben wir auch. Alle Siegel sind unverletzt.“
„Mercurius sei Dank! Wir
haben, was wir wollten … Aber wer war diese arme Sau?“
Catugnatos zuckte nur mit
den Schultern.
Alle starrten hinab in
die Schwärze, wo der Tiber rauschend gegen die Pfeiler krachte. Im Schein der
Fackeln konnte man die schäumenden Fluten sehen. doch war keine menschliche
Bewegung darin auszumachen. Sie lauschten, jedoch war nichts zu hören, außer
dem Gluckern des Wassers und den weinerlichen Bitten des Titus Volturcius.
Flaccus zwängte sich bis
zu ihnen durch.
Rufus kletterte auf die
Brüstung, Flaccus zerrte ihn zurück.
„Was soll das denn
werden?“
„Lass mich, Herr. Den
erwische ich noch!“
„Nicht doch, Junge, der
war größer als du! Der Tiber ist hier viel zu flach, du brichst dir nur das
Genick.“
„Er weiß, was er tut!“,
wandte Catugnatos ein.
„Kann uns nur Recht
sein“, stimmte ein Legionär zu, „dann muss sich keiner von uns den Hals brechen
und ersaufen, nur um den anderen zu finden…. Gallier…“
Doch Flaccus ließ nicht
locker: „Nein! Ich führe hier das Kommando! Ich will, dass meine Männer die
richtige Leiche aus dem Fluss fischen! Der wird auch so noch schwierig genug zu
finden sein.“ Dann legte er beide Hände an den Mund und brüllte: „Sichert die
Flussufer! An jeder Stelle, wo er wieder auftauchen könnte, will ich Wachen
haben!“
„Lass doch, Prätor. Das
überlebt niemand!“
„Trotzdem: Sichert die
Ufer: Überall, wo man wieder hoch kommen kann, will ich zwei Mann postiert
sehen. Leiche oder nicht ... den will ich auch noch. Solange ich Prätor bin,
entkommt mir kein Verdächtiger ... weder im Leben, noch im Tod. Das soll sich
ruhig rumsprechen. Los jetzt!“
Aber Gaius kam nicht
wieder hoch. Rufus stürmte von der Brücke, immer den Soldaten hinterher. An der
Uferböschung rutsche er aus und fiel hin. Schnell stand er wieder auf und lief
weiter zum Ufer. Rufus machte sich die größten Vorwürfe. Zuerst stieg die Angst
um Gaius in ihm hoch, dann Panik.
»Was habe ich nur getan?
Ich hätte doch merken müssen, dass man den Soldaten nicht mehr entkommen kann
... nicht einmal mit einem gewagten Sprung in den Fluss. Aber wenn er nun
doch…?“
Verzweifelt rannte Rufus
von Posten zu Posten. Er sah auch zwischen den Postenketten nach, aber nirgends
zeigte sich jemand – weder tot noch lebendig.
Stunden später dämmerte
der Morgen des dritten Tages vor den Nonen des Dezember. Langsam kämpfte sich
die Sonne gegen den hartnäckigen Dezembernebel frei, der wie eine Dunstglocke
über der Stadt hing. Stück für Stück tauchte die Silhouette Roms vor den
übermüdeten Augen auf. Doch selbst der Sonnenwagen des Apollo konnte nicht
weiterhelfen.
Gaius blieb verschwunden.
[…]
[Während Rufus am Boden zerstört ist und Zweifel wie Vorwürfe an ihm
nagen, berät der Senat, was mit den Gefangenen zu tun ist. Die langersehnten Beweise und Geständnisse führen zu
einer ganzen Welle von Verhaftungen unter den führenden römischen Beamten,
darunter Lentulus Sura. der bis dahin so mächtigen Stadtprätor.]
Es war noch früh. Doch
Rufus‘ Magen knurrte gewaltig. Wie lang hatte er nichts gegessen? Er lief zur
Küche, steckte der Oberköchin Medea ein As zu und bediente sich mit Brot, Feigen
und Würsten. Er nahm alles mit ins Vestibulum und setzte sich zu Cerberus und
Milmass, denen er großzügig davon anbot.
„Danke junger Herr!“
„Wau“ – „Jaul!“
quittierte Milmass die Leckerei, die ihm Rufus reichte.
Rufus aß mit der rechten
Hand, während er mit der linken Milmass kraute. Rufus‘ Streicheleinheiten waren
dem Hund noch willkommener als die Wurst. Durch das geöffnete Gitterfenster der
Türe hörte Rufus die Wachen reden.
„…kannst du das glauben,
Crassus und Caesar Hintermänner der Verschwörung?“
„Unsinn. Die hätte man
doch sicher längst verhaftet. Aber ich habe beim Schichtwechsel von Decimus
gehört, dass die Klienten des Lentulus und des Cethegus immer noch dabei sind,
Leute zu sammeln. Könnte wieder eine unruhige Schicht werden, wenn die noch einen
Aufstandsversuch wagen.“
„Ja, aber besser hier
oben Dienst als auf dem Forum ... oder gar im Tempel der Concordia…“
„Du sagst es. Der Senat
muss entscheiden, was sie mit den Verschwörern anstellen sollen ... und ihre
Anhänger wollen die Gefangenen befreien…“
„He du! So einfach kommst
du hier nicht rein. Das ist das Haus eines Senators! Warte, wir müssen dich
erst kontrollieren…“
Kurz darauf trat einer
der Soldaten ans Guckfenster und brüllte:
„Heda, lasst ihr so einen
Jungbullen rein, so einen kräftigen Jungen ... nennt sich Marcus Antonius?“
Cerberus lief los. Er
musste um eine Antwort ersuchen.
Rufus schob schnell den
Riegel zurück, bevor Cerberus zurück war.
„Marcus!“
Rufus war überrascht. Von
der gewohnten Lebensfreude, die Marcus Antonius sonst ausstrahlte, war keine
Spur mehr vorhanden. Sein modischer Spitzbart war von dunklen Stoppeln
umstanden, die Haare standen wild in alle Richtungen ab. Er hatte dicke
schwarze Ringe unter den Augen und gerötete und feuchte Wangen, als ob er
gerade viel geweint hätte. Statt seiner eleganten Kleidung war er ganz in
schwarze Trauergewänder gehüllt.
„Rufus? Ach, ja, hab‘ ich
ganz vergessen ... du wohnst ja hier… Ist Gaius zu Hause?“
Rufus schluckte.
„Nein. Ich habe ihn schon
seit vorgestern nicht mehr gesehen.“
„Oh ihr Götter! Warum
ausgerechnet jetzt…?“
„Was ist denn los mit
dir?“
„Was mit mir los ist? Wo
hast du die letzten Tage nur gesteckt! Bekommst du denn hier gar nichts mehr
mit? Sie haben meinen Vater verhaftet! Dabei ist er doch der Stadtprätor, der
drittwichtigste Mann in Rom und unantastbar, solange er im Amt ist. Cicero ist
verrückt geworden ... mit dem Notstand will er einfach alles rechtfertigen!
Seit gestern diskutieren sie schon darüber, wie sie Sura und die andern
Gefangenen am besten aus dem Weg räumen können! Wenn die Senatoren heute dem
Antrag des Silanus folgen, werden sie alle umgebracht ... mein Vater als
erster! Ich muss jemanden finden, der Cicero stoppt, jemand der sich für meinen
Vater einsetzt, heute noch -JETZT- bevor die Sitzung ihre Entscheidung fällt.
Und niemand will mir helfen…“.
Antonius lehnte seine Arme
an die Eingangstüre und schluchzte. „Dieser Idiot von Clodius ist auch keine
Hilfe ... ganz im Gegenteil! Er spielt auch noch mit seinen Freunden eine Art
Leibwache für Cicero! Keine Ahnung was er an diesem gefährlichen Langweiler
findet.“
„Du hast dich mit Clodius
zerstritten?“
Antonius nickte.
„Versuche es doch mit
Caelius, war Cicero nicht sein Mentor?“
Antonius schüttelte den
ungepflegten Kopf. „Caelius ist nirgends zu finden, weder im Haus seines
Vaters, noch in seiner teuren Mietwohnung. Schon seit Sura verhaftet wurde…
vielleicht will er auch nicht helfen…“
Auf einmal packte er
Rufus, hob ihn hoch und schüttelte ihn durch.
„Hilf mir! Hilf mir
Rufus, ich will meinen Vater nicht verlieren ... ich habe schon einmal einen
Vater verloren…“
Sofort kamen die Soldaten
herbei und packten Antonius am Kragen, doch Rufus winkte sie zurück.
Antonius stellte ihn
wieder ab. Eine Träne lief über sein massiges Kinn. „Ich muss zu Sanga, er ist
doch ein Freund Ciceros. Bitte! Hilf mir. Ich kann nicht zulassen, dass sie ihn
hinrichten!“
Cerberus kehrte zurück,
gefolgt von Apollonius. Beim Anblick der offenen Türe hob er eine Augenbraue.
„Mein Herr ist untröstlich, aber er muss zu einer sehr wichtigen Senatssitzung.
Wenn der junge Herr vielleicht am Abend wiederzukehren beliebt?“
Antonius blieb einen
Augenblick wie versteinert stehen, dann stürzte er mit einem Aufschrei davon,
wie ein in Rage geratener schwarzer Stier.
»Wie kann ich ihm nur
helfen?«, überlegte Rufus. »Er ist schon halb wahnsinnig vor Sorge um seinen Stiefvater…
Quintus! Ich muss ihn überzeugen!«
Rufus versuchte Quintus
Fabius Sanga zu erwischen, bevor er zur Senatssitzung ging. Aber er hatte kein
Glück. Quintus dankte Rufus zwar für die Ehre, die er mit seinem Einsatz für
den Konsul dem Hause der Fabii Sangae erwiesen hatte, wies seine Bitten jedoch
hart zurück.
„Hochverrat verdient
keine Gnade“, war seine knappe Antwort.
Am späten Abend der Nonen
des Dezember kehrte Quintus dann mit wichtigen Nachrichten zurück. Er ließ den
gesamten Hausstand wieder im großen Triklinium versammeln, auch die Allobroger
wurden in allen Ehren hereingebeten – sie erschienen in ihren heimatlichen
Hosen und Karojacken. Noch in Toga verkündete Quintus die Nachricht des Tages:
„Es war eine schwere
Entscheidung, doch ein guter Tag für Rom. Cicero hat die gesamte Debatte
protokollieren lassen, jede Rede. Lange haben wir diskutiert, alle
Eventualitäten eingeplant, alle Möglichkeiten bedacht. Bei der Wahl zwischen
Tod und Verbannung hat Silanus die Todesstrafe beantragt und es wären ihm auch
alle gefolgt, wäre der junge Caesar nicht für lebenslange Haft eingetreten. Die
Stimmung kippte, selbst Silanus ist umgefallen, bis… ja bis sich Cato erhob und
alle zusammenstauchte. Kurz und gut ... er hat Recht: Angesichts des Aufruhrs
in der Stadt, der bei einer Befreiung der Anführer droht, kann es nur ein
einziges Mittel geben. Dafür war die überwältigende Mehrheit der Senatoren ...
zumindest nach Catos brillanter Rede: Die Todesstrafe ... sofort und ohne jede
Berufung.“
Rufus schluckte.
„Aber Papa“, meldete sich
Fabia zu Wort, „verbietet die lex Sempronia de provocatione nicht die
Hinrichtung eines römischen Bürgers ohne Berufungsverfahren an das Volk?“
Quintus zog eine
Augenbraue hoch.
„Lehrt dich Crispus so
viel Politik? Nun, theoretisch schon, aber im Rahmen des Notstandsbeschlusses
hat Cicero als Konsul die nötigen Sondervollmachten. Außerdem hat der Senat die
Entscheidung gefällt und abgesegnet, nicht Cicero. Die Hinrichtungen wurden
bereits vollzogen: Sura, Cethegus, Statilius, Caeparius und Gabinius Capito hat
man im Staatskerker erdrosselt.“
Rufus wurde schwindelig.
Das waren genau die unvorsichtigen Verschwörer, die für ihn und die Allobroger
die verschwörerischen Briefe aufgesetzt hatten. Trug er Schuld an ihrem Tod?
Und was war mit Gaius, dem großen Bruder, den er sich immer gewünscht hatte?
Hatte er ihn verraten und verkauft und zum Schluss sogar umgebracht?
Quintus räusperte sich.
„Als Cicero gleich darauf
das Volk unterrichtete, war nur Jubel zu hören ... großer Jubel, von seinen Freunden
und sogar von seinen Gegnern. Das ganze Volk rief Dankesbekundungen und
Sprechchöre für Cicero, den Retter Roms. Wir können alle aufatmen. Der Senat
wird ein mehrtägiges Dankfest für die Götter beschließen. Was die Stadt Rom
betrifft, so ist die Verschwörung des Catilina endgültig vorbei.“
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